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  • #16
    In der Tat, liest man sich diese Gedanken eines Auswanderers von 1860 durch, dann sind das radikal-kapitalistische, wirtschaftsliberal extreme Ansichten. Spekulation, Profitgier, Reichtumsfantasien - da versteht man eher, dass die USA tickt, wie sie tickt. Allerdings gilt das genauso für Europa, nur heuchelt man hier mehr und faselt von Sozialstaat, Solidarität und Gerechtigkeit. Im Grunde das gleiche System, bloß mit Sozial-Make-Up.

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    • #17
      Liest sich schon ein bißchen wie Karl May 😎

      ich sehe da eine wirtschaftssimulation ala Sim City und/oder Farming Simulator 👌😁

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      • #18
        to whom it may be interesting:

        Es war eine böse Stunde. Was ich stets heimlich gefürchtet hatte, war nun gekommen, ich war gebrochen! /Oh America, America, du bist ein gräulich Land, du strafst mich schwer! Wo ist dein Zauber, diene Freiheit, dein goldener Traum? Oh über dich Farmerei, wie abscheulich siehst du aus der Nähe aus! - Doch halt ein, halt ein mit deinen Anschuldigungen! Mein Gewissen mußte mir sagen, daß America und die Farmerei nichts dafür können, wenn ich ein verweichlichter, übercivilisirter Schwächling war./

        Beim Mittagessen wiederholten sich die Bemerkungen des Alten, die noch durch bissige Worte seiner Frau unerträglicher wurden.~ Dies kam mir gerade recht, mein Entschluß war gefaßt. Mit kurzen Worten erklärte ich ihnen nicht länger bleiben zu wollen und daß sie sich um einen anderen "help" umsehen mögen. - Dies war gerade das, was die beiden gewünscht und erwartet hatten, sie waren sichtlich erleichtert und auf einmal wie umgewandelt.- Der Alte meinte ich solle es nicht so übel nehmen. er bedauere die Sache lebhfft, aber er könne nichts dafür. Der Ernte sei vor der Thür und das Haus voll Arbeit und er aber sei schon zu alt und immer kränklich um die Arbeit ohne Hülfe eines tüchtigen "helps" "standen" zu können. Es wäre ganz was anderes gewesen wenn ich im Frühjahr auf die Farm gekommen wäre, da ist die Arbeit nicht so hart und dringend und man kommt nach und nach hinein; allein jetzt mitten in der "harvest" könne kein "Grüner" anfangen die Farmerei zu lernen.- Ich solle nach der Stadt gehen, wo ich gewiß etwas für mich weit Passendes finden Werde: er wolle mir jedoch so lange "Board und Lodging" gegen späterer Bezah1ung geben, als ich Lust hätte in Anspruch zu nehmen.

        Ich War so übel gestimmt daß ich auf Alles dies kein einziges Wort zur Antwort gab, sondern ruhig aufstand und in den Garten ging, um die am Vormittag begonnene Arbeit gänzlich zu beendigen.- Ich mußte wohl oder übel dem Alten in allen Stücken Recht geben, und sah zuletzt ein, daß er wenigstens im Grunde genommen doch ein guter Kerl war.

        Ja, nach der Stadt! - Das war mein fester Entschluß. Welche Stellung immer ich dort auch erhalten werde, sie wird jedenfalls eıne leichtere sein als die gegenwärtige. Kein Frauenregiment, keine so harte Arbeit und vor Allem keine so
        heißen Sonnenstrahlen.- /Und wenn›s auch nicht so wäre, was liegt's mir auf? Jedenfalls ist's wieder was Neues und bietet eine Abwechslung.

        Am Abend hatte ich meine Arbeit gänzlich vollendet und nach dem Supper zündete ich mir eine Pfeife an und setzte mich vor die Hausthüre. Die dämmernden Schatten eines herrlichen Sommerabends lagen über der ruhigen Landschaft und boten verein mit der dampfenden Pfeife alle Bedingnisse zu ruhigen, besonnenen Reflexionen einerseits und schwermüthiger Phantasie anderseits.

        - 274 -



        Die Alten waren noch nicht lange zu Bette geangen und ich in der stillen Nacht dasitzend in in tiefer Gedanken versunken, als ich eine hohe Gestalt über die Fence steigen sah. /In America steigt man viel lieber über die Fence, als daß man erst viel nach der Thüre sucht./ - Es war Cornél, er kam mir wie gewunschen.

