Der Eulenspiegel hat das mal vor einigen Jahren in einem Furor hingeschrieben. Innerhalb weniger Tage. Grund dafür gab's genug: einige Skandalprozesse (VGT-Tierschützer, Kaprun-Gletscherbahnbrand, BAWAG-Pleite, ÖGB verzockte Streikfonds, etc.) erschütterten die Republik und mein Gemüt. Also machte ich mir Luft, literarisch.
Wem das zu sehr wienert, dem kann ich nicht helfen. Anders ging's nicht. Das Wienerische passt zu Form und Inhalt. Ganz in Nestroyscher Tradition. Bitterböse und zugleich charmant, hinterfotzig und vordergründig höflich, locker und verbissen. Alles in einem.
Na dann. Werde das Aufzug um Aufzug einstellen. Aber erstmal soll das Personal vorgestellt werden.
*
Justiz – ein Freudenhaus
Eine Farce in 6 Aufzügen
Personal:
Justizia – Göttin der Gerechtigkeit und Puffmutter mit einer Binde über dem rechten Auge
Die Freudenmädchen:
Domina, die Strenge
Prinzipia, die Unbestechliche
Innozenzia, die Unschuld
Aequalia, die Gleichheit
Demokrazia, die Mehrheit
Liberalita, die Freizügigkeit
Proporzia, die Ausgewogenheit
Republica, die Öffentlichkeit
Die Freier oder Klienten:
Adler-Noblerone, Großgrundbesitzer und Erbgraf
Freunderl, Politiker und Sozialdemokrat
Hackl, Arbeiter
Kofferl, Manager
Kreuzerl, Kardinal
Lüfterl, Bankier
Rafferl, Unternehmer und Christlich-Konservativer
Wichtel, Beamter und Hofrat
Winkel, Richter
*
Über dem Freudenhaus der Justizia steht in roter Leuchtschrift: Justizpalast
1. Aufzug
Justizia:
Ich bin Justizia, die Göttin der Gerechtigkeit. Die Zeiten sind schlecht für‘s Recht, aber gut für’s Geschäft mit dem Recht. Sie machen das Recht zur Ware. Die man bestellen kann wie ein neues Auto. Mit genauer Angabe der Extras und Sonderausstattung. Da könnt einem echt schlecht werden. Unsere Freier werden immer dreister. Glauben, Sie haben ein Vorrecht aufs Recht. Meinen, Prominenz habe ein Anrecht auf Sonderbehandlung, auf Diskont. Eine Justiz zur flat-rate sozusagen. Na, so weit kommt’s noch. Meine Mädchen sind durch die Betten professionell, die sind ihr Geld wert. Alles, was recht ist!
Domina:
Mein Name ist Domina, ich bin die Strenge! Bei mir haut niemand über die Stränge! Ein ordentlicher Hieb mit der Peitsche, ein paar rechtmäßige Schläge auf den Arsch, eine legitime Kopfnuss und Ruhe und Ordnung sind wieder hergestellt. Und sie lieben mich dafür, die kleinen Leut. Und sie sind ganz verrückt nach mir, die großen Köpf‘, die Amts- und Würdenträger, die Uniform- und Robenständer. Und die Regierung erst, die kann gar nicht genug von mir kriegen. Ich bin die Garantin der Ordnung, die Patronin der Sicherheit. Alle wollen sie Sicherheit, alles geben’s für Sicherheit: Geld, Freiheit, sogar das Leben! Mein Name ist Domina, ich bin die Strenge!
