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Viktor und das Schicksal

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    Viktor und das Schicksal

    Draußen in der Welt war gerade der Winter mit dickem Schnee
    Und lauen Temperaturen nahe über dem Gefrierpunkt
    Hereingebrochen, und allseits trieb eine Ahnung nach einem kalten

    Derben Januar Jung und Alt gleichermaßen um. Ausgenommen
    Die ganz kleinen wußten auch schon die jungen Leute um die bevorstehende
    Winterarbeit und stimmten sich innerlich auf die kräftezehrende Zeit ein,
    Aber auch auf den Erlöser März. Es half das Darben hinnehmen
    Und die Hoffnung oder auch die Ahnung für das angenehmere zukünftige
    Leben aufrechterhalten oder wecken.
    Jedoch trieben den Protagonisten dieser Geschichte größere Erwartungen
    Um als ein angenehmes Leben. Er erwartete schon länger seine Krönung
    Und Heiligsprechung.
    Als der Junge Viktor ein kleiner Bub von gerade einmal
    Fünf Jahren war, hatte ihm seine Mutter eine andachtsvolle Geschichte
    Von seinem Großvater Hanebu erzählt. Anders als bei den Märchen, die er sonst
    Von der Mutter zur Bettstunde erzählt bekommen hatte, hatte er bei dieser keine
    Unernstlichen Kinderfragen über den weiteren Verlauf gestellt oder mögliche
    Änderungsvorschläge eingeworfen. Ob es eine erste Ahnung gewesen ist, diese
    Erzählung wäre kein eigentliches Märchen, oder aber das Wunderbare und
    Sich ihm Offenbarende versetzte ihn in ungeteilten Gehorsam, war er weder in

