Vor dem Prolog
Vor dem Vorhang ein Schaukelstuhl. Viel ist nicht zu sehen. Jemand in einem weissen Unterhemd. Es ist dunkel. Der Jemand schaukelt. Öffnet eine Flasche Bier. Trinkt.
eine minute nichts
Der Jemand steht auf und entrollt, von einem Scheinwerfer eingefangen, einen roten Teppich. Der Teppich wird gründlich gekehrt, wobei der Jemand immer wieder seine Tätigkeit unterbricht, um Bier zu trinken. Setzt sich wieder in den Schaukelstuhl. Schaukelt. Trinkt.
Nur der Teppich ist beleuchtet.
eine minute nichts
In Einerkolonne marschieren sieben Männer mit Gitarren an dem Jemand vorbei und stellen sich rechts von diesem in Reih und Glied auf. Es sind orthodoxe Juden mit riesigen schwarzen Bärten und Zöpfen. Allesamt tragen sie Kittel der Heilsarmee. Der Jemand schlägt eine Stimmgabel an seine Bierflasche. Der Chor beginnt zu singen. Die Internationale. Nach: "Wacht auf, Verdammte dieser Erde" lacht der Jemand. Der Chor spielt und singt lauter. Immer wieder lacht der Jemand an Stellen, wo man es nicht versteht. Jedesmal spielt und singt dann der Chor lauter. Gegen Ende des Liedes zerreissen einige Saiten. Der Gesang ein Gebrüll. Wie das Lachen des Jemand.
Prolog
Prolog, Conradi
Die Bühne ist sichtbar. Stellt ein Krematorium dar. Ein Sarg ist zu sehen. Ein Blumenbouquet. Eine Truhe, offen.
Der Jemand rollt den Teppich zusammen. Schleppt ihn zum Ofen und stopft ihn in eine der beiden Öffnungen. Feuer ist zu sehen. Der Jemand setzt sich wieder in den Schaukelstuhl, der noch an der gleichen Stelle steht. Schaukelt. Trinkt. Schwitzt aus. Tupft sich mit einem Taschentuch die Stirn.
Es ist hell jetzt. Man sieht sein Alter.
Conradi:
Das ist das städtische Krematorium. Und ich bin der Brennwart. Conradi, mein Name. Heute Schweizer. Vor 1923 Russlandschweizer. Sie wissen Bescheid. Die Familie von den Bolschewiken dahingerafft. Samt Hab und Gut. Verdammte Umwälzungen. Nun gut. Ist lange her. Mittlerweile ist ja der Kommunismus ganz bachab gegangen. Gut so. Hab mich ja gerächt.
nimmt einen Schluck Bier und zeigt hinter sich.
Conradi:
Ist nicht von Topf und Sühne. Hat nur zwei Retorten. -Pause-
(Vielleicht wird an dieser Stelle das Publikum unruhig, vielleicht rutschen einige Stühle. Vielleicht.)
Aber machen Sie sich keine Sorgen. Das soll eine blosse Anspielung bleiben. Ein Einfall des Regisseurs. Dem Zeitgeist wegen. abschätzig Als ob es diesen mal nicht gäbe! Auch das mit dem Teppich und den Juden. Allzu bedeutungsschwanger, wenn Sie mich fragen. Schliesslich sind Sie ja nicht alle dumm. Oder? -Pause- Wieviel haben Sie eigentlich für den Eintritt bezahlt? -Pause- Sie scheinen sich aber was leisten zu können.
er trinkt. tupft sich die Stirn. zeigt wieder hinter sich.
Conradi:
Lassen Sie mich ein wenig gescheit daherschwatzen.
er räuspert sich. trinkt.
Die Bestattung Verstorbener im Feuer ist uralt. Sie wurde schon lange vor der christlichen Zeitrechnung neben anderen, teils eigenartigen Bestattungsarten ausgeübt. Ist auch zweckmässig, meiner Meinung nach.
