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Unser Nietzsche-Ordner (II)

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  • Unser Nietzsche-Ordner (II)

    Fortsetzung des Nietzsche-Ordners aus dem alten Forum
    Gefragt, wie ich den Nörgler Nietzsche mit unserem Idealismus zusammenbringe, ging ich in mich und antwortete:
    Das gemeinsame Band heißt Freiheit. Nietzsche unterstellte den Idealisten der Klassik, daß sie protestantische Ursprünge besäßen, sich also nur im engen Korsett katechetischer Formeln bewegen dürften. Also die Idealisten. Zugleich konzedierte Nietzsche Schillern Tapferkeit, tapferen Geist. Das paßt scheinbar nicht zusammen. Aber das tut es sehr wohl, nicht nur in antithetischer Verklammerung. Nietzsches ganzer Kampf war der um Freiheit, eine Befreiung von dem, was er menschlich nannte, dem Engen, der Buchstabengebundenheit und Verehrung für das Unbekannte. Das war ihm zuwider. Aber das war auch Leuten wie Schiller, Kant, Herder oder Lessing zuwider.
    Der Unterschied zwischen unseren Klassikern und Nietzsche liegt darin, daß Nietzsche das Band zerschnitt, das ihn mit dem Protestantismus verbunden hatte - zumindest wollte er das. Die Klassiker dagegen wollten dieses Band bei aller Kritik nicht zerschneiden.

    Wer Nietzsche mag, ist in der Regel ein Atheist. Das ist bei mir nicht so. Die Verbindung zwischen Jesus und Nietzsche ist schnell gezogen: Beide verband die Eindringlichkeit, mit der sie ihrer Zeit die Aufgabe stellten, die Lebenslügen abzustreifen und sich zu besinnen. Der eine sagte "Tut Buße!", der andere meinte das gleiche, als er seinen Zeitgenossen tiefdringend mahnte, die sittlichen Werte zu prüfen, die das Gemeinwesen und seine Einzelbestandteile antreiben. Die Basis beider liegt also in der ethischen Grundierung des Lebens.

  • #2
    Ein merkwürdiger Text von Nietzsche, "Gedicht Zarathustras", auch "Zarathustras Rundgesang". Der Text ist merkwürdig, weil er an einer Stelle nicht ganz klar lesbar ist. Die gängige Lesart lautet:

    Oh Mensch! Gib Acht!
    Was spricht die tiefe Mitternacht?
    „Ich schlief, ich schlief –,
    Aus tiefem Traum bin ich erwacht: –
    Die Welt ist tief,
    Und tiefer als der Tag gedacht.
    Tief ist ihr Weh –,
    Lust – tiefer noch als Herzeleid:
    Weh spricht: Vergeh!
    Doch alle Lust will Ewigkeit –,
    – will tiefe, tiefe Ewigkeit!“​

    Zum Vergleich stelle ich das Original in Nietzsches Handschrift hier ein: Ich stolperte über zwei Stellen, die dem Text eine Wendung geben. Wer findet sie?

    Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: zarathustras gesang.jpg Ansichten: 0 Größe: 123,9 KB ID: 1007

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    • #3
      Also die Handschrift ist für mich klar, leserlich und eindeutig. Kann da keine Stolperstellen finden. Vllt bin ich ja blind oder blöd.

      Allerdings find ich es als Gedicht nicht so gelungen. Zu viele 'tiefs' und dann auch noch auf gegensätzliche Begriffe angewandt Da ist erst die Mitternacht tief, dann der Traum, dann die Welt und ihr Weh, die Lust und am Ende die Ewigkeit, doppelt tief. Fehlen nur noch die stillen Wasser ...

