HANS JOACHIM SCHOEPS: Deutschland droht die Anarchie. Verlag v. Hase & Koehler, Mainz. 86 Seiten,6,80 DM.
Wenn Hans-Joachim Schoeps, dessen Vater in Theresienstadt, dessen Mutter in Auschwitz ermordet wurde, sich Sorgen macht über das Wohlergehen der Bundesrepublik, möchte man vorab dankbar sein für sein Engagement. Die jüdische Implikation soll aber — wir verstehen ihn sicher richtig — bei der Bewertung seiner Schrift eine Rolle spielen. Schoeps, der Erlanger Ordinarius für Religions- und Geistesgeschichte, versteht sich als deutscher Konservativer, der in dieser Broschüre ausdrücken will, „was Millionen deutscher Menschen fühlen und denken, die aber in Presse, Rundfunk, Fernsehen kaum je zu Wort kommen“. Er werde Fraktur sprechen ohne Rücksicht auf Verluste, verkündete Schoeps kampffreudig in der Einleitung. So ist es dann auch.
Deutschland (West) droht Anarchie linke Diktatur, meint der 63jährige Autor. Die radikale Jugend und die Rauschgiftwelle unterhöhlen die Fundamente des Staates, und weil man ihnen nicht wehrt, wird bald alles zusammenbrechen. Die ersten Trümmerhaufen sieht Schoeps schon: Schulen, Hochschulen, Universitäten. Er nennt ein Beispiel. An der Freien Universität Berlin könne ein Student „außer marxistischen Schlagworten nichts Ersprießliches mehr lernen“. So nimmt sich das aus Erlanger Sicht aus. Vor dem Blick des Professors tut sich Grauenhaftes auf. Die Bundesrepublik, so teilt er dem Leser mit, geht ihrem Untergang entgegen und wird die achtziger Jahre als selbständiges Gebilde nicht mehr erleben, wenn sie sich als Staat nicht durchsetzt. „Angesichts der Macht im Osten, die die Studentenunruhen für sich auszunutzen sucht, tut sich hier ein Abgrund auf. Ich habe trübe Ahnungen, daß in Deutschland noch viel Blut fließen wird, weil die Bundesrepublik vor einer Politik der Härte gegenüber der jungen studentischen Generation zurückscheut. Sie wird sie aber führen müssen, weil es letztlich um ihre Existenz geht.“
Millionen Deutscher, meint Schoeps; zumeist allerdings der älteren Generation, seien in dieser Frage klar und, entschieden, „weil für sie die ganze überkommene Wertewelt auf dem Spiel steht“. Wertewelt? Er hält den „jungen Revolutionären“ die „biblische Forderung“ entgegen: Du sollst Vater und Mutter ehren und untertan sein der Obrigkeit, die von Gott zugelassen ist. Grausamste persönliche Erfahrung hat Schoeps nicht irregemacht an dem politischen „Glaubensbekenntnis, das ich schon als 20jähriger hatte“. Da es gegenwärtig nicht mehr gelinge, die Jugend positiv enthusiasmieren“, bleibe nur „nihilistische Aggression“.
Der vaterländische Eiferer Schoeps überschlägt sich in seiner Erregung: „Das deutsche Volk, immer wieder durch neue Generationen repräsentiert, scheint hoch neurotisch zu sein und erkrankt daher leicht an Wahnideen. Alle dreißig bis vierzig Jahre bricht in diesem Volk der naßkalte Wahnsinn aus.“ Wenn der jetzige Trend nicht bald gestoppt werde, könne „das Ende vom Lied nur das Chaos und anschließend – zwangsläufig - die Diktatur sein“. Nach Lage der Dinge, meint Schoeps, werde es eine Diktatur von links geben.
Daß die heutigen Zustände - so, wie Schoeps sie sieht - möglich wurden, ist nach Meinung des Autors auch Schuld der CDU, die „seit dem Ende der Adenauer-Ära ein mehr abschreckendes als anziehendes Bild geboten“ habe. Doch noch sieht Schoeps einen Rettungsanker: „Da kein neuer General von Seeckt und kein Obristenkader bei uns zur Verfügung steht“ - der Autor bedauert dies - stehe als ein einzig denkbarer starker Mann Franz Josef Strauß bereit, dem drohenden Unheil zu wehren.
Hans-Joachim Schoeps meint in der Einleitung mit einem Gemisch von Wehleidigkeit und Trotz: „Das Schicksal dieser Publikation ist unschwer vorauszusehen. Die linken Meinungsmacher werden sie entweder totschweigen oder dumm bemeckern oder ihren Autor gehässig verleumden. Unter Kennern gilt derlei als Auszeichnung. Im übrigen wird diese Schrift ihren Weg dadurch machen, daß sie sich unter den ordentlichen Leuten im Lande herumspricht.“ Wie viele, es wohl sind, die vor der Ordnung solcher ordentlichen Leute nicht das Zittern kriegen? (Peter Diehl Thiele, In: FAZ vom 27. Mai 1972)
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