Peter kam immer zwanzig Minuten zu spät, deshalb war ich erst zehn Minuten zu spät nach unten vor meinen Wohnblock gegangen. So blieb mir genug Zeit genüsslich eine zu rauchen. Ich stand da in einem alten, ausgewaschenen Shirt, in kurzer Sporthose und mit meinen zerschlissenen Basketballschuhen an den Füßen. Mit der linken Hand hielt ich den Basketball und die rechte Hand bewegte immer wieder zu meinem Mund, um an der Zigarette ziehen zu können. Ich beobachtete den Verkehr, der an mir vorbeifloss. Viel los war nicht, denn es war früher Nachmittag. Hauptsächlich fuhren Mütter vorbei, die ihre Kinder von der Schule abholten oder zu irgendeinem Hobby brachten. Sie sahen geflissentlich an mir vorbei.
Peters Auto kam über der Kuppe der Straße vor meinem Block in Sicht. Es war so rot wie man es sich nur vorstellen konnte. Ein französisches Auto aus so dünnem Blech, dass man Angst hatte ein Loch reinzubohren, wenn man es berührte. Peter scherte abrupt aus der Straße aus und brachte das Auto ruckartig genau vor mir zu stehen. Er öffnete mir die Beifahrertür, streckte mir die Hand entgegen und begrüßte mich herzlich mit: „Servus Alter“.
Ich schlug ein und entgegnete: „Servus Peter“.
Als ich mich setzte, schoben sich meine Schuhe hinein in all die Abfälle, die im Beifahrerfußraum herumlagen. In die ausgetrunken Red Bull Dosen. Zuckerfrei. Die Bic Mac Kartons und die leeren Zigarettenschachteln. Ich stellte mir vor, es wäre Sand an einem griechischen Strand.
Ab jetzt war ich in seiner Welt, denn Peter lebt irgendwie kaum mehr in unserer Gesellschaft, hatte es aber im Gegensatz zu mir geschafft, sich ein Gegenmodell aufzubauen. Dort war er der König und ich genoss es ein Freund des Königs zu sein.
Peter hatte rotes Haar, Sommersprossen und studierte hin und wieder Jus. Er hatte seine übertriebene Sonnenbrille auf. Das hieß er hatte gekifft. Es war immerhin schon beinahe zwei Uhr. Der Tag war schon lang gewesen.
Peter war mit Miri zusammen, einer Halbspanierin, die aus Wien kam und im Gegensatz zu uns zwei Bauernbuben auf einem Privatgymnasium gewesen war und eine klassische Ausbildung genossen hatte. Miri spielte Geige und Klavier und studierte auch Jus, aber so richtig
Wir ordneten uns wieder in den Fließverkehr ein und fuhren durch das Univiertel. Peter fingerte an der CD-Tasche, die an der Sonnenblende befestigt, war herum. Er wollte mir seine neueste Entdeckung vorspielen. Surfrock aus den 60igern. Musik war ihm wichtig. Er spielte selbst Gitarre und ersann beinahe täglich neue Melodien. Zu ganzen Songs kam es aber meist nicht. Kunst war uns allen irgendwie wichtig. Wir träumten alle davon Künstler zu sein.
Ich beobachtete die Leute an denen wir vorbei fuhren. Im Auto hatte ich immer das Gefühl, dass ich zwar alle sah, aber niemand mich.
In Graz gab es eine Handvoll Plätze, wo man Basketball spielen konnte. Wir hatten uns für einen Platz in einem Sozialprojekt entschieden. Er war am schönsten gelegen, denn daneben floss ein kleiner Bach vorbei, es gab Bäume die Schatten spendeten und die Wohnblocks sahen für mich aus wie die hängenden Gärten von Babylon.
Peter reichte mir einen Spliff, den ich annahm. Ich hatte heute noch kein Gras geraucht und deshalb ein bisschen Kopfweh.
„Gehen wir danach noch zu dir? Die Miri möchte noch lernen, aber ich möchte noch etwas machen. Wir können uns einen Film ansehen. Ich hab aber auch die Gitarre im Kofferraum.“, sagte Peter.
„Ja gerne“, antwortete ich. Ich hatte heute nichts mehr vor. Die Mathehausübung vom Uni-Kurs hatte ich gestern probiert, aber nicht verstanden. Hoffentlich konnte ich mir die Punkte später holen.
