Meine nackten Zehen krallen sich auf den Betonboden. Ich sehe sie nicht. Mein Bauch versperrt den Blick. Weit unten eine Polizeisirene. Menschen laufen auf, aber nicht wegen mir. Ich will das jetzt nicht! Trotzdem streicheln die Hände meinen Bauch. Es ist mein. Obwohl von dem Falschen. Aber wohin mit dem falschen Kind? Der Beton kratzt. Plötzlich eine Beule im Bauch. Es bewegt sich, da ich ruhig stehe. Ich summe „Hänschen klein“. Jetzt sollte es kommen. Ich könnte es Jemandem hinterlassen. Hier auf dem Beton in meine Bluse eingewickelt. Sie flattert jetzt, da Wind aufgekommen ist. Ja, fast zerrt sie an meinem Leib. Jetzt fliegen! Ich breite meine Arme aus. Der Sprung. Ich traue mich noch nicht. Ein Schritt zurück. Die Fersen kratzen über den Boden. Ich spüre nichts dort, aber den Schlag ins Gesicht, den fühle ich noch. Von der Hand des Vaters. Direkt ins Gesicht. Und dann der Tritt in den schwangeren Bauch. „Ich will deine blöde Göre nicht!“ Wie sich das Kind gegen den Tritt gewehrt hat! Unverwüstlich. Jetzt schon ein Überlebenskünstler. Ich kann es nicht töten! Aber wie überleben? Ohne Geld? Der Vater arbeitslos. Alkoholiker! Als er einmal besoffen war, bin ich geflüchtet in die Eckkneipe. Dort stand der Andere an der Bar. Ich im dritten Monat schwanger. Er konnte das Kind nicht erahnen. Er hat mich in ein Gespräch verwickelt und immer wieder diese Blicke auf mich abgesendet. Wie ein Jäger auf der Fährte. Wir hatten vier Nächte bis ich im vierten Monat war. Immer unterbrach er den Höhepunkt und kam außerhalb von meinem Loch. Ich fragte, als ich mit meinem Kopf auf seiner Brust lag:
„Wie viele Kinder hast du schon verloren?“
„Keins, nur mich!“
In jener Nacht stand ich einfach auf und ging. Mein Herz hängte ich an eine Garderobe in einem beliebigen Bordell und wankte heim zu dem Schläger. Ich reagierte auf keine Anrufe mehr von dem süßen Charmeur. Er verschenkte wahrscheinlich sein Herz an eine andere hübsche Blondine. Als er aufgehört hatte anzurufen, fühlte ich in meinem Bauch einen Hohlraum, obwohl dort das Kind war.
Jetzt stehe ich hier und will fliegen. Das einzige und letzte Mal in meinem Leben. Daheim sitzt der Schläger besoffen vor dem Fernseher. Ich habe ihm nicht gesagt, wohin ich gehe. Nicht einmal einen Brief habe ich hinterlassen. Er will ja das Kind nicht. Also ist es meines und ich kann über es bestimmen. Ich trete einen Schritt vor und schaue hinab. Jetzt, ja jetzt bin ich soweit! Ich flüstere zu meinem Bauch: „Bist du bereit für den Flug, Liebes?“ Als Antwort kommt ein Tritt gegen die Bauchwand. Ich beuge mich nach vorne und falle. Wie viele Sekunden? Drei? Vier? Der Charmeur. Der Richtige. Auch als Vater. Unser Leben, bunt, auf der Überholspur! Mein Herz. Vergessen im Bordell. Jetzt, da ist es wieder. Näher kommt der Grund. Immer näher! Geliebt hat er mich und ich ihn! Warum? Warum, nicht er, der Vater. Für mein Kind. Er wäre es gewesen. Aber jetzt, jetzt ist es zu spät...
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