Der zweite Weltkrieg, das Sommermärchen 2006, und die Willkommenskultur 2015/2016, ich sehe da einen unmittelbaren Zusammenhang:
Eine ehrliche Aufarbeitung von Krieg und Völkermord begann in Deutschland erst Mitte der siebziger Jahre, als die 68er Generation in Amt und Würde war. Das heißt, dass die zwischen '60 und '65 geborenen Deutsche die ersten waren...die systematisch von Elternhaus und Schule mit unserer Schuld konstruktiv konfrontiert wurden - zur Aufarbeitung und gegen das Vergessen.
Machen wir jetzt einen Sprung in das Sommermärchen-Jahr 2006, das unter dem Motto "Die Welt zu Gast" stand, dann waren die "Aufgeklärten" zu jenem Zeitpunkt zwischen 40 und 45 Jahre alt und hatten selbst Kinder, etwa im Alter von 15 bis 25 Jahre. Also damals bildeten diese Eltern und ihre Kinder den Kern unserer Gesellschaft, waren mitten im Geschehen und der aktive Teil dieses Märchens. Wir feierten die Welt und die Welt feierte uns - das glaubten wir zumindest. Dass die Welt uns feierte, das stimmt wohl auch...aber wir feierten nicht die Welt...sondern uns selbst. Zuvor hatten wir 1972 (Olympische Spiele) und 1974 (Fußball-WM) die Welt zu Gast. 1972 verbunden mit einer Geiselnahme...bei der abermals Juden auf deutschem Boden ums Leben kamen. Und wenn wir in den 80 und 90er Jahren im Ausland in Urlaub waren, dann hatten wir das unterschwellige Gefühl uns erst mal für den Krieg entschuldigen zu müssen, bevor wir unserer Handtücher am Strand ausbreiten. Und hinter dem Geflüster der Franzosen vermuteten wir Schmähgesänge. Der Deutsche hatte ein permanent schlechtes Gewissen.
2006 war dann plötzlich alles anders, und wir dürfen dabei nicht vergessen...dass nach 9/11 gerade mal fünf Jahre vergangen waren und wir bereits in einer Welt des Terrors lebten, auch wenn dieser Terror für uns nicht so allgegenwärtig war wie das heute der Fall ist. Zwar wurden damals schon Prävention und Sicherheit großgeschrieben...aber kein Vergleich zu dem wie das heute bei einem ähnlichen Event aussehen würde.
Bis zu diesem Zeitpunkt hörten wir Deutsche nicht viel Gutes über uns. Wir galten als fleissig, erfolgreich, zielstrebig, pünktlich, zuverlässig, gewissenhaft, ordentlich... aber nicht als zuvorkommend, weltoffen, freundlich, einladend, herzlich, gastfreundlich. Aber waren wir wirklich anders als all die Jahre zuvor? Nein! Es verging viel Zeit, die ganze Welt war inzwischen eine andere - die Menschen war vernetzter, internationaler, es gab keine Grenzen mehr und Englisch war die Sprache der Jugend...die alle Barrieren zur Seite räumte. Das alles verbunden mit diesem Traumwetter eines nicht enden wollenden Sommers...was alleine schon beschwingt und für Leichtigkeit sorgt.
Wir Deutsche jedoch verfielen einem kollektiven Narzissmus. Die Welt liebte uns - und so durften wir zum ersten Mal ganz ungeniert auch uns selbst lieben. Der Nachholbedarf war so gross, dass wir aus diesem Märchen gar nicht mehr aufwachen wollten. Als wir dann aber aufwachten, relativierte sich so einiges.
Dann kam der Herbst 2015...und wieder war die Welt zu Gast - wieder fielen uns Menschen danbar in die Arme und skandierten >>Germany, Germany
...und wie auf Knopfdruck, war das Gefühl von 2006 wieder da. Aus diesem Ringen um Anerkennung, aus tiefen der Sehnsucht geliebt zu werden, ist wohl inzwischen ein Komplex geworden.
War es ein Fehler die Leute freundlich zu begrüßen? Nein, war es natürlich nicht! Aber aus der latenten Angst heraus schon wieder aus einem Traum erwachen zu müssen, stellte man lieber erst gar keine kritischen Fragen. Es galt die Welt bei Laune zu halten...so lange wie nur möglich. Auch wenn das für manche seltsam klingen mag, aber ich halte das auch für eine Art Egoismus. Natürlich gab es auch Gastgeber ... die über das Klatschen hinaus dachten...die wussten...dass es damit nicht getan ist und jede Medaillie zwei Seiten hat...aber der größere Teil der Menschen bediente einfach nur die eigene Sehnsucht. Das ist kein Verbrechen, aber man sollte daraus lernen. Unter den 1.200.000 Flüchtlingen sind 400.000 arme "Schweine", die wirklich aus einem Kriegsgebiet kommen und nichts anderes im Sinn hatten als ihr Leben zu retten. Sie sind es, die die Suppe der Deutschen nun auslöffeln müssen...da der normale Bürger sie von den anderen nicht unterscheiden kann. Diese Selektion, die man auch als Schutz für die Bedürftigen verstehen kann, hätte der Staat vornehmen müssen. Der Schaden wird nachhaltig und kaum zu reparieren sein.
Aber auch die Bildungsbeauftragten müssen daraus lernen, ein gesundes Maß von Schuld und Sühne finden, den jungen Menschen Dinge aufzeigen worauf sie gerne stolz sein dürfen...die ihnen eine neue Identität geben...die die Vergangenheit nicht leugnet...die es aber ermöglicht dem langen Schatten zu enteilen...ansonsten werden wir noch lange Zeit von einem Extrem zum anderen hangeln.
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