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Dramaturgische Überlegungen

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  • Dramaturgische Überlegungen

    Ich habe in den letzten Jahren wenig geschrieben. Von Hause aus Dramatiker fand ich zuletzt wenig Zeit, wohl auch inneren Antrieb, mich dramatisch zu äußern. (Die Weltgeschichte ist Drama genug.) Der Wunsch ist in mir; ich will schon die Welt durch die Augen eines Dramatikers sehen, allein, ich will sie auch ganz nichtdramatisch betrachten. Sich über eine Sache dramatugisch zu verständigen, ist die ehrlichste und sicherste Methode, ihrer Herr zu werden. Das (dramatische) Schreiben ist aber keine Therapie, sondern viel nachhaltiger.
    Aus meiner Sicht gibt es zwei Möglichkeiten, einen Stoff zu behandeln:
    1. über die Charaktere oder
    2. über die Handlung derselben in einem fest zu zurrenden Handlungsrahmen.

    Wer sich mit seinen Figuren (personae dramatis) befaßt, der hat wieder zwei Möglichkeiten:
    1. er setzt ihre Schuld, ihren tragischen Wirbel, in dem sie sich entwickeln, bereits vor der Tat fest, zuweilen sogar vor dem ersten Vorhang oder
    2. er schafft Umstände/Begebenheiten, die die Latenz tragischer Charaktere entwickeln helfen; er glaubt an eine prinzipielle Schuldhaftung der handelnden Ichs, also an die jedes Ichs, die sich mehr oder weniger klar im Stück entwickelt.

    Die erste Möglichkeit erkennen wir in der griechischen Tragödie. Sie benötigt den Mythos, damit die Figuren auch tatsächlich ihr Schicksal erfüllen können; die Handlung dient hier nur. Die Dramaturgie ist einfach, sie folgt einem (vorgegebenen) Spannungsbogen, eben dem Mythos.
    Die zweite Möglichkeit bedarf der Erfindungsgabe des Dichters, der zwar auch auf bekannte Stoffe zurückgreifen kann, vielleicht sogar sollte, aber letztlich formt er diese so um oder sortiert sie neu, daß seine Figuren erst durch diese ersonnene Handlung zuim Leben werwachen, will heißen: Sie entwickeln Hybris, die sie zu Fall bringt.

  • #2
    Ein Geheimnis nachhaltiger Dramaturgie liegt in der Stille, in den Klammertexten, in der Zeichnung der Figuren durch ihr Tun, nicht (nur) durch ihr Sagen. Es ist leichter, eine Figur vor dem geistigen Auge des Zuschauers erstehen zu lassen, indem man sie lauthals verquere oder dogmatische Positionen aufsagen läßt. Aber machen wir uns nichts vor, der Zuschauer nimmt dieses Positionsgequatsche mehr oder minder gelangweilt hin und das alles interessiert ihn erst dann, wenn aus dem Gerede etwas passiert, wenn die Figuren also so handeln, daß das Herz UND der Verstand des Zuschauers erfaßt/ergriffen werden. Spitze ich diesen Gedanken zu, so muß ein Paradigma des Dramatikers heißen: Laß Stille handeln!

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    • #3
      Daß seit Jahren kein gutes deutsches Drama geschrieben worden ist, ist allgemein bekannt. Es wird von den offiziellen Segensträgern kaum bedauert, andernfalls würde eine andere Kulturpolitik betrieben werden. Die Fähigkeiten des Kulturbetriebs sind allerdings auch minimal, zudem sind dessen Prätendenten nicht an neuen guten Dramen interessiert. Das liegt an einem Wirkzusammenhang. Ein gutes Drama muß mit der Zeit gehen. Der Dramatiker erfaßt im Zeitgeist ein diesen treibenden Gedanken und führt ihn in einem Helden und einer angemessenen Story ins poetisch-dramaturgische Bild. Der scheiternde Held wird als positiver Held wahrgenommen. Wir leben aber in keinen solchen Zeiten, sondern in Zeiten des Niedergangs. In solchen Zeiten könnte nur ein verzweifelter Held den Abstieg symbolisieren, wahrlich keine berückende Aussicht.
      Und was sich da an Alternative anbietet, lockt zu wenige hinter dem Ofen hervor, bietet sich in seiner völkisch-begrenzt-libertären Grundausrichtung nur als reaktionäres Zeitzwischenspiel an - bestenfalls. Damit ist auch kein Held zu konstituieren, der in positiver Aszendenz den Zeitgeist mit sich reißt - zu neuen Ufern!

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