Ein Auszug, wie gesagt. Also weder Sinn noch Pointe.
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Die Brutalität dieses Augenblicks war ihm schon seit langem bewußt. Ein willkürliches Aufeinanderprallen zweier Energien, unausweichbar in Gang gesetzt in dem unschuldigen Moment, in dem er den Schlüssel ins Schloß steckte.
Er hatte sich eingehend mit diesem Problem beschäftigt. Ganze Spalten seines Notizbuchs waren gefüllt mit seiner eckigen Handschrift, mit der er in seinen Arbeitspausen Ideen, Entwürfe und Baupläne eintrug.
Seit neuestem war er dazu übergegangen, sich mit seinen Ärmeln zu beschäftigten, während er ihr gleichzeitig die Wange zum Kuß hinstreckte.
"Hallo Schatz!" Während er seinen Ellbogen hochgereckt aus dem Ärmel befreite, ihr Kuß traf ihn nur flüchtig in einem Winkel von fünfundsiebzig Grad.
Besonders wenn es kalt war und die Handschuhe, die er in der linken Hand trug - die Aktentasche in der Rechten - wenn die Handschuhe sich also im Innenfutter verfingen und es mit nach oben zogen, verschaffte ihm dieses Manöver wertvolle Zeit.
"Liebling." Er musterte sie vorsichtig, verglich ihre Gestalt mit der Erinnerung, die er am Morgen mit sich genommen hatte. Jedes Detail bekam in diesem Augenblick eine schicksalhafte Bedeutung und wollte beachtet sein.
Die gleiche Frisur, das gleiche Kleid, keine Kommentare seinerseits erwartet oder erwünscht, und er fühlte, wie sich sein Zwerchfell entspannte.
Blaß sah sie aus, und kindlich mit den locker nach hinten gesteckten Haaren und einem unförmigen Kleid, das ihn an die Mädchen auf den Gruppenphotos der achten Klasse erinnerte. Sie hatte schon lange keinen Lippenstift mehr getragen, und er dachte: mein Gott, wann hat sie das letzte Mal gekotzt? Das muß doch schon acht Stunden her sein. Aber er sagte nichts. Dann stellte er die Aktentasche ab und bückte sich, um seinen Mantel an der Garderobe aufzuhängen. Den noch über den Boden schleifenden Stoff wischte er mit der Seite seiner Schuhe an die Wand.
"Du siehst müde aus, mein armer Bär." Sagte sie und schmiegte sich in seine Arme, während er, auf einem Bein balancierend, die Schuhe auszog.
"Die Glaser kommen nicht vor übernächster Woche, und von den Elektrikern spricht kaum einer deutsch. Sie haben die UV-Lampen direkt über dem Wasserbecken angebracht, kannst Du Dir das vorstellen?" Er ließ sich erschöpft gegen den Türrahmen fallen, und wich dabei einem Mobile aus. Es hing erst seit gestern da.
"Nun, ich verstehe nicht ganz, warum Du Dich darum kümmern mußt. Immerhin bist Du nur für die Verwaltung zuständig." Sagte sie, während sich in seinem Arm einhakte und ins Wohnzimmer ging.
Er lachte bitter auf, sie hatte ja keine Ahnung. "Und wo, denkst du, laufen die Rechnungen auf, wenn das Projekt sich ver..."
Sie sah zu ihm auf und strahlte. "Ist er nicht schön?"
Er aß viel Reis. Sehr viel Reis, er half ein wenig gegen sein Sodbrennen. Die Mangoldröllchen nahmen sich dagegen winzig aus auf seinem Teller. Aber er sah sie nicht. Gebannt von dem dritten Gedeck auf seinem Tisch.
"Es ist noch ein wenig früh, ich weiß." Sagte sie mit einem koketten Lächeln. "Die Teller habe ich nur dazugestellt, um die Wirkung einmal zu sehen. Natürlich passen die Farben noch nicht, aber ein neuer Bezug ist kein Problem. Sie haben ihn in siebenundzwanzig verschiedenen Mustern, und die Sitzfläche läßt sich ganz einfach herausheben, mit einer Hand sogar."
Es ist nur ein Hochstuhl, sagte er sich. Ich werde mich nicht von einem Möbelstück aus der Fassung bringen lassen. Also saß er da und starrte die Bären an, die sich gnadenlos grinsend und rosa vor seinen Augen ausbreiteten. Die Bären starrten zurück. Das einzige, was sich in seinem Gesicht bewegte, waren seine Kiefer.
Immerhin ist sie beschäftigt.
"Sie haben sogar einen in himbeerrot, das würde zu den Vorhängen passen. Aber die Verkäuferin meinte, ein einfarbiger Stoff wäre sehr empfindlich. Und ich müßte natürlich neues Geschirr kaufen."
Hunde und Kaninchen haben das auch. Vielleicht geben sie ihnen was, dachte er, ich glaube, ich habe da mal so eine Rechnung gesehen. Homöopathisches Zeugs. Sie finden ja immer was, um Geld auszugeben.
"Oder sollte ich warten, bis ich weiß, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird?"
Aber es kann ja nicht schaden, mal nachzufragen.
Er wurde sich der Stille bewußt und sah in ihr erwartungsvolles Gesicht.
"Köstlich" murmelte er, während er einen Bindfaden aus seinem Mund zog. Hatte sie von den Mangoldröllchen gesprochen?
Sie lächelte.
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