So, dann fange ich auch mal mit meiner Geschichte an, bevor ein anderer meine Idee klaut. Sie soll ungefähr 40 - 50 Buchseiten lang werden.
Für die Literaturrätsler:
Welchem Autor habe ich hier Stil und Hauptpersonen geklaut?
Gruß, Klammer
Das Geheimnis der Gräfin von Hohenloh
"Mit solchem Rätselkram verschone mich!
Und kurz und gut: was solls? Erkläre dich!"
Goethe, Faust II
Die Zufalls-Theorie oder, wie die Mathematiker es nennen, die Wahrscheinlichkeits-Rechnung, hat eine bemerkenswerte Eigentümlichkeit an sich: Ihre Richtigkeit im Allgemeinen steht in direkter Proportion zu ihrer Unrichtigkeit im Besonderen. Und was an Geheimnisvollem auch den ruhigsten Denker gelegentlich mit einem vagen, den Schrecken weckenden Halbglauben an das Übernatürliche durchschauert, ist trotz offensichtlichem Wundercharakter oft nicht mehr als ein Zusammenkommen bloßer Zufälle, die im Kleinen doch Beweis sind für das vom Herrn Bernoulli formulierte Theorem der großen Zahlen. Deshalb muss ein präziser, mit klarem Verstande begabter Mann namentlich in den Dingen der Logik immer auch das Unwahrscheinlichste und Absurdeste in Rechnung stellen und den größten Teil der Wahrheit wird er aus dem scheinbar Irrelevanten gewinnen.
An einem recht sturmwindigen Abend Anfangs März des Jahres 1832 kehrte ich im Auftrage des New Yorker Mercury nach Paris zurück, um dem amerikanischen Publikum in einer Artikelserie von dem neuen Frankreich unter Louis Philippe Mitteilung zu machen. Freilich führte mich mein erster Weg nicht zur Dependance der Wochenzeitung in der Rue de Vermicelle, sondern zu meinem alten Freund C. Auguste Dupin, den ich, wie ich erwartet hatte, in seiner kleinen, nach hinten hinaus gelegenen Bibliothek, au troisieme, No. 33, Rue Dunet, Faubourg St. Germain antraf. Da ich ihn von meiner Ankunft nicht benachrichtigt hatte, erwartete ich, ihn beim zwiefachen Genusse einer Meditation und einer Meerschaumpfeife zu überraschen.
Zu meinem nicht geringen Verstaunen traf ich ihn jedoch bei den Vorbereitungen zu einer Reise an, die ihn, nach der Größe des Schrankkoffers zu urteilen, in dem er seine Bücher verstaute, mindestens bis zur Insel Sumatra führen musste.
„Ah, Edgar, da sind Sie ja endlich! Ich habe Ihre Ankunft schon für heute nachmittag erwartet. Die Post wurde wohl aufgrund des Wetters aufgehalten?“ rief Dupin aus und umarmte mich so flüchtig, als hätten wir uns nicht vor Jahren, sondern erst vor Stunden getrennt.
„Aber Dupin“, erwiderte ich ernstlich erstaunt, „dies geht über mein Begreifen. Ich stehe nicht an zu sagen, daß ich bestürzt bin, und mag meinen Sinnen kaum trauen. Wie war es möglich - wie konnten Sie von meiner Ankunft wissen-?“ Hier hielt ich inne und musterte ihn scharf. Erneut war es ihm gelungen, mich mit seiner analytischen Begabung zu überraschen. Er lächelte mich freundlich an; er schien wie früher ein ausgesprochenes Vergnügen an ihrer Übung - wenn nicht gar ihrer pomphaften Schaustellung - zu finden.
