Zähneknirschend von einem, der sich hier lange nicht engagiert hat und gelobt, dies nach dem 21.8.02 (zumindest soweit möglich) zu ändern!
Nun denn: Ganz blöde und plump formulierte Frage: Animiert einen dieser Anfang zum Weiterlesen, oder steckt da schon irgend ein stilistischer oder sonstwie gearteter Wurm drin?
Es soll eine etwas unheimliche Hotelgeschichte werden, was wahrscheinlich noch nicht sehr viel aussagt. Na ja. Würde mich jedenfalls sehr über Meinungen freuen.
Grüße, Mark
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Es wird immer unschärfer in meinem Kopf.
Ich bin sicher, daß wir damals einen Grund hatten, gegen ein Uhr morgens durch die Straßen dieser Stadt zu laufen, oder daß wir etwas hatten, was wir für einen Grund hielten. Heute ist dieser Grund oder dieses Etwas nur noch eine Spur in meinem Gedächtnis, die nirgendwo hinführt. Ich wußte nicht viel von Anna. Was ist schon wichtig in den ersten Wochen einer Liebe, außer der Farbe der Augen, der Anatomie des Lächelns, dem Klang der Stimme, dem Geruch und der Beschaffenheit der Haut? Sie studierte wohl, aber ich weiß nicht einmal mehr, was. Dieser Juni war ein Wechselbad aus goldgelber Hitze, gewittriger Schwüle und wolkenbruchartigen Schauern. Regenschirme braucht man, wenn man zehn Jahre verheiratet ist, aber wir waren ständig naß. Die Kühe auf den schweren feuchten Wiesen hießen Lisa oder Friedolin oder Herr und Frau Kuh, und das war ausgesprochen komisch und keinesfalls albern. Humor ist selten mehr als ein infantiles Rudiment, wenn man verliebt ist.
Aus einem Spaziergang war eine mehrstündige Wanderung geworden. Wir wußten nicht mehr, wo wir waren. Die Landschaft war ein nasses grünes Tuch, aus dem plötzlich die Mahlzähne der Stadt herausragten. Natürlich kannten wir die Stadt, aber ich hatte mich ihr noch nie von dieser Seite genähert und war erstaunt, wie unvermittelt sie vor uns auftauchte, als hätte sie überhaupt keine Peripherie. Wir hatten allerlei Ideen von Restaurants und Nachtbars und kulturellen Veranstaltungen, als der Horizont abrupt hinter fünfstöckigen Häusern verschwand, aber als wir uns ansahen, naß, erschöpft und nicht sehr salonfähig, mußten wir lachen. Wir beschlossen, uns ein Taxi zu suchen und nach Hause zu fahren, aber wir taten es nicht. Vielleicht muß man nicht salonfähig sein, wenn man verliebt ist. Wir schlenderten hierhin und dorthin, aßen in einer Sushibar, gingen ins Kino und betrachteten die Schaufenster. Die gegenseitige Aufforderung, jetzt endlich nach einem Taxi zu suchen, wurde zu einem running Gag, und die Gründe, es nicht zu tun, wurden immer unschärfer. Wie meine Erinnerung. Dieser verregnete Tag war wundervoll, obwohl er uns nicht davon abhielt, von unserem warmen Bett zu träumen. Trotzdem waren wir nach Mitternacht noch immer unterwegs, Arm in Arm, lachend und in regelmäßigen Abständen unseren running Gag vortragend. Anna hatte schließlich die Idee, in einem Hotel zu übernachten.
Ich kann mich nicht mehr an den Namen des Hotels erinnern, aber ich weiß noch, daß er ziemlich banal klang - etwa Hotel Schmidt oder Hotel Schulte oder Hotel Schröder oder Hotel Schneider. Ja, es war etwas mit Sch. Das wurmstichige Stück Inventar an der Rezeption nahm uns in dieser Nacht mit dem fadenscheinig abgeklärten Humor derer auf, denen, nach zwanzig, dreißig oder hundert Jahren in diesem Gewerbe, schon die dollsten Dinger passiert und die verrücktesten Gestalten begegnet waren. Unser Zimmer im zweiten Stock hatte den muffigen 60er-Jahre-Charme, den man aus deutschen Fernsehserien dieser Zeit so kennt, und wir fielen in das quietschende Bett, ohne uns zu waschen oder noch einmal aus dem Fenster zu schauen.
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