        Er war sehr erstaunt, als er meinen Entschluß hörte, nach der Stadt gehen zu wollen, und hot Alles mögliche auf, um mich davon abzubringen. "Was wird aus unserem Plan werden“ fragte er endlich, worauf ich ihm erwiderte, daß ich im
        nächsten Frühjahr wieder herauskommen wolle, und dann von Neuem mich in der Farmerei versuchen werde. Er meinte jedoch, daß wenn ich einmal in der Stadt sei, ich mich gar bald von unserem Plane trennen würde u.s.w. und bewog mich endlich so weit, bei Mr. Patrick noch einmal einen Versuch zu machen, und wenn's dort auch nicht ginge, möge icb in Gottes Namen in die Stadt ziehen, in welchen Falle er mich jedoch als für unseren Plan verloren aufgeben müsse. -

        Bis jedoch auf Patricks Farm eine Stelle frei sei, was nach wenigen Tagen zu erwarten ist, solle ich bei Müller “Board und Lodging" gegen spätere Bezahlung nehmen, und somit einstweiles hier bleiben. Dabei brachte er einige "Goddems" auf die Deutschen aus. Es war Mitternacht als wir uns trennten und ich begleitete Cornél bis zum nächsten "Corner".-


        30.-31. July 1861


        Diese zwei Tage sind in meinem Notizbuche von jener Zeit blos mit dem Worte "Prıvatisırt" bezeichnet. Es ist daher auch von denselben wenig zu berichten.
        Da ich nun kein "Help" sondern vielmehr ein "Boarder" war, so arbeitete ich nur ganz wenig zum Zeitvertreib, und selbst das Wenige behagte mir nicht; Ein bleierne Apathie hatte sich meiner bemächtigt, die mir Alles zuwider machte. Die
        ungewohnte heiße Prairieluft, die ungesunden Ausdünstungen aus den "Swamps" hatten wohl dieser Zustand erzeugt, es waren vielleicht der Vorboten des Fiebers, dem auf der Prairie der frische Ankömmling selten entgeht.- Ich entrann demselben vielleicht gerade noch zu rechter Zeit.- Die Leute im Hause waren jetzt immer sehr freundlich und wohlwollend gegen mich.

        - 275 -

        Der alte Müller fuhr nach Chicago hinein und holte sich einen anderen "help". Wieder ein Original! Es war ein Mann von 40 Jahren von hoher, herkulischer Gestalt und harten aber auch abgehärmten Zügen, die noch den Stempel von Intelligenz und früheren besseren Verhältnissen an sich trugen. Er besaß wissenschaftliche Bildung und war Schweizer von Geburt. Wenn ich seinen schweizerischen Dialekt, dem er mit einer sonoren Stimme sprach und seine kühn gewölbte Stirne und schwermüthig zusammengezogenen Augenbrauen sah, dachte ich unwillkürlich der Helden von Rütli.- Er war bis jetzt in Iowa Farmer auf eigene Faust, hatte es auch es auch schon zu einem hübschen Vermögenen gebracht, als der Krieg kam und ihn gänzlich ruinirte. Seine Farm wurde gepfändet und verkraucht (verkauft?). Seine zahlreiche Familie zurücklassend kam er nun nach Illinois um da als Knecht zu arbeiten und für Weib und Kinder Brot zu schaffen, denen er seinen Lohn monatlich zuschicken wollte. Die durch den Krieg in Iowa entstandenen traurigen Zustände schilderte er in lebhaften Farben. Er prophezeite für Illinois in Kürze dasselbe. Trotz seiner Verschlossenheit und Düsterheit gewann ich ihn doch lieb, was ıch auch um so mehr mußte, als er mit mir in einem Bette schlief /!/ -

