1.Kapitel
Es sollte ein neuer Beginn nachdem ich wieder einmal aus der Welt gefallen. Mich zurückgezogen hatte, besser gesagt in meinem Zimmer gestrandet war und man gut und gerne vorwerfen könnte, dass ich faul war, schlimmer noch ich war süchtig, süchtig nach Computerspielen, gefangen in einer virtuellen Welt, deren Belohnungssystem jenes der tatsächlichen abgelöst hatte, ich jagte nach Gegenstände, nach Schwertern, nach Rüstungen stundenlang, von morgens bis abends. Ich jagte mit Gleichgesinnten, einer kleinen Gruppe, bestehend aus 3 Personen, spielten wir dieselben Levels wieder und wieder. Wir spielten nach Effizienz, nicht nach Spielspaß. Jeder Bewegungsablauf war genau geplant. Jede unnötige Pause, jeder Zeitverlust wurde vermieden.
Der Bildschirm quoll über vor Feinden. Horden von ihnen. Groteske Gestalten, entlehnt aus der Mythologie aller Herren Länder. Mischwesen Aus Mensch und Tier. Dämonen mit fahlen, muskelbekannten Körpern, unzähligen Gliedmaßen oft mit Waffen anstatt Händen. Sie brandeten an uns an, torkelten auf uns zu, sprangen aus dem Schatten heraus. Nur uns konnte das nichts anhaben. Wir schnitten durch sie durch als wären sie Gras und vernichteten Dutzende von ihnen gleichzeitig. Das Spiel zählte mit und je mehr man in kurzer Zeit vernichtete, desto mehr Bonus erhielt man.
Ein Rausch an Farben, die kurz über den Bildschirm blitzten, so viele gleichzeitig, dass man nicht mehr wusste, zu was welche Farbe gehört. Spezialeffekte der Fertigkeiten von uns und der Fertigkeiten unserer Gegner blitzten auf, zu schnell um sie bewusst wahrzunehmen. Das Gehirn schützte sich, war ihnen aber gleichzeitig schutzlos ausgeliefert.
Wir unterhielten uns über TeamSpeak, aber eigentlich hatten wir uns nichts zu sagen. Wir sprachen uns nicht mal mit unseren echten Namen an, sondern mit den Namen unserer Charaktere. Ich wusste die Namen nicht mal oder hatte sie vergessen, obwohl wir jetzt Monate zusammenspielten. Sie interessierten mich auch nicht.
Die Belohnungen kamen wahllos. Jeder besiegte Gegner konnte das erhoffte Ausrüstungsstück fallen lassen. Insgeheim hoffte man darauf, aber eigentlich kam nur Müll. Berge von Müll. Hunderte, tausende Stück von Müll, die man nicht brauchen konnte. Hat man noch Kräfte sammelte man sie ein und trug sie zu einem NPC, was als Abkürzung für Non Player Charakter stand. Dieser entzauberte sie, so hieß es und man erhielt Handwerksgegenstände, mit den man sich andere Rüstungsteil herstellen konnte, die man eigentlich auch nicht brauchen konnte. Das Spiel selbst belohnte einem nämlich fast nie. Manchmal spielte man tagelang ohne dass man etwas Brauchbares fand.
Dem Spiel angeschlossen war ein Auktionshaus, wo Spieler ihre Gegenstände zum Verkauf anbieten konnte, für Sie ahnen es, ebenfalls virtuelles Geld und woher die begehrtesten Ausrüstungsstücke eigentlich kamen. Das Spiel war so erfolgreich, es wurde von Millionen gespielt, dass die Preise astronomisch waren. Ein besonderer Gegenstand, mit den passenden Attributen, die den Spielercharakter stärker machten, konnte hunderte Millionen kosten, ein Vermögen, das man, wenn überhaupt, in Wochen vielleicht zusammen bekam. Spieler machten sogar Videos und stellten sie auf Youtube, wenn sie einen Gegenstand mit fast perfekten Werten erhalten hatten. Diese Videos wurden geteilt in Foren und hatten Millionen Views. Man konnte ein kleiner Star werden hatte man so einen perfekten Gegenstand.
So kam es, dass je länger ich spielte, desto weniger spielte ich, sondern betrachtete die Angebotsseiten des Auktionshauses stundenlang. Ich wurde zum virtuellen Kapitalisten. Hoffte auf Schnäppchen und manipulierte Detailmärkte. Ich kaufte Unterkategorien auf und setzte sie zu einem höheren Preis wieder ein. Ich kaufte am Morgen, da dort die Preise niedrig waren, weil weniger Leute spielten und verkaufte am Abend, wenn auch die spielten, die noch einen Job hatten.
Je länger ich spielte desto mehr entfernte ich mich von der Wirklichkeit und desto schwieriger wurde der Weg zurück. Im Spiel hatte man Status, man kannte sich aus, man hatte sozialen Kontakt, wenn auch verzerrt und, objektiv betrachtet, was ich damals nicht konnte, nicht von Bedeutung, denn das einzige, was uns verband, war unsere Sucht. In der Realität erwartet mich mein Zimmer und meine Eltern, die schon seit Monaten nichts mehr mit mir anzufangen wussten und vor denen ich versteckte, womit ich meine Zeit verbrachte, die irgendwann aber sowieso aufgehört hatten zu fragen.