Ich brauchte dringend Punkte.
Sofort nachdem Peter das Auto geparkt hatte, schlenderten wir über die kleine Grünfläche hinüber zum Basketballplatz. Dort pfefferte Peter seinen Rucksack auf die Parkbank, schlug mir den Ball aus der Hand und dribbelte zum Korb. Er macht einen Korbleger und rief mir zu: „Alter was ist, brauchst du eine Extraeinladung?“.
Ich grinste.
„Fängst du an oder ich? Winner or Loser’s Ball?“, entgegnete ich.
„Bis zehn. Loser’s Ball. Dann darfst du auch mal. Du fängst an!“, sagte Peter.
Anstatt mir den Ball zuzupassen, rollte Peter in mir ganz langsam über dem Boden entlang zu. Ich hob ihn auf. Peter kam auf mich zu und ging in Verteidigungshaltung über, indem er etwas in die Knie ging und die Arme ausbreitete. Ich wandte ihm den Rücken zu und machte eine Täuschung nach rechts. Peter fiel teilweise auf die Täuschung hinein und verlagerte sein Gewicht auf den falschen Fuß. Ich konnte links an ihm vorbeiziehen. Im letzten Moment schaffte er es aber sich zwischen mir und Korb zu positionieren und ich war zu einem schwierigen Hakenwurf gezwungen. Ich traf trotzdem. Der Ball rutschte mit einem Rasseln durch das metallene Netz des Korbes.
„Glück“, sagte Peter.
Wir gingen aus der Zone raus und ich übergab ihm den Ball.
Peter hatte als Jugendlicher im Verein gespielt. Technisch war er mir überlegen, aber ich war größer und übte zumindest einmal in der Woche. Auch wenn es nur Wurfübungen waren.
Peter zog nach rechts. Er wechselte hinter dem Rücken den Ball von der rechten in die linke Hand. Schöner Trick. Das konnte ich nicht. Ich schaffte es nicht mehr ihn den Weg abzuschneiden. Er machte einen Korbleger mit links. Nur um zu zeigen, dass er es konnte.
Als es acht zu acht stand waren wir beide ganz schön außer Atem. Peter hatte einen ganz roten Kopf und schwitzte stark, was dazu geführt hatte, dass ich nicht mehr ganz so eng verteidigt hatte, da ich seine Schweißsuppe nicht auf meinen Armen haben wollte.
Ich war dran und überlegt, was ich jetzt tun sollte. Ich zitterte vor Anstrengung und kam zum Entschluss, dass ich alles auf eine Karte setzen würde und einen Zweipunktwurf wagen würde. Für alles andere fehlte mir sowieso die Kraft.
Ich dribbelte kurz nach links dann nach rechts und konnte mir etwas Platz verschaffen. Ich stieg hoch, musste mich aber etwas nach hinten fallen lassen, damit ich ganz sicher nicht geblockt werden würde. Ich schaute den Ball nach als er durch die Luft flog und versuchte ihn telepathisch zu beeinflussen, dass er den Weg in den Korb finden würde. Er prallte am Brett ab und fiel genau in der Mitte durch den Ring.
„Zweier mit Brett. Gratuliere. Heute klappt aber auch alles“, sagte Peter sichtlich genervt.
„Glück“, kam von mir
„Ok Pause“, setzte Peter bestimmend an.
Wir setzten uns auf die Bank. Peter holte seine Longpapers aus dem Rucksack und schnorrte sich eine Zigarette von mir. Er riss ihr Papier auseinander und der Tabak rieselt auf das Longpaper. Er streute nur ein bisschen Gras über den Tabak. Immerhin machten wir gerade Sport.
Wir plauderten ein bisschen und überlegten, ob wir gemeinsam am Donnerstag auf ein Heimfest gehen wollten. Peter bot an, dass er eine Frau für mich aufreißen würde. Peter hatte nie Probleme Frauen aufzutun. Ich war mir nicht so sicher. Irgendwie waren wir schon so langsam zu alt für Heimfeste. Außerdem hasste ich das Geschiebe und das Gedränge in den engen Gängen. Da brach bei mir immer die Paranoia aus. In letzter Zeit war ich sowieso wenig ausgegangen. Ich hatte angefangen mich mehr mit Literatur zu beschäftigen und las lieber auf Literaturplattformen im Internet Texte und schrieb hin und wieder Kommentare. Das war angenehm. Man musste nicht vor die Türe gehen und hatte trotzdem das Gefühl, sich mit Menschen über interessante Themen zu unterhalten.
