Geheimnis des Lebens
Roseae Crucis. Auch heute treffen sie sich, die Rosenkreuzer, die Geheimbündler, Parteiniks oder -schaftler aller Farben; diejenigen, die von sich glauben, die Weisheit in hermetischen Enklaven als Sonderheit behaupten zu dürfen. (Derweil ist's Dünkel und wenigstens eine der sieben Todsünden gelebet.) Jede Vereinigung trägt einen Gedanken, der sich abzusondern oder zu behaupten wissen will, der sich selbst verstehend von anderen weghebt. Also ist Vereinigung Aussondern! Manche geraten hinein in die abgeschlossenen Räume, besitzen Eintrittskarten, weisen ein Schein oder eine Pelzjacke sie doch als Taugliche aus, heilige Hallen zu betreten, in denen es dann zumeist ganz unheilig zugeht. Manchmal genügt es, bekannt zu sein, einem Eingeweihten gehuldigt zu haben oder auch irgendwann vielleicht einmal zu nützen. Die Vereinigung ist ein Rudiment und ganz und gar im nämlichen Sinne überholt. Es dürfte so etwas nicht länger geben. Alles allen! Die wirklichen Abgrenzungen beginnen dort, wo ein Gesetz einer inneren und nicht bloß formalen Not entspringt. Fordern wir doch einfach, daß alle Gesetze neu geschrieben werden, daß jeder Verein und jedes Colloquium eine Rechtfertigung ihrer Clausur, ihrer Abgeschlossenheit beibringen müssen. Dann begeben wir uns zurück zu den Anfängen der Neuzeit, sind wieder dort, wo das 16. Jahrhundert sich fand, als es galt, den Menschen in seinem Tun zu bestimmen, als zu Shakespeares Zeit der Glaubenskampf tagtägliche Gewalt bedeutete, zuvor schon Luther sich plagte mit dem Gewissen in der Allgegenwart Gottes und der Teufel noch eine solche schreckliche Gestalt besaß, daß man ein Tintenfaß voll mit bläulich-schwarzer Flüssigkeit benötigte, um im eigenen Tun Gottesgewißheit behaupten zu dürfen. (Es ist nur eine Legende, daß dieser Fleck auf der Burg auf dem Wartberg jährlich nachgezeichnet wurde, denn der Teufel steigt täglich auf diesen Berg, um die Tausenden Touris zu erschrecken. Schließlich warten die darauf.) In diesen Kämpfen wurde er geboren, der neuzeitliche Mensch. Manche behaupten zwar, daß schon der Mensch aus dem Alten Testament neuzeitliche Züge trüge, aber diese elendigen Postromantiker betrögen sich nur selbst, schließlich ist eine gut gehütete Ziege noch kein klein Indiz für Größe. Geheiligtes Gehütetsein und Ausziehen, um einen Esel zu fangen, ist bestenfalls heute eine Eselei, keine Gottesvertrautheit. Egal. Das führt zu weit weg, führt weg vom Weg. Der Weg führt zu Jakob Böhme, v.a. zu Jakob Böhme. Wer ist oder war das? Man hat so eine vage Ahnung, daß es da einmal jemanden gab, der so hieß und irgendwie wichtig gewesen sein muß. Er war unglaublich wichtig, dieser Schuster aus dem Schlesischen, lebte von 1575 bis 1624 und war kein sehr "gebildeter" Mann. Im Vergleich zu uns Heutigen jedoch war er unglaublich gebildet. Es ist nicht entscheidend heute, ob man bei einem Schwalbenflug erkennen kann, ob es demnächst regnet oder am Tonfall eines Nachbarn erkennt, daß demnächst wichtige Entscheidungen in seinem Leben fallen oder aus dem Gang eines Freundes liest, daß es ihm sehr schlecht geht. Das alles ist heute, auch dank Freud, sublimierte Verstohlenheit geworden, stolen property, wie's die Triffids nennen. Das Eigentum ist nur eigen in der Form seiner Vermehrung, nicht in der Darstellung gegenüber anderen oder der Gottesnähe. Er allein hält die Widersprüche zusammen, in ihm ist aller Widerspruch aufgehoben, aus dem heraus geboren und gestorben, wiedergeboren und gelebet wird. In allem ist so alles; in jeder Schöpfung (Kreatur) lebt die Trinität des Lebens, Sterbens und Wiederlebens! Das