Mein Zimmer
Eine rechtwinklige Schachtel mit einem Nordfenster ist mein Zimmer. Nach all den Lebensjahren freiwillig beschränkt auf den Vorläufersarg mit einigen Utensilien, die der Ausstattung ägyptischer Königsgräber in nicht sehr vielem nachstehen.
Durch das Nordfenster kommt der Tod. Mit dem Morgenlicht grüßt er schon und ich zwinkere ihm zu, sage: jaja - heute nicht. Er behält mich im Auge und so Aug zu Aug lebe ich sehr fröhlich. Ich habe keine Vorhänge, denn es gibt nichts ein- oder auszusperren. Vor dem Fenster blüht ein Jasmin oder blühte und blüht nicht mehr. Der Ausblick ist verwachsen, doch dahinter sind die schrägen Fenster eines Alterswohnheims treuer Dienerinnen des Herrn. Man sieht sie nie, deren Bescheidenheit und stilles Warten bereits ihr Leben als Vorbräute bestimmt hatten. Ich aber weiß, daß jedem heiligen Ort benachbart die Dämonen in den nächsten Häusern sitzen und ich kenne die meinen gut. Im Jasminstrauch sitzen sie und sind lustige Trolle, die mir so manch wundersame Geschichte aus der Hölle erzählen und ich füttere sie mit meinen Träumen, werfe ihnen die spärlichen Almosen zu und kreischend stürzen sie sich darauf. Eigentlich träume ich nur noch für die Trolle, ihretwegen, denn für mich haben sich alle Träume längst verwirklicht. Ich lebe das ereignislose Leben eines verwirklichten Traumes, bin bei mir, bin frei, bin verliebt und werde geliebt. Habe alles, um es mitzunehmen ins Jenseits. Habe nichts, das ich hierlassen müßte. Ich bin wirklich frei.
Ein schwarzer Koffer steht gleich unter dem Fenster. Dort hinein legte sich meine Zukunft. Jederzeit aufbruchsbereit, greiffertig mir zuhanden. Geld, Papiere, Kleider - was das Außen so vorgezeigt bekommen möchte. Ich bräuchte davon nichts. Baute auf mein Wesen, welches überall gern gesehener Gast, käme ich auch mittellos und nackt. Ich kenne die Freude über meinen Anblick. Ich muß sie derzeit freien Willens verwehren, doch deshalb fällt es nicht schwer. Den anderen sind die Vertröstungen schwerer und mein Trost ihnen gewiß.
Links neben dem Fenster beginnt die Kommandozentrale für Welt. Der Mittelpunkt des Spinnwebs. Der aufsteigende Punkt des Rauchs im Zimmer. Mein Kopf meist darübergeneigt, mich aussaugend um zu geben. Die Funkantenne ins All. Die Empfangsstation. Hier starten die Visionen, aber enden nicht, denn die Interferenzen wellen sich bis Finisterrae. Ich habe meinen Mann in der Außenpolitik, im Vatikan, in der Wirtschaft, in der Justiz. Aus der selben Alma gekrochen kostet mich Einfluß nur ein Telefonat. Ich übe ihn nicht aus - wozu. Die Dinge zu lassen ist groß. Zuzusehen, wie sie sich nachfolgen im ewigen Kreislauf, wie Fehler von der Redundanz des Seienden aufgehoben werden, wie ein kleiner falscher Ton eines Bläsers in der Symphonie. Fehler sind nicht entscheidend. Das redundante Kreisen ists. Ein unablässiges Tun. Und es wird getan auch ohne mich. Zum Glück, denn ich möchte nicht. Mein Teil sind Visionen, Sehen. Nicht den Blick möchte ich mir verstellen durch ein Verfolgen meines Tuns.
Ein großer Schreibtisch also trägt meine Ellenbogen und die Technik, ein wahrlich guter Sekretär.
Darüber eine Korkwand. Darauf finden sich Termine, die ich nicht wahrnehme, Einladungen, die ich ablehne, Verpflichtungen, in die ich einbezogen bin, da sie meine Kinder betreffen. Eine Erinnerung an meine Kinder, die noch einige Jahre über der Welt stehen. Fotos von ihnen, daß ich ihre Entwicklung sehe, doch schon sind sie weiter als ich, haben einen schwierigeren Radius an Leben auszufüllen, den ich nicht mehr betreten werde. Für den ich sie präparierte bis zu ihrem zehnten Jahr. Von diesem Grund aus leben sie und das gut. Mich eingeschlossen, die in der Stäte sie kräftigt und läßt.
Die hohe Zimmerdecke ist teilweise von Spinngewebes feiner Fäden bezogen auf weißer Wand. Papier darüber zu ziehen, erschiene mir ein Puppenhaus innen beklebt. Nein, nein: die Reflektoren meiner Gedanken müssen grundsätzlich klar sein, nur bezogen von Fäden der Vergänglichkeit und den Augen des Todes, den Kringellöckchen der Dämonen.