Prinzipia:
Sie heissen mich Prinzipia, die Unbestechliche. Dabei, soviele Stecher wie ich, hat noch keine gehabt, hier in diesem Haus. Ich bin in aller Munde, und hab‘ sie alle schon im Mund gehabt. Vom Kardinal bis zum Richter, vom Grafen bis zum Hackler. Es ist zum Speiben. Die kotzen mich an. Reden von Unbestechlichkeit und kaufen mich ein. Und meine Chefin, die Justizia, die verkauft mich an jeden dahergelaufenen Freier. Aus Prinzip, sagt sie. Weil die Unbestechlichkeit sei für alle da und ich eine Grundvoraussetzung für das Recht im Staat. Grad‘ der Staat müsse sich an mich halten. Somit bin ich diejenige unter den Freudenmädchen der Justiz, die immer herhalten muß, wenn andere sich drücken. Auf die Freizügigkeit kann man ab und zu verzichten. Auf die Öffentlichkeit auch. Erst recht auf die Strenge. Aber die Unbestechlichkeit? Nein, sie ist das Rechtsprinzip schlechthin. Sagt sie, die Justizia. Also muß ich ran, wann immer es einem beliebt. Aus Prinzip. Ich pfeif auf‘s Prinzip. Es ist nur mit Unannehmlichkeit, mit Müh‘ und Ärger verbunden. So wie das rechte Aug‘ von der Chefin.
Innozenzia:
Ich bin Innozenzia, die Unschuld werd ich auch genannt. Auf mir reiten sie alle kräftig herum. Der Richter, na klar, der Kardinal, wen wundert’s? Aber auch der Reiche und der Arme, der Mörder und das Opfer, der Angeklagte und der Ankläger. Alle reiten’s auf mir herum. Wie soll man sie da behalten, seine Unschuld? Aber das ist denen egal. Legal, illegal, scheissegal, sie wollen alle nur das eine: meine Unschuld! Wie oft hab ich sie schon verloren, meine Unschuld. Wie oft habe ich sie schon verschenkt an Diebe und Betrüger, Schläger und Mörder, ja sogar an Kinderschänder! Und, was hat’s geholfen? Ich war sie los die Unschuld und die, an die ich sie verloren hab, die haben sie misshandelt, verschandelt, verraten und verkauft. Wie soll man sich da noch erfreuen an ihr, der Unschuld? Wenn sogar die Kardinäle und Minister, die Präsidenten und Richter sich täglich an ihr vergehen? Na ja, wenn auch tausendmal verkauft und verschenkt, vergeudet und verspielt, ich bewahr sie mir im Herzen, die Unschuld! So wahr ich Innozenzia heiß!
Aequalia:
Ich bin Aequalia, besser bekannt unter dem Namen Gleichheit. Bin ein bissl aus der Mode gekommen, die Nachfrage nach mir war schon größer. Ein Auslaufmodell, sagt die Puffmama. Was soll’s, hab ich halt meine Ruh‘. Früher, als ich noch jünger war, 1968 oder gar 1848, da war ich die Nummer eins! Ich war die Nummer schlechthin! Alle warn’s verrückt nach mir, die jungen Revoluzzer und die linken Philosophen, die Weltverbesserer und die Hippies. Ich bin gar nicht nachgekommen mit den Gunstbeweisen an meine Verehrer. Richtig eifersüchtig warn’s auf mich und aufeinander. Allen wollten’s mich haben. Gleich und sofort! Gleich wollten’s sein, ja gleicher noch als die anderen. Immer noch gleicher, obwohl eh schon alles dem Erdboden gleich gemacht war. Gleich ist geil, war das Motto der 68-er! Und heute? Ich sei überwutzelt, sagen’s. Die Kirche, na die hat ja noch nie was auf mich gehalten. Der Kardinal scheut mich wie der Teufel das Weihwasser. Der steht mehr auf Hierarchie und geht eh nur zur Domina und nachher zur Innozenzia. Um sich rein zu waschen von aller Sünd. Na und der Rafferl, der fürchtet mich wie die Pest. Wenn alle gleich sind, hamm alle nix, sagt er immer. Und das wär das Ende der Welt. Und der Freunderl, der schaut mich immer so verklärt-sentimental an und murmelt was von den guten alten Zeiten, aber heut sei mit mir keine Wahl zu gewinnen. Na und dass der Erbgraf mich meidet wie eine ansteckende Krankheit, das könnt ihr euch vorstellen. Und der Lüfterl sagt immer, die Gleichheit sei tödlich fürs Geschäft, da könnt ma ja gleich zusperrn, wenn alle Konten und Konditionen gleich wär‘n. Der Richter kann mit mir auch nix mehr anfangen, sagt er. Weil die Menschen seien nun mal nicht gleich, also könne man sie auch nicht gleich beurteilen und verurteilen. Nur der Hackler träumt manchmal von mir, wenn er seinen Freitagsrausch ausschlaft. Und die andern? Der Hofrat Wichtel, für den ist die Gleichheit ein Gift, das Umsturz und Anarchie bringt, sagt er. Na und der Kofferl, der tut alles, damit er sich nur ja unterscheide von seinen Kofferträgern. Das Einzige, wo er gleich zugreift, sind Prämien und Boni. Ich bin ein Auslaufmodell, sagt sie, die Chefin.