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      • #4
        Nicht alles, was der Meister so von sich gab, widersteht jeder Prüfung. Klarerweise ist sein Stil dithyrambisch, meist prononciert überspitzt, aber er machte auch Fehler. Manche entstanden wohl aus dem Wunsch der Überspitzung, aber manches ist schon absonderlich. Er als Philologe sollte wissen, daß bei den Griechen der Begriff der "Buße" schon vorsokratischer Weltwahrnehmung entsprach. Anaximander machte die "Buße" sogar zum Kern seiner (ethischen) Lehre. Das Bußetun hat aber nur dann einen Sinn, wenn zuvor gesündigt wurde. Ein von einem Gottesbegriff, sei der nun christlich, jüdisch oder "heidnisch", gelöstes Bußetun ist nicht denkbar. Buße basiert auf einem Sündenbewußtsein. Unsere Zeit ist voll davon, die Politik der BRD ist eine einzige Bußetat, ein strammer Gottesdienst an den Sünden der Vorväter, der Industrie, des postmodernen Menschen mit dem Sinn, die Menschen ihrer Sündhaftigkeit zu zeihen und dazu zu bringen, ihre Wärmedämmung zu überdenken, ihren Konsum, ihre Lebensart, ihr Dasein selber in Frage zu stellen. Daß Nietzsche eben auch in heutiger Zeit mit seinen Anmerkungen virulente Fragestellungen aufwirft, erhellt dieser kurze Ausschnitt aus "Die fröhliche Wissenschaft":
        ...sie haben in ihrem Bedürfnis, dem Frevel Würde anzudichten und einzuverleiben, die Tragödie erfunden - eine Kunst und eine Lust, die dem Juden, trotz aller seiner dichterischen Begabung und Neigung zum Erhabenen, im tiefsten Wesen fremd geblieben ist. [..} Sünde ist ein jüdisches Gefühl und eine jüdische Erfindung, und auf diesen Hintergrund aller christlichen Moralität war in der Tat das Christentum darauf aus, die ganze Welt zu verjüdeln... Bis zu welchem Grad ihm das gelungen ist, das spürt man am feinsten an dem Grade der Fremdheit, den das griechische Altertum - eine Welt ohne Sündengefühle - immer noch für unsere Empfindung hat.

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        • #5
          Im Nachlaß, Bd. 8, S. 80, findet sich eine Stelle, der ich nicht zustimmen kann, die aber für Nietzsche fundamental wichtig zu sein scheint:
          Die ungeheuerlichste Freveltat [gegenüber wem?] der Menschheit, daß das Christentum möglich werden konnte, so wie es möglich wurde, ist die Schuld des Altertums. Mit dem Christentum wird auch das Altertum abgeräumt werden. Der Hauptwitz war: das Altertum ist durch das Christentum überwunden worden.
          Ich teile diese Ansicht grundsätzlich nicht, daß das Altertum durch das Christentum abgeräumt wurde, also negiert wurde. Klarerweise unterteilen wir heite die Weltgeschichte u.a. in Altertum - Mittelalter - Neuzeit, also jeweils glauben wir hier negationelle Momente zu erkennen, die uns gestatten, das Altertum mit der Eroberung Roms durch Alarich 476 enden zu lassen und das Mittelalter durch die Entdeckung Amerikas... Aber das sind nur Schablonen, die uns nun gar nicht dabei helfen, Strukturen in die Weltgeschichte zu bringen. Was soll denn "das Altertum" überhaupt sein? Und was ist "das Christentum"? Ist damit die Bilderstürmerei der plebejischen "Christen" gegen die "heidnischen" Kulturgüter gemeint? Soll das das "Christentum" sein? Gott bewahre! Und soll mich die römische Schickeria aus dem 3. JAhrhundert nach Christus mit Sparta aus dem 5. Jahrhundert vor Christus an ein gemeinsames "Altertum" gemahnen?

          Tut mir leid, fridericus magnus, aber hier irrst Du gewaltig.

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          • #6
            Ihm wird unterstellt, das Böse und Gute nivelliert zu haben, indem er beides verneinte, also wie ein Nihilist auftrat.

            Das ist nicht ganz korrekt. Nietzsche sagte lediglich, daß wir "nicht erkennen können, was an sich gut oder böse sei". (FN an Overbeck, 1884) AN SICH und das Gute und Böse an sich. Also gibt es für Nietzsche das Gute und Böse (an sich), wir können es bloß nicht erkennen. Das ist kein Nihilismus, das ist Skeptizismus. Er war kein Atheist, sondern Agnostiker.

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            • #7
              Lebensformen aus Texten: das war das eigentliche Lebensmotto des Philologen Nietzsche. Das wird oft vergessen, daß Nietzsche KEIN Soziologe, kein Philosoph war, sondern von Hause aus Philologe. Er sah in der Philologie auch die wahre Wissenschaft. Das Leben aus den Worten schöpfen! Textkritik als Mittel, die Welt zu verstehen, wie sie war, wie sie ist, wie sie sein wird. Als sein Freund Deussen in Bonn bleiben wollte, um Theologie zu studieren, bezeichnete Nietzsche das als Bärenfell, was im 19. Jahrhundert keienswegs freundlich gemeint war. Deussen mußte dann auch ein Jahr lang die trockene Luft der Theologen athmen, um zu begreifen, daß wahre Wissenschaft in der Theologie um 1866 nicht zu finden sei. Also doch Textkritik und die Suche nach dem wahren Ablativ, nach den Umständen, wie sie in den Worten kaum Ausdruck finden, aber eben doch gewissermaßen gefunden werden können, wälzt man, kollatiert und konjektiert, die Worte nur oft genug und setzt sie eigenen Parameter aus. Nietzsche glaubte beispielsweise an die Veränderung von Wortbedeutungen - heute ein alter Hut, aber wer wagte das 1866 für Tacitus zu behaupten?

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