Ich stelle den Text nochmal ins Forum und wiederhole, was auch beim ersten Posting hier zu lesen war:
Der Text entstand als "Abfallprodukt" zu "Vaters Rad". Es handelt sich um eine Episode, die ursprünglich dort vorgesehen war, die ich am Ende jedoch verwarf. Zum Wegwerfen zu schade, ergänzte ich die Episode um die Klamotte mit dem Dorfpolizisten und stellte sie hier rein.
Auch mir ist klar, verehrter Robert, dass diese Geschichte noch nicht rund ist. Aber ich habe dieses Forum bisher nicht als Wettbewerb aufgefasst, sondern darin AUCH die Möglichkeit gesehen, Texte durch KONSTRUKTIVE Kritik reifen zu lassen.
marth
Der Brand
Diesmal trug Stefan die Schuld an der Abreibung, denn mit Stefans Idee hatte alles angefangen. Aber Bauer machte Stefan keine Vorwürfe, vor allem nicht hinterher. Und die Idee, nach Munition zu suchen, hätte auch von Bauer kommen können. Stefan war diesmal nur schneller. Er hatte die Idee als Erster. Und die Abreibung bekamen sie sowieso beide: Bauer von Bauers Vater und Stefan von Stefans Vater. Deshalb gab es keinen Streit. Auch die beiden Väter waren sich einig.
Letzten Endes hatten sie gemeinsam beschlossen, Munition zu suchen. Denn sie benötigten Bleispitzen für ihre Indianerpfeile. Die Bleigeschosse auf den Patronenhülsen eigneten sich sehr gut als Pfeilspitzen. Man musste sie nur von der Patrone lösen, was etwas Geschick erforderte und konnte sie dann in ein Ende eines geraden Schilfrohres stecken. Fertig war der Pfeil. Durch die schwere Spitze erhielt der Pfeil im Flug eine stabile Lage, man konnte treffsicher schießen. Natürlich war ihnen der Umgang mit Munition strengstens verboten. Die Männer des Dorfes hatten mehrmals gemeinsame Suchaktionen in Bachläufen, an Waldrändern und Kiesgruben durchgeführt, um die gefährlichen Überbleibsel des Krieges zu beseitigen. Aber es tauchten immer wieder neue Funde auf.
Ulli und Stefan wussten genau, wo sie suchen mussten. Sie schleppten eine komplette Patronenkette nach Hause und gelangten unentdeckt in Vaters Schuppen. Dort befanden sich alle Utensilien, die zur Gewinnung von Pfeilspitzen notwendig waren: Eine Werkbank, ein Schraubstock, diverse Zangen und Hämmer. Sie spannten die Patronen nacheinander in den Schraubstock, drehten die Bleispitze ab und sammelten das Pulver auf der Werkbank.
Schießpulver konnte man einfach anzünden. Es verpuffte in einer kleinen Stichflamme. Mehr passierte normalerweise nicht. Das Pulver der kompletten Maschinengewehrkette übertraf jedoch alle bisherigen Erfahrungen der beiden Siebenjährigen. Eine unvorhergesehen mächtigen Stichflamme schoss ihnen heiß und blendend entgegen. Sie ergriffen die Flucht, rieben sich die Augen und sahen den Schuppen in Flammen.
Die Nachbarn liefen herbei. In panischem Durcheinander versuchten sie das Feuer mit Wassereimern zu löschen. In der allgemeinen Aufregung wurden die Jungen nicht weiter beachtet.
Die Feuerwehrmänner, die aus den Häusern und von den nahen Feldern herbeigeeilt waren, schleppten aus dem nahen Spritzenhaus Schläuche und Spritzen herbei, riefen sich in eingeübter, soldatischer Manier Befehle zu und schlossen Schläuche an einen Straßenhydranten.
„Erstes Rohr, Wasser marsch!“, rief einer, „Erstes Rohr, Wasser marsch!“, antwortete ein anderer und explosionsartig schoß Wasser aus der ersten Spritze.
„Zweites Rohr, Wasser marsch!“, wurde gerufen und „Zweites Rohr, Wasser marsch!“, geantwortet. Der zweite Wasserstrahl richtete sich auf den Schuppen, der inzwischen niedergebrannt war und nur noch qualmte. Seine Reste gingen in einer Überschwemmung unter.