Demokrazia:
Mich kennt jeder, ich bin Demokrazia, die Mehrheit. Mich kannst haben in allen Varianten und Spielarten. Als einfache, als qualifizierte, als relative oder absolute, als Zweidrittel oder als Dreiviertel, als vorhergesagte oder gewählte, Mehrheit bleibt Mehrheit! Ich bin das Herz der Demokratie, ich bin der Busen, an dem sich alle nähren: die Parteien, die Regierungen, das Volk und die Meinungsforscher. Ohne Mehrheit ka Geld, ka Musi, kein Auftrag, kein Mandat, kein Zuschlag, keine Subvention, keine Parteienförderung, keine Wahlkampfkostenerstattung, keine Posten, keine Ämter, keine Legitimation, keine Verfassung, keine Gesetze, kein Recht, keine Ordnung. Ich bin das Fundament des Staates und der Ordnung. Auf mir bauen alle auf. Ohne Mehrheit ist alles nix! Ohne mich geht nix! Wer mit mir ins Bett steigt, hat die Macht. Wer sich mit mir niederlegt, steht als Herrscher auf! Wer mit mir schläft, wacht als Kaiser, König oder Präsident, als Diktator oder einfacher Kanzler auf! Ich bin die Mehrheit, wer mich kriegt, kriegt mehr! Und wer will nicht mehr? Alle wollen sie mehr, mehr Geld, mehr Macht, mehr Einfluß, mehr Ruhm, mehr Luxus, mehr Genuß, mehr Gesundheit, mehr Leben! Und das, das gibt’s nur bei mir, bei Demokrazia, der Mehrheit!
Liberalita:
Ich bin Liberalita, die kleine Schwester der großen Libertatia, der Freiheit! Und ich bin nicht zu verachten. Wenn auch alle von der Freiheit reden, so meinen sie doch meistens mich, die Freizügigkeit. Denn die Freiheit ist ein philosophischer Begriff, zudem höchst umstritten und keiner hat sie je gesehen, geschweige denn erlebt und gelebt. Sie wollen zur Freiheit und landen bei mir, der Freizügigkeit. Und ich gewähr' sie ihnen, meine Freizügigkeit, in vollen Zügen. Zügellos geb ich mich jedem hin, der mich begehrt. Ich bin das Prinzip, dem sie alle hinterher hecheln. Und ich gewähr‘ jedem das, was er sich darunter vorstellt. Dem Lüfterl und Rafferl die hemmungslose Jagd nach Geld und Besitz, dem Kreuzerl die schamloseste Heuchelei und Bigotterie, dem Hackl den Blaumontag oder den einen oder anderen kleinen Pfusch, dem Freunderl die dreistesten Lügen und haltlosesten Versprechungen, dem Winkel die krassesten Justizirrtümer und Skandale, dem Kofferl die maximalsten Boni und Incentives, dem Erbgraf die dekadentesten Vergnügungen und dem Wichtel die totale Unkündbarkeit bei größtmöglicher Inkompetenz und Amtsverfehlung. Ihr seht, ohne mich, die Freizügigkeit, wär das Leben nicht einmal halb so schön! Deshalb stehen sie alle Schlange bei mir, die Freier.
