Am 9.12.2004 führen wir nicht nur die erste LITE-NITE nach über einem Jahr durch, sondern haben auch in Erfurt eine Lesung zu bestreiten. Genauer gesagt, wir müssen eine Buch-Premiere durchführen. Rüdiger Bomberg hat das Erfurter Mundart-Wörterbuch fertiggestellt. Die in Errfurt ansässige "Thüringer Allgemeine" fördert dieses Projekt (zwar nicht finanziell, aber logistisch). So werden wir am 9.12. im Lese-Cafe am Anger die Premiere durchführen und haben als Stargast den Erfurter Kabarettisten Ulf Annel geladen, der ein paar Anekdoten zum besten geben wird. Der Bürgermeister will auch kommen. So so. Ich selbst werde in Magdeburg sein und die LITE-NITE machen, habe aber ein Grußwort geschrieben, das mein Kumpel Uwe Schmidt vortragen wird, wenn er sich denn traut.
Rede zur Buchpremiere
"Erfurtsch-Deutsch"
Es hat eine Weile gedauert, aber nun können wir den Erfurtern ein besonderes Stück Heimat schenken, ihre in Leinen gebundene Sprache. Sie ist nicht vollständig, 138 Seiten reichen dafür sicherlich nicht aus, aber wir haben einen Anfang gemacht und fordern Sie als Interessierte und Heimatverbundene auf, dieses Büchlein Jahr für Jahr ein wenig wachsen zu lassen.
Nichts wäre schlimmer, als wenn in diesen Zeiten der Globalisierung eine uniformierte Sprache die in Jahrhunderten gewachsenen Dialekte wegfegen würde, weil irgendeine Bürokratie in einem fernen Bürogebäude es für nützlicher ansieht, Kindern in der Schule ihre Muttersprache wegzustreichen, ihnen einzubleuen, daß sie nur dann eine Chance auf dem Arbeitsmarkt hätten, wenn sie sich pfleglich-uniform ausdrücken können. Das ist Pillepalle. Viele verwechseln hier Mundart mit schlechtem Deutsch. Das ist aber ein Unterschied. Es gab keine Zeit in Deutschland, in der die Sprache von oben bestimmt wurde, warum sollte das jetzt im Zeitalter eines zusammenwachsenden Europas anders sein? Weil wir uns den allgemeinen Gepflogenheiten anpassen sollen? Nun, machen wir, wir sind ja nicht von gestern. Aber wenn wir den Anzug dann ausziehen und die Pantoffeln an, dann wollen wir so sprechen, wie es uns paßt, vor allem untereinander. Und sage keiner, das sei kleinbürgerlich! Wer Goethe heute reimen hörte, der würde sich wohl baß auf den Hintern setzen. Schiller legte bis an sein Lebensende sein Schwäbisch nicht ab. Das waren wohl alles Kleinbürger? Nein, meine Damen und Herren! Seien wir mutig und reden wir so, wie uns der Schnabel gewachsen ist. Das Mundart-Wörterbuch soll uns dabei helfen, längst vergeßne oder verdrängte Wörter aus der Kindheit und Jugend wieder einmal zu lesen, uns auch zu erheitern und sie sollen bei dieser Wiederentdeckung unser Selbstwertgefühl steigern. Das Erfurter Deutsch muß sich vor keinem anderen Deutsch verstecken, im Gegenteil, durch die reiche Geschichte Erfurts ist es gegenüber den umliegenden thüringer Landschaften sogar von einer größeren Reichhaltigkeit, es trägt preußische wie rheinfränkische Einschläge: Potsdam und Mainz haben in der Stadt ihre Spuren hinterlassen, auch ihre Sprache mitgebracht.
Zwei Beispiele: wäisäng (wahrhaftig) ist ein Wort aus dem Rheinfränkischen, kam also durch Mainzer Beamte irgendwann nach Erfurt; Rotzgieke für tropfende Nase dagegen ist eher auf norddeutsche Herkunft zurückzuführen, wird also seine Herkunft in der preußischen Besatzungszeit haben.
Mit dem Mundart-Wörterbuch von Rüdiger Bomberg aus Erfurt gehen wir ein Stück in die Richtung, die zur Tradition führt, die uns daran denken und vor allem die es uns hören läßt, woher wir kommen und wer wir sind. Und diesen Weg müssen wir schon gehen, das sind wir unseren Eltern und unseren Kindern einfach schuldig. Wir dürfen bestimmte Traditionen einfach nicht abbrechen lassen, sonst gehen sie verloren. Aber ich will jetzt nicht polemisieren. Ich hoffe aber, Sie haben verstanden, warum sich ein junger und dynamischer Verlag wie der Verlag Schwarzes Pferd dieses Themas annahm.
Die Zusammenarbeit mit Herrn Bomberg erwies sich anfangs als schwierig; geschäftliche Verpflichtungen und Schwierigkeiten ließen das Projekt nahezu scheitern. Doch Herr Bomberg ließ nicht locker und schließlich fanden wir, der Lektor Herr Knorr, seine Assistentin, Fräulein Kilian und der Autor selbst zueinander und konnten das Projekt nach über anderthalb Jahren Arbeit zu einem erfolgreichen Ende führen. Vor Ihnen liegt es nun, das Erfurter Mundart-Wörterbuch. Es ist ein guter Anfang. Haben Sie recht viel Freude damit
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