Künstlerisches Konzept für das Audio-Hyperfiction-Projekt 2011 des Wolkenstein-Forums:
Mit dem Web ergab sich die Möglichkeit, vernetzte Texte zu schreiben. Die Universität Magdeburg arbeitet an einer Neukonzeption, dies zu echter Audio-Hyperfiction-Interaktivität fortzuentwickeln:
Eine Zusammenarbeit gäbe gute Synergieeffekte, da wir ein fertiges Textgerüst, bzw. ein fertiges Audio-Gerüst eingesprochener literarischer Texte liefern und mit Hilfe der Uni-Plattform das Know-How innovativer Verlinkungen auch von interaktiven Hör-Dateien Wirklichkeit werden lassen.
Als ältestes Literaturforum, welches bereits seit 1998 mit Hyperfiction experimentiert, sind wir dazu prädestiniert. Die Universitätsplattform könnte daher problemlos unsere Textkörper nutzen.
Die Kunststiftung kann sich an dem Projekt mit Erfolg beteiligen, da es sowohl an vorderster Front innovativer Textgestaltung Pionierarbeit leistet, als auch im Literarischen Magdeburg ins Zentrum einer Zukunftswelt stellt, die sehr viel mit den ältesten wie den neuesten Mythen zu tun hat.
Zielvorstellung ist eine interaktive Einbindung des Lesers, der über das Anklicken von weiterverweisenden Links und hörverweisenden Tags selbständig durch die intertextuellen und interaudiellen Welten navigieren kann. Das psychologische Prinzip lautet: Der Leser/Hörer wird über semantische Leerstellen am Geschehen beteiligt. Es ist auch daran gedacht, ihn zum echten Mitspieler zu machen, da er seinerseits Dateien hochladen und weiterverlinken darf, sie einspricht oder mit anderem Material das Geschehen belebt.
Das wird möglich durch die von audiogent entwickelte Weltneuheit der variablen Interaktivität, die es dem Leser/Hörer/Schreiber (Nutzer) ermöglicht, Geschehen in unterschiedlicher Intensität zu beeinflussen. Er könnte charakterliche Grundmuster schaffen (arrogantes oder demütiges Auftreten) oder präzise Anweisungen (z. B. gehe zur Tür und nimm das Paket entgegen) vorgeben und dadurch in die Handlung eingreifen. Der Verlauf der Geschichte wird aufgrund der Handlungen, die vom Nutzer gestaltet werden, angepasst. Er könnte sich aber auch zurücklehnen und die Geschichte erzählen lassen, die bisher von anderen erzählt worden ist, einen Zufallsgenerator einschalten und sich so die Geschichte jedesmal ein bißchen anders erzählen lassen. Allerdings ist das die Spielwiese von audiogent . Wir sind da eher literarisch interessiert, wollen durch vernetztes Schreiben neue Welten entstehen lassen. Es ergeben sich dennoch vielfältige Synergieeffekte, weil die von audiogent entwickelten Autorenwerkzeuge die der Zukunft sein werden.
Das Endprodukt kann vielfältige Gesichter haben: ein Hörbuch, ein Computerspiel, ein interaktiver Film, eine Wikimedia-Welt, eine DVD oder eine einfache Homepage, ein einfacher Blog im Netz werden. Das verspricht gute ökonomische Wirkungen für Literatur in der Medienlandschaft der Zukunft, die allen google-Plänen einen Schritt voraus bleibt.
Literarisch verspricht Audiohyperfiction die Möglichkeit, die Zeitgestaltung leseraktiv zu beeinflussen: der Leser, der nur die Essenz in Kürze sucht, kann am Hauptstrang der Struktur schnell in eine Textwelt eintauchen.
Wird er durch weiterführende Links oder Tags gereizt, kann er praktisch zeitlich unbegrenzt in eine Gegenwart aus assoziativem Klang - und Raumkörper eintauchen, die ihn auch dazu verführen mag, sich dort selbst einzubringen. Diese Einbringungen wiederum werden für andere Leser sicht- und aktivierbar.
Das Projekt zielt auf ein künstlerisches Produkt, das ständig wächst und sich stetig erneuert, quasi lebt.
Die Vielzahl der Autoren und literarischen Schreibstile bietet eine Faszination für sich. Es ist ja so, daß Literatur immer schon grundsätzlich einen gewissen Voyeurismus bedient: den, in die Köpfe Fremder hineinsehen zu können, in ihre seelischen und intellektuell so ganz anderen Welten und Sichtweisen, in das Rätsel. Ob man nun in träumerisches oder explosives Gelände entführt werden will, in Idyllen oder Höllenszenarien, in psychologische oder pädagogische Tabubrechungen oder Wissensschulen - Literatur leistet hier, was Menschen lesen läßt, weil sie sich aus dem Geschriebenen in eigene gedankliche Welten weiterbewegen. Gerade der Leser, der in einer stillen Ecke nicht genug bekommen kann vom Eintauchen in fiktionale Welten, der sich aus dem Alltag hierhin verlieren möchte, dem kein 1000seitiger Roman dick genug ist, braucht verschiedene Autoren und Schreibstile.
