Notiz über das Warten
Er hörte die Mutter nebenan lachen. Gerade hatte sie den Kopf durch den Türspalt gesteckt und zu der Gestalt hinter sich geflüstert - "Das ist gut, der kleine Quälgeist schläft."
Iwan schlief nicht, wollte aber nichts sagen, weil sie nicht alleine war. Seine Windel war naß und schwer, brannte auf der Haut - er war hungrig. Wartete. Rief leise, Mama? Sie kam nicht.
Lautes Männerlachen. Er wollte trotzdem zu seiner Mutter, kletterte aus dem Bettchen, versuchte die Tür zu öffnen. Die Klinke glitt ihm immer wieder aus der Hand. Erst wimmerte er leise, begann dann zu rufen.
Schritte näherten sich. Er hörte die Wut im jedem Tritt, versteckte sich furchtsam neben dem Bett. Die Mutter entdeckte ihn sofort, riß ihn empor hob sein Hemdchen hoch und schlug ihm heftig auf den bloßen Rücken. Er schrie laut auf, sah ihr böses Gesicht. Sein Wehklagen wurde leiser. Er erkannte sie kaum. Die Hexe aus dem Märchen. Sie warf ihn in sein Kinderbett, zog ihn heftig am Ohr, zischte er solle nie wieder einen Laut von sich geben wenn sie Besuch habe. Nie wieder. Sonst? der Haß in ihrer Stimme ließ ihn aufschluchzen. Dann war er still. Wieder alleine schlief er schließlich ein.
Später. Tage, Wochen? Iwan wusste es nicht, war die Mutter gut gelaunt. Sang ein russisches Lied. Hob ihn sogar einmal hoch und schwenkte ihn fröhlich, als würde sie mit ihm tanzen.
Neben der Wohnungstür stand ein Koffer. Das Fernsehen im Wohnzimmer lief wie immer, Zeichentrickfilme. Aber heute lag eine Matratze davor und seine Bettdecke mit den Fischen in den blauen Wellen drauf. Daneben drei Fläschchen mit Saft und ein großer Teller mit Keksen.
Seine Mutter küßte ihn auf die Wange, strich ihm über die zerzausten Haare, sagte er solle warten und ganz still sein. Sonst würden böse Männer kommen um ihn zu holen. Er dürfte nicht weinen, nicht rufen. Es sei ein Spiel - Warten. Er müsse so lange leise warten, bis sie wiederkomme. Iwan verstand nicht jedes Wort. Aber warten kannte er. Böse Männer auch. Die hatten ihn früher geschlagen, so lange bis Mutter es ihnen verbot.
Ein Schlüssel drehte sich erst in der Wohnzimmertür, dann fiel die Wohnungstür ins Schloß. Er war alleine. Begann zu warten.

Er aß von den Plätzchen, trank die Flaschen leer, wartete. Bekam großen Durst. Wartete. Konnte ein stilles Weinen nicht unterdrücken. Die Windel war so schwer, er konnte nicht mehr aufstehen. Alles brannte. Schließlich verschwamm das Fernsehgerät. Iwan konnte nicht richtig sehen. Das Zimmer wurde größer. Er schlief wieder ein. Wachte auf. Durst. Begann zu murmeln?..Mama??????. ???mamamamamamamamamamamamamamamamamamamamamamama.
Kroch unter die Decke. Leckte an den Fische, den Wellen, sie sahen so feucht aus. Wasser! Schließlich steckte er den Daumen in den Mund. Wartete?..vergaß schließlich, worauf er wartete.
Sie brachen die Wohnungstür nach 2 Monaten auf. Die Miete war nicht gezahlt worden. Ein Nachbar hatte sich wegen des komischen Geruchs beschwert.
Zwei Männer traten ins Wohnzimmer. Im Fernsehen lief ein Film mit Donald Duck. Er machte gerade Feuer in einem Iglu - schnatternd vor Kälte. Aber kaum brannte das Lagerfeuer, wurde es vom schmelzenden Eis gelöscht. Einer der Männer sah zu, lachte. Der andere hob die Decke mit den Fischen hoch.
P.S. Diese Notiz ist nach einer Zeitungsmeldung die ich so vor einem Jahr gelesen habe. Niemand ist es aufgefallen, daß das Kind in der Wohnung geblieben ist. Den Eltern hat sie erzählt, es sei bei ihr, dem Freund es sei bei den Eltern. Es war leider wirklich eine Russin.
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