Proporzia:
Ich bin Propozia, die Ausgewogenheit. Über mein Wesen herrscht leider große Unwissenheit und alle kommen sie mit falschen Erwartungen zu mir. Zwar gibt’s wenig auszusetzen an meinen Proportionen, nein, da stimmt alles, da sitzt alles am rechten Fleck, doch die Freier erhoffen sich von mir nicht Ausgewogenheit und Verhältnismäßigkeit, sie fordern vielmehr ihren Anteil am Kuchen, das, was ihnen, nach ihren eigenen Maßstäben zusteht! Und das ist leider alles andere als ausgewogen. Maßlos ist ihre Gier, maßlos ist ihre Selbstüberschätzung, maßlos sind ihre Ansprüche und Forderungen! Wie sollen wir da auf einen grünen Zweig kommen? Sie hauchen Proporzia und meinen Proporz, dieses ekelhafte Wort, diese häßliche Verballhornung meines schönen Namens. Sie wollen nicht meine Gunst sondern Sitze in Parlamenten und Landtagen, Mandate und Ministersessel, Ämter und Pöstchen. Und nicht Ausgewogenheit ist ihr Ziel sondern Maximierung: Maximierung der Gewinne, des Einflusses, der Besitztümer und Funktionen, der Bezüge und Gehälter. Besonders kraß treiben es der Kardinal und der Richter. Der eine will absolute Macht über Sitten und Moral, der andere über Recht und Gesetz. Ich tue, was ich kann, doch über ihren eigenen Schatten springen, das schafft nicht mal eine Dirne Justizias!
Republica:
Ja, ich bin es, Republica, die Stattliche, die Staatliche! Dabei, wenn man es wörtlich nimmt, bin ich die Öffentliche! Da ist ein feiner und sehr großer Unterschied! Doch mach das mal einem Wichtel oder Winkel, einem Freunderl oder Rafferl klar! Nun, als Dirne ist man immer öffentlich, eine öffentliche Dame sozusagen. Doch es geht um mehr als um meinen stattlich-staatlichen Körper, es geht um das Recht auf Öffentlichkeit, das öffentlich-rechtliche Prinzip! Sie kommen alle zu mir in meine Kammer und ziehen die Vorhänge zu. Sie wollen nicht gesehen werden. Der Kardinal kommt gleich gar nicht zu mir. Ich gefalle ihm zwar, doch er könne sich das nicht leisten, er müsse auf seine Reputation achten. Der Rafferl kommt auch nur in der Nacht. Am Tag habe er keine Zeit, sagt er. Der Winkel schließt immer gleich ab, er bevorzugt den Ausschluß der Öffentlichkeit, sagt er, und ein Grund dafür finde sich immer. Der Lüfterl sagt, ein Bankier lebe von der Diskretion, Öffentlichkeit sei Gift für sein Metier, er müsse deshalb auf meine Dienste verzichten, so schwer es ihm angesichts meiner Leiblichkeit falle. Dasselbe sagt auch der Kofferl. Der Freunderl schließlich sucht mich immer nur auf, wenn er sich einen Vorteil davon erhofft. Sonst läßt er sich auch nicht blicken. Der vertrottelte Erbgraf meint sogar, Öffentlichkeit sei vulgär und nur was für die gewöhnlichen Leut. Er, der Noblerone, halte es da mit der Exklusivität. So ein Schnösel. Der Wichtel, eigentlich ein Republikaner, sagt, das Amtsgeheimnis verbiete ihm jede Annäherung an meinereine. Und der Hackler, der hat einfach nix zu verbergen. Der rennt eh nur mit herunter gelassenen Hosen herum, bildlich gesprochen. Was soll der schon bei mir? Und Geld hat er übrigens auch nicht genug, um meine Dienste in Anspruch zu nehmen. Man hat es nicht leicht als öffentliche Dame in Zeiten wie diesen, wo jeder sein Konterfei und seine Biographie ins Internet stellt. Wie willst du damit konkurrieren?
