Das Gewissen - eine Begriffsbestimmung
Der Begriff stammt aus der Religion, fand im 19. Jahrhundert aber von dort einen Weg zur Soziologie, wurde also verweltlicht. Der Psychoanalytiker Freud beschrieb das Gewissen als ein Resultat sozialer Angst. Was bedeutet das? Es bedeutet nichts anderes, als daß der Mensch aus Gewissen handelt, weil er andernfalls eine Strafe befürchten muß. Der Mensch handelt also nach Freud aus Angst oder unter Zwang, jedenfalls nicht aus freier Selbstbestimmung, wenn er nach Befragung seines Gewissens handelt.
Auch ein anderer Psychoanalytiker, Fromm, definiert das Gewissen als etwas, das über Unlust funktionieren soll. Wie traurig! Wir handeln also nur nach unserem Gewissen, wenn wir etwas tun, das etwas beseitigen soll, das uns Unlust (Schmerz, Trauer, Not…) bereitet. Das Gewissen wird beide Male per negationem definiert. Ich handle aus einer Not heraus, nicht aber, weil ich es wirklich will.
Positiver sieht der Philosoph Heidegger das Gewissen. Er setzt es als ein Apriori, also etwas, was jedem Handeln vorangestellt sein soll. Wertungsfrei, nicht aus Not, nicht aus Zwang, sondern als Voraussetzung unseres Handelns. Er nennt es eine Instanz, die Pflichten erzeugt. Das klingt auch schon wieder nach Nothandlungen, also Zwang. Erziehung und soziale Einbettung des Einzelwesens geben dem Gewissen dann seine spezielle Ausprägung. Ob Gott mit dem Gewissen kommuniziert, die kleine innere Stimme ist, die zu uns spricht und ob damit Fragen der Erbsünde und Schuldverhaftung jedes Menschen verbunden sind, wollte Heidegger nicht behaupten, beschrieb den Begriff und die Auswirkungen des Gewissens aber so. Er behauptete: „Ein Mann, der beständig guten Gewissens alt geworden, sich vieler guter Taten bewußt ist und von Jugend auf sich im freien Umgang mit Gott und seinen Erlöser gewöhnt hat, gelangt zu einer Größe und Freiheit, die nie der größte Eroberer erreicht hat.“
Am harschsten ging Nietzsche mit dem Begriff um. Er verstand seine Philosophie als ein Werkzeug, um den Menschen vom Gewissen, insbesondere dem schlechten Gewissen, dem morsus conscientiae (für Nietzsche eine tiefe Erkrankung), zu befreien. Er glaubte, das Gewissen sei die Folge unserer Erinnerung an einstige Grausamkeiten. So sollen die Deutschen im Mittelalter sehr grausam gewesen sein, was psychologisch gesehen in ihrer Psyche Wurzeln schlug und nunmehr im Zeitalter der Vernunft dazu führte, daß sie sich dieser Grausamkeiten entledigen wollen, indem sie besser, großzügiger, freundschaftlicher, freigebiger oder auch hilfsbereiter als alle anderen sein wollen, um so ihre grausame Vergangenheit zu sühnen. Nietzsche meinte, daß man sich dieses Wehetuns nicht länger erinnern solle und die Vernunft nicht als Magd dieser Grausamkeit anführen dürfe. Gewissen sei ein Instinkt, den es zu überwinden gelte, denn dann erst könne der Mensch frei handeln, sei erst wirklich Mensch.
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