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Charlotte von Stein
Charlotte, herzlichen Glückwunsch zu Deinem Geburtstag.
Es gab da einen, der schrieb die Leidensgeschichte eines ungebändigten, empfindsamen Herzens. Sein Herz war übervoll, es strotzte vor erotischer Phantasie. Du mit dem Sinn fürs Praktische hattest auch für sein Wesen Mitgefühl, kanntest sein Sehnen wie das Deinige. Darauf kam es an: Das Gefühl des behandelten Wesens. Wobei Du doch nicht einmal eine Intellektuelle gewest; nur eine Welt klein im Erklären des Gegenständlichen. Wie wenigen das hinreicht?! Er will nach seinem Herzen leben und nicht die Welt durch Erklärung verständlicher machen. Er hat keine karrieristischen Ambitionen. Die kommen erst später, nachdem er Dich nicht kriegen konnte. Wie viel sublime Verdrängung das, was Brücken bauen, Bücher schreiben, Reisen und Theaterstücke veranstalten LIESZ! Die Literatur der größten als ein Abfallprodukt nichtgekonnter Verwirklichung in der Einen. Das warst Du. (Alle wissen es, aber kaum einer spricht es aus: Du bist der Grund auf dem Bodensatz der Literatur der Deutschen, Charlotte.) Praktischer Verstand schalt um das Sehnen einen Panzer.
Das Grundmotiv des jungen Wilden ist krankhaft, doch unzerstörbar in der Wirkung.
Goethe ist der wahre Idealist - ein Phantast, der der schnöden Welt lieber den Rücken kehrt, als sich ihr wirkend zu stellen.
Denkste!
Er lernt dazu, dieses Mensch, dieses Menschenkind. Lernfähig. Eben der Unterschied zwischen Literatur und Wirklichkeit. Werther erschießt sich, Goethe baut auf.
Gedankensplitter:
seine Liebe zu Dir: eine Möglichkeit an der Existenz erfahren!
Krise Goethes: Erfassung der Realität, um neue Wege gehen zu können
Du: das Ebenbild von dem, was Goethe mangelt - Lebensrealitätssinn
Tragen wir heute eine gelbe Weste, einen blauen Frack, Messingknöpfe und braune Stulpenstiefel!
Anhang 371
Puschkin, Goethe und Marx
Der Puschkin steht in Weimar. Er starb 1837. Die Franzosen wußten bis dahin nur, daß Rußland weit und kalt ist. Was mochte Goethe, auf dessen Betreiben hin Puschkin in Weimar Aufnahme und Rezeption fand, an diesem Spieler? Vielleicht die intuitive Psychologisierung des Disparaten? Hat die russische Seele in Weimar deshalb Fuß gafaßt, weil die Fürstenfamilie russisch verbandelt gewest? hat die Politik hier der Ästhetik den Weg gewiesen, also aus einer Liebedienerei - zu der Goethe, wie wir wissen, neigte - wurde ächte Begeisterung?!
Es gibt in der Literaturwissenschaft die These, daß de Vogue erst 1887 die Russen den Franzosen erschloß. (Waren die Russen - Dostojewski, Turgenjew, Bakunin, Tschaikowski... deshalb in Deutschland beheimatet, weil wir sie schon um 1830 als Dichter und Denker annahmen?)
Deutschland hat eine stärkere Affinität zu den Russen als andere in Europa. Beide Völker denken ganzheitlich, haben Anfang und Ende im Auge, wenn sie schreiben, denken, handeln... V e r t i e f e n!!!
Marx mit seiner säkularisierten Apokalyptik, mit seiner historischen Mission der Arbeiterklasse hatte einen Ganzheitsentwurf geschaffen, den die Russen aufnehmen konnten wie ein trockener Schwamm den Regen.
