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Unser Hölderlin-Ordner (II)

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  • Unser Hölderlin-Ordner (II)

    - wird mit dem alten Hölderlin-Ordner zusammengefügt, sobald dies technisch möglich ist -

    Die mir vorliegende Biographie von Jürgen Hultenreich scheint mir den richtigen Ton zu treffen. Hultenreich ist vorzuwerfen, daß er in Bärlin lebt, was sich schlecht auf seine geistige Grundstimmung auswirken dürfte. Bisher ist dem Buch das nicht anzumerken, aber ich bin ja auch erst auf Seite 8. Doch dazu an einem anderen Ort. Dieser Ordner ist nicht dem Buch, sondern dem Autoren gewidmet. Hultenreich fand heraus, daß Benn, bekanntlich ein großer Hölderlin-Verehrer, zirka 1930 herausgefunden hatte, daß Hölderlin, Schelling, Mörike, Uhland, Hegel und Mozart allesamt über eine Großmutter miteinander verwandt sind: Regina Bardili-Burckhardt. Das ist doch mal was. Zu dieser Dame sollte mal geforscht werden. So was ist kein Zufall.

  • #2
    War gestern in Lauffen. Eine Enttäuschung. Die Hölderlinstraße in der "Hölderlinstadt Lauffen", wie es auf dem Ortseingangsschild steht, ist eine langweilige untere-Mittelklasse-Straße mit einem großen modernen Schulkomplex. Kein Hinweis auf den großen Sohn der Stadt, kein Denkmal, keine Besonderheit. Da wendet sich der Jünger mit Grausen. Immerhin blühten einige Narzissen in den Vorgärten, neben zusammengekehrtem Müll aus dem Winter, der aufs Osterfeuer wartet.

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    • #3
      Hölderlins Tage am Stift zu Tübingen waren von "sclavischer Behandlungsart" dominiert. Die Jugend fand aber genug Zeit, um in den örtlichen Spelunken "Exzessibus" zu frönen, v.a. mit den jungen Frauen des Örtchens. Man trug schwarz. Das alles ist bekannt. Da machte Hölderlin fein mit. In einer Sache unterschied er sich allerdings schon um 1790: Er verlangte von seinen Kommilitonen, daß sie sich, bevor sie Schillers "Ode an die Freude" ins Neckartal brüllten, am Philosophenbrunnen die Hände zu waschen, denn dieses Lied dürfe "kein Unreiner singen".

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      • #4
        Hölderlin gilt gemeinhin als eher unpolitischer Denker, eben als Dichter, der irgendwo zwischen Klassik und Romantik wabert, letztlich zu keiner der beiden Geistesrichtungen gehört, also ein Niemand sein muß. Im Vormärz galt er als geisteskrank und zum Jungen Deutschland kann er auch nicht gehören, dafür war er seinerzeit schon zu alt. Kurzum, er west im literaturhistorischen Niemandsland. Keiner will ihn, reklamiert ihn für sich; keiner wollte ihn. Nicht mal Schiller, den Hölder doch anhimmelte.
        Doch Hölder besaß klare politische Vorstellungen, die auch heute nachdenklich machen. So glaubte er fest daran, daß Wirklichkeit nicht geplant werden könne, nicht von oben. Realistischere Geister widersprechen hier sofort. Klarerweise könne man planen. Das sei doch der Beruf jeder Regierung, sei sie nun demokratisch oder legitimistisch ins Amt gekommen. Es sei doch gerade ihr Beruf, die Zukunft zu planen, also die Wirklichkeit als Zukunftsmodell zu entwickeln. Nein, sagt Hölderlin dazu, das ist Selbstherrlichkeit und schafft Unfreiheit.
        Sein Freund Hegel würde entgegnet haben, daß es wohl kaum die Sache des kleinen Mannes sein könne, die Wirklichkeit zu planen, die sich zudem sowieso entwickle. Der Weltgeist schläft nicht, sagt Hegel. Und weiter: Geschichte vollzieht sich nach ehernen Gesetzen, dialektisch und gesetzmäßig.
        Dem muß Hölderlin widersprechen. Schließlich zeige die Geschichte doch immer wieder, wie wenig sich wirklich verändert. Wenn sich im Grunde des menschlichen Herzens etwas grundsätzlich - Grund-Satz! - verändert hätte, wie wäre es uns möglich, fünftausend Jahre alte Texte über Liebe, Haß, Neid und Freundschaft zu verstehen? Wie könnten wir Sokrates verstehen? Wie ein Liebesgedicht Ovids? Wie die Worte Jesu?

        Und damit würde er dem objektiven Geistmenschen Hegel dann wohl doch übergewesen sein. Denke ich.