Wem das zu sehr wienert, dem kann ich nicht helfen. Anders ging's nicht. Das Wienerische passt zu Form und Inhalt. Ganz in Nestroyscher Tradition. Bitterböse und zugleich charmant, hinterfotzig und vordergründig höflich, locker und verbissen. Alles in einem.
Na dann. Werde das Aufzug um Aufzug einstellen. Aber erstmal soll das Personal vorgestellt werden.
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Justiz – ein Freudenhaus
Eine Farce in 6 Aufzügen
Personal:
Justizia – Göttin der Gerechtigkeit und Puffmutter mit einer Binde über dem rechten Auge
Die Freudenmädchen:
Domina, die Strenge
Prinzipia, die Unbestechliche
Innozenzia, die Unschuld
Aequalia, die Gleichheit
Demokrazia, die Mehrheit
Liberalita, die Freizügigkeit
Proporzia, die Ausgewogenheit
Republica, die Öffentlichkeit
Die Freier oder Klienten:
Adler-Noblerone, Großgrundbesitzer und Erbgraf
Freunderl, Politiker und Sozialdemokrat
Hackl, Arbeiter
Kofferl, Manager
Kreuzerl, Kardinal
Lüfterl, Bankier
Rafferl, Unternehmer und Christlich-Konservativer
Wichtel, Beamter und Hofrat
Winkel, Richter
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Über dem Freudenhaus der Justizia steht in roter Leuchtschrift: Justizpalast
1. Aufzug
Justizia:
Ich bin Justizia, die Göttin der Gerechtigkeit. Die Zeiten sind schlecht für‘s Recht, aber gut für’s Geschäft mit dem Recht. Sie machen das Recht zur Ware. Die man bestellen kann wie ein neues Auto. Mit genauer Angabe der Extras und Sonderausstattung. Da könnt einem echt schlecht werden. Unsere Freier werden immer dreister. Glauben, Sie haben ein Vorrecht aufs Recht. Meinen, Prominenz habe ein Anrecht auf Sonderbehandlung, auf Diskont. Eine Justiz zur flat-rate sozusagen. Na, so weit kommt’s noch. Meine Mädchen sind durch die Betten professionell, die sind ihr Geld wert. Alles, was recht ist!
Domina:
Mein Name ist Domina, ich bin die Strenge! Bei mir haut niemand über die Stränge! Ein ordentlicher Hieb mit der Peitsche, ein paar rechtmäßige Schläge auf den Arsch, eine legitime Kopfnuss und Ruhe und Ordnung sind wieder hergestellt. Und sie lieben mich dafür, die kleinen Leut. Und sie sind ganz verrückt nach mir, die großen Köpf‘, die Amts- und Würdenträger, die Uniform- und Robenständer. Und die Regierung erst, die kann gar nicht genug von mir kriegen. Ich bin die Garantin der Ordnung, die Patronin der Sicherheit. Alle wollen sie Sicherheit, alles geben’s für Sicherheit: Geld, Freiheit, sogar das Leben! Mein Name ist Domina, ich bin die Strenge!