    Gedanken zu artikulieren in der Lage
    Gewesen, noch hatte er ein bestimmtes Gefühl darauf
    Aus seiner bisherigen Erinnerung hervorrufen gekonnt.
    Die Mutter hatte dem kleinen Knaben alles offengelegt und so war Viktor
    In seinem Bett gelegen und sann mit halbgeschlossenen Augen nach dem
    Großvater, dem Zauberermeister, der droben im schwarzen Siebenwald
    Über Berge, Flüsse und Wälder wachte.
    Eines Tages, so hatte es ihm die Mutter versprochen, würde er einer großen
    Wilden Katze begegnen. Die gehöre zum Großvater und führe ihn in sein Reich,
    Wo er der Junge die Zauberkünste und Zauberdinge benutzen lernen würde.
    Die Mutter selbst hatte vormals noch in ihrem Mädchenalter das Sehen und
    Schauen bei Hanebu gelernt und hielt es dann also für das Richtige, dem Jungen
    Sein Schicksal zu zeigen.
    In dieser ersten ahndungsvollen Zeit verschmolzen Viktor oft Traum und Welt und
    Manches Mal fand er sich in einem Raum, ohne Ort und Zeit zu wissen, oder er vergaß
    Beim Spielen mit Kameraden seinen eigenen Namen, sodaß die anderen Kinder ihn schon
    Früh für eine außergewöhnliche Art Sonderling hielten, mit dem eher eine
    Bekanntschaft als eine Freundschaft zu pflegen geraten wäre.
    Als aus dem Knaben ein Bursche geworden war, hatten sich seine
    Gedanken an die Erzählung der Mutter und die schicksalhafte Begegnung mit der
    Katze verfestigt. Da empfand er recht wohl sein Schicksal vor sich und er war
    Zutiefst bereit gestimmt, es an sich zu nehmen. Er rechnete sich zuweilen schon
    Ganz hoch zum Zauberermeister, oder gar zum obersten Gelehrten der
    Zauberkünste.
    Nach dieser noch recht hinnehmbaren Entwicklung geschah dann aber eine Verwandlung seiner Gedanken
    Und es befiel den Jungen eine mehrere Jahre währende Gemütskrankheit, derer er nie wieder
    Auf einem einfachen Pfade ledig werden konnte.
    Er besuchte seit einigen Jahren die obere Schule ohne große Verfehlung oder
    Mühe und hielt bisher aller weltlichen Gelehrigkeit und ihrem Betriebseifer stand,
    Ohne sich innerst von seinem Traumbilde seines ganz eigenen Schicksals zu
    Entfernen. Bis zu dem Tag als in einer Philosophiestunde der Zweifel in ihm
    Keimte. Es war eine Stunde zu verschiedenen Deutungen des Begriffs der
    Freiheit. Zuletzt geriet die Unterweisung in Metaphysik in einen physikalischen
    Diskurs über die Synchronizität, dessen Beschluss die Unmöglichkeit der
    Beobachtung des Gegenstandes der Freiheit sein musste. Viktor hing jedoch einer gänzlich
    Verschiedenen Auffassung an, und zwar dem Begriff der Freiheit, der besagt sie sei
    Gegeben, wenn einer etwas nicht tun müsse, was er nicht wolle.
    Sein ohnehin verzauberter Geist sog dies gedankliche Destillat gierig auf.
    Und schon bald drang es tief in sein Wesen und war unheilvolles Gift.
    Nach und nach traf dieser neue Bewohner in ihm vielerlei Entscheidungen.
    Eine erste Konvention brach er, indem er jeden Gruß und jede Regung des Gemüts nach
    Außen vermied, was seine Mitwelt ohne Zweifel als geistige Störung aufnahm.
    Zuletzt verlor er das Urvertrauen in das Leben selbst, und gleichermaßen schien
    Ihm jede menschliche Handlung Betrug und Verrat und alles Leben selbst
    Scheinheilig und unwahr. Immer wieder aber gab sich sein neues Inneres bald als
    Reaktion auf die Umwelt zu erkennen, wobei keiner in der Lage gewesen wäre,
    Genau zu erkennen, was ihm dazu Anlass gegeben haben mochte. Es konnte sein,
    Daß er plötzlich laut aufzuschreien begann, wenn ihm jemand auf die Lippen
    Schaute, oder daß er als Antwort auf die Frage nach seinem Befinden einen Monolog über
    Geometrische Formen wie von einem Tonträger her abspulte.
    Jedenfalls war man sich überall dort, wo eine Unterredung um den Jungen
    Entfachte einig, er müsse in der nächsten Zeit ins Narrenhaus gebracht werden.
    In dieser kritischen Phase seines Befindens begann er, viel zu schlafen.
    Einige behaupten im Traum begegne den Menschen oft ihr eigenes
    Unterbewußtsein und diesem entgegengesetzt sei das Bewußtsein und irgendwo
    Dazwischen oder dahinter sei auch noch das Vorbewußtsein und über allem
    Wabere das Überbewußtsein, und die müssten alle ausdifferenziert werden,
    Sonst verstünde einer den Menschen nicht.
    Bei Viktor verhielt sich der Traum eben insofern entgegengesetzt, als daß
    Der verängstigte Rest seiner angeketteten Kinderseele erwachte. So träumte er.
    Als er aufwachte beschleunigte sein Puls die Frequenz fortwährend und zugleich
    Stieg seine Körpertemperatur und versetzte ihn in ein furchtbares Fieber.
    Getrieben vom Geist einer ausweglosen Erkenntnis verfluchte er bald flüsternd
    Mit Zischen, bald ächzend mit Grollen in unsagbar abscheulichen Reimen den
    Letzten Funken, den seine Kinderseele im Traume versprüht hatte.