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        • #5
          Der Mann ist sooooo gut. Es sind die kleinen Gedanken, die sich bei näherer Prüfung als großartige Lebensentwürfe erweisen. Man nehme dieses Gedänkli:
          Worte Hölderlins:

          Wer Tragödien nicht vorwegnimmt, verfehlt die Wirklichkeit.
          Ja, ja, ja. Wirklichkeit ist für Hölderlin etwas anderes als Realität. Realität ist die westliche Wahrnehmung der Dinge, also eine objektbezogene Wahrnehmung. Tatsachen. Wirklichkeit bezeichnet dagegen einen Ruhezustand der Wahrheit, aus dem heraus erst Möglichkeiten erwachsen. Wir Kleinmütigen wagen es zu oft in unserem erbärmlich-bürgerlichem Leben nicht, das, was wir wirklich (!) wollen, auch wirklich zu wollen. Wir flüchten uns in Behaglichkeit, trauen uns nicht, weil wir WISSEN, daß das Wollen in den Untergang führt. Klarerweise ist das Lebensverzicht. Ja, die Verantwortung vor den KIndern, vor den Eltern, vor den geliebten Mitmenschen... Aber ist es nicht gerade unsere Verantwortung, das auch zu tun, wovon wir im Grunde unseres Herzens überzeugt sind, wohl wissend, daß es unseren Untergang bedeuten muß?

          Dazu passend: Der Rock'n'Roll lebt - und das muß ausgerechnet eine Musikkombo aus Wien belegen:

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          • #6
            In Hölderlins früher Dichterzeit findet sich auch ein jakobinischer Text, in dem er sich gegen die politischen Zustände im Reich und die in der Kirche wendet. Es darf hier nicht vergessen werden, daß Hölderlin selber Pfaffe werden sollte. So jedenfalls wollte es seine Mutter.

            Um wie Könige zu prahlen, schänden
            Klein're Wütriche ihr armes Land,
            Und um feile Ordensbänder wenden
            Räte sich das Ruder aus der Hand.

            Pfaffen spiegeln um Apostelehre
            Ihren Narren schwarze Wunder vor;
            Um Mariasehre krächzen Nonnenchöre
            Wahnsinn zum Marienbild empor.

            Bösartiger hätte Heine das dreißig Jahre auch nicht schreiben können!

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            • #7
              Alles Liebe zum Geburtstag, lieber Hölder! Ich entdecke Dich gerade neu. Mir gefällt, was ich entdecke. Es liegt doch letztlich an uns, wie wir die Welt wahrnehmen, nicht nur, wie wir sie wahrnehmen wollen, sondern auch, wie wir sie wahrnehmen sollten. Das kann uns antreiben und zu neuen Gedanken führen, wobei es in unserer Freiheit liegt, sie auch anzunehmen.

              Ich habe heute auch über Dein Verhältnis zu Schiller nachgedacht. Das war sehr wichtig für Dich. Dein Biograph Hultenreich glaubt, daß Goethe das Urteil über Dich fällte, seine grundsätzliche Differenz gegenüber Dir, und Schiller Dein Genie nicht erkannte. Nun ja. Den Goethe lassen wir heute mal außen vor, der war Dir fremd wie der Hund, der den Mond anbellt. Aber Schiller! Dem wolltest Du etwas sein. Das war es. Als Novalis zu Schiller kam, drei Jahre vor Dir, da pflegte er ihn, denn Schiller lag wieder mal auf den Tod. Vielleicht hättest Du diese Chance 1794 auch benötigt, um Schiller etwas zu sein. 1791 war Schiller noch nicht ganz über den Berg, wirtschaftlich, literarisch und auch familiär noch nicht. Er lebte in fragilen Verhältnissen. Novalis war mit 18 in seiner persönlichen Entwicklung weiter als Du mit 24. Er wollte auch nichts von Schiller, war auch kein Landsmann. Schillers Pflichtgefühl trat bei Dir an die erste Stelle, Dein Griechenland-Bild war nicht seines. Er betrachtete die Griechen eher als Kulturträger, Du dagegen lebtest in diesen Griechen. Das ist ein wesentlicher Unterschied, ihr wart nicht wesensähnlich in diesem Punkt. Also konntest Du ihm nichts sein, denn Du warst in einer anderen Sphäre unterwegs, einer abgehobeneren. Schiller aber stand im Leben, nur im Denken spannte er aus. "Genie nicht erkannt"? Welches Genie? Ihr wart alle Genies, aber das Wesen des Genies ist es, daß es nur diejenigen erkennen kann, die in seiner Welt wesen. Das Goethe-Genie ist ein anderes als das Schelling- oder hegel-Genie, das Schiller-Genie konnte sich mit Goethes erst dann treffen, als der verstanden hatte, daß Schiller auf einer anderen Bahn seine Kreise zog. Zu Deinem Genie hatten sie zwar Zugriff, lehnten es aber ab. Nicht erkannt? Wie unsinnig. Erkannt und verworfen, trifft es besser. - Das sollte Dich trösten.

