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Griechische Klassik (II)

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  • Griechische Klassik (II)

    Dieser Ordner setzt den Ordner aus dem alten Forum fort.

    Odysseus und die Liebe.
    Mich hat es immer wieder erstaunt, wie modern Odysseus war, geradezu postmodern. Es scheint ihm nichts auszumachen, mit Kirke oder Kalliope herumzubandeln, also Penelope mit diesen Frauen zu betrügen, um dann andererseits Penelope als diejenige zu preisen, derentwillen er nach Hause will. Von Penelope ihrerseits erwartet er unbedingte Treue - auch zwanzig Jahre nach seiner Abkunft gen Troja.
    Nausikaa zählt bei der Aufzählung seiner strukturimmanenten Untreue nicht, denn Odysseus war, als er sich von ihr umgarnen ließ, nicht im Vollbesitz seines Verstandes. Als ihm dämmerte, wer er ist, verließ er Nausikaa sofort. Überhaupt, dieses ständige Verlassen gehört zu seinem Naturell. Er kann am Strand stehen und um seine Liebe wissen, zugleich aber zieht es ihn in die Ferne. Ein zerrißner postmoderner Charakter.


  • #2
    Man sagt immer, in der Antike habe es kein Raumempfinden gegeben, dieses sei erst in der Renaissance entwickelt worden. Das würde zumindest erklären, warum die Griechen alle anderen als Barbaren bezeichneten. Sie meinten das gar nicht rassistisch, würde man heute sagen, sondern eher so, als daß sie sich als Inhäusige auffaßten, die in einem Raum lebten, einer riesigen Höhle, einem Mutterleib, einem Uterus, während die anderen eben außerhalb waren und deshalb Fremde, Barbaren genannt wurden. Es war nicht nur die Sprache, auch der Götterhimmel, auch die fehlende Begeisterung für Fisch (warum aßen die Griechen keinen Fisch?), auch das Fehlen eines Priesterstandes... Der Raum wurde von innen wahrgenommen; sie schauten nicht von außen darauf.

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    • #3
      Gängige Lesart in bezug auf das Auftreten Dionysos' ist seit Klages, daß er eine Art von Rückschritt für die griechische Denkweise bewirkte, weg vom rationalen Erfassen der Welt hin zu den Leidenschaften, der Orgie, zu den Sinnen, aus der Geistigkeit in den "Urgrund des Lebens", wie Klages das ausdrückte. Zu kurz gedacht. Die Orgie ist das Ursprüngliche; der Geist, die Entwicklung desselben, die ratio, ist seine Negation. In Dionysos fließt beides zu einem Dritten zusammen, die Negation der Negation. Es entsteht das Drama. Genau so ist es. Das auf ein Ziel gerichtete Tun des Menschen wird nur dann erreicht werden, wenn Leidenschaft und Verstand zusammenwirken. Und eben darin liegt auch die Tragik des Menschengeschlechts, daß eben dies nur mit Hybris verbunden werden kann, die den Menschen dann zu Fall bringt resp. wodurch er zu Fall gebracht werden muß.

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      • #4
        Eine meiner festen Überzeugungen bestand bis heute darin, daß ich glaubte, Kultur könne nur in Kleinstaaten gedeihen. Die Belege scheinen schlagend: Griechenland = Kleinstaaten; Italien = Kleinstaaten; Rom als Großstaat brachte keine eigene Kultur hervor, nur Zivilisation; das Reich als Sammlung vieler Kleinstaaten = Kultur; Amerika als Großstaat - keine Kultur, nur Zivilisation; China war kulturell groß, als es aus kleinen Staaten bestand, als Kaiserreich oder heutiger Staat dagegen keine Kultur, nur Verwaltung, also Zivilisation; auch England war nur dann Kultur, als es noch nicht groß war und sich im London der Shakespeare-Zeit (da war London viel kleiner als Mailand oder Paris) eine literarische Blüte erhob... Alles Belege für meine Auffassung, die auch Leute wie Buckhardt oder Nietzsche teilten, aber es gibt eine Ausnahme, die mich nachdenken läßt: Frankreich von 1650 bis 1800. Da gab es den großen Staat und da existierte neben der Zivilsisation des ancien regime auch Kultur, die nicht nur stilbildend, sondern geistig-ästhetisch Maßstäbe setzte. Also ist Frankreich nun die Ausnahme, die die Regel bestätigt oder kann Kultur auch in Großreichen entstehen?