        In dieser Zeit schrieb ich auch an meine Freunde Carl Paul Ullmann und Gustav Horn Briefe, da ich den selben versprochen hatte gleich nach meiner Ankunft in America zu schreiben, was ich jedoch bis jetzt aus naheliegenden Gründen nicht gethan hatte.- Am Abend des zweiten Tages kam Cornél zu mir, mit der Nachricht, daß ich bereits bei Patrick eintreten könne, welcher gerne bereit ist, mich zu engagiren. Patrick, obwohl ein Irländer von Abstammung, war ein guter Mann.- Ich machte einige Wäsche in ein Bündel zusammen, und meine übrigen Effeckten bei Müller in einstweiligen Gewahrsam lassend, nahm ich von ihm und seiner Familie kurzen Abschied und wanderte mit Cornél nach Patricks Farm. Dort angelangt, erhielt ich ein famosen Bett angewiesen und war bald häuslich niedergelassen. Cornél meldete mir mit wichtiger Miene daß ich, "der schöne Blonde", bei einer der Ladies im Hause große Eroberung gemacht habe. Auch gut.-



        1. August 1861


        Nun war ich neuinstallirter "Help" bei Patricks Farm. Früh morgens gings an die Arbeit; außer mir und Cornel waren noch drei handfeste Helps da, lauter junge Leute /einer war ein Schotte/ und zwei kleine Buben Patricks, die trotz ihrer Jugend beinahe ebensoviel leisteten als die Erwachsenen.


        - 276 -


        Außerdem arbeitete auch der Alte wacker mit und überbot selbst Cornél. Mit einer großen Mähmaschine wurde Thimotheusgras gemäht, das Patrick des Samens wegen baute und ihm jedes Jahr mehrere tausend Doller einbrachte. Cornél, mir und noch Einem fiel das Geschäft des Bindens der von der Maschine regelmäßig abgelegten Halme zu.~ Ich konnte jedoch mit meinen Gesellschaftern nicht zur Wette arbeiten und blieb bald zurück. Die alte Hetze war wieder los und trotz der Ermuthigungen meiner Cameraden gab ich gänzlich erschöpft gegen Mittag die Arbeit auf und ging nach Hause, wo mir eben die rufende Mittagsmahl-Glocke entgegentönte.

        Nachmittag legte ich mich mit der Erklärung unwohl zu sein zu Bette und sagte Cornél daß mit der Farmerei bei mir zu Ende sei; ich habe keine Lust und er solle sich keine Mühe geben, es sei ausgespielt.~

        Abends erneuerte Cornél seine Bemühungen mich zurückzuhalten, und sagte mir Patrick sei bereit mich in Kost und Wohnung zu halten wo ich dann und so viel zu arbeiten brauchte, als ich gerade Lust habe. Allein auch dieser Angrifg nützte ihm nichts; ich war einmal die Prairie mit ihren heißen Sonnenstrahlen satt, und sehnte mich nach den kühlen Schattender Stadt.-



        2. August 1861

        Früh Morgens schnürte ich wieder mein Bündel und nach dem ich von Cornel Abschied genommen hatte, machte ich mich frei und froh mit leichtem Herzen auf die Wanderschaft. Lieder trillernd, mit meinem Bündel auf einem Knotenstocke am Rücken, pilgerte icn hinein nach Denby, der Eisenbahnstation. Obwohl ich keinen Kreuzer Geld in der Tasche hatte /Cornél konnte mir keins mitgeben/ beschloß ich, doch per Bahn nach der Stadt zu fahren, da ich keine Lust hatte zu Fuß zu
        gehen. In Bezug auf der Fahrgeld vertraute ich dem Zufall und meinem guten Glücke. - Bald brauste der Zug heran, gerade so lange anhaltend, daß ich mit noch eınigen Passagieren mit Lebensgefahr hineinspringen konnte. Als der Conducteur um mein Ticket fragte, sagte ich ihm, ich werde in Chicago zahlen,
        ich habe jetzt kein Geld bei mir, worauf er mir blos bedeutete ich möge meinen Bündel in der Office 1assen und dann weiter ging. Schon gut, dacht' ich mir, sind wir nur mal in Chicago, dann wollen wir schon sehen, wer schneller draußen
        ist.

