AW: Gefühl vs. Vernunft - der Brecht-Ordner
Auf jedem Tische zwei. Männer und Weiber
kreuzweis. Nah, nackt, und dennoch ohne Qual.
Den Schädel auf. Die Brust entzwei. Die Leiber
gebären nun ihr allerletztes Mal.
Jeder drei Näpfe voll: von Hirn bis Hoden.
Und Gottes Tempel und des Teufels Stall
nun Brust an Brust auf eines Kübels Boden
begrinsen Golgatha und Sündenfall.
Der Rest in Särge. Lauter Neugeburten:
Mannesbeine, Kinderbrust und Haar vom Weib.
Ich sah von zweien, die dereinst sich hurten,
lag es da, wie aus einem Mutterleib.
So Benn, der Gottfried. Wie schreibt man so etwas. Wir leben/schreiben ja alle in seiner Tradition (nicht in der von Celan, der ist nicht von dieser Welt). Entsteht ein Gedicht? Nein, es wird gemacht.
Ich höre oft, ein Gedicht entsteht, in dem man alles rauslässt (ähnlich wie decariot es schreibt), dann selbiges in eine Form bringt und 'streicht'. Streichen scheint wichtig zu sein. Obiges Gedicht wäre so nie entstanden. Im Leben nicht. Ein Gedicht braucht Form, Artistik und ist eher Ergebnis einer Komposition als eines Streichkonzerts
.
Wenn ich mal Benn bemühen darf, auch wenn es schon 50 Jahre her ist:
- Ein Gedicht entsteht nicht, es wird gemacht (ein Gedicht entsteht nicht durch die melancholische Stimmung beim Betrachten einer Heidelandschaft).
- Ein Gedicht ist selbstreflexiv (Kunst ist auch das Hervorbringen von Kunst, nicht nur das Ergebnis)
- Es braucht Artistik (eine Tranzendenz der schöpferischen Lust)
- Obsolet sind:
a) Der unbelebten Natur angedichtete Stimmungen
b) Wie-Gedichte (Tja decariot...)
c) Farbbeschreibungen (Farben sind reine Wortklischees, die besser beim Optiker oder Augenarzt ihr Unterkommen finden)
d) Der seraphische Ton (ein Gedicht befasst sich mit Wirklichkeiten und nicht mit schwärmerischen Sentimentalitäten).