Hurra, wir leben! Da ich begierig auf alle Regungen nichtoberflächlicher Selbstweihung bin, lese ich Manifeste mit Vorliebe, sei es eines gegen die Arbeit oder eines dafür... Hier nun, wie auf dem Königstein versprochen, eine kurze Auseinandersetzung, sprachlicher wie inhaltlicher Art, mit dem Manifest-Text aus www.buergerkonvent.de:
Das ist eine mißverständliche Prämisse. Das Subjekt befindet sich in etwas. Im nächstfolgenden Satz wird das Subjekt aus dem Seienden in ein neues Seiendes vage gestellt. Es befand sich demnach, ausgangspositionell betrachtet, nicht dort, wo es im Nachfolgenden gemutmaßt wird.erstellt von BürgerKonvent: I.
Wir Deutschen befinden uns in einer Sackgasse. Ohne Kursänderung werden wir in Kürze auf eine grundlegend veränderte Wirklichkeit aufprallen.
Genauer: Im zweiten Satz steht WIRKLICHKEIT. Im ersten Satz steht SACKGASSE. Bewegung von SACKGASSE zu WIRKLICHKEIT. Wirklichkeit und Sackgasse stehen in einem Ursache-Folge-Verhältnis. Dazwischen die Zeit. Da WIRKLICHKEIT Zielpunkt ist, ist Ausgangspunkt Nicht-Wirklichkeit, sondern nur Möglichkeit zum Ausgangspunkt.
Noch deutlicher: Die beiden Sätzen lassen die Vermutung zu, daß das Wir (das Subjekt) sich nicht in dem Objekt (Wirklichkeit) befindet.
Noch problematischer wird dieses Satzgeflecht, wenn das Adjektiv VERÄNDERTEN hinzugenommen wird.
Schlage folgendes vor: Einfacher strukturieren. Beim Festen beginnen.
Schon wieder eine Behauptung. Das Kommende ist nicht zu sehen. Das sollte niemand von sich behaupten dürfen, daß er das Kommende SEHE.Fixiert auf Vergangenes sehen viele nicht das Kommende.
Wenn das Kommende geahnt wird, dann nur, weil aus der Vergangenheit Muster bekannt sind, die eine Konstruktion des Künftigen ermöglichen.
Das ist eine ausgesprochen enge, beinahe mechanische Sicht der Zusammenhänge. Sie verkennt und mißachtet die in den Menschen verortbaren Willenskräfte und setzt den Menschen in eine Kasuistik reiner Naturnotwendigkeit. Sein Handeln würde demnach in einer 1:1-Abhängigkeit zu Paragraphen und gesellschaftlichen Bedingtheiten stehen. Daß der Mensch in diesem Sinne abhängig ist - er ist aber nicht nur abhängig! -, will ich nicht bestreiten, doch in diesem Textabschnitt wird sehr eng argumentiert, sehr vieles ausgeblendet, nicht einmal mitgesagt.Das hat Folgen. Die wirtschaftliche Dynamik ist weithin erlahmt; Millionen von Menschen sind ohne Arbeit; die Zahl der Insolvenzen erklimmt Rekordhöhen.
Obwohl wir Bürger dem Staat die Hälfte des von uns Erarbeiteten überlassen, macht dieser hohe Schulden. Allein für die Verzinsung seiner Altschulden gibt er mehr aus als für Investitionen. Die Stabilitätskriterien von Maastricht einzuhalten fällt ihm schwer. Sie aber sind Grundlage eines starken Euro.
Zugleich bröckeln die sozialen Sicherungssysteme. Die Wechsel, die hier auf die Zukunft gezogen wurden, sind nicht gedeckt. Damit immer mehr alte von immer weniger jungen Menschen auskömmlich versorgt werden können, müssen die Nachwachsenden die bestmögliche Bildung und Ausbildung und ausreichend produktive Arbeitsplätze erhalten. Beides geschieht nicht. In Deutschland wird zu wenig investiert - in Menschen und Arbeitsplätze. Die Folgen hiervon haben vor allem die Jüngeren zu tragen.