„Nicht jetzt“, hob er abwehrend die Hand, „wir werden in den nächsten Tagen zur Genüge Gelegenheit finden, uns auszutauschen. Und ich will nicht zurückstehen, Ihnen zu sagen, wie sehr ich mich darüber freue. Aber nun drängt uns Wichtigeres!“ Er griff in seine weinrote Hausjacke. Obgleich Dupin durch die Affaire um den stibitzten königlichen Brief zu einigem Wohlstand gelangt war, hatte er sich noch immer nicht von diesem fadenscheinigen und häßlichen Kleidungsstück trennen können, in dessen unergründlichen Taschen er den größten Teil seines Hausrates aufbewahrte. Und wirklich förderte er nach kurzer Suche einen Brief zu Tage, den er mir überreichte.
„Es steht mir fern, dramatisch klingen zu wollen, aber es geht wohl um Leben und Tod. Deshalb finden Sie mich auch in dieser Ihnen noch nicht angemessen erscheinenden Eile. Aber lesen Sie selbst, mein lieber Edgar, lesen und urteilen Sie“, drängte er mich. Ich öffnete den Brief, der nur aus einem einzigen Blatt bestand und erstaunte mich am Absender:
„treu angehörig - Weimar am Freitag den 17. Februar 1832 - J. W. v. Goethe“, las ich auf Deutsch am Ende der Seite in einer unruhigen Handschrift.
„Goethe“ Dupin, Sie überraschen mich aufs neue. Sie im Briefwechsel mit dem Deutschen Dichterfürsten!“
„Nun, der alte monsieur conseiller ist ein fleißiger Briefeschreiber“, erwiderte Dupin ruhig, während er erneut das Kofferpacken aufnahm. „Zumalen er die correspondence schon seit Jahren seinem Sekretär John diktiert. Obgleich meine Wenigkeit ebenfalls eine dichterische Ader in sich pochen fühlt, ist es doch eher die gemeinsame Liebe zur Wissenschaft, die unseren Gedankenaustausch förderte.“
Ich nickte verwirrt. Wie wenig wusste ich von diesem Menschen, mit dem ich während meines ersten Parisaufenthalts die Wohnung geteilt hatte und zu den wenigen Freunden zählte, die ich auf der Welt hatte.
Um so mehr interessierte mich daher, welcher Art der Briefwechsel zwischen Dupin und Goethe war. Ich öffnete also erneut das Blatt und las:
„Nach einer langen unwillkürlichen Pause habe ich auf Ihr sehr wertes Schreiben, mein Teuerster, wahrhaftest zu erwidern, daß ich in unsrer gemeinsamen Sache einige Fortschritte getan.
Wir sind einig, Dupin, es war nicht Schillers Sache, mit einer gewissen Bewußtlosigkeit und gleichsam instinktmäßig zu verfahren, vielmehr mußte er mit mir über jedes, was er tat, reflektieren; woher es auch kam, daß er über seine Ideen nicht unterlassen konnte, sehr viel hin und her zu reden, so daß er alle seine Stücke mit mir durchgesprochen hat. Dies gilt auch für die von Ihnen in Erwähnung gebrachte abgebrochne Erzählung, die in der Tat, wesgleichen Sie insistierten, auf einem Zeitungsbericht beruhte, der Schillern in Jena um 1790 begegnete.
Es ist ein eignes Ding mit der Erinnerung, sie erweiset sich wie ein neckisches junges Mädchen, das uns durch tausend Reize anlockt, aber in dem Augenblick, wo wir es fassen und zu besitzen glauben, unseren Armen entschlüpft. Ich teilte Ihnen noch in meinem letzten Briefe mit, ich hätte kein Gedächtnis von der Geschichte und ihrer Fortsetzung, so wenig als ich vom Abschluß der Geisterseher wüßte - habe mich jedoch geirrt. Tatsächlich ist mir bei einer Durchsicht meiner grenzenlosen Papiere der Name der Gräfin wieder eingefallen und ich weiß plötzlich auch erneut ob der Mutmaßungen, die Schiller um den gewaltsamen Tod ihrer Ehegatten angestellt und wen er dieser ruchlosen Taten verdächtig machte.