    Draußen hatte bereits das neue Jahr mit der vollen Strenge des Winters
    Das Land in Schnee und Eis gehüllt. Viktor fasste den Entschluss, sich dieses Umstandes zu
    Bemächtigen, ihn zu benutzen, um die kleine vergewaltigte Seele schließlich erfrieren
    Zu lassen. Grad wie er geboren war, stieg er aus dem Haus und watete mit wilden
    Verrenkungen in den ernsten, eisigen Morgen. Wenige Augenblicke nur währte dies
    Zuckende Schauspiel, da sank er auf die Knie, brach in den vereisten, verkrusteten Schnee
    Und steckte den Kopf in denselben. Nur sein Rücken und das Hinterteil ragten aus der Ebene.
    Wie ein Säugling also lag er da, ganz still. Aus seinem Mund trieften und schäumten Galle
    Und Blut und der Junge war tot.
    Nach einigen wenigen Morgenstunden erschien die wilde Katze aus dem nahegelegenen Walde
    Her. Ihre Gestalt war riesenhaft und furchterregend. Sie öffnete ihr Maul und hakte ihre
    Spitzen Zähne in seine Hüftknochen ein. Dann schleppte sie ihn, der nun ganz steif geworden
    War durch den schwarzen Siebenwald und lief den Fluß hinauf und schließlich den Berg hinan,
    Wo der Zauberer in der Höhle des Flußquells das Gespann bereits erwartete. Der Zauberer
    Entließ die Katze mit einer kreisförmigen Armbewegung im Uhrzeigersinn aus ihrem Dienst,
    Wobei sich seine Robe theatralisch aufschwang und hieß sie die beiden, Großvater und Enkel für
    Die bald folgende Zeremonie allein zu lassen.
    Zuerst füllte er eine Flasche halbvoll mit Quellwasser. Dann sprach er die Formel für die
    Herauslösung der Seele aus dem Körper, der ihr Gefängnis geworden war und überführte
    Sie in die Flasche, die sich sodann bis in den Hals und endlich vollends füllte.
    Schließlich verschloss er sie mit einem Korken und verbarg sie sicher in seinem Mantel.
    Er wandte sich zu einer Empore um, auf der eine silberne Klinge mit Sprüchen in
    Runenschrift bereitlag, nahm dies Schwert in die rechte Hand und beschwor den Dämon aus
    Dem toten Leib. Da erhob sich der vereiste Körper mit krachenden, knackenden Verrenkungen
    Und geiferte mit bestialischen Lauten totbringende Sprüche. Der Zauberer aber hieb ihm den
    Kopf und die Arme und zuletzt die Schenkel und den Nabel entzwei. Als der Dämon
    Aus dem offenen Schlund entweichen wollte, zog der Zauberer das Geschöpf mit seinen
    Kräften in eine Truhe, die mit Bannsprüchen versehen war.
    Nachdem der Geist besiegt war, kümmerte sich der Großvater um die Seele seines Enkels.
    Er gab sie nun aus der Flasche in die Quelle und ließ sie in den Kreislauf des Lebens
    Wiederkehren. Im darauffolgenden Frühjahr tauchte ein junger Vogel in der Höhle des
    Zauberers auf und wich nicht mehr von seiner Seite. Das war Viktor. Und hier endet die Geschichte.



  • #2
    Drei Sommer und drei Winter waren vergangen, seit der alte Hanebu den bösen Geist besiegt und in die Siegeltruhe gebannt hatte.
    Aus dem jungen Vogel war in dieser Zeit ein prächtiger Meister der Lüfte und treuer Diener des Zauberers geworden,
    Der nun auch in vielerlei Kunststücken ausgebildet als ein seltener Zaubervogel weit über die Grenzen des schwarzen Siebenwaldes hinaus Bekanntheit erlangt hatte,
    Und von dem je und je in den Dörfern die kleinen Buben den Mädchen bald abenteuerliche, bald schauerliche Geschichten zu erzählen wußten,
    Ohne daß der Vogel selbst davon Kenntnis nahm. Es dauerte nicht lang bis nach dem plötzlichen Verschwinden Viktors im Winter vor drei Jahren, sein Tod als gesichert galt.
    Die Mutter konnte gegen ihre Fähigkeit des Sehens nie in Erfahrung bringen, was genau sich zugetragen hatte und hatte doch eine scharfsinnige Ahnung,
    Daß ihr Vater in dieser Angelegenheit seine Hände im Spiel gehabt haben müsse. Selbst die einfachen Leute konnten sich so manches Mal von ihrer Phantasie sehr nahe an die Wahrheit führen lassen,
    Schämten sich jedoch recht schnell für ihre Spekulationen oder lachten heimlich über die Vorstellung der Zaubervogel wäre der verwandelte Viktor.

