Als Karthager werden die Nachfahren einer Kolonie aus der phönikischen Stadt Tyros [1] bezeichnet. Sie selbst nannten sich Kanaan oder auch Kanaaniter, was sich die Griechen mit Purpurland übersetzten, Phönikien, die Römer dann Punier hießen. Ihr Ursprungsland an der Ostküste des Mittelmeers war zum Ackerbau geeignet, auch gab es dort schlagbares Holz und Metalle, so daß sie hier Kenntnisse erwarben. Sie waren scharfsinnig und neugierig, nicht sehr fleißig, aber immer interessiert. Das sind Grundvoraussetzungen für Händler. Die tüchtigen und neugierigen Philisterabkömmlinge machten Gebrauch davon und fuhren an den Küsten entlang bis hinter die Säulen des Herakles (Gibraltar) und um Afrika herum; sie fuhren hinauf bis nach Britannien und vielleicht noch weiter. Und überall legten sie Faktoreien an, die die Güter des Hinterlandes sammelten und dann dorthin verschifften, wo es den meisten Gewinn abwerfen würde. Weihrauch aus Arabien, Felle aus Britannien und Afrika, Silber aus Spanien, Elfenbein und Sklaven, Keramik [2] aus Griechenland, Oliven oder Öl, Weizen aus Ägypten und Perlen aus Persien, Weine aus Griechenland und von den Etruskern, Kupfer aus Zypern, Zinn aus Britannien, Eisen von der Insel Elba und Bernstein von der Ostsee. Sie hatten alles.
Am Golf von Tunis legten sie auch eine Faktorei an, die sie Karthago nannten, z.dt. Neustadt. Diese war allen anderen Siedlungen durch die Findigkeit ihrer Bewohner überlegen. Und bald hatte die Neusiedlung ihre Mutterstadt an Bedeutung überflügelt. 700000 Menschen sollen in Karthago gewohnt haben. Die Karthager hatten ein Prinzip: sie zahlten, statt sich in Auseinandersetzungen behaupten zu wollen. Als sie den Krieg zur Erzeugung von Mehrwert entdeckten, wurden sie auch in diesem Metier aktiv. Sie kauften Söldner, mit denen sie die Beute teilten, eine win-win-Situation, bis sie einmal an einen Stärkeren geraten würden, was früher oder später der Fall sein mußte. Sie nahmen Zins und Zinseszins und entrichteten ihrerseits den Berbern, auf dessen Boden sie Karthago errichtet hatten, Pacht. Einzelne Karthager sollen 20000 Sklaven besessen haben. Die ließen sie arbeiten und schwelgten selbstzufrieden und still in ihrem Reichtum, ohne Entwicklung, ohne Neigung zu Philosophie, Architektur oder anderem, was sie mit ihrem Reichtum hätten weiterentwickeln können. Von ihnen blieb beinahe nichts; sie waren nicht in der Lage, eigene Lebenskonzepte zu entwickeln, wohl aber wußten sie gute Bücher und Kunstgegenstände fremder Kulturen zu schätzen, die sie als Wertgegenstände sammelten.
Im Jahre 554 v.Chr. wurde Phalaris, der aus Rhodos stammende Tyrann von Akragas, gestürzt. Bekannt ist die Erzählung von dem ehernen Stier, den ihm Perilaos von Athen habe anfertigen müssen. Der Tyrann habe seine Feinde in den glühend gemachten Bauch dieses Stiers eingesperrt und zu Tode geröstet; das erste Opfer soll der Künstler selbst gewesen sein. Nach einigen soll Phalaris sogar kleine Kinder verspeist und schließlich, was noch das Erfreulichste wäre, selbst in dieser Folterkammer verbrannt worden sein. Man irrt wohl nicht, wenn man diese Berichte auf den Kultus des phönikischen Baal Moloch bezieht, in dessen Stierbild, nachdem es glühend gemacht worden war, in der Tat Menschen, besonders Kinderopfer dargebracht wurden; ein Kult, der von Tyros nach Rhodos, von da nach Gela und von dort schließlich nach Akragas gebracht worden war. Polybios erzählt, der Stier sei um 406 v.Chr. mit der Beute von Akragas nach Karthago gekommen. Dazu stimmt die Nachricht bei Diodor, daß Scipio den Stier nach der Einnahme von Karthago 146 v.Chr. nach Akragas zurückgeschickt habe. (Hertslet, S. 53.)
