Deutsch als Begriff (eine Übertragung aus dem KvW-parsimony-Forum vom 30.10.1998)
Der Begriff kann entmutigen, die Benennung schmerzt. Das Thema gilt dem Sinn. Deutsch als Sinn? Fassen wir den Sinn in antithetischer Umklammerung dreifach, dem begrifflichen Herkommen nach, dann diese Annahme hinterfragend nach dem Entgegen des Herkommens, um schließend nach dem Wohin zu fragen bzw. Vermutungen darüber anzustellen.
Teil I: Thesis:
Begriffe zur Selbstbestimmung entstehen aus einer Not heraus. Die Not wird gewendet durch Hoffnung. Die Hoffnung bezieht sich aufs Wort, durch das Identität gestiftet werden soll. Ängstlich wird gefragt, ob der Begriff diese Identifikation stiften kann. Aber die Angst hält sich in Grenzen, denn leistet der Begriff nicht die gewünschte Leistung, wird er durch einen neuen ersetzt.
Das Wort taucht erstmals im 7. JH. als Theueiskaz auf und gilt seither in der Sprachwissenschaft (Weisgerber) als westfrz. Erbwort. Von der Wortart her ist es ein Adjektiv mit dem Sinn einer Selbstbezeichnung der Franken gegen die walhisc, die Welschen, die anderen und bedeutet soviel wie "zum Stamme gehörig" bzw. "stammeszugehörig", um das Wort auch deutlich als Adjektiv zu übertragen, wobei das Adjektiv sowohl attributiven (Immanenz des Stammesbegriffes, das er Zugehörige besitzt), prädikativen (als Abhängigkeitsformel zu verstehen; eben als gehörig SEIN) als auch applikativen (mehr aufs HÖRIGsein als Adverbsapplikat zu beziehen; ein WIE mit Tiefenwirkung) Charakter besitzt. Die im Westfränkischen wohnenden Germanen benutzten es, um sich gegen die Kelten (Gallier) und Römer abzusetzen. Der Begriff entstand also aus dem Bedürfnis heraus, sich
a) gegen etwas zu profilieren und
b) für etwas Zugehörigkeit zu demonstrieren. Ieueiskaz bezeichnet ursprünglich alles, was das Eigene ist: Sprache, Religion, Verwandtschaft, Gewohnheiten in der Lebensalltäglichkeit. Es berührt nicht den wirtschaftlichen Bereich, auch nicht militärische oder persönliche Beziehungen zwischen Einzelpersonen. Ieueiskaz markiert den Stallgeruch, mehr nicht. Und angesichts fehlender Profilierungsnotwendigkeit in anderen Gegenden germanischer Besiedlung existierte der Begriff nur im Westfränkischen, waberte aber allmählich mit dem Vordringen der Gallier und Römer Richtung Osten. Wir müssen heute annehmen, daß sich in der Gegend um Amiens erstmals der Begriff bildete, um seine Reise Richtung Osten anzutreten. Gegen diese These spricht allerdings eine Quelle aus dem Jahre 786 (ca. 150 Jahre nach der eben gegebenen Beschreibung), in der ein päpstlicher Legat niederlegte, daß in England zwei Synoden stattgefunden hätten, auf denen in zweierlei Sprache verkündigt wurde, was der Inhalt des Treffens gewesen, "tam latine quam theodisce". Das verwirrt. Wer spricht zu dieser Zeit auf den britischen Inseln theodisc? Vielleicht die Angelsachsen? Dann müßten sich diese gegen die walhisc sprechende kirchliche Oberschicht (die romanisierten Nordmänner, die sich nach 1066 auf den Inseln breitmachten, waren noch weit weg) abgesetzt haben wollen. Subsumierten sie sich dem Stamme der Germanen? Muß wohl so gewesen sein. Doch daraus folgte dann, daß der Begriff Theueiskaz keine politische Grundierung, sondern nur eine ethnische Komponente besaß. Das meint übrigens ein moderner englischer Sprachforscher (Levison): "We may assume without hesitation [Unsicherheit], that it was among the Franks, that he [der Legat] had acquired [angeeignet] the use of the terme theodisc." Die Angelegenheit ist also erst später eine politische gewesen, war eine innerfränkische Entwicklung. Wie ging's nun weiter? Um 650 teilte sich das Frankenreich in Austrien, den östlichen Teil und diesbezüglich die sog. Stammlande der Franken, und Neustrien, den neuen westlichen Teil, in dem die Franken romanische Volksteile aufnahmen. Während die Ostreichler vorwiegend im Mosel-Maas-Gebiet siedelten und keine gallischen bzw. römischen Bevölkerungsteile kannten, unternahm man im Westreich den erfolgreichen Versuch, Germanen und Romanen einem Staatskörper zu inkorporieren. Es spielte keine unerhebliche Rolle, daß ein Großteil des neustrischen Gebiets bereits seit Jahrhunderten römische Zivilisation kannte. Die germanische Oberschicht eignete sich die Prinzipien röm. strukturierter Herrschaft insofern an, als daß sie sich selbst als die neue, nichtrömische Oberschicht einsetzte. Offenbar jedoch nahmen die romanischen Bevölkerungsteile diese Politik an; wahrscheinlich ist in diesem Zusammenhang, daß die Romanen partizipiert wurden. Die neuen Westfranken nannten sich FRANCI und setzten das staatliche Prinzip als identitätsstiftende Institution, währenddessen man im Osten keinen Staat zur Identifikation benötigte. Man benötigte im Westen dieses Gebilde eines Staates, um eine Form des Umgangs in Streitfragen (wirtschaftliche, rechtliche, militärische, administrative) zu besitzen, die sich unabhängig von archaischen Stammesgegebenheiten artikulieren konnte.
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