    Der Vogel selbst wußte nichts von alledem und lebte und diente zufrieden mit der Freiheit eines Vogels und den Fähigkeiten eines Magiers.
    So konnte er sich beispielsweise zur Tarnung in eine Blume verwandeln oder in eine Wolke verwandelt ohne Mühe über viele verschiedene Länder fliegen.

    Hanebu hatte viel Freude in der Gesellschaft seines Zöglings und doch ergriff ihn jedes Mal, wenn ihn der Zaubervogel für eine seiner eigenwilligen Unternehmungen zurückließ
    Eine wehe Sehnsucht, seinem Enkel sein Leben in Menschengestalt wiederzuschenken und sein Herz wurde ihm so schwer, daß er lieber sterben wollte, als dem Jungen sein Leben nicht zurückzugeben.

    Als der Zaubervogel von seinem letzten Ausflug zurückkehrte, erwartete der Zauberer ihn in seiner Höhle am Flußquell und hielt seine klugen alten Hände zu einem Bett für den Vogel geformt.
    Sie waren ganz beieinander, da erzählte der Alte ihm, was vor drei Jahren geschehen war, vom Dämon, von der Katze, die ihn zum Zauberer brachte als er schon tot war,
    Die er freilich längst zum Freund gefunden hatte in den letzten drei Jahren; gerade in seinem ersten Jahr als junger Vogel spielten sie oft Fangen mit beschaulicher Tollheit,
    Und er erzählte von Viktors Heimkehr als Vogel.
    Die liebenswürdig samtenen Federn des Zaubervogels wurden indes immer weicher und seine Augen immer kleiner,
    So war er im Begriff, in des Zauberers Händebett einzuschlafen. Da sprach Hanebu jedoch zum Vogel, er wolle ihm seine Menschengestalt wiedergeben
    Und dafür sei es jetzt an der Zeit. Der Vogel schrak auf und flatterte wild an der schroffen Decke der Höhle entlang und fürchtete der Zauberer nehme ihm vielleicht seine Vogelfreiheit,
    Oder seine Kunstfertigkeiten und sträubte sich also zutiefst und höchstbewegt gegen dies Vorhaben.
    Gegen den Willen des Vogels sprach der alte Zauberer den Verwandlungsspruch und in einem Dreh fiel Viktor von der oberen Höhlenwand auf alle Viere.

    Er war verwandelt, es war vollbracht, Viktor war kräftig und schön und er war nackt. Es jagten wilde Blitze der Erinnerung durch seinen frischen Körper und er begann zu schreien,
    Wie ein Neugeborenes begann er zu schreien und zu kreischen und da umschlang er eilig und wild den Hals des alten Zauberers mit seinen großen starken Händen und drehte ihm denselben um.
    Der sank zu Boden mit den verquollenen Augen voll Angst und blutrot und Hanebu war tot.




    Viktor schwor dem Ausfahrenden, nie wieder ein Teil seines Schicksalsspiels zu sein und begriff in demselben Moment, daß er niemals wieder irgendjemandes Willen,
    Auch nicht dem seinigen eigenen gehorchen werden würde. In dieser traumtrunkenen Stunde nahm er die silberne Klinge des Großvaters von der Empore,
    Zerschlug die Banntruhe und ließ den Dämon frei. Der geiferte begierig nach seiner vormaligen Hülle und besetzte den neuen Viktor sogleich.

    Viktor jedoch hatte schon einen Geist in sich, und dieser war stärker als der Dämon. Es gelang dem bösen Geist nicht, Besitz von Viktor zu ergreifen.
    Im Gegenteil sperrte Viktors neuer Geist des Nichtswollens den bösen Geist des Nichtwollens in eine dunkle Zelle, von der aus er alles mitansehen werden, müßte.

    Viktor war in einen Vogel verwandelt worden und war nun wieder wie damals ein Mensch, so wie er geboren war. Er hatte nun aber zusätzlich Anteile des freien Vogels in sich.
    Die Erinnerungen waren so stark, daß er sich bald sogar seiner Fähigkeiten rückbesinnen konnte und bald selbst zum Zauberermeister wurde.

