Es gilt endlich Einfühlungstechniken zu erlernen. Es gilt, die Künste zu stärken. Ansonsten sind wir verloren.
Wir sind eine zeugungsunfähige Gesellschaft geworden, eine Gesellschaft aus Gesellschaftern, die sich nicht selbst verwalten, sondern die der Urschrei nach der Fremdbestimmung stimmt. Unsere Tonlagen richten sich nach dem vorhandenen oder nicht vorhandenen Geld. Dort wo wir nicht mehr in der Lage sind den Unterbau der Transzendenz zum Überbau zu machen, dort ist Europa, mindestens aber Deutschland. Und da wir schon immer die metaphysische Reife besessen haben, dem Bösen einen mythischen Anstrich zu verpassen, werden wir es auch dieses mal wieder schaffen (gar vollbringen) uns zu Füßen dessen zu werfen, der uns ökonomisch bändigt. Kurz gesagt: die Deutschen sind billig zu haben.
Es ist die Sucht nach der scheinbaren Stärke, nach den destruktiven Kräften, die uns immer wieder ereifern lassen. Ob Hitlersucht oder Marxtreue: die Menschen fordern sich nicht ein, viel eher fordern sie die Unterforderung als Überforderung zum Prinzip zu erklären. Nicht nur, daß die Deutschen bisher kaum als Demokraten bezeichnet werden können, sind sie auch nicht in der Lage, die eigenen Schatten als narrative Spielbälle konstruktiv einzusetzen. Wir sollten nicht nur schal und blöde gen Amerika starren, sondern uns der dort innewohnenden Demokratiekräfte (die momentan ausgepowert wirken) bewusst werden. Um es mit Richard Rorty zu sagen: Der Roman "Onkel Toms H?tte" hat mehr für die Verbreitung der Menschenrechte getan als der Kategorische Imperativ!
Es geht nicht um Aufklärungsgesten, die, wir wissen es nicht nur seit Adorno und Horkheimer, immer Gefahr laufen, dem Mythos wieder zuzufallen und somit dem Faschismus, dem üblen Gegenstück der Ironie. Es geht um die Einfühlungstechniken, die uns im speziellen die Künste offerieren. Sie sind es, wenn sie nicht potenziell ebenso mythologisch-faschistisch der eigenen messianischen Darstellung dienen, die uns durch die vorübergehende Möglichkeit der Identifikation zur Teilhabe einladen. Kunst kann befreien. Sie kann aber auch fangen und befangen. Sie muß stets und immer den Zug in die Ironie besitzen. Ansonsten ist sie Weltbild. Und eben diese Weltbilder gilt es stets und immer wieder zu zertrümmern. Literatur muß daher die Aura einer lachenden wie weinenden Trümmerliteratur besitzen. Sie muß sich selbst in einer stetigen Aufgabe befinden, muß aufgeben können. Denn Aufgabe ist Weitergabe.
Die reine Möglichkeit zur Transzendenz ist nicht alles. Erst die Einbindung der kindlichen Möglichkeiten, der Momente des abstrusen Spiels mit sich und den anderen, befähigt uns zum befreienden Lachen. Lachen ist Aufatmen. Lachen ist Heimat. Und diese Heimat ist in den heimatlichen Gefilden nicht anzutreffen. Armes Deutschland! Ernstes Deutschland!
Der Kriminalroman zum Beispiel, der als oft verkauftes Gut, alle Möglichkeiten der wichtigen Literatur besitzt, in ihm glimmen nicht die metaphysischen Kräfte, die das deutsche Wesen immer wieder einfordert für ihre Künste. Aber gerade in ihm walten und schalten die Möglichkeiten der Veränderung. Der Kriminalroman kann psychologisieren, und dies mit der Wucht des multiplen Seelendaseins eines Autoren. Der Kriminalroman kann alles sein: Farce, Burleske, Gesellschaftsstück, Komödie, Tragödie. In ihm wütet der Mensch. Kunst als Befindlichkeitskur.
Beschäftigen uns solcherlei demokratische Urprozesse? Nein! Wir proben lieber den Aufstand, den wir dann von einem anderem aufführen lassen. Wir wollen uns nicht verändern. Und dies ist unser größtes Problem.
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