Zwei Männer Mitte Dreißig in Sportklamotten kamen auf uns zu. Sie sprachen uns in schlechtem Deutsch mit Balkanakzent an, ob wir ein Spiel machen würden. Wir sagten zu.
Wir verloren haushoch, obwohl wir zehn Jahr jünger waren. Es war als prallten wir mit vollen Anlauf gegen eine Mauer. Sie waren viel kräftiger und hatten mehr Körperspannung. Irgendwie waren sie immer einen Schritt schneller. Wir machten nur zwei Punkte und die auch nur, weil zwei einstudierte Pick and Roll-Spielzüge von uns aufgingen. Beschämend wenig dafür, dass wir schon so lange zusammenspielten.
Peter kommentierte das ganze damit, dass man das verstehen müsse, am Balkan lernen sie Basketballspielen gleich nach dem Laufen. Die Hackordnung auf dem Court war eben eine andere als in der Gesellschaft. Ich war eher der Meinung, dass es vielleicht auch an den Drogen liegen könnte.
Wir zogen ab.
Wir fuhren quer durch die Stadt in einen Randbezirk. Peter brauchte Nachschub und unser Dealer hatte dort vor kurzem ein schmuckes Haus gebaut. Wir waren zu gute Kunden, als dass wir uns von irgendjemanden im Stadtpark für 10 Euro das Gramm Oregano andrehen lassen mussten.
Der Deal verlief gut. Ein Dealer musste uns einfach lieben, denn wir machten nie Stress. Wir waren sehr gut erzogene Drogensüchtige. Er hatte uns sogar auf einen Kaffee eingeladen. Ich hielt das Gespräch dennoch kurz, denn das Haus war zwar wunderschön, ich fragte mich zwar, was ich alles finanziert hatte, aber wenn er den Mund aufmachte und man seine Zähne sah, war das irgendwie zu viel Realitycheck.
Peter hatte zehn Gramm Dope gekauft. Ich diesmal nur zwei Gramm Gras. Manchmal brauchte ich Gras zum Einschlafen, wenn die Schuldgefühle zu groß wurden. Es fiel mir auch leichter zu lachen, wenn ich geraucht hatte, denn ansonsten war mir klar, dass ich eigentlich wenig Grund hatte, fröhlich zu sein.
Aber eigentlich wollte ich bei Texten auf den Literaturplattformen nicht jeden Absatz dreimal lesen müssen bevor ich ihn verstand, denn Literatur und Gras ergänzten sich nicht. Musik und Gras mag irgendwie funktionieren. Literatur und Gras tat es nicht. Ich hatte mir auch vorgenommen, mehr selbst zu schreiben. Mehr als die paar Absätze, die ich pro Woche schrieb. Auf die ich zwar immer mega-stolz war, denn irgendwie hatte ich immer das Gefühl etwas für die Ewigkeiten zu hinterlassen, wenn ich schrieb, auch wenn es in den Weiten des Internets vielleicht nur ein paar Leser fand.
Als wir in meiner Wohnung angekommen waren, schob ich ein ganzes Backblech voller tiefgefrorener Cordon Bleus und Pommes vom Hofer in den Ofen, denn wir würden bald sehr hungrig sein.
Peter hatte es sich schon auf der Couch bequem gemacht. Er baute gerade den ersten richtigen Joint des Tages. Für mich jedenfalls. Nebenbei erstellte eine Playlist auf meinem Laptop, der am Couchtisch stand. Ich gesellte mich zu ihm, nachdem ich die verschwitzte Sportkleidung gegen normale gewechselt hatte.
„Was magst denn hören?“, frug Peter mich.
„Nix Heftiges“, sagte ich.
„Wie geht es Miri?“, frug ich ihn dann.
„Gut sie macht gerade bei einem Projekt auf der Uni mit, wo sie fiktive Fälle vom europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Kleingruppen verhandeln.“
„Klingt interessant“, sagte ich.
„Naja“ sagte Peter,“ ist ein ziemlicher Aufwand und sie bekommt nur ein paar Stunden dafür.“
Peter reicht mir den Joint.
