Oberschwester Gunda war eine ganz normale Oberschwester, eine, die ihre rechte Augenbraue bis über den Rand ihrer glitzernden Hornbrille hochziehen konnte, wenn sie was zu meckern hatte, und sie hatte viel zu meckern. Sie arbeitete in einem ganz normalen Krankenhaus auf der Wöchnerinnenstation, dort wo die Babys dieser ganz normalen Stadt geboren wurden. Die Mamas der Babys waren die glücklichsten und zufriedensten Mamas auf der ganzen Welt. Sie trugen ihre Babys die langen Flure hinauf und hinunter und summten leise Wiegenlieder und kitzelten sie beim Wickeln an den nackten Fußsohlen - so winzig, so süß! Doch dann kam von morgens bis abends Besuch, überbrachte Blumen und Pralinen und gute Ratschläge:
Pass bloß auf, dass dir die kleine Zecke nicht bald auf der Nase rumturnt, wenn du gleich bei jedem Pieps losrennst und sie auf den Arm nimmst!
Du hast doch noch gar keine Milch, nun gib dem Baby doch in Gottes Namen wenigstens ein bisschen Tee zu trinken, oder willst du, dass das arme Hascherl bei dieser Hitze verdurstet?
Ein Kind gehört in sein eigenes Bett und nicht mit in deines, du wirst es vor lauter Liebe noch erdrücken!,
riefen die Mütter der Mamas und Papas, die Tanten und Geschwister, bis die Mamas anfingen zu weinen und gar nicht wieder aufhören konnten und über dem Krankenhausgarten zogen dicke schwarze Gewitterwolken vor das Himmelblau. Ein Blitz verfehlte haarscharf den backsteinroten Schornstein der Wäscherei und schlug neben die Mülltonnen ein. In diesem Moment flog die Tür aus dem Rahmen, es donnerte fürchterlich und Oberschwester Gunda spazierte herein. Auf der einen Hand balancierte ein silbernes Tablett mit Schokoladenkeksen und dampfendem Kaffee. Sie stopfte den Mamas geschickt mit der anderen Hand ein Kissen ins Kreuz und servierte ans Bett. Wieselflink zog sie die Laken glatt und schüttelte die Bettdecken aus und zwinkerte ihnen heimlich zu - in ein Ohr rein, zum anderen wieder raus!, flüsterte sie. Die Papas standen indes hilflos am Fenster und schauten über den Zaun den Ohnedachautos und Lastern hinterher, wie sie schwuppdiwupp im Elbtunnel verschwanden und seufzten tief - wie sollte das bloß alles nur zu hause weitergehen?
Manche Babys erwachten, weil sie sich von den lauten Stimmen gestört fühlten und ballten ihre Händchen zu Fäusten und fingen an zu brüllen, nicht Oma Grete, noch Tante Friederike, noch der Papa konnten den Frischling beruhigen, der wollte nur zur Mama an den warmen Busen, trinken und essen und den Stress vergessen.
Ich hatte gleich am ersten Tag ganz blutige Brustwarzen, sagte Oma Grete und warf einen bitterbösen Blick hinüber zum Papa.
Und ich konnte gar nicht stillen, weil ich zu wenig Milch hatte, schwor Tante Friederike, und außerdem bin ich keine Kuh. Sie zupfte mit spitzen Fingern ihre Bluse über dem Busen zurecht und schnippte einen Fussel vom Rüschenkragen.
Fläschchen geben ist sowieso viel praktischer, da kann auch mal der Papa in der Nacht aufstehen und sich um den Nachwuchs kümmern, sagte Oma Tanja, die Mama der Mama und nickte energisch und ihre blondierten Dauerlocken wippten im Takt - ja, ja, ja, viel praktischa!
Spätestens dann wurde es Zeit für Oberschwester Gundas Gemeckere:
Meine Herrschaften, dieser Ausflug endet hier, bitte alle aussteigen!
Blitz und Donnerdonner. Sie breitete ihre Arme aus, dass sie fast von einer Wand zur anderen reichten und schob die gesamte Verwandtschaft zur Tür hinaus an die frische Luft zum Verpusten, nur die Papas durften bleiben.
(...)
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