Leicht geziert trippelte er den Bürgersteig entlang. Sein schmaler Körper wand sich zwischen den entgegenkommenden Passanten. Indem er eine entschlossene Miene aufsetzte, verbarg er sein Allerweltsgesicht. Normalerweise hätten ihn die vorbeirauschenden Autos auf der Hauptstraße gestört, aber heute hatte er sich etwas in den Kopf gesetzt. Seit 15 Jahren hatte ihn das Gefühl umkämpft. Nun, heute war der Tag gekommen. Er suchte die Klingel. Sie war verborgen in einem Hinterhof. Er hatte es geahnt. Die Klingel würde versteckt sein. Er drückte auf den Knopf. Dabei ließ er den Blick schweifen. Und wenn ihn jetzt jemand erkannte? Nur zu. Er befand sich in Hochstimmung. Ein Brummen ertönte. Die Tür öffnete sich. Er erklomm schnell die Stufen und drückte leicht mit dem Körper gegen die Tür, auf der die Adresse, die er aus dem Internet kannte, stand. Sogleich umfing ihn diese leicht puffige Wärme des Raums. Es war so, als ob jemand einen Schuß Rotwein in seine Rippen gegossen hätte.
Er musterte die Frau, die ungefähr fünf Jahre älter als er selbst war. Sollte er? Aber warum nicht? Er lächelte mit einem Feixen. Darunter verbarg er, daß er keinen Atem hatte und sagte zu der Frau: "Ich wünsche mir künstliche Brüste." Die Frau war routiniert und blickte auf seine Statur. "Sie dürfen nicht zu groß sein. Ich empfehle ein C-Körpchen. Warten Sie, bis ich zurückkehre." Währenddessen konnte er den Raum auf sich wirken lassen. Aus den Umkleidekabinen auf dem Podest tauchten immer wieder verschiedene Männer in Frauenkleidern auf. Die meisten trugen Perücken, die die Männlichkeit ihrer Gesichter verbergen sollte. Dazwischen beschnüffelte ihn das kleine Schoßhündchen der verschwundenen Dame an den Hosenbeinen.
Die Frau kehrte zurück mit einer reichhaltigen Auswahl an Siliconbrüsten. "Probieren Sie die. Eine Brust wird ihnen stehen. Brauchen Sie noch eine Bluse dazu?" Er wehrte ab. "Ich habe nicht so viel Geld." Er verschwand in einer Umkleidekabine. "Wieviel würden die Brüste kosten? Konnte er sich auch noch eine Bluse und vielleicht eine Perücke kaufen?" Fieberhaft zog er sich die Brüste über. Eine Nummer nach der anderen, bis er dachte, daß sie paßte. Gerade in jenem Moment wedelte die Verkäuferin am Rande der Umkleidekabine mit einer Bluse und einer Perücke. Er zog die Bluse an und setzte sich die Perücke auf. Es war perfekt. So könnte er sich nach draußen wagen. Er schlug den Vorhang zur Seite, linste kurz und stellte sich dann vor den Spiegel. Zuerst betrachtete er sich wohlgefällig, dann beobachtete er im Spiegel, wie sich ein weiterer junger Mann am Empfang im Gespräch mit der Frau wand. Jener Mann war sein Geschäftskollege. Seit einem halben Jahr war er in ihn verliebt.
Lesezeichen