ist die mittelalterliche Lebenssicherheit, die auch Scheiterhaufen als weniger schrecknishafte Gleichnisse eines Reinigungsprozesses (Fegefeueraffirmation!) begreift. Das Inqualieren, wie Böhme diesen Schöpfungsprozeß in der scheinbaren Vernichtung nennt, ist zugleich ein Quellen, ein Qualen erleiden, ein Rundum, ein Treiben und Getriebensein, das dem Menschen zu eigen. Gott ist Herz und Grimmigkeit zugleich, Tod und Leben, eben alles in allem. Nehmt's an! Das Ich des Reformationszeitalters nimmt und zerstört die Unas. Nun sind's zwei, die wollen. Daraus der Mangel des Neuzeitigen, da? er will, wovon er glaubt zu wollen und nicht mehr vertraut im Geborgensein. Das Ich wird zum Ichts (eine verquaste Mischung aus Ich und Nicht-Ich, Fichte läßt grüßen)! Da entsteht der Teufel, Luzifer, Mephistopheles. Es ist das Zeitalter Fausts! Denn dem Ich steht nun der Verneiner gegenüber; das Ich lebt nicht mehr selbst in sich, der Begleiter, der nörgelnd-zynische ist immer dabei. Ist das besser? Wenn etwas außer mir steht, was doch eigentlich zu mir gehört, wie könnte ich mich dann noch vollkommen empfinden, als vollkommen empfinden? Nein, man selb (ohne st-Affix) trägt das Böse, muß dazu in sich hinabsteigen (eben hin und nicht her), muß es bei sich halten, behalten. Der Schuster aus dem Schlesischen hielt diese Spannung in sich, zeitlebens, stieg hinab und kultivierte sie nicht als Lehrgebäude, verdiente kein Geld mit einer Thesis von der Möglichkeit einer Ichreinigungstechnik, sintemal der böse Geist vertrieben werden müßte. Er hielt ihn bei sich und hielt das Leben aus, reinigte sich im Wechselbad des Auf und Ab, des Geratenseins. Jakob B. aus Görlitz empfand den aufkommenden Mangel seiner Zeit. Er empfand schon frühzeitig, vor vielen anderen, daß die Bindung an Belohnungen ein Irrweg sei, empfand, daß der Mensch die Stimme Gottes in sich erringen muß und nicht durch gute Taten von außen absolviert wird, schlimmstenfalls sich so selbst verabsolutiert. Kommt der Mensch zu sich, denkt er über sich nach, sein Dasein ins Verhältnis setzend zu den Dingen ringsum, so wird ihm schnell neben seiner grundtiefen Einsamkeit die Stille schreiend. Diese Stille ist der Vorhof zur Hölle. Die Überwindung belohnt den Hunger. Die Seele will diesen Hunger, aus der die Vernunft geborgen... Mensch, übergib dich dir selbst, in dir ist das Göttliche, ist Gott, dem du nur Zeit geben mußt, damit er dich finde, finden kann. Darin ist die Liebe zum Geschöpf, zum anderen. Es ist der Weg des liber naturae, des Freien weil frei sich Wählenden. Die Magistrale führt über die Natur, die magia naturalis ist eher ein äußerer Weg zu den Geheimnissen seiner selbst, will nur einen Erkenntnisweg anzeigen, der dem Gefühl allgemeingeltende Gerechtigkeiten verschafft. Jakob B., du warst der Dichter des Geists, den du tief in dir fühltest, du dichtetest ihn, gereift in deiner Vernunft und es wurde ein lehrhaftes Gleichnis daraus (denn der Begriff einer Form kann zur Wirklichkeit werden, wenn man nur fest genug daran glaubt), dieweil man sich doch verlieren kann in sich selbst, ohne seiner selbst verlustig zu gehen. Die Aufgehobenheit ist's, die 200 Jahre später noch ein gewisser Hegel als Neuentdeckung im deutschen Wortschatz und auch in der Philosophie zu lobpreisen meinte. Des Menschen Amt ist das Erringen von Gottes Stimme. Diese Gnade wird durch gutes Menschsein gewährt. Nein, weniger apodiktisch, kann gewährt werden, denn der ist schon ein rechter Narr, der glaubt, im guten Tun auch Lohn für die Nachwelt zu ernten. Auf den Weg!-
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