Als alles vorüber war, ragten dort, wo vorher der Schuppen stand, einige schwarze Balken wie Zahnstocher in die Luft, umgeben von einer Wolke aufsteigenden Rauches.
Die Bleispitzen waren hin.
Einer der Feuerwehrmänner wollte wissen, wie das Feuer entstanden sei. Niemand hatte eine Erklärung. Allgemeines Schulterzucken. Dann brachte ein anderer Feuerwehrmann einige rußgeschwärzte Patronenhülsen.
Der Chef der Feuerwehr sagte „Aha!“ und richtete seinen Blick auf die beiden Buben. Die wollten sich gerade verdrücken, aber nun war es dazu zu spät.
Was sie angestellt hätten, wollte der Feuerwehrchef wissen.
„Nichts“, sagten beide.
Wie sie es angestellt hätten, wollte der Feuerwehrchef wissen.
Beide zuckten mit der Schulter.
„Hat jemand einen Spiegel?“, fragte der Feuerwehrmann. Irgend jemand brachte einen Spiegel, den er zuerst Ulli und dann Stefan vor die Nase hielt.
„Na?“, fragte der Feuerwehrchef, „fällt euch noch immer nichts ein?“
Die Spuren waren unübersehbar. Ihre Augenbrauen waren weg, die Wimpern verbrannt, die Gesichter verräterisch gerötet und auf ihren Köpfen kräuselte sich das angesengte Haar.
Mit betretenen Gesichtern gaben sie zu, dass sie mit der Größe der Stichflamme nicht gerechnet hätten.
Stefan bekam seine Prügel sofort und kam deshalb noch am besten weg. Ulli musste bis zur Rückkehr seines Vaters warten, der ihm als Erstes die erlösende Abreibung verpasste und dann wissen wollte, was passiert war und weshalb. Nachdem Ulli seine Abreibung hatte, konnte er frei sprechen und berichtete wahrheitsgetreu, dass sie wegen der Bleispitzen Munition gesucht hatten, und was dann geschah.
Normalerweise wäre die Geschichte hier zu Ende. Aber am nächsten Tag kam der Dorfpolizist und nahm ein Protokoll auf. Schließlich sei ein Brand von erheblichem Ausmaß entstanden, der leicht auf das Wohnhaus hätte übergreifen können, wodurch eine nicht unerhebliche Gefahr für Mensch und Vieh hätte entstehen können.
„Schorsch“, sagte Vater zu dem Dorfpolizisten, „lass die Kirche im Dorf und pack deine Papiere wieder ein!“
„Ausgeschlossen“, sagte der Dorfpolizist. Es sei ihm vom Brandmeister der örtlichen freiwilligen Feuerwehr gemeldet worden, dass der Brand durch explodierende Munition entstanden sei. Der Besitz von Waffen und Munition sei aber sowohl nach saarländischem Recht, als auch aufgrund der übergeordneten Verfügungen der französischen Militärbehörden strafbar. In einem solchen Falle könne er von Amts wegen nicht die Augen verschließen. Er habe auch Familie und dürfe seine Stellung nicht gefährden, was unweigerlich geschähe, wenn dieser Vorgang General de Gaulle in Baden-Baden persönlich vorgetragen werde.“
„Schorsch“, sagte Ullis Vater, „du bist ein Depp!“
„Ich bin im Dienst“, entrüstete sich der Dorfpolizist, „das ist eine Amtsbeleidigung!“
„Ich sage dir nun ein für alle Mal: Pack deine Papiere ein und verschwinde.“ Ulli kannte diesen Ton an seinem Vater. Von diesem Moment an ging der Dorfpolizist haarscharf an einer Ohrfeige entlang.
Als sich Ullis Vater wortlos vom Tisch erhob, packte der Dorfpolizist alle Papiere in seine Tasche.
„Unter Protest“, sagte er, „ich gehe unter Protest! Aber ich komme wieder! Verlass dich drauf!“
„Bring de Gaulle mit“, sagte Vater, „dann reden wir weiter.“
„So mein Sohn“, sagte Ullis Vater, nachdem der Dorfpolizist gegangen war, „wo habt ihr denn die Munition gefunden?“
„Im Bach“, gab Ulli bereitwillig zur Antwort, „unterhalb der dicken Eiche. Wo die Tiefflieger auf uns geschossen haben.“
„Findest du die Stelle wieder?“
„Sicher!“
„Ist dort noch mehr Munition?“
„Ja.“
„Ausgezeichnet mein Sohn!“, sagte Ullis Vater. „Führ mich hin!“
Zwei Tage später kam Ullis Vater in bester Laune nach Hause.