        -277-




        Ich rollte nun zur Stadt hinein, und einer neuen Sphäre, neuer Verhältnis an, einer anderen Laufbahn entgegen. Ich aøtte genügend Zeit über die letzten Tage, über meinen so schnell beendigten Farmer Dilettantismus nachzudenken. Ich war um Jahre von Überzeugungen und Erfahrungen reicher geworden. - Ich hatte wohl an Cornél das lebende Beispiel und Beweis gefunden, daß es wohl möglich ist aus einen europäischen Civilisations- oder besser gesagt Stadtmenschen, ein tüchtiger mit Lust und Liebe seinem Fache obliegender amerikanischer Farmer zu werden. Allein ich hatte auch die Überzeugung gewonnen, daß ich für meine Person dazu wenigstens vorläufig nicht fähig sei. Das Schreibpult hatte mich während der letzten zwei Jahre so zu sagen zu einem Krüppel gemacht, und mich jeden körperlichen Arbeit vollständig entwöhnt. Ich war ein vollkommener Stubenschwächling geworden. Es fehlte mir gewiß nicht am guten Willen, allein wo die körperlichen Kräfte versagen, da ringen die geistigen vergebens. - Wäre ich so wie Cornél und Hefter mitten aus der Specereyhandlung als kräftiger an schwere Arbeit gewöhnte Jüngling nach America gegangen, so wäre es ohne Zweifel auch mir gelungen in diese Beschäftigung mich hineinzufinden, denn ich stand ihnen damals an Körperkraft durchaus nicht nach; doch wie gesagt, die Bureau~, Theater-, Tanzsaal- u.s.w. Luft hatte meine Muskeln schon viel zu viel inficeirt.-

        Vielleicht wäre es mir trotzdem gelungen, wenn ich so wie Pfeifer der auch 4 Monate Farmer war, im Frühjahr begonnen hätte, so aber war dies der schlechteste Zeitpunkt den ich wählen konnte.

        Dass Ferdinand bis zum Winter Farmer blieb, /wo dann auch er in die Stadt ging/ und zwar wie ich erfuhr, zur Zufriedenheit seines Herrn, blieb mir stets ein Räthsel. Jedenfalls aber trug die Güte und Nachsicht dieser Leute viel dazu bei, seine Lage zu erleichtern und ihn zu veranlassen dieselbe nicht zu verändern, während ich nur Ungeduld und böse Mienen sah. Es waren ganz andere Leute und um ein gutes Theil intelligenter als die meinigen. So z.B. machte Ferdinands Farmer ihm für den Winter den Antrag wie bisher bei ihm zu bleiben und gar nichts zu arbeiten, sondern blos seine Kinder in Lesen und Schreiben zu unterrichten. Das wäre gleich etwas gewesen, wofür ich mich hätte begeistern können, Ferdinand aber keinen Sinn hatte.-

        Überhaupt bildete bei Ferdinand der Mangel jeder Erwerbsaussicht in der Stadt einen großen Faktor seines Bleibens auf der Farm, wo er wenigstens eine sichere Unterkunft hatte, während er nicht den Muth und das Selbstbewußtsein besaß, sich
        in der Stadt eine andere zu suchen. Er äußerte sich selber in ähnlicher Weise gegen mich. Er hatte nicht nur nichts gelernt, so alt er auch war, sondern verstand auch was die Hauptsache war, kein Wort Englisch. Außerdem wollte er sich aus der Nähe seines Bruders nicht entfernen, der ihm im Falle der Noth stets sehr behilflich sein konnte.

        - 278 ~


        Bei mir nun war nach den meisten Richtungen das Gegentheil der Fall. Zu stolz, mich auf die Unterstützung Cornéls zu verlassen, fühlte ich mich fähig, in so mancher städtischer Situation und Beschäftigung, mich zu versuchen, wobei meine wenigstens theilweise Kenntniß der eng. Sprache in Wort und Schrift sehr zu Statten kommen konnte. Außerdem war es mir ein eigenthümlicher Reiz, mich in den Strudel des Schicksal und der Zufälle zu werfen und mir ganz selbständig auf eigene Faust eine Situation zu suchen. Es mein Stolz eine solche zu finden und zu begründen. Und wäre der unselige Krieg nicht gewesen, so wäre mir dies auch jedenfalls, so wie vielen anderen jungen Leuten, vollkommen gelungen und hätte in commercieller Richtung bald eine befriedigende Stellung eingenommen, und ich säße heute wahrlich nicht in Pest als etablirter Specereyhändler.

        So aber verdarb der Krieg alles, der überhaupt an allen unseren Unfällen die Schuld trug. Veranlaßte er doch Leute, die schon jahrelang drüben waren, wieder nach Europa zurückzuwandern.