Prinzipia:
Sie heissen mich Prinzipia, die Unbestechliche. Dabei, soviele Stecher wie ich, hat noch keine gehabt, hier in diesem Haus. Ich bin in aller Munde, und hab‘ sie alle schon im Mund gehabt. Vom Kardinal bis zum Richter, vom Grafen bis zum Hackler. Es ist zum Speiben. Die kotzen mich an. Reden von Unbestechlichkeit und kaufen mich ein. Und meine Chefin, die Justizia, die verkauft mich an jeden dahergelaufenen Freier. Aus Prinzip, sagt sie. Weil die Unbestechlichkeit sei für alle da und ich eine Grundvoraussetzung für das Recht im Staat. Grad‘ der Staat müsse sich an mich halten. Somit bin ich diejenige unter den Freudenmädchen der Justiz, die immer herhalten muß, wenn andere sich drücken. Auf die Freizügigkeit kann man ab und zu verzichten. Auf die Öffentlichkeit auch. Erst recht auf die Strenge. Aber die Unbestechlichkeit? Nein, sie ist das Rechtsprinzip schlechthin. Sagt sie, die Justizia. Also muß ich ran, wann immer es einem beliebt. Aus Prinzip. Ich pfeif auf‘s Prinzip. Es ist nur mit Unannehmlichkeit, mit Müh‘ und Ärger verbunden. So wie das rechte Aug‘ von der Chefin.
Innozenzia:
Ich bin Innozenzia, die Unschuld werd ich auch genannt. Auf mir reiten sie alle kräftig herum. Der Richter, na klar, der Kardinal, wen wundert’s? Aber auch der Reiche und der Arme, der Mörder und das Opfer, der Angeklagte und der Ankläger. Alle reiten’s auf mir herum. Wie soll man sie da behalten, seine Unschuld? Aber das ist denen egal. Legal, illegal, scheissegal, sie wollen alle nur das eine: meine Unschuld! Wie oft hab ich sie schon verloren, meine Unschuld. Wie oft habe ich sie schon verschenkt an Diebe und Betrüger, Schläger und Mörder, ja sogar an Kinderschänder! Und, was hat’s geholfen? Ich war sie los die Unschuld und die, an die ich sie verloren hab, die haben sie misshandelt, verschandelt, verraten und verkauft. Wie soll man sich da noch erfreuen an ihr, der Unschuld? Wenn sogar die Kardinäle und Minister, die Präsidenten und Richter sich täglich an ihr vergehen? Na ja, wenn auch tausendmal verkauft und verschenkt, vergeudet und verspielt, ich bewahr sie mir im Herzen, die Unschuld! So wahr ich Innozenzia heiß!
Aequalia:
Ich bin Aequalia, besser bekannt unter dem Namen Gleichheit. Bin ein bissl aus der Mode gekommen, die Nachfrage nach mir war schon größer. Ein Auslaufmodell, sagt die Puffmama. Was soll’s, hab ich halt meine Ruh‘. Früher, als ich noch jünger war, 1968 oder gar 1848, da war ich die Nummer eins! Ich war die Nummer schlechthin! Alle warn’s verrückt nach mir, die jungen Revoluzzer und die linken Philosophen, die Weltverbesserer und die Hippies. Ich bin gar nicht nachgekommen mit den Gunstbeweisen an meine Verehrer. Richtig eifersüchtig warn’s auf mich und aufeinander. Allen wollten’s mich haben. Gleich und sofort! Gleich wollten’s sein, ja gleicher noch als die anderen. Immer noch gleicher, obwohl eh schon alles dem Erdboden gleich gemacht war. Gleich ist geil, war das Motto der 68-er! Und heute? Ich sei überwutzelt, sagen’s. Die Kirche, na die hat ja noch nie was auf mich gehalten. Der Kardinal scheut mich wie der Teufel das Weihwasser. Der steht mehr auf Hierarchie und geht eh nur zur Domina und nachher zur Innozenzia. Um sich rein zu waschen von aller Sünd. Na und der Rafferl, der fürchtet mich wie die Pest. Wenn alle gleich sind, hamm alle nix, sagt er immer. Und das wär das Ende der Welt. Und der Freunderl, der schaut mich immer so verklärt-sentimental an und murmelt was von den guten alten Zeiten, aber heut sei mit mir keine Wahl zu gewinnen. Na und dass der Erbgraf mich meidet wie eine ansteckende Krankheit, das könnt ihr euch vorstellen. Und der Lüfterl sagt immer, die Gleichheit sei tödlich fürs Geschäft, da könnt ma ja gleich zusperrn, wenn alle Konten und Konditionen gleich wär‘n. Der Richter kann mit mir auch nix mehr anfangen, sagt er. Weil die Menschen seien nun mal nicht gleich, also könne man sie auch nicht gleich beurteilen und verurteilen. Nur der Hackler träumt manchmal von mir, wenn er seinen Freitagsrausch ausschlaft. Und die andern? Der Hofrat Wichtel, für den ist die Gleichheit ein Gift, das Umsturz und Anarchie bringt, sagt er. Na und der Kofferl, der tut alles, damit er sich nur ja unterscheide von seinen Kofferträgern. Das Einzige, wo er gleich zugreift, sind Prämien und Boni. Ich bin ein Auslaufmodell, sagt sie, die Chefin.