„Die Sache mit der Munition hat sich jetzt erledigt“, sagte er lachend.
„Hast du nochmal mit Schorsch gesprochen?“, wollte Mutter wissen.
„Ja, wir hatten ein sehr konstruktives Gespräch.“ Und zu Ulli gewandt fügte er hinzu: „Und du kommst auch nicht ins Gefängnis, mein Sohn!“ Dabei klopfte er sich vor Vergnügen auf die Schenkel.
„Ein konstruktives Gespräch? Hat Schorsch eingesehen, dass er übertreibt?“
„Ja, das hat er eingesehen“, lachte Vater, „er ist der Meinung, in diesen Zeiten könne es jedem passieren, dass er unbeabsichtigt mit der Hinterlassenschaft des Krieges in Berührung komme.“
„Verstehe ich nicht.“
„Nun, Schorsch meint, selbst auf seinem eigenen Grundstück könne sich Munition finden. Da stecke man nicht drin. Und dafür könne man ihn ja auch nicht ernsthaft verantwortlich machen.“
„Wenn er Recht hat, hat er Recht“, sagte Mutter, „und du hast ihn einen Deppen geschimpft.“
„Ja ja,“ lachte Vater, „wie das Leben so spielt.“
„Was hat ihn zu dieser Einsicht gebracht?“, wollte Mutter wissen.
„Nun“, prustete es aus Vater heraus, „auf seinem Grundstück wurde Munition gefunden! Unten am Bach, hinter seinem Garten.“
„Was du nicht sagst, so ein Zufall aber auch.“
„Ja, so ein Zufall!“
„An seiner Stelle hätte ich die Munition vergraben und keinem Menschen was davon gesagt.“
„Ja, wenn er sie selbst gefunden hätte“, lachte Vater, „das Dumme ist, dass ich sie gefunden habe.“
„Du?“
„Ja ich. Rein zufällig. Ich bin zufällig am Bach entlang gelaufen, um zu sehen, wie hoch in unserer Wasserklamm das Gras steht. Da ist mir eine Patronenkette von einem Maschinengewehr aufgefallen. Gut versteckt. Das muss man sagen. Gut versteckt. Ich hätte sie beinahe nicht mehr gefunden.“ Er klopfte sich vor Vergnügen auf die Schenkel.
„Rein zufällig?“, wiederholte Mutter.
„Ja ja, rein zufällig! Das sagte Schorsch auch. „So ein Zufall“, sagte er. Aber ich versicherte ihm, dass das unter uns bleibt.“
„Klar“, sagte Mutter, „wenn er uns in Ruhe lässt...“
„Den Vorschlag musste ich ihm nicht einmal machen“, sagte Vater, „den Vorschlag machte er mir. Das mit dem Schuppen sei ja eine Bagatelle und überhaupt: Kinder! Da könne man nicht die gleichen Maßstäbe wie bei Erwachsenen anlegen. „Also gut“, sagte ich zu ihm, „lassen wir de Gaulle aus dem Spiel.“ Und er antwortete mir. „Schwamm drüber, schon vergessen.“ Und ob ich wirklich und zuverlässig bereit sei, Stillschweigen zu bewahren, was seine Patronenkette anbeträfe. „Ich schweige wie ein Grab“, sagte ich ihm, „allerdings nur unter einer Bedingung: Dass du mir hilfst beim Bau des neuen Schuppens?“
„Du bist ganz schön unverfroren“, sagte Mutter, „und was hat er geantwortet?“
„Wann fangen wir an?“ Hat er gesagt und „Wir sollten dringend nochmal alle Bäche nach Munition durchsuchen, damit nicht noch mehr Unheil angerichtet werden kann.“
„Was hast du ihm geantwortet?“
„Das machen wir Schorsch!“, habe ich ihm gesagt, „Das machen wir! Sobald der Schuppen fertig ist.“
[Diese Nachricht wurde von marth am 18. Oktober 2000 editiert.]
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