Metternichs Kampf ging um mehr als den Bestand der Mitte, er ging um die Bedingungen ihrer Gültigkeit. Hier wächst sein Diplomatentum ins Weltgeschichtliche; es wird Politik im großen Sinne, es wird Kampf um Europa. Es ist das Verhängnis des [19.] Jahrhunderts, daß es eben damit auch Reaktion [Rückgriff auf ältere politische Muster; Postabsolutismus] wurde. Metternich weiß - er nennt es „seinen geheimsten Gedanken“ -, daß das alte Europa am Anfang seines Endes ist. „Das neue Europa ist andererseits noch im Werden; zwischen Ende und Anfang wird es ein Chaos geben“. Dieses Chaos, das niemand verhindern kann, wenigstens so lange wie möglich hinausschieben und gleichsam abzudämpfen, wird nun das Ziel, in dessen Dienst alle Mittel gut sind; die Heilige Allianz wird höchst unheilige Polizei. Denn die Revolution ist überall. Sie flammt bald hier, bald dort auf, in Spanien, in Portugal, in Italien, in Griechenland, in Belgien und Polen, in der Schweiz, in den spanischen Kolonien, zwischendurch immer in den deutschen Köpfen. Unter Metternichs legitimem Europa gärt das nationale. Paris ist imemr der Herd, aber auch England hat stellenweise ein sehr bestimmtes Interesse an der Auflockerung des alten Europas durch neue Nationalismen. Es genügt also nicht, das alte Europa politisch zu organisieren. Man muß laufend kooperieren, man muß die freiheitlichen Regungen aufspüren, ehe sie losbrechen, man muß gemeinsam intervenieren, wo das Unglück bereits geschehen ist. Das ist der Weg, der nach Karlsbad [1819], nach Troppau [1820] und Laibach [1821], nach Verona [1822] führt. Die Zensur und die Polizei haben alle Hände voll zu tun, um die Freiheit in alle die Formen hinein, in die sie sich verkleidet, zu verfolgen. (Freyer II, S. 913/914.) |
Lesezeichen