Verzeihen Sie, Dupin, einem alten Manne, wenn seine Erinnerungen ein wenig sprunghaft erscheinen;verzeihen Sie ihm abermalen, wenn er einer Grille, die ihm durchs Gehirn lief, nachging und in seinen Akten ein wenig Polizeicommissar spielte; denn der Mensch will immer tätig sein und kann und soll seine Eigenschaften weder ablegen noch verleugnen. Gar selten tut er sich selbst genug, desto tröstender ist es, andern genug getan zu haben:
Daher darf Ihnen die Mitteilung weiterreichen, die verwitwete Gräfin Bianca von Hohenlohe, - da steht nun endlich ihr Name - lebe noch und erfreue sich guter Gesundheit. Sie habe sich nach dem so tragischen wie rätselhaften Tode ihres vierten Gatten nicht mehr verheiratet und lebe von der Welt geschieden auf dem Gute ihres sel. Vaters, dem Grafen Ludewig von Metzelstein, im Thüringischen. Bei einem unserer wöchentlichen Treffen gelang es mir nun, die Großherzogin Maria Pawlowna zu bereden, die Gräfin zum Frühlingsfest an den Hof zu laden. Ich bin überzeugt, aus dem Munde der Hauptperson Näheres über unseren Fall und darüber zu erfahren, ob denn Schiller mit seiner Verdächtigung betreffs der Morde recht dachte oder ob es ihm an den Kräften fehlte, die rechten und wahren Motive zu finden.
Verzeihung diesem verspäteten Blatte! Ohngeachtet meiner Abgeschlossenheit findet sich selten eine Stunde, wo man sich die Geheimnisse des Lebens vergegenwärtigen mag.
treu angehörig - Weimar am Freitag den 17. Februar 1832 - J. W. v. Goethe'
Ich legte das wertvolle Papier vorsichtig auf den Büchertisch.
"Ein interessanter Brief, Dupin, in der Tat! Auch wenn ich nicht behaupten kann, alles verstanden zu haben. Aber aus welchem Grund meinen Sie denn, es ginge hier um Leben und Tod? Und weshalb packen Sie? Sie fahren doch wohl nicht nach Deutschland-"
"-direkten Wegs ins Großherzogtum von Sachsen-Weimar-Eisenach, an den Frauenplan zu Weimar, zu Herrn Goethe, um explizit zu sein. Ich habe eine Privatpost abonniert, die uns noch heute Nacht gen Frankfurt befördert. Ach, was gäbe ich für eine Personenbahn, wie sie eben zwischen Manchester und Liverpool eröffnet wurde. Die Zeit läuft uns davon! Wenn ich den Brief nur eher bekommen hätte!"
Mit diesen zornigen Worten warf mein Freund ein letztes Buch in seinen Koffer und schloß ihn mit Nachdruck. Nun erst sah er auf und mein Erstaunen. Er seufzte leise und kramte aus der abgründigen Jackentasche seine Uhr hervor. Dann setzte er sich in seinen Ohrensessel und wies auf meinen Platz ihm gegenüber, der mir nicht danach aussah, als habe ihn Dupin in den Jahren, in denen ich ihn nicht mehr beansprucht hatte, jemals verrutscht. Und während ich mich ebenfalls setzte, war mir, als wäre ich in der Zeit zurückgegangen zu jenen Abenden, an denen wir hier nur mit der Hilfe der Verstandeskraft - Dupins, versteht sich - die rätselhaftesten Verbrechen aufzuklären vermochten.
"Einige Minuten werden uns noch bleiben, teurer Edgar. Sie haben doch, wie ich vermute, Ihr Gepäck noch bei sich", sagte Dupin und führte mich zurück in die Gegenwart dieses unfreundlichen Märzabends. Wie immer blätterte er in meinen Gedanken wie in einem geöffneten Buche.
"Da ich direkten Weges von der Kutsche zu Ihnen eilte - ließ ich die Koffer unten bei der Conciergeunterstellen - hoffte ich doch wieder bei Ihnen Wohnung zu finden. Aber ist denn der Herr von Goethe krank? Sein Brief rechtfertigt ein solches Vermuten nicht."
