Jeden Donnerstag besuche ich einen Menschen, der sich auf mich freut. Einen Menschen, der niemals Bäcker werden wollte, aber sein Vater ist Bäcker und deshalb er auch. Das Haus seines Vaters, das zeitlebens auch seines bleiben wird, ist wie er. Wenn ich die unscheinbare Glastür- an ihr prangt ein Schild "Privat" - öffne, fühle ich mich, als würde ich in den ungepflegten, ungeliebten Teil der Familie steigen. Vor dieser Tür: Das beste Cafe am Platz, renovierte Fassade, Frühstücksbuffet am Sonntagmorgen. Nur einen Schlüssel weiter und ich befinde mich in Vergangenem. Eine alte Wirtschaft. Alles ist noch an seinem Platz. Die Tische sind für eine Beerdigung gedeckt. Oder für einen Verein. Ich beeile mich nach oben zu kommen. Die Treppe knarrt, Holzstufen. Ich klopfe an, sage dass ich da bin und gehe weiter in die Stube. Es ist wie immer dunkel hier. Muffig auch. Ich öffne das Fenster zur Straße. Herr B. kommt nun, mühsam, seine Gehhilfe hilft. Ich begrüße ihn, er setzt sich und es sind Minuten vergangen. "Ich wollte Sie schon anrufen, es hat gebrannt in Ihrem Viertel", er schaut mich besorgt an. Ich glaube er ist ein wenig verliebt in mich. Seit einigen Wochen will er seine Stunden verplaudern, mehr über mich wissen. Er findet die Übungen anstrengend und möchte, eher als gewöhnlich, seine Gesichtsmassage. "Ich habe davon gelesen, aber es war weit entfernt von mir", ich frage mich, woher er meine Privatnummer hat. "Wollen wir anfangen?"
"Ich gehe nicht mehr vor die Tür, mich kennen alle hier und sie warten nur darauf, dass mir die Scheiße aus der Windel läuft. Ich mag Quizshows und Kreuzworträtsel."
"Ich glaube, ich habe diese Krankheit, weil ich Liebeskummer hatte. Und weil ich nie Bäcker werden wollte."
"Ich will nicht üben, wenn Sie da sind reicht das. Dann merke ich, ob ich schlechter geworden bin, wenn Sie Urlaub haben und nicht hier waren spreche ich schlechter, weniger."
"Sie verstehen doch auch was ich sage, mein Vater nicht. Er ist schwerhörig und will es nicht wahrhaben."
"1989 wurde das erste Mal die Diagnose MS gestellt. Ich habe gelacht und ein Kind gezeugt. Ich war verliebt. Und es funktionierte alles so, wie es zu sein hatte. Sie wissen schon. Heute ist nix mehr los, da. Haben Sie einen Freund?"
Ich höre.
Ich bin bei der Arbeit.
Ich höre.
Ich höre.
Ich streichle ihn,
mit meinen Händen,
bei der Arbeit.
Seine Stirn, die für sein Alter noch so glatt und faltenlos,
seine Augenbrauen, er kann sie nicht zusammen ziehen und böse schauen,
die Nase, sehr fein geschwungen, aristokratisch.
Seinen Mund, hier wird es schwierig, ich mag keine Schnäuzer, doch er mag ihn und pflegt ihn. Frisch geschnitten.
Wenn ich meine Ballen um seinen Unterkiefer lege, streiche Richtung Ohr, dann geht er mit. Genießt sie, die Berührung.
Ich bin bei der Arbeit.
Und doch keine Hure.
Meine Hände sind mein Handwerkszeug.
Ich möchte Gesichter wecken,
kleine, feine Muskelbewegungen herausfordern.
Meine Arbeit.
Die Geister, die ich rief.
Ein Mensch, der mich mag, weil ich ihn leben lasse.
[Diese Nachricht wurde von Trist am 24. Januar 2003 editiert.]
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