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Poesiewürdigungsstuhl (II)

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  • Poesiewürdigungsstuhl (II)

    Fortsetzungsordner aus dem alten Forum
    Heute noch mal Agnes Miegel: Diese Frau muß ein Orkan gewesen sein. Textbeispiel gefällig?

    Ich bitte dich, Herrgott, durch Christi Blut,
    Bewahr' mir meinen Liebsten gut!
    Ich bitte dich, Herrgott, aus Herzensgrund,
    Daß mich mein Liebster küßt auf meinen Mund!
    Kniefällig bitt' ich dich, bei meiner Seligkeit,
    Gib, daß er stirbt, wenn er ein' andre freit.


    Auf Vorschlag Börries von Münchhausens, mit dem sie eine vorübergehende Liebesbeziehung eingeht, erscheint 1901 ihr erster Gedichtband. Münchhausen konnte sie nicht erfassen. Sie wollte mehr als einen Mann. Sie fand eine Frau: Lulu von Strauß und Torney, die sie aber nicht erhören darf und den Verleger Diederichs heiratet. Trotzdem bleiben die beiden Frauen lebenslang miteiander befreundet.
    Im Oktober 1906 ändert sich ihr Leben grundlegend: Sie muß zurück zur Familie, da sich der Zustand der Mutter dramatisch verschlechtert hat und überdies ihr Vater erblindet. Während der nächsten zehn Jahre bis zum Tod des Vaters 1917 schreibt sie nur wenige Gedichte, liest aber viel, um sich weiterzubilden. Angeregt durch die Erzählungen des Vaters wird sie zur überzeugten Ostpreußin, was deutliche Spuren in ihrem Werk hinterläßt.
    Nach dem Ersten Weltkrieg steht Agnes Miegel vor dem Nichts. Sie hat keinen Beruf, kein Einkommen, kein Vermögen, aber Freunde vermitteln ihr einen Posten bei einer Zeitung. In den kommenden Jahren schreibt sie hunderte Artikel zu verschiedensten Themen, 1926 dann ihre legendären Geschichten aus Alt-Preußen, die sie als Schriftstellerin bekannt machen. Seit ihrem 50. Geburtstag 1929 erhält sie von der Provinz Ostpreußen einen Ehrensold. Schon 1916 hatte sie gemeinsam mit dem Arbeiterdichter Heinrich Lersch den Kleist-Preis bekommen. Bei der Königsberger Kant-Feier 1924 wird ihr das Ehrendoktorat verliehen, 1932 erhält sie die Goethe-Medaille von Präsident Hindenburg. Sie wird also schon lange vor der NS-Machtübernahme gebührend geehrt und erhält auch nach Kriegsende den Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste und 1962 den Westpreußischen Kulturpreis. 1961 besucht sie der Berliner Bürgermeister Willy Brandt.
    Im Februar 1945 flieht Agnes Miegel über die Ostsee nach Dänemark, wo sie bis November 1946 im Lager Oksbøl interniert wird, ehe sie nach Deutschland zurückkehren darf. Von Mai 1948 bis zu ihrem Tod am 26. Oktober 1964 wohnt sie in Bad Nenndorf in Niedersachsen. An ihrem Begräbnis nehmen unzählige Trauergäste, darunter auch etliche Vertreter der Ministerien, der Verbände, von Schulen und Universitäten teil.
    Sie war keine Parteigenossin der ersten Stunde, trat erst 1940 der Partei bei. In ihrem Werk finden sich jedenfalls keinerlei antisemitische, rassistische oder sonstige nationalsozialistische Passagen. Ja, sie hat einige nicht sehr bedeutende Gedichte auf den „Führer“ geschrieben, die freilich ganz anderer Art sind, als die der „Sänger der Bewegung“. (Quelle)


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  • #2
    Loriot, ein deutscher Held. Er diente im letzten Krieg als Panzergrenadier und erhielt das EK. Nach dem Krieg studierte er Graphik. Seinen präzise gezeichneten Figuren legte er freundlich im Ton, in der Sache aber pittoreske Bemerkungen in den Mund, die das kuschelige Äußere liebevoll ergänzten. Das war das Erfolgsrezept, mit dem Loriot (z.dt. Pirol) fünfzig Jahre reüssierte, im Fernsehen, im Film, auf der Bühne. Er entwickelte sich zum Friedenskämpfer und war neben Otto ein in der DDR sogar vom Politbüro geschätzter Unterhalter, der immer wieder eingeladen wurde, denn er sprach auch den Deutschen in der DDR aus dem Herzen. Kein Wunder, er stammte ja aus Brandenburg. Ein merkwürdiges Interview führte Karassek 1993 im SPIEGEL TV:

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    • #3
      Dieser Tage jährte sich Kishons 100. Geburtstag.
      Der begnadete Satiriker war, oh Wunder!, ein konservativer Mensch. In Budapest als Franz Hoffmann geboren, genoß er den von seinem jüdischen Bankiervater bereitgestellten Wohlstand. Er erlebte das Schicksal Imre Kertecz', Arbeitslager. Und wie er überlebte er. Das stalinistische Ungarn nach 1945 war nicht viel besser zu ihm, aber es ließ ihn Kunstgeschichte studieren. Er verließ Ungarn noch vor dem Aufstand 1956 und begann ein neues Leben in Israel. Nun hieß er Ephraim Kishon und schrieb Anekdoten/Glossen zu politischen Tagesereignissen in zahlreichen Zeitungen. Sein Stil, zwischen konservativem Kunstverständnis, klaren moralischen Vorstellungen und ironisch-aufgefaßter Detailtreue verfing schon immer bei den Juden, deren spezifischen Humor auch der Deutsche zu schätzen weiß. "Es gibt vorzügliche Medikamente, für die man noch keine Krankheit gefunden hat." In der DDR lachte man zwar mit Kishon (meine Oma brachte in den 1970ern zahlreiche Bücher von ihren Westreisen mit, die ich begierig las), aber er blieb offiziell gemieden, denn am Sozialismus fand Kishon keinen Gefallen. Das änderte sich erst, als sein Stern schon zu sinken begann, in den 1980ern. Kishon bereiste auch die DDR, v.a. die kabarettistische Szene, denn Kabarett gedeiht immer dann, wenn es den Zeitgeist konterkarieren kann und es ein bißchen gefährlich ist, eben das zu tun. Also die DDR in den 1980ern. Welchen Spaß er wohl heute gehabt hätte!

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      • #4
        Goethes 275. Geburtstag jährt sich heute. Ich werde ihm eine Laudatio schreiben. Nicht heute, aber bald. Nur soviel: In Kindheitstagen lernte ich ihn kennen. Meine Großmama väterlicherseits liebte ihn und brachte ihn mir wie einen Großvater näher. Ich hatte sonst keinen. Als ich Schiller in meiner Pubertät kennenlernte, verblaßte Goethe neben ihm. Klarerweise, denn ein Freiheitsverkünder und -schaffer sticht noch jeden Fürstenknecht aus. Und nachdem Nietzsche ihn mir madig gemacht hatte, schien sein Stern verloschen zu sein. Aber siehe! Je älter ich werde und je töter (!) Nietzsche wird, um so heller erstrahlt er mir wieder. Der olle Goethe.

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