Demokrazia:
Mich kennt jeder, ich bin Demokrazia, die Mehrheit. Mich kannst haben in allen Varianten und Spielarten. Als einfache, als qualifizierte, als relative oder absolute, als Zweidrittel oder als Dreiviertel, als vorhergesagte oder gewählte, Mehrheit bleibt Mehrheit! Ich bin das Herz der Demokratie, ich bin der Busen, an dem sich alle nähren: die Parteien, die Regierungen, das Volk und die Meinungsforscher. Ohne Mehrheit ka Geld, ka Musi, kein Auftrag, kein Mandat, kein Zuschlag, keine Subvention, keine Parteienförderung, keine Wahlkampfkostenerstattung, keine Posten, keine Ämter, keine Legitimation, keine Verfassung, keine Gesetze, kein Recht, keine Ordnung. Ich bin das Fundament des Staates und der Ordnung. Auf mir bauen alle auf. Ohne Mehrheit ist alles nix! Ohne mich geht nix! Wer mit mir ins Bett steigt, hat die Macht. Wer sich mit mir niederlegt, steht als Herrscher auf! Wer mit mir schläft, wacht als Kaiser, König oder Präsident, als Diktator oder einfacher Kanzler auf! Ich bin die Mehrheit, wer mich kriegt, kriegt mehr! Und wer will nicht mehr? Alle wollen sie mehr, mehr Geld, mehr Macht, mehr Einfluß, mehr Ruhm, mehr Luxus, mehr Genuß, mehr Gesundheit, mehr Leben! Und das, das gibt’s nur bei mir, bei Demokrazia, der Mehrheit!
Liberalita:
Ich bin Liberalita, die kleine Schwester der großen Libertatia, der Freiheit! Und ich bin nicht zu verachten. Wenn auch alle von der Freiheit reden, so meinen sie doch meistens mich, die Freizügigkeit. Denn die Freiheit ist ein philosophischer Begriff, zudem höchst umstritten und keiner hat sie je gesehen, geschweige denn erlebt und gelebt. Sie wollen zur Freiheit und landen bei mir, der Freizügigkeit. Und ich gewähr' sie ihnen, meine Freizügigkeit, in vollen Zügen. Zügellos geb ich mich jedem hin, der mich begehrt. Ich bin das Prinzip, dem sie alle hinterher hecheln. Und ich gewähr‘ jedem das, was er sich darunter vorstellt. Dem Lüfterl und Rafferl die hemmungslose Jagd nach Geld und Besitz, dem Kreuzerl die schamloseste Heuchelei und Bigotterie, dem Hackl den Blaumontag oder den einen oder anderen kleinen Pfusch, dem Freunderl die dreistesten Lügen und haltlosesten Versprechungen, dem Winkel die krassesten Justizirrtümer und Skandale, dem Kofferl die maximalsten Boni und Incentives, dem Erbgraf die dekadentesten Vergnügungen und dem Wichtel die totale Unkündbarkeit bei größtmöglicher Inkompetenz und Amtsverfehlung. Ihr seht, ohne mich, die Freizügigkeit, wär das Leben nicht einmal halb so schön! Deshalb stehen sie alle Schlange bei mir, die Freier.