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        • #5
          Mutmaßung: die französische kultur, die du ansprichst, wuchs schon lange vor 1650, als das frankenland noch aus kleinen stämmen und reichen bestand. Kultur entsteht ja selten von heute auf morgen, sondern erwächst über viele jahrzehnte/-hunderte aus traditionen der vergangenheit.

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          • #6
            Russland ist ein Gegenbeispiel. Aber es lässt sich logisch erklären...warum ein Großreich eher arm an Kultur ist - Imperialisten, Diktatoren und Autokraten haben selten ein Interesse an einer lebhaften Kultur. Kultur verbinden sie mit Boheme und Boheme mit Opposition. Darum hatten auch die Osmanen einst den Kaffee verboten - es störte sie weniger der Kaffee als solcher...sondern viel mehr der "Kult" drum herum...also die Tatsache, dass die Menschen beim Kaffee über den Sultan lästerten. Und auch A.H. zerstörte auf seinem Weg zum Führer eines Großreiches zuerst einmal die Kultur.

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            • #7
              Nein, an den Diktatoren liegt es nicht, vielleicht ein bißchen. Im Gegenteil: Gerade in den italienischen Kleinstaaten waren eher Leute vom Schlage eines Il Principe an der Macht. Denke nur an die Borgias in Florenz! Wichtiger scheinen mir andere Dinge zu sein: Stabilität, Geld, die Hochachtung der Leistung... Rußland aber hatte ich tatsächlich vergessen: Das 19. Jahrhundert war für Rußland ein immens gutes Jahrhundert hinsichtlich der kulturellen Entwicklung. Vergesssen wir aber für Rußland auch nicht, daß 90% der Bevölkerung Bauern waren, die meist nicht lesen und schreiben konnten, sich die kulturelle Entwicklung also hauptsächlich bei einer kleinen Schicht Intellektueller abspielte, die vom prosperierenden Bürgertum und zahlreichen Adligen bezahlt werden konnten, ganz abgesehen davon, daß in den Hochzeiten der Kultur der hungerleidende Künstler quasi zum Interieur gehört.
              Daß Rußland nicht besonders hochentwickelt worden ist, belegt eine hübsche Aufnahme mit Manfred Krug:



              Andererseits dürfen wir uns auch fragen, ob Kultur sich nicht immer nur bei den Eliten entwickelt. Wenn wir die Kulturstufe eines Volkes also messen wollen, so müssen wir uns die Leistungen der Eliten anschauen. Und das wiederum spricht für Kleinstaaten. Das andere nennt sich Zivilisation.

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              • #8
                Es stellt sich heute immer mal wieder die Frage, was wir von den Klassikern lernen könnten. Das Problem beschäftigte auch Winckelmann, Hölderlin, Schiller, auch Goethe und v.a. Humboldt, um nur einige wichtige Vertreter aus unserer Klassik zu nennen.
                Die Frage läßt sich auch anders stellen: Worauf muß es dem Dichter ankommen? Was will er bei seinem Publikum erreichen? Ich glaube, an seinen Zielen hat sich seit es Dichter/Künstler gibt, nicht vieles geändert. Der Dichter will immer noch die Phantasie seines Publikums anregen, aber nicht nur das, sondern er will auch Empfindungen vermitteln und auslösen, schließlich, und das wird wohl das Höchste sein, was er erreichen kann: er will Begehren auslösen, intellektuelles und körperliches. Also ist die Form wichtig, denn unsere Sinne nehmen zuerst die Form wahr. Die Form aber bedarf der Kunst, des Könnens. Die Form ist ein anderes Wort für Schönheit. Wirklich?

                Wir schauen uns die idealen Formen bei den Griechen an. Sie sind schön. Zweifellos. Aber wecken sie in uns jenes Begehren, das uns streben läßt, Kunst machen läßt, Erkenntnis sammeln läßt? Was kann Begehren wecken? Der Dichter dagegen steht in der Wirklichkeit. Wirklichkeit ist etwas anderes als Realität. Die Wirklichkeit ist v.a. Prozeß, die Realität ist v.a. Sein. Das Poetische entsteht aus der Wechselwirkung von Wirklichkeit und Formwillen. Kein Dichter steht neben der Wirklichkeit und flüchtet sich in eine Scheinwelt des bloß Sagbaren. Der Dichter nimmt jenes Sagbare, wandelt es in die Metapher und löst beim Publikum etwas aus, nämlich Verständnis, Freiheit... Nein, das ist dann Schiller. Aber die Griechen haben uns den Weg gewiesen. Wir müssen ihn von Zeit zu zeit nach-denken.

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