Schon in den literarischen Werken des Altertums und des Frühmittelalters wird die Feuerbestattung erwähnt. Bei Homer und Vergil zum Beispiel, im Nibelungenlied. Und im alten Rom galt ein Feuergrab als äusserst vornehm. Das leuchtete dann Karl dem Grossen gar nicht ein und er legte das Verbrennen 785 mit seinem Dekret, die Beerdigung galt fortan als alleinige christliche Besatzungsart und die Friedhöfe wurden die einzigen erlaubten Beisetzungsstätten, erst mal auf Eis. Sie erlauben mir das kleine Wortspiel.
er nimmt einen weiteren Schluck
Ist noch zuwenig heiss für den Sarg. 1000 Grad sollte es schon haben für eine vollständige Verbrennung. Und das verlangt die Vorschrift, auch weisse, reine und leicht zu sammelnde Asche. Gott sei dank sind der Technik einige Durchbrüche gelungen. War eine echte Plackerei für den Brennwart, als es noch Koksöfen gab. Mit den Gasöfen wurde es einfacher. Und heute ist es ein Kinderspiel. Ein Knopfdruck und die Anlage heizt sich elektrisch auf, 54 kW pro Einheit! Da hat die Firma Brown, Boveri & Cie. AG gute Arbeit geleistet. Eine Kremation dauert durchschnittlich noch etwa 50 Minuten. Zeit ist Geld. Und es wird ja immer häufiger gestorben. -Pause- Dauert noch ein Weilchen. Habe übrigens meinen letzten Tag heute. -Pause- Darum hab ich auch den Teppich verbrannt. Ist eigentlich gegen die Vorschriften. -Pause- Bei Karl bin ich stehengeblieben. Nun, ein paar Jahrhunderte lief dann gar nichts. Erst in nachreformatorischer Zeit nahmen sich italienische und deutsche Ärzte unserer Zunft wieder an. Einer war gar der Arzt und Geheimkämmerer Papst Alexanders VII. wenn ich mich recht erinnere. Auf jeden Fall empfahlen die Ärztekongresse 1869 und 1871 von Rom und Florenz die Feuerbestattung zur Duchführung in einem geschlossenen Raum. 1876 entstand dann in Mailand das erste Krematorium. So viel zum Geschichtlichen. In diesem Sarg liegt mein letzter Toter.
er trinkt
Meine letzte Kremierung. Alle andern dieses Stücks schon längst Asche. Der Faden der Ariadne sozusagen, der da im Sarg liegt, ist der Letzte. Apres nous le d'luge! Der Richter, der mich 1923 nach dem Willen der Geschworenen freisprach. Der Richter, der mich 1923 zu den Toten verurteilte, wie er sagte. Ein literarischer Eiferer, h?tte meinetwegen Gedichte schreiben sollen. Nun gut, sein durchaus pädagogisch gemeinter Freispruch findet hier und heute sein Ende. Noch ein paar hundert Grad und ich bin frei.
er trinkt. tupft sich die Stirn.
Conradi:
Eine Anmerkung noch: der Einfachheit halber bleibt im Folgenden das Krematorium im Hintergrund stehen. Eine reine Sparmassnahme. Und entschuldigen Sie die läppischen Verwandlungskünste meinerseits. Ich muss mich selber spielen. Sicher, ich war ich selber, auch im Jahre 23, da hat der Regisseur schon recht. Es handelt sich doch aber recht eigentlich um eine weitere Sparmassnahme.
er trinkt. geht dann zur Truhe. nimmt Kleidungsstücke und zieht sich noch während er links abgeht ein weisses Hemd an.
1. Szene, Beatrice von Behren, Welti, Hausmädchen
Ein Bett, ein grosser Spiegel, ein Nachttischchen. Ein Bild eines französischen Impressionisten hängt in der Luft.
Beatrice von B. sitzt im Nachthemd auf der Bettkante. Reibt sich den Schlaf aus den Augen. Betrachtet sich im Spiegel.
B. von B: Wie immer habe ich im Traum nach meinem toten Vater gerufen. Ein von Behren! Ach, was waren das noch Zeiten. seufzt Heute, und hier im Speziellen, ist es kaum noch auszuhalten. Angetraute Welti. Frau Nationalrat Welti. Aber in diesem Fall: was heisst das schon! Und Genossin Welti bedeutet für mich nun wirklich nicht die Welt. Überhaupt scheint mich dieses angehängte, vermaledeite i von der Welt zu trennen. Das Welti in meiner Biografie ist ein einziges Missverständnis. Was war ich doch ein naives Tö! Wenn er nur nicht so eine robuste Natur hätte. seufzt
sie klingelt
B. von B.: Was musste ich allein für das Hausmädchen Überzeugungsarbeit leisten! Von dem monatlichen Flattieren ihres Salärs wegen ganz zu schweigen. Dieser grobschlächtige Welti will einfach nicht einsehen, dass es zu einer von Behren gehört, zu präsentieren! fährt sich durch das Haar
Hausmädchen: Ja, Madame?