"Nach dem Tode seines Sohnes August vor zwei Jahren schien es schon mit ihm zu Ende zu gehen, aber nun erfreut sich der Geheimrat - so weit mir bekannt - wieder einer für sein hohes Alter ordentlichen Gesundheit. Nach seinem Brief muß ich jedoch besorgen, daß er sich den Teufel ins Haus geholt hat."
"Sie sprechen von der Witwe, Dupin, jener Gräfin zu Hohenloh", vermutete ich.
"Oder ihrem Umfeld - wir wollen da keine voreiligen Schlüsse ziehen. Die objektive Tatsache ist nun: Diese wahrhaft schwarze Witwe hat alle ihre Ehemänner überlebt und jeder von ihnen wurde ermordet." Dupin legte wie in einem Gebet die Finger aneinander und hob sie an seine Lippen.
"Ja, ich fürchte auf das Schlimmste", sagte er besorgt und schien gewillt, weitere Mitteilungen zu machen. In diesem Moment wurde er jedoch in seinen interessanten Ausführungen von der Concierge gestört, die an die Tür der Lesestube klopfte und die Ankunft der bestellten Extrapost meldete. Dupin sprang auf.
"Die Gräfin wird zum Frühlingsfest in Weimar erwartet. Folglich müssen wir vor ihr bei Goethe sein", rief er. "Helfen Sie mir mit meinem Koffer, Edgar? Was stehen Sie denn da herum? So kommen Sie, jede Minute ist kostbar. Hätten Sie sich nicht verspätet, könnten wir morgen früh schon in Reims sein." Gehorsam trat ich vor.
"Aber, Dupin, denken Sie an meine Arbeit. Ich kann doch nicht einfach - ", fiel mir ein. Ich ließ den Koffer wieder fallen. Dupin stolperte mit dem Gewicht nach vorn.
"Mache Sie sich keine Gedanken, dafür ist längst eine Lösung gefunden. Ich habe kürzlich die Bekanntschaft eines jungen Deutschen gemacht, der gleich Ihnen vor Ort ist, für seine Zeitung über die Französischen Zustände zu berichten. Er wird Ihnen seinen Artikel für den März überlassen; sie brauchen ihn dann nur mehr ins Englische übertragen. Und seien Sie versichert, dieser Herr denkt so republikanisch wie Ihr Publikum in den Staaten."
Was konnte ich noch sagen, welche Ausflüchte vorbringen? Bin ich doch immer leicht formbares Wachs in den Händen meines Freundes gewesen und - ich gesteh's! - nur allzu leicht zu solch einem formidablen Abenteuer zu überreden, das mich zudem der Bekanntschaft eines bewunderten Dichters nahebrachte - spielte ich doch nach meiner unglücklichen Militärzeit ernsthaft mit dem Gedanken, ebenfalls Schriftsteller zu werden.
So darf es nicht Wunder machen, daß ich entschlossen Dupins Schrankkoffer wieder aufnahm und uns ein windiger und regnerischer Märzmorgen etliche Meilen hinter Paris über aufgeweichte und holprige Landstraßen eilend fand, mit dem Ziel, das Leben des Herrn von Goethe zu retten.
Schauerliche Stunden lagen hinter uns, in denen ich keinen Moment Ruhe fand. Doch obgleich der mutige Kutscher die Gefahren solch einer Reise in den schwärzesten Farben ausgemalt und allein durch ein beträchtliches Zugeld überredbar war, die Nacht hindurch zu fahren, hatte er die Miet-Chaise treulich durch Sturm und düsterste Finsternis gebracht. Allein durch das unsichere Licht der beiden Sturmlaternen beschienen ging die Fahrt über verwirrende Waldwege und Wiesenstrecken. Mehr als einmal näherten sich die Räder gefährlich dem Straßengraben und schlitterten in Kurven schmatzend zur Seite. Aber die Pferde griffen tüchtig aus, angefeuert von den mal schmeichelnden, mal drohenden Schimpfwörtern des Kutschers. Dupin schlief bereits, bevor wir die Pariser Vororte hinter uns gelassen hatten, lehnte gegen sein kleines Felleisen, dem einzigen Gepäckstück, das er neben dem Bücherkoffer mit sich führte und sah so geborgen aus wie in seinem Sessel in der Rue Dunet, wenn ihn der Schlaf über einer metaphysischen Lektüre entführte. Natürlich brannte ich auf weitere Informationen, aber ich ließ ihn ruhen. Da wir etwa acht bis zehn Tage bis Weimar unterwegs waren, hatte ein klärendes Gespräch keine Eile.