    Und hier beginnt eine neue Geschichte.

    Er lernte und beherrschte in Eile die ganzen Fertigkeiten der großen Zauberer; das Plötzlichinnichtsauflösen, also Unsichtbarwerden,
    Das Verwandeln in Tiere, Bäume, Wolken oder Felsen oder sogar in Feuer, das Sprechen mit den Geistern der Toten.
    Und diese Liste könnten wir mühelos verlängern.

    Diese Fähigkeiten waren es aber mithin nicht, die entscheidend für das Fortleben des Neugeborenen waren.
    Nicht die Zauberei, die Geister, nichts, was er beeinflussen, lernen oder beherrschen können würde, war richtungsweisend für den Aufstrebenden.
    Es war etwas, das auf ihn zukam, das größer war als eine Erkenntnis, oder als das Schicksal . Er spürte bereits wie die Magie und das Zauberertum ihm dabei den Weg versperrten
    Und daß sie die Ursache für das üble Schicksalsspiel des Großvaters, aber auch seines eigenen waren und sein würden, und so bedauerte er,
    Daß er den Großvater totgeschlagen hatte.

    In eine Wolke verwandelt zog er rasch übers Land und dann zum nächsten und dann übers Meer und über eine Gebirgskette, auf der er Wandermönche in großen Gruppen in einem Zug halb feierlich,
    Halb bedauerlich pilgern sah und sah bald eine große dampfende Stadt unter sich, in der glühendes Erz in abstrakte und auch nützliche Formen gebracht wurde
    Und sah Roboter mit Kindern in Parks spielen und er spielte diese Dinge nach, wandelte seine Wolkenform in eine Gruppe von Mönchen,
    In eine dampfende Fabrik und dann wieder in ein Roboter und Kind Paar, und dies Spiel gefiel ihm.

    Dann sank er allmählich vom Himmel herab und war wieder Viktor, nackt und schön und er war ganz elektrisiert vom schönen Spiel und fand sich schnell in seiner Phantasie wieder darin.
    Und wie er aus diesem Wachtraume zu sich kam, ließ er alles los und die Geister fuhren aus ihm heraus und schlugen sich in den Himmel aufsteigend mit Feuer und Blitzen
    Und sanken mit Raketendröhnen und Donner aus der Höhe auf den Boden und schlugen einen tiefen Krater in die Erde, der endlos schien.
    Die Geister hatten sich neutralisierend einen furchtbaren Abgrund hinterlassen.

    Wieder ganz Mensch, wieder Kind, wieder grad wie er geboren war, wandte er sich dem Erdschlund zu und suchte, einen Weg hinab zu finden.
    Wie gemeißelt war da ein steinerner Pfad in die Kluft geschlagen, schiefrund und doch wie von Laserhand. Keine Windung schien überflüssig oder fehlplatziert.
    Viktor stieg elastischen Schrittes, leichtfüßig wie ein im Klettern geübtes Kind den Weg in den Erdschlund hinunter, einen unsichtbaren Faden an sich aufspulend.

    Am Grunde fand er ein Becken gefüllt mit steinernen kleinen Würfeln, die wie wild an manchen Stellen einander anziehend und an anderen Stellen einander abstoßend umherwirbelten
    Und es fanden sich bei diesem Magnetenspiel erst Pärchen zusammen, die sich darauffolgend mit dem nächsten Stein oder Pärchen verbanden.
    Bald hatten sie sich wohlgeordnet gereiht und das Becken lag da und sein Boden war bedeckt mit den sonderbaren Steinen.
    Viktor beschaute dies Kunststück erst mit Schrecken und dann mit Freude und bemerkte erst zuletzt als das Spiel vorüber war, daß die Steine Lettern waren und das Ergebnis des Spiels ein Text war
    Und es stand geschrieben:


    Wer dies liest, ist auf immer Teil des Spiels
    und wird einbezogen in die Neutralisation der Dinge“.