Hyperfiction nun bietet dies in ungeheuer potenziertem Maße. Das Angebot kann praktisch ins Grenzenlose erweitert werden, findet sich aber zugleich in nur einem Text und schützt vor Informationsüberflutung dadurch, daß der Haupttext auch ohne jedes Beiwerk verständlich bleibt.
Zugleich verspricht Audiohyperfiction das Erschließen neuer Leserschichten für Literatur. Mediale Zöglinge von Fernsehen, Film, Multimedia-DVDs und PC-Spiel werden nicht mehr durch papierene Seiten eingeladen, sondern durch Fun.
Ein nun bereits alter Spruch der Literaturwissenschaft besagt, daß der Text erst im Kopf des Lesers entsteht und fertiggestellt wird.
Wir arbeiten hier an dem literarischen Medium der Zukunft. Hier bekommt der Leser auch technisch die Möglichkeit, seine eigenen Vorstellungen von Text zu realisieren, selbst zum Autor zu werden.
Künstlerisch bedeutet das eine neue Offenheit der Texterstellung, ein Einspeisen von Anregendem in den gemeinsamen Pool der Interaktivität.
Im kommunikationstheoretischen Kontext bedeutet das eine rasante Entwicklung der Literatur, ähnlich wie der Journalismus durch weltweites Blogging ein- und überholt wird.
Auch die Sprachgrenze, sonst in der Literatur immer an die Muttersprache der Autoren geknebelt, füllt dank vernetzter Übersetzungsprogramme weg. Zwar sind diese noch nicht zu literarischem Tun befähigt, doch wird auch das visionär kommen und mit ihnen die Möglichkeit, gesprochenen Text vermittels optimierter Sprechausgaben in den gewünschten Sprachen vorlesen zu lassen. Das ist noch Zukunftsmusik, aber mit dem Medium Papierbuch nicht realisierbar. Unser Projekt steckt hier sozusagen im Stadium der literarischen Grundlagenforschung. Da die technischen Potenzierungen immer schneller werden, ist diese aber unbedingt nötig und die Magdeburger um audiogent und vom Wolkenstein-Forum spielen hierbei ganz vorne mit.
Unser Textkörper steht künstlerisch einer großen Herausforderung gegenüber. Es gilt, die Spannung eines Ego-Shooters und einer trivialen Handlung aus archaischem Urgrund mit hochliterarischem Wortwerk so zu verbinden, daß Leser wie Spieler gleichermaßen fasziniert sind.
Wir konnten das verwirklichen, da es durch Hypertext möglich ist, sich ständig zwischen den Bausteinen zu entscheiden und neue einzubringen. Die Freiheit des Lesers zwischen Passivität und Interaktionismus ist gewährleistet.
Der Textkörper ist mit acht Welten mit 24 Szenen und acht Hauptprotagonisten klar und überschaubar. Darüber wabert für den, der das möchte und sucht, eine assoziative, berührende, archaische oder zeitgenössische oder aber auch vollkommen innovative Textwelt, die hörbar gemacht wird und an welcher er mitbauen kann.
Wie in einem guten Roman sind alle drei literarischen Gattungen vertreten. Dramatisch theatrale dialogische Szenen neben Poesie und träumerisch verwegenen Miniaturen ebenso wie episch breite Erzählfelder. In ihrer überraschenden Vernetzung sind sie wie das Leben selbst.
Künstlerisch neu und kennzeichnend für Hyperfiction ist Spannung durch permanente Überraschungen!
Niemand weiß genau, was sich hinter dem nächsten Link verbirgt. Der Assoziationsabsprung ist ein Bungee-Sprung, er kann den Leser an seine Grenzen führen oder in einen Traum.
Für den Autoren ist dies ein Abenteuer, eine Herausforderung, denn er wird hier keinem Muster folgen können, kann eben keinen Plan verwirklichen, sondern muß sich in einer Welt behaupten, künstlerisch behaupten. Oder er sucht sich eine kleine Nische, in der er als Inhäusiger werkelt. Den meisten Autoren wird allerdings verborgen bleiben, was ihre Leser neu zu ihrem Gewort schaffen. Diese Art literarischen Schreibens wirkt als perpetuum mobile , ein sich ständig selbst neu schreibendes Buch. Man kann es niemals auslesen! Dennoch steht einem auch das frei: man kann jederzeit aufhören und zum nächsten Audiohypertext greifen.
Aspekt |
Spannung |
Film |
passiver Konsum |
Musikkonserve |
passiver Konsum |
Hörbuch |
blinder Konsum |
Interaktives Hörbuch |
Interaktion |
Computerspiel |
Interaktion |
Hyperfiction |
Aktivität |
Lesezeichen