Mit dem trüben Licht des Morgens ging dem Sturm die Wut verlustig, aber es regnete nach dem ersten Pferdewechsel noch immer fleißig und unverdrossen, wie sittsame Mädchen des Nachmittags unaufhaltsam spinnen: die Räder der engen Chaise schnurrten, die Tropfen klatschten an die Fenster, es war aschgraues französisches Wetter. In solch schmutzigem Reitermantel lagen die brachen Felder der Ile de France auf dem Wege, da tat ich ebenfalls die Augen zu und rekapitulierte mein ganzes Leben, wie ich das immer mache, wenn ich auf Reisen gehe. Erschöpft von meinem Leben und von Frankreich, schlief auch ich und hatte einen seltsamen Traum.
Mir war, ich stünde im engen Hof eines brennenden Schlosses. Die Flammen brüllten im ersten Stock, ein heißer Wind trieb mir glühende Funken ins Gesicht. Voller Angst suchte ich inmitten des wirbelnden Chaos dieses sturmverworrenen Feuers nach einem Ausgang, nach dem rettenden Tor. Da war es! - und es barst auseinander. Blutige Flammengarben stoben in alle Richtungen - und in der Mitte erblickte ich ein Roß und auf ihm, barhäuptig und wüst zugerichtet, einen Reiter. Es war Dupin! Er vermochte dem Galopp kein Einhalt gebieten. Seine schmerzverzerrten Züge, seine ganze, krampfhaft zuckende, kämpfende Gestalt erweckten mein Mitleiden. Er öffnete die zerrissenen Lippen, welche im Entsetzen durchgebissen waren, rief ein Wort. Es war deutsch, aber ich vermochte ihn nicht zu verstehen. Das Hämmern der Hufe scholl scharf. Das Roß bäumte sich auf und sprengte über mich hinweg.
Ich schrie und erwachte - blickte in Dupins lächelndes Gesicht, das keineswegs rußverschmiert und verbrannt war. Die Hufe donnerten noch immer, aber sie gehörten den Pferden, die unsere kleine Kutsche eilig durch Regen und Wind gen Deutschland trugen.
"Das war ja wahrlich ein Teufelspferd, das ich da ritt, Edgar", sagte Dupin spöttisch und reichte mir ein Glas mit Wein, den er während meines unruhigen Schlafes geöffnet hatte. Ich nahm es noch zitternd in die Hand, verschüttete ein paar Tropfen, als ich es zum Munde führte. Erst dann wurde mir bewusst, was Dupin gesagt hatte.
"Woher, zum Teufel! - wußten Sie jetzt, was ich träumte? Es reicht mir mit Ihren sybillischen Offenbarungen, legen Sie endlich die Quellen ihrer Weissagungen bloß. Oder können Sie meine Gedanken lesen? Mein Gott, Dupin, ich bin es leid", redete ich mich in eine Rage, die durch die Tatsache, daß ich meinen Reiserock mit Bordeaux ruinierte, noch wuchs.
Mein Freund lachte auf und prostete mir zu.