Ich war mir unsicher, ob ich wirklich rauchen wollte, denn bei Dope schaltete sich mein Gehirn immer wieder eine Zeitlang aus und ich wachte dann erst wieder eine halbe Stunde später auf und wusste nicht genau was in der Zwischenzeit passiert war oder ob ein einzelner Gedanke jetzt wirklich so lange gedauert hatte.
Ich zündete den Joint trotzdem an und zog ein paar Mal, dann gab ich ihn Peter zurück.
Auch bat ich ihn auf die Uhr zu schauen und mir in einer halben Stunde Bescheid zu sagen, damit das Essen im Ofen nicht verbrannte.
Peter zog stark am Joint, legte ihn dann im Aschenbecher ab, schnappte sich seine Gitarre und begann zu einem Song von Ben Harper auf seiner Gitarre mitzuzupfen. Ben Harper war einer unserer Säulenheiligen.
Durch das große Fenster des Wohnzimmers fielen Sonnenstrahlen, die sich schön am Rauch in allen Farben des Regenbogens brachen.
„Wie geht’s dir auf der Uni?“, frug mich Peter.
„Ganz gut.“, log ich.
„Mich kotzt die ganze Burlington-Fraktion auf den Rechtswissenschaften so richtig an.“ , sagte Peter.
„Naja Präsentation ist heute alles. Es ist nicht mehr wichtig, was du sagst, sondern wie du dabei aussiehst.“, antwortete ich.
„Stimmt. Dann passt du mit deinen längeren Haaren und den zerrissenen Jeans ja super rein.“
Peter musste lachen.
„Mein Englisch-Lehrer hat auch lange Haare. Sein Plan ist es uns ein Gewissen einzupflanzen, glaub ich, wir bekommen jedes Mal kritische Artikel über die Globalisierung, über Umweltschutz, Arbeitsbedingungen, Armut usw. zu lesen.“, sagte ich.
„Wie heißt der?“
„Smith. Das ist schon der dritte Kurs, den ich bei ihm mache.“
„Ihr müsst drei English-Kurse machen?“ frug Peter.
„Nein. Ich mach den freiwillig. Mal schauen wie ich ihn mir anrechnen lassen kann.“
Das Dope begann zu wirken. Alles rückte bedrohlich nahe und meine Gedanken verstiegen sich in Kaskaden
„Eine halbe Stunde ist um.“, sagte Peter. „Zeit zum Essen holen“
Ich verlief mich fast in der Wohnung als ich in die Küche ging und frug mich dort kurz, warum ich jetzt eigentlich hier war.
Während des Essens sahen wir uns Fear and Loathing in Las Vegas mit Johnny Depp an und rauchten noch einen Joint. Wir sahen uns oft Fear and Loathing an oder The Big Lebowski. Die Filme dauerten immer ewig lang.
Wir aßen wie die Tiere. Das Essen wurde im Mund immer mehr und ich hatte Probleme zu schlucken. So kam es mir jedenfalls vor. Aber es schmeckte so unendlich gut und es war so interessant seinem Körper dabei zuzuschauen, wie er aß.
Ich wusste nicht mehr, wie spät es war, aber irgendwann frug mich Peter ob er hier schlafen durfte. Er wollte keinen Stress haben mit Miri.
Im Wohnzimmer stand auch ein Gästebett, also war das kein Problem. Wir waren viel zu stoned um noch aufzubetten. Peter schnappte sich einfach die Couchdecke und legte sich aufs Bett. In seiner ganzen Kleidung.
Ich schaltete den Fernseher aus und ging in mein Zimmer. In mir drehte sich alles und mir war echt schlecht, trotzdem schwor ich mir, morgen in der Früh aufzustehen, denn morgen hatte ich Englisch. Es war der einzige Kurs, bei dem ich noch nicht mehrfach gefehlt hatte. Ich wollte gerade diesen Professor nicht enttäuschen.
Ich frug mich als ich einschlief, ob ich, wenn ich Miri als Freundin hätte, auch etwas tun würde, das verhinderte, dass ich neben ihr schlafen dürfte. Neben ihr zu schlafen, würde aber nie passieren. Miri hasste mich. Sie gab mir die Schuld, dass Peter so viel kiffte.
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