    Einige Tage saß er vor dem von unsichtbarer Hand gearbeiteten Text und betrachtete das Werk, und das tat er gern, weil der Stoff sich ihm selbst darbot und niemand Viktor bemühte.
    Es setzten weder Erleuchtung noch Dünkel ein, dafür aber Neutralität und damit Freiheit. Gerade als die Lektüre beendet war, bekam er es mit Schmerzen aus Krämpfen von Hunger und Durst zu tun.
    Einen kurzen Augenblick nur hatte er, sich von der Welt zu verabschieden, da erschien aus einem Riss im Kraterboden ein Lichtbogen, der Erdloch, Felsen, Bäume und Berge,
    Roboter und Mönche und alles in Glanz e
    inhüllte, und sie alle verloren Not und Leid und Wünsche und Ängste. Und vom Himmel stieg mit Flügeln und Füßen aus Feuer ein riesenhaftes Mädchen hernieder
    Und das stand nun vor ihm und war doch nur ebenso menschengroß wie er. Da fügte sie sich ihm ganz nah, reichte ihm die Hand und indem er sie nahm, rasten Viktor und die schöne Fremde
    Geschlossenen doch sehenden Auges durch die Äonen und spielten tausendfache Spiele der Neutralisation. Sobald die Reise getan war, ließ sie seine Hand los,
    Doch da ergriff Viktor die ihre erneut und die beiden verschwanden in der Fiktion. Hier nimmt die Geschichte eine entscheidende Wendung.

    Viktor war nun Betrachter geworden. Mit Hinwendung und Anschauung der Dinge, das Gefüge nicht länger berührend war er aufgegangen in der Bedeutung der Neutralisation.
    Keine Moral und auch kein Gewissen arbeiteten mehr in ihm und so konnte er die Dinge geschehen lassen., sterben lassen, was sich selbst zerreißt, blühen lassen, was leben kann.

    Eines der vielen Spiele der Neutralisation hatte er schnell liebgewonnen. Es war das Würfelspiel mit den steinernen, magnetischen Lettern, dessen Ausgang stets ungewiß begann
    Und daher für lauter eigenwillige Überraschungen sorgte. Eines der Ergebnisse des Spiels etwa war ein Satz, der sagte:



    Das einzige Alleinige strebt stets zusammen“.

    Ein anderes Mal zeigten die Lettern die Worte:

    Der Kosmos ist ein Kind, und das Kind ist ein Kunstwerk“

    Der Satz über den Kosmos und das Kind ließ Viktor das Spielen als Kindwerdung begreifen und so zog es ihn bald zu einer Heimreise.



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    • #3
      Die Schreibung verstehe ich nicht. Ist das eine Form von Lyrsa? Die Anfangsbuchstaben am Zeilenanfang ließen darauf schließen, der Satzbau nicht, auch sind keineswegs abgeschlossene Gedanken oder ein Hakenstil zu finden. Fehler bei der Einstellung des Rechtschreibprogramms? Partizipien gehen mir auf den Docht. Zahllose UND-Konstruktionen, die aber nicht als Parenthesen gekennzeichnet wurden; dadurch wirken diese Sätze wie zufällige Gedankensprünge, Nachgereichtes.

      Aber die Grundstimmung gefällt mir.

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      • #4
        Das Format soll im Versmaß daherkommen, das ist sicherlich nicht recht gelungen, wird noch bearbeitet. ich hab zwei etwas sperrige partizipien in erinnerung, die ich aber als nette widerhaken empfinde: "faden an sich aufspulend..." ist eines davon, und das ist doch gut, daß der leser darüber stolpert oder daran hängen bleibt, um sich damit auseinanderzusetzen, meine ich.
        Die Und-Konstruktionen sind im letzten Teil wirklich zu viel. Danke für die Hinweise.
        Ich mache daraus gerade ein Hörspiel. Macht Laune