Puschkin, Goethe und Marx
Einer der Gründe für das allmähliche Wachsen der deutschen Klassik: staatliche Zerrissenheit will heißen das Viele im Ausdruck und in der Auseinandersetzung mit dem jeweils Einen. Das Viele konnte nicht in einem - gleichgeschalteten - Staat entstehen, der zentriert war oder machtpolitisch orientiert. Es mußte das Kleine sein, die Unterordnung gesellschaftlicher Kräfte unter die politisch-staatlichen. So konnte das Denken gegen die Macht gesetzt sein. So konnte der Macht aufgetragen sein, selbst zum Denken zu gelangen. Gedanke des aufgeklärten Souveräns. Und manche der Einen taten's, aber es stand ihrem Willen frei, das zu tun. Und das war gut und schlecht zugleich.
Doch wer die Freiheit will, der muß auch das Böse in Kauf nehmen, darf es nicht unterdrücken zugunsten eines bloß theoretisch Formulierten Guten. Wer hält diese Spannung lange aus?
Der andere Weg ist der, das gesellschaftliche Streben selbst zum staatlich-politischen Machtausdruck zu bringen. Die Engländer machten's im 17. Jahrhundert wirklich, die Franzosen im 18. Doch dann wird der Staat alles, Freiheit ist da nicht möglich; es fehlt an Spannkraft zwischen einem frei sich setzenden Willen des einzelnen und dem einer Allgemeinheit beziehungsweise vieler Allgemeinheiten, denn es bestimmt nicht die Person, sondern das Recht, das Gesetz oder das Geld. Vernunft wird vorgeschoben oder passend modelliert. Die Freiheit soll abfallen, ist ein verwertetes Abfallprodukt. Solche Gebilde müssen das Menschsein verkümmern lassen.
Als Deutschland nach zwei verlorenen Kriegen diesen westlichen Gedanken aufoktroyiert bekam - und die meisten Deutschen ja sagten, weil sie nun genug hatten von dieser Spannung in ihrem Inneren, da war es aus mit ihrer Freiheit, ihrer Blüte des Denkens, ihrer eigentlichen Bedeutung für die Welt. Doch ist die Sehnsucht nach dem Eigentlichen ihrer selbst immer noch vorhanden. Sie ist nicht ausgelebt. Und das sollte den anderen Angst machen - und Klügere von den andern wissen das auch.
Also: das gegebene Politische muß zerstört werden. Der Kreis des Beisammenseins muß verändert werden, neue Strukturen muessen her! Doch es führt kein Weg zurück. Und es soll kein Weg zurück führen, denn das Gegebene ist vernünftig, weil durchgesetzt. Also muß das neue durchgesetzt werden, wenn es vernünftig ist. Selbstbestimmung ist immer Bestimmung über das Selb. Das Selb aber muß erst (wieder)gefunden werden.
Das ist wohl ein sehr langer Weg.
Wesen des klassischen Konzepts
Meiner Meinung nach sind es zwei Aspekte, die hier besonders hervorstechen und das klassische Konzept markieren:
- Verstand ist stets bei wenigen nur gewesen. Man muß die Stimmen wägen und nicht zählen. Wo Mehrheit siegt und Unverstand entscheidet, da muß der Staat untergehen, früh und spät. (Schiller im "Demetrius")
- Ganz gleich, ob es sich um Kant, Hegel, Fichte oder Schelling, Goethe oder Schiller handelt: Sie alle glaubten, daß in der Geschichte Vernunft walte, besaßen also ein mehr oder weniger chiliastisches Geschichtsbild, was für unsere Fragestellung bedeutet, daß der Staat hier nicht Konstitutiv des menschlichen Daseins, sondern Regulativ, bestenfalls, genannt werden darf. Der Staat dient der Entwicklung des Einzelwesens, der Gattung Mensch gleichermaßen. Der Staat ist nicht, wie in westlichen (vor allem britischen und französischen) Vorstellungen, ein bloßes Machtorgan, um die bösartigen Triebe des einzelnen zu bändigen, sondern wird als Familie, als Schutz- und Trutzverband verstanden. Der Staat muß deshalb vernünftig sein, an der Spitze steht der Vernünftigste, den Gott einsetzte, der aber durch Berater über die wirklichen Verhältnisse auf dem laufenden gehalten wird und so stets AUFGEKLÄRT bleibt.