"So ist es recht! Garde! Dabei war es nachgerade die Einfachheit der Sache, die ihnen den Blick verstellte, Edgar. Ihre romantische Ader und ihre Beschäftigung mit Mesmerismus und Magnetismus führt sie von dem Pfad der Wahrscheinlichkeit in den Sumpf der Spekulation. Das Wunderbare ist Ihnen überzeugender als das Offensichtliche. Sie erwarten jederzeit von mir nichts geringeres als den Beweis meines sagenhaften analytischen Vermögens. Ein Mirakel ist Ihnen lieber als eine langweilige und einfache Begründung. Sehen Sie, auch deshalb liebe ich Schiller: Er hält nichts von Flächen, die Adelshäuser vernichten, von teuflischen Mächten und finstren Gestalten in düstrer Nacht, von mesmerschen Offenbarungen und von Geistererscheinungen, dieser ganzen Seuche, mit der Mr Walpoles Schloß Otranto die Literatur infizierte..."
"Ich erinnere Sie jedoch an Schillers unvollendeten Roman, die Geisterseher, ein Buch, das ich gerne und oft gelesen habe", warf ich ein.
"Eben - ich betrachte den Prinzen von ...d... als ein Vorbild. Erinnern Sie sich, Edgar: Der Prinz erklärt die geheimnisvolle Seance auf einfachste Weise als das, was sie war - ein Taschenspielertrick."
"Und Ihre Weissagungen, sind das auch nur geschickte Gaunereien?"
Dupin nickte und lachte erneut.
"In gewisser Weise... Sie sprachen im Schlaf, Edgar. Oh, was für ein schreckliches Roß. Oh, Dupin! Schnell - steigen Sie herab! Reiten Sie nicht in den Feuerschlund! Die letzten Wörter habe allerdings ich nicht verstanden. Sie klangen deutsch, so ähnlich wie Metzger und Stein." Er tippte sich an die Nase.
"Ich frage mich häufig, was solche Gesichter zu bedeuten haben, welches Band sie an die Wirklichkeit fesselt. Vieles bleibt uns in der Psyche des Menschen verborgen."
"Das beiseite - weshalb Sie mich gestern des Abends bereits erwarteten: Ist die Erklärung ebenso einfach?"
"In der Tat. Mich wundert, daß Sie nicht selbst darauf stießen. Ich lese doch Zeitungen, fürwahr die lohnendste Lektüre in dieser Zeit. Ich bin auch auf den >Mercury< abonniert, der es sich nicht nehmen ließ, Ihre Europafahrt in zwei Spalten anzukündigen. Die Zeitung wurde mit dem gleichen Schiff wie Sie über den Atlantik gebracht. Ich hielt das Blatt allerdings bereits am Vormittag in Händen, da es nicht gleich Ihnen über Nacht in Calais verblieb. Also brauchte ich nur mehr einige kleinere Erkundigungen und wußte, wann sie planmäßig eintreffen würden - das Pariser Büro von Lloyd`s ist sehr zuverlässig. Es hat mir schon häufig gute Dienste erwiesen. Ich erhoffte Sie allerdings schon etwas früher..."
"Die Post wurde durch den Sturm aufgehalten."
"Um so mehr freut mich Ihre Bereitschaft, mich auf diesem Abenteuer zu begleiten, Edgar. Es ist nun aber wohl an der Zeit, Ihnen ein wenig mehr über den düsteren Fall mitzuteilen. Lesen Sie diese Dichtung von Schiller und sagen Sie mir, was Sie davon halten." Dupin griff in seine abgründige Weste und reichte mir einen Zettel, auf den er mit seiner eigenartig nach links geneigten Handschrift das Gedicht geschrieben hatte.
'Der Gräfin von H.
W.o du bist und wo dich hingewendet,
wie dein flücht'ger Schatte mir entschwebt?
Hast du nicht beschlossen und geendet,
hast du nicht geliebt, gelebt?
da werd ich dich wiederfinden,
wenn mein Leben unserm Lieben gleicht;
dort ist auch der Vater, frei von allen Sünden,
dorT ihn blut'ger Mord nie mehr erreicht.
ächzend stöhnt, daß ihn ein Wahn betrogen,
stumm er aufwärts zu den Sternen sah,
sieh, wie jeder wiegt, wird ihm gewogen,
Herr, du glaubst, so ist der Morgen nah.'
[...wird fortgesetzt]
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[Diese Nachricht wurde von Klammer am 22. November 2002 editiert.]
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