Ich schlage vor, hier einem Gedanken Raum zu verschaffen, der die Freiheit des Menschen betont und seinen Drang, mit anderen zu schaffen, zu wirken, zu arbeiten, sich selbst zu reproduzieren durch die Vielzahl seiner selbst gewählten oder auch ihm bestimmten Tätigkeiten...Das ist das Wesen der Potenz, brach zu liegen. Einem Manifest sollte es in erster Linie nicht so sehr darum gehen, Potenzial freizusetzen, sondern Potenzial zu schaffen. Ich empfehle hier einen Blick in Schellings Potenzen-Lehre.Wertvolles Potential liegt brach.Dieser Satz ist - man möge es mir nachsehen - dumm, weil er durch mindestens zweitausendvierhundertundachtzehn Gegenbeispiele widerlegt werden könnte. Abgesehen davon fragt sich der Leser hier, was HERAUSRAGEND zu nennen ist. Wer legt das fest? Selbst im internationalen Zusammenhang gesehen: Sollen wir IMMER die Besten sein? Freilich. Aber man hänge das nicht an die große Glocke, daß es eben so sein sollte, sondern arbeite still an den Zielen, die letztlich die aller Menschen sind. Frieden, Wohlstand, Gleichberechtigung, Solidarität.Herausragende Leistungen sind selten geworden.Das dürfte noch eine ganze Weile so bleiben, bis es eines schönen Tages wieder umkippen wird, also heute unterstützende Gebiete zu unterstützten werden. Der Mitteldeutsche - für den ich sprechen kann - ist rührig, muß immer etwas tun. Früher oder später wird er sich auf die Hinterbeine stellen und ackern. Ich wage zu bezweifeln, daß er es tut, wenn er nicht aus sich heraus den Drang entwickelt, es eben zu tun. Mit neuen Gesetzen oder Erleichterungen dürfte da kaum etwas zu bewegen sein. Ich halte von derartigen Rechenexempeln auch nicht viel, sie setzen einen Aspekt in die Diskussion, der schädlich ist, weil er immer an den Grundfesten rüttelt: Entweder bildet man ein Gemeinwesen und unterstützt sich - oder man läßt es eben bleiben. Vor dem letzten Krieg war Mitteldeutschland die Werkstatt Deutschlands. Warum? Es waren der Menschenschlag, die Lage und die politischen Verhältnisse. Man gebe diesem Menschenschlag Gelegenheit, er selbst zu sein, kaufe ihn nicht oder entmündige ihn nicht durch Verbote und Auflagen, durch wirtschaftliche Unselbständigkeit, man lasse ihm seinen Spielraum und wird sehen, er dankt es dem "europäischen" Gemeinwesen.Zukunftsinvestitionen in schulische und berufliche Bildung, Wissenschaft und Kunst stehen im Schatten flüchtigen Gegenwartskonsums.
Auch die Herausforderungen der deutschen Wiedervereinigung sind nur zum Teil bewältigt. Ost und West sind noch längst nicht zusammengewachsen. Hinzu kommen wirtschaftliche Probleme. Seit Mitte der neunziger Jahre stagniert die Wirtschaftskraft in den neuen Bundesländern bei reichlich 60 Prozent des Westniveaus.
Ganz schlecht. Diese Sätze hinterlassen beim Leser nur schlechte Gefühle. Sie spreizen einen Gedanken in eine Richtung, aus der er kaum zurückfindet. Ein Manifest muß Türen öffnen, nicht verschließen. Das sind Gedanken der Verengung, aus dem Allgemeinen ins Spezielle, aus dem Menschheits-Ich zu einem Ich, weg von Deutschland hin zu einer Denke Ost-West-Nord-Süd-Deutschland, dann weiter Nordrhein-Westfalen, Köln, Bonn, Hafenstraße... Dieser Weg ist falsch.Um dennoch den ostdeutschen Lebensstandard dem westdeutschen anzunähern, fließen ständig hohe Milliardenbeträge von West nach Ost. So einsichtig dieser Transfer ist: Er hinterläßt in den alten Bundesländern mittlerweile deutliche Spuren.
Das und manches andere stimmt viele Menschen pessimistisch.
Man beginne immer beim Festen, bei dem, wofür etwas sein soll.
Das ist hier nicht deutlich gesagt, vielmehr ist mit einer Einzelkritik, die zudem noch fragwürdig ist, ob die Wiedervereinigung nicht vielleicht doch nicht eine derartige Rechnung zuläßt, sondern vielmehr wirtschaftlich und politisch die BRD stärkte... Wer will das genau berechnen, wer hier wieviel verdiente oder einbüßte?
Ich schlage vor, hier bei dem Gegenwärtigen zu bleiben, das sich aus dem Vergangenen speist und daraus ein Konzept für die Zukunft zu entwerfen, zu offenbaren (manifestieren).Wer hat woran Zweifel? Menschen haben an der Politik Zweifel? Das ist bestenfalls eine Binsenweisheit. Der Ansatz ist hier bedenklich, weil er Verantwortung abschiebt. Das Land wird nicht durch Politik gestaltet. Menschen und Verhältnisse (die Politik ist ein Ausdruck der Verhältnisse) gestalten das Land. Also geht es nicht darum, in einem Manifest, die Politik zu geißeln - davon kann ausgegangen werden, daß da irgend etwas nicht richtig gut läuft, sonst gäbe es das Manifest nicht -, vielmehr geht es darum, den Menschen so zu erfassen, wie er zum gegenwärtigen Zeitpunkt eben aufgefaßt werden müßte, um sich selbst zu entsprechen. Oder soll der Mensch des Jahres 2003 einem abstrakten Ideal entsprechend gemodelt werden?Unabhängig von Parteienkonstellationen haben sie Zweifel an der Fähigkeit der Politik, die sich auftürmenden Probleme zu lösen.Die Lage spitzt sich zu. Viele Bürger wollen nicht länger zusehen, wie ihre Zukunft aufs Spiel gesetzt wird. Es ist Zeit zu handeln.
P.S. Bemerkungen, die sich mir nicht sachbezogen erkennbar zeigen, werden gnadenlos gelöscht.
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