Ich kann das jetzt nicht kurz und knapp entwickeln, deshalb diese kurzen Angaben. Nur eines noch: Der derzeit in der BRD obwaltende Staat entspricht nicht dem klassischen Konzept, sondern ist ein westlicher Staat, also ein Gewaltstaat. Der Staat der BRD besitzt KEINE sittliche Idee, die ihn trägt. Er bläht sich immer weiter auf, tritt als Unternehmer in Konkurrenz zur Privatwirtschaft, verklammert sich mit ihr, so daß Privatinteressen und Staatsinteressen in Konflikt kommen müssen oder aber kartellähnliche Konstrukte entsprechen. Wir haben hier nur eine Möglichkeit, wir müssen die Krake Staat entkraken, also den Staat weitgehend abschaffen, ihm einige Kompetenzen lassen, aber doch etliche wegnehmen und sie in der Gesellschaft diskursivieren. Doch das bleibt Utopie, denn die geistige Elite dieses Landes ist butterweich amalgamiert.
Schillers Entwicklungsgang
Letzten Dienstag hörte ich Bollenbeck (Siegen) über Schillers Kulturkritik. Gut. Allerdings fiel mir auf, daß ein Paradigmenwechsel vor der Tür steht: B. versuchte mir doch tatsächlich weiszumachen, daß bereits Abel (Schillers Lehrer zu Karlsschulzeiten) in Schiller eine Gleichgewichtslehre zwischen Körper und Seele verpflanzte, die sich dann zwanzig Jahre später zum Humanismus weiterentwickelte. Das hieße ja, Schillers schwierige geistige Entwicklung zu nivellieren.
Erstaunlicherweise greift jetzt doch mehr und mehr die Erkenntnis Raum, daß Schiller nicht der große Idealist mit wehendem Haar und moralinem Parlieren gewest, sondern eher ein Kulturkritiker im Rousseauschen Geist. Wobei das selbstredend für Schiller zu wenig gewesen waere! Also setzt er der Zivilisationskritik, nein, der Kulturkritik, die sich in den vier bürgerlichen Betätigungsfeldern Wirtschaft, Politik, Recht und Erziehung manifestiert ein Prinzip entgegen, das den Menschen als Gattungswesen beauftragt, an der eigenen Vollkommenheit des Guten wie auch des Bösen beständig zu arbeiten. Und weg ist der alte und platte Humanismus, den man heute noch in verschiedenerlei Form lesen kann, daß der einzelne schlecht sein kann, es aber insgesamt einen Fortschritt gäbe (Weltvernunft) oder daß der einzelne durch Gesetze zum Guten bestimmt werden soll, weil das die vernünftigste Lösung sei oder daß Freiheit an Einsicht gebunden sei... blabla
Für Schiller war es immer ein Zeichen von Barbarismus, wenn die Vernunft das Konstitutiv des Handelns ausmacht; es war ihm ein Zeichen von Naivität, wenn dieses Konstitutiv das Gefühl, Lebenssinn also Fühlen, Schmecken oder Ficken sein soll.
Und das ist doch mal eine Neuigkeit! Weder das eine noch das andere ist es, was den Menschen ausmacht.
Und hinsichtlich einer politischen Folgerung sei hier angemerkt, daß für Schiller Verstand stets bei wenigen nur gewesen. Die rohe Masse ist und wird nicht selbstbestimmt handeln können, entweder handelt sie vernunftorientiert, also in abstrakter Kaltsinnigkeit wie die mordenden Jakobiner oder sie handelt naiv, indem sie nur auf Eingebungen, Sinneseindrücke, Launen... hört.
Bereits 1787 notierte Schiller im Geisterseher: "Gewisse gefährliche Wahrheiten der Vernunft, meinte er, könnten nirgends besser aufgehoben sein als in den Händen solcher Personen, die ihr Stand schon zur Mäßigung verpflichte, und die den Vorteil hätten, auch die Gegenpartei gehört und geprüft zu haben."