Deutsche Größe, 1797, von Friedrich Schiller, Ehrenbürger der Französischen Republik
„Darf der Deutsche in diesem Augenblick, wo er ruhmlos aus seinem tränenvollen Kriege geht, wo zwei übermütige Völker [Briten und Franzosen] ihren Fuß auf seinen Nacken setzen und der Sieger sein Geschick bestimmt – darf er sich fühlen? Darf er sich seines Namens rühmen und freun? Darf er sein Haupt erheben und mit Selbstgefühl auftreten in der Völker Reihe?
Ja, er darf's! Er geht unglücklich aus dem Kampf, aber das, was seinen Wert ausmacht, hat er nicht verloren. Deutsches Reich und deutsche Nation sind zweierlei Dinge. Die Majestät des Deutschen ruhte nie auf dem Haupt seiner Fürsten. Abgesondert vom dem politischen hat der Deutsche sich einen eigenen Wert gegründet, und wenn auch das Imperium [Romanum] unterginge, so bliebe die deutsche Würde unangefochten.
Sie ist eine sittliche Größe, sie wohnt in der Kultur und im Charakter der Nation, die von ihren politischen Schicksalen unabhängig ist. – Dies Reich blüht in Deutschland, es ist in vollem Wachsen, und mitten unter den gotischen Ruinen einer alten barbarischen Verfassung bildet sich das Lebendige aus. (Der Deutsche wohnt in einem alten sturzdrohenden Haus, aber ein strebendes Geschlecht wohnt in dem alten Gebäude, und der Deutsche selbst ist ein edler Bewohner, und indem das politische Reich wankt, hat sich das geistige immer fester und vollkommener gebildet.)
Dem, der den Geist bildet, beherrscht, muß zuletzt die Herrschaft werden, denn endlich an dem Ziel der Zeit, wenn anders die Welt einen Plan, wenn des Menschen Leben irgend nur eine Bedeutung hat, endlich muß die Sitte und Vernunft siegen, die rohe Gewalt der Form erliegen – und das langsamste Volk wird alle die schnellen flüchtigen einholen. Die andern Völker waren dann die Blume, die abfällt. Wenn die Blume abgefallen, bleibt die goldne Frucht übrig, bildet sich, schwillt die Frucht der Ernte zu.
Das köstlichste Gut der deutschen Sprache, die alles ausdrückt, das Tiefste und das Flüchtigste, den Geist, die Seele, die voller Sinn ist. Uns‘re Sprache [Gedankenwelt] wird die Welt beherrschen. Die Sprache ist der Spiegel einer Nation, wenn wir in diesen Spiegel schauen, so kommt uns ein großes treffliches Bild von uns selbst daraus entgegen. Wir lernen das jugendlich Griechische und das modern Ideelle ausdrücken.
Keine Hauptstadt und kein Hof übte eine Tyrannei über den deutschen Geschmack aus. Paris. London. So viele Länder und Ströme und Sitten, so viele eigene Triebe und Arten.
Finster zwar und grau von Jahren, aus den Zeiten der Barbaren, stammt der Deutschen altes Reich. Aber doch lebendge Blumen grünen unter gotischen Ruinen... Das ist nicht des Deutschen Größe, obzusiegen mit dem Schwert, in das Geisterreich zu dringen, Vorurteile zu besiegen, ringen, männlich mit dem Wahn zu kriegen, das ist seines Eifers wert. Schwere Ketten drückten alle Völker auf dem Erdenballe, als der Deutsche sie zerbrach, Fehde bot dem Vatikane [Reformation], Krieg ankündigte dem Wahne, der die ganze Welt bestach. Höhern Sieg hat der errungen, der der Wahrheit Blitz geschwungen, der die Geister selbst befreit, Freiheit der Vernunft erfechten, heißt für alle Völker rechten, gilt für ewge Zeit.
Deutschlands Majestät und Ehre ruhet nicht auf dem Haupt seiner Fürsten. Stürzte auch in Kriegesflammen Deutschlands Kaiserreich zusammen, Deutsche Größe bleibt bestehn.“ |
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