Ich war vor einem halben Jahr arbeitslos geworden. Ich hatte selbst gekündigt, aber die Firma war ein paar Monate danach sowieso Pleite gegangen. Diese Firma war der Wurmfortsatz der österreichischen Wirtschaft gewesen. Wir wussten nichts, konnten wenig, betrogen oft und träumten gleichzeitig von einer neuen Art des Wirtschaftssystems, indem Kooperation statt Konkurrenz herrschen würde, weil wir nicht konkurrenzfähig waren, indem das Gemeinwohl über dem Profit stehen würde, obwohl unsere Kernaufgabe, darin bestand Leute am Telefon zu belästigen, indem Kredite danach vergeben werden, wie sehr das Wohl der Welt vermehrt wird, weil wir bei Banken heillos in der Kreide standen. Unsere Vorgesetzten waren so beseelt von diesen esoterischen Ideen, dass sie auf das banale Alltagsgeschäft am liebsten vergaßen. Trotzdem die Leute waren nett gewesen, obwohl ich die Leute überall nett fand, den Antrieb meines Lebens besteht darin, irgendwo Anschluss zu finden, irgendwo dazuzugehören. Ich arbeitete dort für 5 Euro die Stunde und setzte mich dafür jeden Tag zwei Stunden ins Auto. Ich konnte mir nur leisten dort zu arbeiten, weil meine Eltern reich waren, denn der Treibstoff für mein Auto fraß den Großteil meines Gehaltes auf. Ich arbeitete dort, weil Arbeiten das Wichtigste in Österreich ist, egal was man arbeitet, nur solange man arbeitet, kann einem keiner besserwisserisch ins Leben hineinreden, denn man stand auf eigenen Füßen. Es spielte keine Rolle was man arbeitete, schon lange konnte es sich Österreich nicht mehr leisten zu fragen, was sinnvoll war, Utopien gab es nicht mehr. Der Markt regelte, was sinnvoll war. Bezahlte jemand dafür, war es sinnvoll. Auch in unserem Fall bezahlte uns Firmen dafür, dass sie diese Tätigkeiten nicht selbst ausführen mussten, weil sie dem Ruf der eigenen Firma schaden würden, weil man Standards nicht garantieren konnte. Wir waren eine Schar von Tagelöhnern, die praktisch jeden Auftrag annahm.
In Österreich wurde man das erste halbe Jahr vom Arbeitsamt in Ruhe gelassen. Jobs gab es nicht, also konnten sie nichts vermitteln, vor allem für einen so oft gescheiterten wie mich, dessen Alternativen, je älter ich wurde, immer mehr abnahmen. Auf mich wartete keiner, anders noch also noch vor 10 Jahren geschienen hatte, als ich gerade maturiert hatte, und die Lehrer und unsere Eltern so taten als stünde uns die Welt offen. Ja, die ganze Gesellschaft tat so, als könnten wir alles werden. Nur die Wahrheit war, eigentlich waren wir gar nichts. Die Matura war in Österreich nämlich nichts mehr wert, zumindest die allgemein bildende höhere Matura. Man konnte studieren und erst damit konnte man etwas werden. Schaffte man kein Studium, so wie ich aus Gründen, auf die ich später noch eingehen werde, war man nichts als ein Universaldilettant. Und man hatte acht Jahre seines Lebens vielleicht nicht vergeudet, aber man hätte besser etwas Anderes gemacht, denn es war ein totes Ende. Die vielleicht beste Option war es, diese acht Jahre zu vergessen und mit einer Lehre wieder von vorne zu beginnen. Nur eine Lehre das konnte ich nicht machen. Mein Vater hatte studiert. Alle meine Cousins und Cousinen studierten. Eine Lehre wäre von vornhinein eine Niederlage gewesen. Obwohl es für mich vielleicht das Passende gewesen wäre. Nur ist unsere Gesellschaft in Österreich so gestrickt: Es gibt jene die denken dürfen und jene die arbeiten sollen, hoffentlich ohne sie viele Gedanken zu machen. Nur braucht es vielleicht nur zehn Prozent von denen, die denken sollen, und die schaffen oft Werke, die von denen, die nicht denken sollen, dann zwar konsumierten werden sollen, aber bitte ja ohne sich darüber Gedanken zu machen. Die Nichdenkendürfenden können aber irgendwann dann gar nicht mehr denken, weil ihr ganzer Arbeitsablauf ja so aufgebaut ist, dass sie unter keinen Umständen denken sollen und der Arbeitsalltag bestimmt bekanntlich den Tag. Irgendwann interessiert sie die große Mehrheit der Nichtdenkendürfenden dann nicht mehr für die Ergüsse der Denkendürfenden und ihre Bücher und Zeitschriften, ihre Musik und Theaterstücke werden nicht mehr gekauft. Worauf ein großes allgemeines Wehklagen beginnt. Von der Kulturlosigkeit der Gesellschaft wird geraunt, über das sinkende Niveau allerseits wird gejammert. Nicht gesagt wird, dass einige doch eigentlich und im tiefsten Herzen recht froh darüber sind, denn so kann man sich mit Niveau, Kultur und Bildung von anderen abheben, sie als Waffe einsetzen, als Mittel mehr Wohlstand, mehr Aufmerksamkeit und ein mehr von eigentlich allem zu erlangen, dabei unterscheiden man sich gar nicht so sehr, man hat nur einen andere Art Dinge anzugehen, oftmals einfach hinterfotziger, versteckter und verschlagener, obwohl man nach außen hin den Toleranten mimt, den Gutmeinenden, aber bitte ja nur in der Fremde, weit weg von einem selbst.
Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus. Es gab keinen äußeren Grund. Keinen Vorfall mit meinen Eltern. Keinen Streit mit meinen Mitspielern. Kein höheres Erkennen, wie sinnlos mein Leben geworden war. Ich hörte einfach auf und fiel ins Nichts. Mein Tagesinhalt war plötzlich nicht mehr existent. Ich hatte nichts, womit ich die ganzen Stunden zwischen Frühstück und Mittagessen, zwischen Mittagessen und Abendessen, die alle meine Mutter zubereitete und die die einzigen Gelegenheiten waren, wo ich mein Zimmer verließ, zu füllen. Ich lag zunächst auf der Couch und starte Löcher in die Luft und widerstand dem Drang den Computer einzuschalten und zumindest nachzusehen wie meine Auktionen gelaufen waren. Es kostete mich viel Mühe und Disziplin, den Automatismen, die sich in den letzten Monaten eingeschlichen hatten zu widerstehen.
Mein Blick schweifte umher und suchte nach Anhaltspunkten, was ich nun tun sollte. Ich sah den Bücherschrank neben dem Kasten, der übervoll war und dessen Inhalt sich von der gesammelten Weltliteratur mit Schwerpunkt Österreich bis hin zum billigsten Fantasieroman erstreckte. Erinnerungen wurden wach, an eine Zeit als ich diesen Traum noch verfolgte und Germanistik studierte hatte, selbst geschrieben, sogar einmal fast einen Preis gewonnen hatte und das erste Mal durchgedreht war. Ich hatte jetzt schon fast zwei Jahre kein Buch gelesen.
In der anderen Ecke stand noch Verkaufskartons von Computerteilen herum, die ich nie weggeräumt hat nachdem ich vor ein paar Monaten meinen Computer selbst zusammengebaut. Ich hatte Blut und Wasser geschwitzt als ich die Elektronikteile eingesetzt hatte und war der festen Überzeugung gewesen, dass ich bestimmt etwas kaputt gemacht hatte, als ich ihn zum ersten Mal eingeschalten hatte, aber er hatte sofort funktioniert. Konnte das auch etwas sein, woran ich anschließen konnte?
Ich wünschte, ich hätte mir mehr Gedanken machen können. Ich wünschte, ich hätte ein Für und Wieder abwiegen können, aber dafür reichte mein Verstand, dafür hatte ich die letzten Jahre zu wenig nachgedacht und mein eigenes Ich zu sehr von mir weggeschoben, als dass ich abwiegen könnte, was mir vielleicht Freude bereiten würde. Ich war mir nicht mal sicher, ob das von Belang war, ob man in der modernen Wirtschaft Arbeit sowieso nie Selbstverwirklichung sein kann und nur solche Dinge bezahlt werden, die die Mehrzahl der Menschen nie freiwillig tun würden.
Ich schaltete den Computer ein und begann zu recherchieren, welche Kurse es gab, welche kurzen Ausbildungen, die ich schaffen könnte, damit ich in irgendwas einen Abschluss hätte und nicht wieder in Call Center landen und meinen eigenen geistigen Verfall zuschauen konnte. Ich stieß auf der Wifi-Homepage auf eine Ausbildung zum Netzwerk-Administrator in Klagenfurt, also in Fahrtdistanz und auf der Homepage den Universität Salzburg auf eine Ausbildung zum Bibliothekar. In Salzburg lebte mein Bruder, deshalb konnte ich mir vorstellen dort zumindest temporär zu leben. Beide dauerten ein Jahr. Ein Jahr kam mir unendlich lang, wo ich in letzten Jahren von Tag zu Tag gelebt hatte und schon lange keine längerfristigen Ziele verfolgt hatte.
Ich druckte beides aus, lies es aufmerksam durch und markierte alle wichtigen Informationen. Ich bereitete mich vor, legte mir Argumentationen zu Recht, denn ich würde morgen zum AMS fahren, egal ob ich einen Termin hatte oder nicht. Ich würde sie überzeugen, so wie das letzte halbe Jahr konnte es nicht weitergehen.
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