Den Höhepunkt seiner Macht erreichte Karthago im 3. Jahrhundert v.Chr., als sie Pyrrhons nachgelassene Flotte erwarben und das westliche Mittelmeer beherrschten. Das führte dazu, daß die Karthager fremde Schiffe aufbrachten und die Mannschaft ins Meer warfen. Sie wollten das Monopol. 348 v.Chr. noch gaben sie in einem Vertrag römischen Händlern spanische, sardinische und libysche Häfen frei, seit 306 v.Chr. (Philinos-Vertrag) dagegen durften die Römer nur noch Karthago anfahren, um dort Handel zu treiben. Das ist ein Zeichen für ihre gewachsene Macht, daß sie Rom dies vorschreiben konnten. Dennoch ist ihr Staatswesen nicht eigentlich auf Macht aus, wie das Roms, sondern auf das Geschäfte machen orientiert. Ihre Faktoreien an den Küsten des Mittelmeeres waren keine Stützpunkte, von denen aus allmählich eine Kolonisierung des umliegenden Landes vor sich gehen sollte, sondern Warensammelpunkte.
karthagerin.jpgSie gaben sich eine Demokratie mit oligarchischen Elementen, das paßte am besten zu ihren imperialen und monopolistischen Zielen. Die Leitung der Geschäfte lag beim Rat der Alten, ganz ähnlich wie bei den Spartanern. 28 Alte und zwei Könige, die jährlich neu von der Bürgerschaft bestimmt wurden. Nebenher sorgten einige wenige Familien dafür, daß ihre Sprößlinge als Steuerbeamte oder Vögte in Faktoreien entsendet wurden, die ihnen reiche Einnahmen sicherten. Auf Gelderwerb war alles gemünzt. Einen Mittelstand gab es nicht; die Struktur war hierarchisch. Es gab über Jahrhunderte keine nennenswerten politischen Änderungen. Karthager war, wer kein Sklave war und seinen Wohnsitz in Karthago hatte, zudem Steuern zahlte. Seine Stimme wurde regelmäßig gekauft, auch verkaufte er sie gern, denn der Erlöß bezahlte seinen Müßiggang. Das funktionierte lange, lange, lange!
Ein wesentlicher Wirtschaftszweig neben dem Handel war die Landwirtschaft. Der Karthager Mago schrieb ein Buch über die Landwirtschaft, das für das Altertum maßgeblich war. Also doch noch eine Leistung von Wert! Einige Aufzeichnungen des Admirals Hanno von der Beschiffung Westafrikas sind auch noch von bleibendem Wert.
Es ist von Interesse, Karthagos finanzielle Gepflogenheiten genau zu kennen, denn wenn Karthago eines vermochte, dann Geld machen. Ihre Geldwirtschaft war abstrahiert; so sollen sie bereits mit Zeichengeld gearbeitet haben, also einer Form virtueller Abschreibungstechnik, bargeldlosem Geldverkehr! Das war im Altertum einzig.
Karthagos Armee war eine Söldnerarmee, kein Bürgerheer. Die Offiziere taten beim Militär das, was sie sonst als Kaufleute taten: sie füllten ihre Zeughäuser und Elefantenställe mit Waffen und anderen militärischen Vorräten, erarbeiteten Belagerungstechniken, hielten ihre Flotte auf hohem Niveau. Der karthagische Kriegshafen bestand aus einer mittig gelegenen kreisrunden Insel mit einem Durchmesser von 120 m, die von einem ringförmigen Wasserkanal umgeben war, an den nach außen radial angelegte Schiffshäuser stießen, fünfzehn an der Zahl, welche sich zum Kanal hin öffneten. An der Südseite desselben wird, in Übereinstimmung mit der Überlieferung Appians, ein Ausguck vermutet, welcher laternenartig das Dach überragte. Insgesamt war das Gebäude zweigeschossig angelegt, wobei die obere Etage als Stauraum diente. Die Karthager bestückten diesen Hafen mit Fünfdeckern, die von Sklaven gerudert und erfahrenen Seeleuten gelenkt wurden. [3]
Aufgaben:
- Nach welchen Prinzipien legten die Karthager Faktoreien an? Was unterscheidet ihre Kolonisation von der der Griechen, Römer und später Briten? (III)
- Entwickle ein Schema des karthagischen Staates! (II)
- Diskutiere, ob ein Volksheer oder eine Söldnerarmee bessere Verteidigungschancen für Karthago bietet! (II)
[1] Tyros war neben Sidon und Aradus eine jener phönikischen Siedlungen, die sich nach 539 v.Chr. mit dem Perserreich arrangierten und mit diesem gemeinsam gegen den wachsenden griechischen Einfluß in Syrien/Kleinasien vorging. Tyros‘ Pflanzstadt Karthago übernahm diese Politik. Auch die Juden betrieben aus Dankbarkeit gegenüber den Persern und aus Konkurrenzgründen gegenüber den umtriebigen Griechen eine perserfreundliche Politik.
[2] Keramik ist bedeutend zur Rekonstruktion vergangener Lebensverhältnisse: Sie wird seit tausenden Jahren hergestellt und gestattet nach der Analyse diverser Scherben (Kleinteilen der zerbrochenen Keramiken) Aufschlüsse zur Lebensweise der Altvorderen.
[3] Die technischen Angaben zu den Hafenanlagen Karthagos folgen Marcus Heinrich Hermanns: Die Hafenanlagen von Karthago.
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