Du, Großknecht, weißt wohl, daß in unserer Welt die Wahrheit mit zwei Gesichtern daherkommt: eines, das traurig, voller Leid, und das andere, welches lacht. Aber, Großknecht, ob es nun lacht oder weint, es ist immer nur das selbe Gesicht. Verzweifeln die Mägde, ziemt es sich für dich, ihnen ein lachendes Gesicht zu zeigen. Doch geht es den Mägden zu gut, fühlen sie sich zu sehr in behaglicher Sicherheit, dann, Großknecht, ist geraten, das weinende Gesicht der Wahrheit zu sehen.
Großknecht, nimm einen Rat: Bevor du dich am späten Abend zu einer holden Magd legst, sing ihr ein Wiegenlied.
Ich danke, Herr von T., für eure Güte, allein mir fehlt die Phantasie. Ergo woher nehmen den Gesang?
Sieh dich um, Großknecht, hier blüht das pralle Leben. Greif ins Leben und sing mir nach:
Ich will ein Schwein für dich mästen,
Frau Hanne,
Kraft soll es dir geben,
auf daß die Arbeit dir ein Liebes.
Ich will Hühner für dich halten,
Frau Hanne,
Huhnes Eifer soll dir Ansporn sein,
wieder und wieder meinen Stachel zu locken.
Ich will Eulen für dich ausbrüten,
Frau Hanne,
auf daß die Weisheit am Hof zuhause,
selbst wenn der Mäuse weniger sind.
Großknecht, die Stadtmenschen schlagen uns vor, Gras zu schneiden, daraus Heu zu wenden und dies Heu zu verkaufen, damit wir endlich reich werden. Geld wie Heu. Stadtmenschen zählen nur die Arbeit und den Reichtum.
Ich aber will nicht, daß meine Kinder werden wie die Städter. Menschen, Großknecht, die ewig nur arbeiten, um reich zu werden, haben keine Zeit zum Träumen. Doch nur wer Zeit zum Träumen hat, findet den Reichtum der Weisheit.
Ich finde ein Gänseblümchen,
spinn einen Kreis aus Gedanken:
Meine Augen suchen die Wiesen ringsumher -
mitten im Spätherbst fühle ich den Frühling.
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