Zuerst einmal ein herzliches Hallo an alle und hier mein erster Beitrag:
"Ich hätte nicht gedacht, dass ich dich einmal wiedersehen würde“, atmete er auf und setzte sich, leicht vor Alkohol schwankend. Er faltete seine Hände, wie wenn sich darin etwas zu verbergen schien. Er hatte sie krampfartig ineinander verschlungen und starrte sie nun aus schwarzen Höhlen an, ohne ein Wort zu sagen. Seine Augen hatten etwas beunruhigendes. Flackerten hin und her wie eine Flamme im Wind. Eine Weile hielt sie seinem Blick stand, bis er unerträglich wurde. Sie schaute auf die sie beide umringenden besoffenen Studenten. Es war schon spät und die Party war am ausufern. Fast wie Sodom und Gomorrha, dachte sie. Sie wunderte sich, daß er es immer wieder schaffte, so viele Leute zu begeistern. Als er ihren angewiderten Blick bermerkte, sagte er: "Sie führen sich auf, wie ein toll gewordener Haufen Hyänen, was? Man sollte sie allesamt in den Keller sperren." Sie antwortete nicht. Der Raum war überfüllt und dampfte von den vielen Leibern, die sich darin befanden. Durch den Rauch der Zigaretten war die Luft zum Schneiden. Der Lärm hielt einen gleichtönig lauten Pegel, so daß ein Gespräch fast unmöglich schien. Ihre Begegnung vor sechs Jahren floß nocheinmal wie ein Film an ihr vorbei, während sie in den Dunst starrte. Eine dunkle Leidenschaft hatte sie beide damals hinweggerissen in einen tiefen Schlund, der keinen Boden kannte. Zwei Nächte voller verwundender Liebe. In einem Buch fand sie einen Vergleich für ihre zwei Gemütszustände. Der der Vernunft, der tagsüber herrschte war ihr Mann, das weiße Pferd. Der, der Leidenschaft war, der mit den dunklen Augen, das schwarze Pferd. Unter Schmerzen hatte sie ihm danach den Laufpaß gegeben. Schließlich war sie damals verheiratet gewesen. Und hatte ein Kind.
Sie schaute wieder in seine dunklen Höhlen. Schon immer hatte sie dieser Blick, der so intensiv sein konnte, fasziniert. Er fragte: "Was hast du in all den Jahren getrieben? Wie ist es dir ergangen? Ich habe oft an dich gedacht." "Nach unserer Begegnung kam die Scheidung. Ich konnte die Lügen nicht länger ertragen. Und danach war ich eine lange Zeit krank." "Wie krank?" Sie wand sich auf ihrem Stuhl. "Eine dunkle Macht hat mich damals überwältigt. Aber jetzt ist es wieder gut." Er strich ihr über die Stirn. "Du hast da diese Narbe. Es ist noch lange nicht gut." "Ja, die Narbe..." Sie seufzte. Dann fragte sie: "Und wie ist es dir ergangen?" "Ich? Ich habe meine Uni, meine Studenten. Die Zeit tröpfelt so langsam vor sich hin. Ich bin soweit ganz zufrieden, aber eine Leidenschaft wie damals mit uns, ist mir nicht mehr passiert." Dann schaute er sie erwartungsvoll an. "Du bist jetzt frei, nicht wahr. Unverheiratet?" "Was willst du? Das ganze nochmal aufwärmen? Es wird nicht funktionieren. Ich habe mich sehr verändert seit damals." "Nun, an mir ist die Zeit auch nicht lautlos vorübergegangen. Ich habe mich auch verändert. Bin ruhiger geworden." "Du und ruhig. Daß ich nicht lache. Als ich dich vorher beobachtete, warst du noch ganz der Alte. Immer noch ein guter Unterhalter und Alkoholiker. Bist du langsam nicht zu alt für diese Aktionen?" "Lassen wir das. Komm, laß uns nach draußen gehen." Er warf sich die Jacke und Schal über, zog sie vom Stuhl auf und schleppte sie zur Glastür. Er öffnete und sie traten auf die große Terrasse.
Eine einsame Laterne kämpfte gegen die Nacht. Kein Stern zeigte sich am Himmel. Der Mond blitzte hier und da hinter Wolken auf. Nur eine schmale Sichel ohne Leuchtkraft. Die Stille umfing sie beide und sie starrten in die Dunkelheit. Die fast lautlosen Züge an ihren Zigaretten waren das einzige Geräusch. Eine Nadelspitze hätte fallen können; sie hätten es gehört. Als sie fertig gerraucht hatten, kam er auf sie zu und begann sie zu umarmen. Wind kam auf. Die Bäume begannen zu rauschen. Sein Mund näherte sich dem ihren und schließlich begann er, sie zu vereinnahmen. Sie fühlte, wie die alte Leidenschaft wieder in ihr hervorbrach. Sie sträubte sich mit aller Macht gegen dieses Gefühl. Sie wollte das jetzt nicht. Mit einer ruckartigen Bewegung stieß sie ihn von sich und schrie ihm ins Gesicht: "Was glaubst du, warum ich damals so krank geworden bin!" Sie erstarrte vor Entsetzen, als sie seine Augen blitzen sah. Wolfsaugen. Dann stieß sie hervor: "Du bist es, du bist die Psychose." Sie ließ ihn stehen. Er schrie ihr hinterher: „Es ist noch lange nicht gut.“ Im Gehen sah sie noch im Augenwinkel, wie er sich den Schal über den Kopf zog und dann gegen die Glastür rannte. Sie splitterte. Ihre Schritte wurden schneller. Und dann lief und lief sie, bis sie sich atemlos in der Nacht verlor.
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