Karina
Ich bin zweiundfünfzig, habe eine Virusinfektion der Leber, was wohl in den nächsten Jahren zu einem ziemlich hässlichen Tod führen wird und lebe, überhaupt ganz allgemein, ziemlich wie ein Grottenolm so vor mich hin.
Meine Tochter ist fast sweet little sixteen und steht mir plötzlich nach 7 Jahren vor der Tür, ja, sie wolle ab nun lieber bei Papa wohnen. Ohne Vorlaufzeit. Heftig!
Drastischer Einstieg in eine Geschichte? Und warum, bitteschön, sollte es dem Leser denn besser gehen, als dem Autor? Hier haben wir eine ungewöhnliche Situation, ungewöhnlich Darsteller, ein Spannungsfeld, Generationskonflikt, Liebe und Verrat, halt einen vollen Griff in den Schlamm des Seins, so, dass er uns wieder zwischen den Fingern hervorgequollen kommt, - Leute, das ist der Stoff aus dem die Wirklichkeit besteht.
Ich hatte nämlich meine Tochter recht erfolgreich verdrängt. Sie lebte auf Korsika mit der Mutter, ich war im Rest der Welt unterwegs, ich weiß doch genau, dass ich vatermäßig ein Komplettversager bin. Aber damals sah ich persönlich keine andere Möglichkeit, denn zu vergessen, um nicht kaputt zu gehen. Aber das gehört hier nicht hin.
Hübsch. Umwerfend hübsch. Schlank aber mit Rundungen dort, wo sie auch hingehören; - ich hoffe nur, dass sie nicht das schlechte Bindegewebe ihrer Mutter geerbt hat. Interessantes Gesicht. Meine Nase, als ich jung war. Von der Seite sieht sie mir ähnlich, von vorne mehr ihrer Mutter. In den Augen finde ich deutliche Zeichen einer längst erloschenen Liebe meines Lebens...
Riesenmaul aber charmant und pfiffig. Schlägt nach mir. Oh, sie kann die Erwachsenen gut einordnen und mich sowieso:
"Papa, darf Michael am Wochenende kommen?"
"Grunz - solltest Du das Hirn etwa nicht von mir geerbt haben? Du bist nach fast 7 Jahren gestern erst angekommen. Wir sind annähernd Fremde zueinander geworden. Wir sollten uns erst mal wieder kennen lernen, ich meine so als Normalzustand. Wir müssen umziehen, denn diese Bude hier ist nicht Mehrzahlkompatible. Ich habe kein Geld, keinen Job, nächsten Montag wird das Bildungsministerium vielleicht etwas Schlaues zu der Umrechnung deines Diplome National Du Brevet wissen, auf jeden Fall gehst du spätestens ab Dienstag wieder in die Schule, wir haben einen Termin beim Kiefernchirurgen ... (ihre unteren Zähne sind etwas zurückgesetzt vom Daumenlutschen, aber damals hatte ich nur die Wahl zwischen irgendwelchen gottverdammten schiefen Zähnen, die später halt repariert werden müssen (außerdem sieht es SÜSS aus) und Terror, Hausfriedensbruch, Stress, Zerrüttung einer gottverdammten glücklichen Kleinfamilie, als ich dem (in einem gottverdammten anderen Leben) zuvorkommen wollte.) ... und du willst in dieser Zeit der großen Veränderungen ein zusätzliches, mir völlig unbekanntes Element einbringen. Du spinnst doch. Wo soll der schlafen? Klaut der? Wie alt? Vorstrafen? Seit wann kennt ihr euch? Bist du aufgeklärt? Vermutlich. Ne, ne, ich bin man auch nur 1 Stck. Mensch mit Grenzen, die seit Montag am verschwimmen sind. Meinst Du nicht, dass du etwas heftig bist?"
Und wenn jetzt irgend ein gottverdammter Lektor behaupten sollte, dass man so NICHT schreibt, wenn man als Schriftsteller ernst genommen werden will, dann behaupte ich: Nein! Genau so muss es geschrieben werden.
Michael traf am Freitag ein. Er entpuppte sich als fast 15jähriger Schönling. Seinen Vater hatte er dabei und einen Freund. Ich bereitete ein Matratzenlage auf dem Boden und Pizza in der Teflonpfanne, womit ich mir die Krone verdiente.
Wir verlebten alle 2 angenehme Tage, aber das ist jetzt nur auf die Leute gemünzt, welche den abrupten Zusammenbruch eines Spannungsbogen nicht verkraften.
Nächstes Wochenende ist Hash-Parade in Berlin, erzählte sie mir so nebenbei, nachdem der Besuch wieder davongefahren war. Aber das kann sie sich abschminken. Da bleibe ich KNALLHART!!!
Und an meine Grasvorräte zu gehen habe ich ihr strengstens untersagt. Ich hoffe, das nutzt.
...und irgendwas in mir ist glücklich wie verboten gehört...
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