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        • #5
          Die Fremde hatte ihn in die entlegensten Winkel der Geschichte gezogen. Viktor war ausgedeutet worden von Urgegenden in Urzeiten, wo nicht Tag und Nacht, nicht Gut oder Böse, nicht Subjekt und Objekt, Welt und Ich einer menschlichen Deutung ausgesetzt waren. Er wurde ein Teil der Dinge, ein beobachtender Teil der Erscheinungen, der nun dadurch Dringlichkeit bekam. Er war ins Bild gekommen als liebevoll Schauender.
          Neutralisation atmend wanderte Viktor leichten Fußes durch den schwarzen Siebenwald. In seinen Händen spielten die magnetischen Lettern ihr Versspiel: „Sprache ist Befehl“, „die Sage ist zeugungsfähig“ und andere solche Sätze säumten seine gedankliche Heimkehr und bauten ihm eine unsichtbare Rüstung. Mit maschinenhaftem Antrieb marschierte er unter dem goldblauen Herbsthimmel in seine Heimstatt, vorbei an alten Eichen, vorüber an seiner ehemaligen Todesstätte. Er kaute die reifen Hagebutten wie es ehemals der kleine Knabe tat, und pfiff eines der Bubenlieder, das er von den einstigen Kameraden gelernt hatte. Und so versöhnte und verschwisterte er sich schnell mit dem Vergangenen, das nie vergangen war und immer weiter zog es ihn nicht zögerlich an die Schwelle des Hauses der Mutter.
          Als die Mutter ihn erblickte, fiel sie auf die Hinterbeine und wurde ganz blass. Mit dem zitternden Atemzug, zu dem sie sich zwingen mußte, brachte sie mit Entsetzen einige Worte über ihre schönen aber deutlich gealterten Lippen: „Ich erkenne dich nicht wieder. Du siehst so gleich aus. Du bist ganz gleichgültig. Willst du mich denn nicht in den Arm nehmen?“
          Das muß ich gar nicht wollen liebste Mutter. Ich tue es einfach. Ich will gar nichts mehr weißt du. Ich bin nur noch neutral“
          Mit innerster Distanz und nur aus mütterlichem Pflichtgefühl erwiderte sie seine Umarmung, da sie tief in sich innen spürte, das dies nicht ihr Sohn war, sondern nur die Hülle, die von ihm übriggeblieben war. Keiner seiner Züge hatte noch Menschliches übrig.
          Du bist bestimmt hungrig und müde. Ich werde dir das Bett machen und bevor du dich dort ausruhst, sollst du essen. Und wenn du wieder zu Kräften gekommen bist, dann erzählst du mir alles.“ Viktor hielt nichts dagegen und ließ die Bestimmungen gelten. Die Mutter ging rasch in die Küche, nahm das große Fleischmesser, schlich sich hinter den Jungen und schob ihm das Messer mit voller Gewalt durch Rücken und Brust.
          Als Viktor aufwachte war es früh am Morgen und die Mutter rief und befahl ihn, die Schulsachen zu sortieren, da heute eine wichtige Philosophiestunde bevorstünde. Viktor fand sich wieder als junger Knabe, im Haus der Mutter. Er hatte schon begriffen, dass er aus einem langen Traume her aufgewacht war und doch war nicht alles ganz recht. Ganz schnell suchte er, alle Erinnerung an den Traum aufzubringen und schließlich gelang es ihm, bis zu dem Tag der Philosophiestunde vorzudringen, an dem er vom Gedanken des Nichtwollens besetzt worden war. Als pflichtbewußter Schüler nahm er seine Sachen und ging in die Schule, auch wenn ihm übel und unwohl war und setzte sich mit beinahe überhand nehmender Angst an seinen Platz im Klassenzimmer. Sein Banknachbar war der kluge aber faule Heinrich Meisterlein. Der begrüßte den Angsttraumerschöpften mit einem kräftigen Schlag mit der flachen Hand auf den Oberschenkel. Wenn auch unter Schmerzen war Viktor an diesem Tage froh über Heinrich, der schon so manchen Tages der Schule abhanden gekommen war. Er gab ihm das Gefühl, nicht ganz allein zu sein in dieser seltsamen Stunde der Bewährung.
          Plötzlich begannen die beiden erst heimlich und dann doch merklich sich mit kleinen Witzen, den Unterricht etwas spaßiger zu gestalten.

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          Wie heißt die größte deutsche Insel?

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