        So hatte denn mein Verlassen der Pernerischen Laufbahn, wohl den ersten Anlaß zur Auflassung unserer Ansiedlungpläne gegeben.. Ich der stets das thätigste und unermüdlichste Mitglied in unserem Verband gewesen war, hatte der Farmerei einstweilen Valet gesagt: kein Wunder, daß Alles auseinanderfiel.

        Mir allein jedoch die Schuld des Mißlingens unseres gemeinschaftlichen Vorhabens beizumessen, ist Unvernunft. Cornél war stets kurzsichtig genug und ungerecht noch mehr dies zu thun. Die obwaltenden Verhältnisse, der colossale Krieg, der über ganze Land wüthetete, /und bis heute am 14. Jänner 1864 noch nicht geendet hat/ war die verzügliche, alleinige Ursache. Was hätte ein schwaches neues Unternehmen zu hoffen, wenn langjährig gekräftigte zu Grunde gingen. Und kam nicht Pfeifer nach wenigen Wochen zu mir nach Chicago und sagte mit fester Uberzeugung, daß (für) es Blödsinn wäre, jetzt an die Gründung einer Ansiedlung oder irgend eines Unternehmens zu denken.- Ohne von meinen Thun und Lassen etwas zu wissen hatte auch er das Farmen vorläufig aufgegeben, da dabei unter den obwaltenden Verhältnissen besonders in Iowa nichts zu verdienen war, und in Hinblick der Auflassung unseres Planes keinen Zweck hatte.

        Wäre späterhin bessre Zeiten gekommen und die Verhältnisse zur Gründung unseres Unternehmens günstig gewesen, so wäre die Unkenntniß der Farmerei eines einzelnen Mitgliedes gewiß kein Hinderniß gewese. So wurden die Verhältnisse von Tag zu Tag schlechter und unsere Hoffnung, daß dieser Zustand in kurzer Zeit aufhören werde, schwand immer mehr und mehr.

        - 279 -

        Wenn in einem Land der Krieg auf alle öffentlichen und Privatverhältnisse einen großen Einfluß hat, so ist dies ganz besonders in America der Fall, wo man an Kriege nicht gewöhnt, und in keiner Richtung je etwas gethan wurde, um diesem Einflusse mit geeigneten Waffen pariren zu können und auf die Geschäfts- und Erwerbsverhälnisse einigermaßen unschädlich zu machen.

        Ich wollte also äer Stadt zu und freute mich schon auf den Anblick der großen Häuser, den schönen reichen Strassen und den Getümmel auf denselben.- Das Verlassen des Landlebens bedauerte ich nicht im geringsten, so sehr es auch in fruheren Jahren mein Ideal gewesen war.- Ich hatte schon zu viel städtischen Leben(s) und Sündigen(s) gekostet, um noch an der Einfachheit udd Eintönigkeit des Landlebens einen Gefallen finden zu können. Ist in Europa das Landleben schon langweilig, so ist ee in America ganz besonders, und ist der Yankee in der Stadt schon ein Feind aller Vergnügen /als echter Puritaner/ wie es die vielen Soonntagsgesetze beweisen, so ist es der Yankee auf dem Lande noch viel mehr. Die Kirche und die Schule sind die einzigen Unterhaltungsorte. Wie fade ist so ein Sonntag am Lande: Vormittag Kirche, Nachmittag Kirche, oder wenn's schon sehr amüsant ist ein Besuch in der Nachbarschaft mit langathmiger Conversation. Die Deutschen machen sich's wohl gemüthlicher und versammeln sich in den Bierkneipen der Villagen , allein dies sind meist Leute aus gröberem Stoff und ihre Gesellschaft in intellectueller Beziehung für unser Einer nimmer die angenehmste, obwohl Jeder vor ihnen in Nachahmung der Yankees 2-e Zeitungen hält.

        Nichtsdestoweniger kann ich nicht umhin den americanischen Farmern an dieser Stelle eine Lobrede zu halten. Zwischen ihnen und den europäischen Bauern ist ein himmelhoher Unterschied. Sowohl in geistiger als auch in socialer Beziehung sind sie auf einer bei weitem höherer Stufe. Hier hat die Freiheit und demokratische Verfassung die schönsten Segnungen verbreitet, die erfreulichsten Resultate bewirkt. Der americanische Farmer betreibt die Landwirtschaft und Viehzucht nicht nur weit rationeller, sondern bedient sich einer Masse von Maschinen und vortrefflichen Werkzeugen, von denen die meisten europäischen Bauern keine Ahnung haben. Deshalb erzielt er auch mit wenig Menschenhände ungeheuere Resultate und hat dabei mehrere hundert Acrer Land in Cultur. Dann wohnen selbst die ärmeren Farmer in schönen gesunden Häusern, die mit hübschen bequemen Môbel versehen, und in denen besonders bei den Yankees der Teppich und die Tapeten nirgends fehlen darf.