Proporzia:
Ich bin Propozia, die Ausgewogenheit. Über mein Wesen herrscht leider große Unwissenheit und alle kommen sie mit falschen Erwartungen zu mir. Zwar gibt’s wenig auszusetzen an meinen Proportionen, nein, da stimmt alles, da sitzt alles am rechten Fleck, doch die Freier erhoffen sich von mir nicht Ausgewogenheit und Verhältnismäßigkeit, sie fordern vielmehr ihren Anteil am Kuchen, das, was ihnen, nach ihren eigenen Maßstäben zusteht! Und das ist leider alles andere als ausgewogen. Maßlos ist ihre Gier, maßlos ist ihre Selbstüberschätzung, maßlos sind ihre Ansprüche und Forderungen! Wie sollen wir da auf einen grünen Zweig kommen? Sie hauchen Proporzia und meinen Proporz, dieses ekelhafte Wort, diese häßliche Verballhornung meines schönen Namens. Sie wollen nicht meine Gunst sondern Sitze in Parlamenten und Landtagen, Mandate und Ministersessel, Ämter und Pöstchen. Und nicht Ausgewogenheit ist ihr Ziel sondern Maximierung: Maximierung der Gewinne, des Einflusses, der Besitztümer und Funktionen, der Bezüge und Gehälter. Besonders kraß treiben es der Kardinal und der Richter. Der eine will absolute Macht über Sitten und Moral, der andere über Recht und Gesetz. Ich tue, was ich kann, doch über ihren eigenen Schatten springen, das schafft nicht mal eine Dirne Justizias!
Republica:
Ja, ich bin es, Republica, die Stattliche, die Staatliche! Dabei, wenn man es wörtlich nimmt, bin ich die Öffentliche! Da ist ein feiner und sehr großer Unterschied! Doch mach das mal einem Wichtel oder Winkel, einem Freunderl oder Rafferl klar! Nun, als Dirne ist man immer öffentlich, eine öffentliche Dame sozusagen. Doch es geht um mehr als um meinen stattlich-staatlichen Körper, es geht um das Recht auf Öffentlichkeit, das öffentlich-rechtliche Prinzip! Sie kommen alle zu mir in meine Kammer und ziehen die Vorhänge zu. Sie wollen nicht gesehen werden. Der Kardinal kommt gleich gar nicht zu mir. Ich gefalle ihm zwar, doch er könne sich das nicht leisten, er müsse auf seine Reputation achten. Der Rafferl kommt auch nur in der Nacht. Am Tag habe er keine Zeit, sagt er. Der Winkel schließt immer gleich ab, er bevorzugt den Ausschluß der Öffentlichkeit, sagt er, und ein Grund dafür finde sich immer. Der Lüfterl sagt, ein Bankier lebe von der Diskretion, Öffentlichkeit sei Gift für sein Metier, er müsse deshalb auf meine Dienste verzichten, so schwer es ihm angesichts meiner Leiblichkeit falle. Dasselbe sagt auch der Kofferl. Der Freunderl schließlich sucht mich immer nur auf, wenn er sich einen Vorteil davon erhofft. Sonst läßt er sich auch nicht blicken. Der vertrottelte Erbgraf meint sogar, Öffentlichkeit sei vulgär und nur was für die gewöhnlichen Leut. Er, der Noblerone, halte es da mit der Exklusivität. So ein Schnösel. Der Wichtel, eigentlich ein Republikaner, sagt, das Amtsgeheimnis verbiete ihm jede Annäherung an meinereine. Und der Hackler, der hat einfach nix zu verbergen. Der rennt eh nur mit herunter gelassenen Hosen herum, bildlich gesprochen. Was soll der schon bei mir? Und Geld hat er übrigens auch nicht genug, um meine Dienste in Anspruch zu nehmen. Man hat es nicht leicht als öffentliche Dame in Zeiten wie diesen, wo jeder sein Konterfei und seine Biographie ins Internet stellt. Wie willst du damit konkurrieren?
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