Mein Seelenklempner meint, ich sei unzufrieden. Er sagt, es sei nicht gescheit, tagelang am Fenster zu sitzen und, das Kinn auf die Faust gestützt und eine Zigarette nach der anderen rauchend, sich zu fragen, warum man nicht glücklich werden könne. Das bringe nichts, das schade nur. Ich pflichte ihm bei. Aber was heisst tagelang - wochenlang, jahrelang geht das schon so!
Das Problem des Schriftstellers: Er hat eimerweise Zeit, in der er nichts tun muss als auf den Kuss der Muse beziehungsweise irgendeinen mickrigen Einfall zu warten... warten... warten... Andere mögen diesen Umstand Luxus nennen. Tatsächlich aber dreht man Däumchen und durch dabei.
Es kommt vor, dass ich aus Langeweile ein Streichholz anreisse und damit mein Haar in Brand stecke. Dann geh ich vor den Spiegel im Badezimmer und betrachte das Nest von feuerroten Schlangen auf meinem Kopf. Oder ich nehm den Revolver aus der Schublade und drück seine kalte Öffnung an meine Schläfe, stundenlang. Oder ich schnipsle mit der Schere an meinen Pulsadern herum, auch das kommt vor, zuweilen.
Mein Seelenklempner, eigentlich ein kluger Mann, ist überzeugt, die Ohrfeigen seien schuld. Dabei ist Vater seit fünfzehn Jahren tot. Das Ungeklärte, Unverziehene zwischen ihm und mir, von dem mein Seelenklempner so gerne und oft erzählt, liegt längst verscharrt auf dem Friedhof. Aber ich sage es meinem Seelenklempner nicht, dass er Blödsinn redet, obwohl sein Job eigentlich das Zuhören wäre. Stattdessen mache ich es wie immer, wenn ich Leute quasseln höre: Ich schliesse die Augen und sehe Kanarienvögel. Oder ich frage ihn, was ich seiner Meinung nach tun solle.
Dabei kenn ich das Problem doch: Die Zeit ist's, die Zeit, die ich habe. Wenn ein Mann Zeit hat, ohne sie zu brauchen, wird er wahnsinnig. Wenn er wahnsinnig wird, dann wegen Kleinigkeiten. Ich nehm es jedem übel, der mir guten Tag sagt. Ich hasse Ironie. Eines Tages werd ich anfangen zu schreien und nicht mehr aufhören können damit. Man wird mich dann ins Irrenhaus stecken, kein guter Gedanke zwar, aber ebenso wenig ein schlechter, für mich wird sich nichts ändern, so oder so. Bleibe ein Schriftsteller, der nicht viel los hat, dafür aber Zeit, gähnend viel.
Das Bedeutungslose macht Sinn, sag ich immer, und nichts ausserdem. Andernfalls brächte ich als Schriftsteller keinen Satz zustande. Ich schreibe übrigens immer über mich - worüber sonst?
Ausserdem bin ich ein ordentlicher Mensch. Jeden Abend leg ich mir auf dem Stuhl meine Kleidung für den nächsten Tag parat: Hemd, Hose, Jacke, Unterwäsche und Krawatte. Ich rechne fest damit, am nächsten Morgen wieder aufzuwachen. Dementsprechend gewissenhaft bereite ich mich auf die Fortsetzung vor.
Nicht heute. Stattdessen hab ich den Revolver poliert und die Trommel, in der drei Patronen waren, auf sechs aufgefüllt. Keine halben Sachen. Ich sag mir, ich kratz sowieso ab. Vorstellen kann ich's mir freilich nicht, wie ich als Skelett metertief unter der Erde vermodere und zu Staub zerfalle. Aber für den Ernstfall hab ich als Schriftsteller ja vorgesorgt: Hab Zeit gesammelt und beiseite gelegt, bin auf alle Fälle bereit für alle Ewigkeit.
_______________
2001 Mr. Jones
Lesezeichen