An die Kommandozentrale schließt sich die unendliche Weite eines himmelblauweißen Schranks, innen verspiegelt das massive Holz, mit drei Fächern aus Glas, die meine zusammenlegbaren Kleider tragen, zwei milchigweiße Schubladen. Eine für mich, eine für den Liebsten. Was ich nicht habe, finde ich bei ihm und umgekehrt. Darunter ein Flaschenregal für Weine, Bomben und Feuerwerk, daneben ein hohes Fach meiner Stiefel.
Ein mediterraner Pinienschrank ist das und doch von bayerischem Himmel. Man zieht sich an und sieht sich durch.
Meine Kleider sind beige, schwarz und weinrote Stapel: ich greife hinein in meiner Nacktheit und finde das Passende, dazu Tücher um Kopf und Hüfte, Ketten und Ohrringe, Parfum und Duftöle, die gleichzeitig meine Apotheke darstellen.
An seine Seitenwand ein türkises Strohreg?lchen angelehnt. Dort Bücher und meine Sudelbücher, unordentlich zwischen Fotos, Flöten, Kleinreliquien und Kunstrosen mit roten Bändern gebettet. Ein schnurloses Telefon, ein schnurloser Zugangskasten ins Netz. Zwei Kindercomputer im Zwischenorbit von nichtmehr und nochnicht. Unten Staub und Hundehaar einen Sternenteppich weben.
Dann kommt die Tür. Und endlich, endlich spricht sie. Je langsamer man sie öffnet, umso mehr Laute. Längst nicht mehr ein ordinäres Quietschen, sondern vielmehr eine differenzierte Klanggebung, die ihren Mut oder Unmut ausdrückt, ein Lachen oder ein Seufzen. Ich öffne sie mit Freude und Neugier, schließe sie möglichst langsam, um viel von ihr zu hören.
Den Eckpunkt dieser langen Seite des Zimmers bildet ein weingrüner Kachelofen. Anteil am beigen Kachelofen des benachbarten Zimmers, ehemals von Zeitungen und Holz gefüttert, entnimmt er heute seine Wärme einem Gaskern, bullert und spricht, knarzt und schimpft, tönt seinen Baß durch die Nacht noch lange nach dem Abschalten. Darauf steht ein silberner meterhoher Kandelaber mit fünf Kerzen, die in der Höhe, der dortigen Hitze geschuldet, seltsame Verbiegungen eingehen wie alte Tulpen, dennoch entzündet werden und nunja fünf Lux Romantik einwerfen.
Die kurze Seite deckt die Wand hoch rosageblümt, sehr hell und milchig, eine indische Decke. Darunter ein grünes Bett mit drei Matratzen übereinander und einem Kelim in altrosa. Zwei Kissen mit lateinischer weicher Aufschrift und eine weinrote Samtnackenrolle: Ridebo. Ein weiterer Teppich als Zudecke.
Die lange Seitenwand, die sich Richtung Fenster wieder anschließt, bedecken über dem Kopfende des Bettes zunächst Bilder bis unter die Zimmerdecke. Eine Raucherin in Gesellschaft, die Schwester Frida Kahlos vor Kallas, eine arabische Sure unter Glas mit Uhr, die Nackten im Freien Monets. In der Ecklinie Rosen.
Es schließen sich f?nf Regale mit Büchern an. Die andere Seite der Welt. Zimmerdeckenhoch Gedankengut, gesammelt, gelesen, nicht aussortiert. Ein ewiges Suchgebiet mir, die ich weiß, ein Buch zu haben, es dort aber fast niemals wiederzufinden. Dafür stets überraschende Griffe ins Regal, die mich für Stunden unschädlich aufhalten. Und wie kleine Gischtkronen auf den Bücherhäuptern Regalien und Regalandien, im kurzen Moment hineingepresst und nie wieder hervorgeholt. In der Liebesecke gedoppelt. In Nähe des Fensters zwei Segelschiffe, eines bronzefarben und eines mit Tuch, reich schwillend auf großer Fahrt in die Reichtumsecke obenauf. Dort anschlie?end goldene kleinkindgroße musizierende und träumende Engel neben der Reichtumsschale vom vorletzten Jahr. Das letzte Regal an der Stirnseite der kurzen Wand, Lyrik nur und CDs, rechts neben dem Nordfenster und dem Jasmin.
Vor den Regalen bettgroße Fotobretter: die Geliebten, die Vorbildschriftsteller, die Ahnen. Sie stehen auf dem Platz der Unterstützung. Sie unterstützen.
Und in der großen Zimmermitte Parkett, das gute alte Holz, mit dem Besen zu fegen, auf dem ich nie reite. Hoch darüber ein kleiner dreistrahliger Kristallluster, Reittier der Trolle, Erdenleiterausgangspunkt. Dort liege ich manchmal darunter im Probeschlaf und es fühlt sich gut an, springen mir die Dämonen auf die Brust. Welcher Pharao reiste besser.
Lesezeichen