B. von B.: Meine Liebe! Was steht heute an, gesellschaftlich?
Hausmädchen: Nach dem Frühstück kommt der Herr Abgesandte Worowsky zum The, Madame.
B. von B.: Richtig. Kämmen Sie mein Haar und beraten Sie mich. Wie soll ich mich kleiden?
Hausmädchen: Es passt die Kleidung zur zurechtgelegten Persönlichkeit, Madame, nicht umgekehrt. Ihr Mann, mit Verlaub, ist ein Bauer. Und er bleibt auch einer hinter seidigen Krawatten. Euch, Madame, empfehle ich Voile-Bluse, weiss, die mit dem Handhohlsaum und Valencienne, dazu einen Jupon, schwarz, und das neue Foulard, mit dem Ihnen der Herr Abgesandte aufgewartet hat. Sie werden ihm schmeicheln.
B. von B.: gerührt Ach, meine Liebe! Wie Sie selbst unlängst sagten: er ist ein Mann mit Manieren und von Welt. Schade nur, dass er Russe ist, dass er gerade in dieser Zeit Russe sein muss.
man hört ein Klingeln
Hausmädchen: Der Herr Nationalrat!
B. von B.: Man könnte die Uhr nach ihm richten! Gut, gehen Sie. Und vergessen sie den täglichen Tropfen nicht.
Hausmädchen: Oui, Madame.
Hausmädchen links ab, es wird dunkel und gleich wieder hell.
Gleiches Mobiliar. Nur hängt jetzt ein Portrait Lenins in der Luft.
Nationalrat Welti hockt im Nachtrock und einer Schlafkappe auf der Bettkante. Er reibt sich den Schlaf aus den Augen. Betrachtet sich im Spiegel.
Welti: Aus bäuerlichen Verhältnissen hab ich mich emporgelitten. Fleiss und Ehrgeiz sind meine Tugenden. Dabei hab ich meine Wurzeln nicht vergessen. Die Zeit gibt mir heute recht. Bis zum Nationalrat hab ich es gebracht. Im nachhinein betrachtet wäre es nicht einmal nötig gewesen, die Behren wegen Ihres von zu ehelichen. Was soll`s! Bin eben auch kein Hellseher. Freilich, heute reut`s mich. Doppelt. Eine von Behren! Ein entfernter Stammbaumableger von diesem Sauschwab von einem Kruppdirektoren! Und gar heute noch hochnäsigst stolz auf dieses von. Verdammte Kriegsgewinnler! Soll er doch auf seine dicke Bertha hocken, der Sauhund! Es wird Zeit, dass Bolschewiken und Arbeiter in diesem faschistischen Europa mal so zünftig wüst tun!
Er pfeffert seine Schlafkappe in eine Ecke
Welti: Ihr Blagieren ist mir eine tägliche Qual geworden. Verfluchtes Franzosgewort! Wie ich das hasse, dieses nobel tun! Gott sei dank haben wir seit Jahren getrennte Schlafzimmer. Seit einem Jahr haben wir gar ein Dienstmädchen! In meinem Hause!
er klingelt
Hausmädchen: Grüss Gott, Herr Nationalrat.
Welti: Den gibt es nicht! Nicht offiziell! Und schon gar nicht in meinem Schlafzimmer! Merk Sie sich das ein für allemal!
Hausmädchen: Entschuldigung, Herr Nationalrat. Ihr Tonikum, Herr Nationalrat.
Welti: trinkt Bäh, wird immer bitterer! Meine Kleider!
Hausmädchen wieder ab.
Welti steht auf, geht auf das Bild zu, schlägt die Hacken zusammen und salutiert.
Welti: Machst es wohl auch nicht mehr lange, Genosse.
Hausmädchen: Bitte sehr, Herr Nationalrat.
Welti: Endlich! Nun soll Sie endlich schauen, dass Frühstück auf den Tisch kommt!
Hausmädchen: Sehr wohl, Herr Nationalrat.
Welti: Und hör Sie endlich auf mit diesem Getue!
Hausmädchen: Wie Herr Nationalrat wünschen.
Welti: fuchsteufelswild Und vergiss Sie nicht wieder, den gerahmten Stalin aus dem Keller zu holen und abzustauben! Oder meint Sie, mein Geld faulenzend zu verdienen?
Hausmädchen: mit faschistischem Gruss Jawohl, Genosse Welti!
Hausmädchen ab
Welti: Freches Weibsbild! Herrgott sackarament! zu Lenin Entschuldige Genosse.
Welti zieht sich an. Es wird langsam dunkel.
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