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              • #8
                Es ist nun an der Zeit, die dunklen Seiten unseres Hölderlin zu beleuchten. Als ich seinerzeit, 1993, mit meinen Freunden Strempel und Nowitzki das Buch "Hölder in Jena" schrieb, da war uns diese dunkle Seite auch bewußt, aber sie verblaßte vor dem Dichter und Denker, der er für uns war. Heute sehe ich das nüchterner, denn ich kann zwischen Dichter und Mensch weniger unterscheiden. Schriftsteller sind Meister des Wortes, zuweilen wurzellose Wortakrobaten mit einem miesen Charakter, aber Dichter sind diejenigen, die Worten Bedeutung geben sollen und diese finden sie auch in ihrem Wesen als einer Idee Gottes. Wenn ihr Wesen aber zerrissen und düster ist, dann müssen auch ihre Worte zerfallen und bedeutungsarm bleiben, bestenfalls Teilwahrheiten. Hölderlin besaß diese dunklen Seiten, engstirnige, selbstbezogene, pflichtvergeßne und heuchlerische Attitüden. Jena wirkte wie eine Art Brennglas und verstärkte das alles. "Die Nähe der großen Geister". Ja, diese Geister machten ihn wechselweise klein und groß. Ein Blick auf das Kleine.
                Hölder arbeitete zu dieser Zeit als Hofmeister im Hause der Frau von Kalb. Frau von Kalb war eine beeindruckende Frau. Sie besaß im Thüringisch-Fränkischen als Marschallin von Ostheim zahlreiche Güter, u.a. vier Schlösser. Ihr Mann war Soldat und unterwegs, u.a. in Amerika, wo ihm Washington einen Orden umhängte. Sie saß mit ihrem frühreifen, charakterlich verwahrlosten und einzigen Sohn nun in der Pampa und beschloß, sich ein Palais in Weimar zuzulegen, einen Schulmeister anzuheuern und eben dort in Weimar ihre zahlreichen Briefkontakte auch praktisch-gesellschaftlich mit Leben zu füllen. Zu diesen Kontakten gehörte Schiller, den sie als ihren Gemahl ausersehen hatte. (Eine Scheidung war für diese Frau kein Thema.) Sie war nicht nur reich, sondern auch schön und eben sehr klug. Schiller aber orientierte sich um. Eine geschiedene Frau kam für ihn nicht in Betracht. Deshalb ehelichte er auch nicht Caroline, sondern Charlotte von Wolzogen. Schiller empfahl ihr seinen Landsmann Hölderlin als Hofmeister. Zwei Fliegen mit einer Klappe. Hölderlin kam nach Jena/Weimar. Schiller hatte seine Pflicht gegenüber dem Landsmann erfüllt und sein Netzwerk um einen potentiell guten Dichter erweitert. Doch Hölderlin erwies sich als ungeeigneter Lehrer, Mensch und Zuarbeiter. Fritz von Kalb onanierte öffentlich. Hölderlin kontrollierte seinen Schützling und schlug ihn auch, um dem Übel Herr zu werden. Seine Lehrerfolge waren minimal. Im Hause der Frau von Kalb lebte die Haushälterin Wilhelmine Kirms, ebenfalls klug und schön. Aber arm. Hölderlin schwängerte sie. Er erklärte ihr Kant, sie ihm die Liebe. Als sie schwanger geworden war, schickte Frau von Kalb sie aufs Land, Hölderlin entließ sie. Hölderlin hatte seiner Mutter und Schwester gegenüber beteuert, daß er nicht... Vielleicht war es ja der Gärtner. In seinen Briefen jammert Hölderlin herum, daß er Schiller nichts sei und Goethe ihn nicht wahrnähme. Nun ja. Schiller hatte ihm Goethes neuestes Werk, den Wilhelm Meister gegeben, aber Hölderlin las es nicht. Statt dessen eilte er zu Fichte und befaßte sich mit einem Versuch, dem subjektiven Idealismus zugunsten eines pantheistischen Weltbildes zu entkommen. Das hätte ja Goethe interessieren müssen. Aber wie will er sich denn dem Genius Goethes nähern, wenn er dessen Werke verschmäht? Ein Charakterfehler oder Dummheit?
                Kurzum, Hölderlin versagte auf allen wichtigen Ebenen. Er versagte. Nicht andere.

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