        - 280 -

        Die Wohnungen sind in der That höchst comfortable und gehaglich eingerichtet. Ferner essen sie eine höchst schmackhaft oft luxurieuse, stets aber reichliche Kost. In dieser Beziehung wird nicht im Geringsten gespart. - Jeder Farmer hält mehrere Zeitungen, besitzt seine Bibliothek in der Shakespeare selten fehlt, und sein Clavier oder Melodeon, das von seinen Töchtern prächtig gespielt wird. Die Kinder besuchen unentgeldlich sehr praktisch eingerichtete Schulen, wo sie auch Singen lernen, welches überhaupt bei Jung und Alt große Pflege findet und insbesondern hört man die Ladies den ganzen Tag über bei allen ihren Beschäftigungen Lieder singen.- Besonders ist der Winter wo die Arbeiten ruhen der Pflege der Schulen, des Lernens und der Gesänge gewidmet. Jung und Alt, Herr und Knecht geht da in die Schule.- Von einen Unterschiede zwischen beiden Letzteren wie man ihn in Europa macht, ist überhaupt keine Spur. Es giebt auch im Englischen für das Wort "Knecht" gar keinen Ausdruck; er heißt: "Help" oder "Hand" d.h. Gehülfe oder "Hand", welches letztere Wort eine besonders sinnige Bedeutung hat. Er ist in jeder Beziehung nicht nur Mitglied des Hauses sondern auch der Familie. Wenn derselbe auch noch wissenschaftliche Bildung besitzt, so ist er besonders geachtet und geschätzt und übt in der That einen großen Einfluß auf die Familienglieder aus. Cornél war deshalb auf allerorts beliebt und besondere seiner schönen Schrift wegen berühmt.

        Hit einem Worte der americanische Farmer steht auf einer weit höheren Stufe als der europäische Bauer, und es ist unleugbar daß dieses erfreuliche Resultat des überall auf Wohlstand wenn nicht Reichtum basirt ist, vorzüglich den freien Institutionen des Landes zu verdanken ist.- Deshalb ist aich America für den einwandernden Deutschen Bauern der hier sich niedergelassen hat und oft mit gar keinen Mitteln begonnen hat, ein Paradise geworden, in dem es ihm in jeder Hinsicht weit besser ergeht als in seinem alten Vaterlande. Sie kommen alle zu Wohlstand und Vermögen und habe nie einen einzigen derselben den Wunsch ausdrücken hören, wieder nach Europe zurückkehren zu wollen. -



        2. August 1861


        UM 10 Uhr Morgens stand ich nun wieder in Chicago ohne Cent Geld in der Tasche. Meinem Vorhaben gemäß ging ich zu Mr. Schlund dem Agenten der Deutschen Gesellschaft und fragte nach einer Beschäftigung. "Nothing" war die Antwort. Indessen Schlund war ein guter Kerl. Er machte eine Promenade mit mir durch die Stadt, wobei er mir von seinen Erlebnissen in America erzählte und mir schilderte, wie Chicago vor 20 Jahren ausgesehen habe, als er dahin kam u.s.w.

        - 281 -





        .... so dann ist mal ne Weile Schluß mit Kostproben .... aber es macht Spaß, diese amüsanten Aufzeichnungen zu übertragen und nachbearbeiten .....

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        • #19
          ... "als ich eine hohe Gestalt über die Fence steigen sah. /In America steigt man viel lieber über die Fence, als daß man erst viel nach der Thüre sucht." ...

          Das erinnert mich an diesen komplett blödsinnigen Vers, der sich irgendwann eingeschlichen und sein Bleiberecht in meinem Kopf ertrotzt hat:

          "Hey Boss!
          The Cow is overn fence gejumpt
          und hat dabei den Benz gerammt."

          Ansonsten, wie sagt der Schwabe so treffend: "Schaffe is ne schwere Arbeit!"

          Mit Vergnügen gelesen:
          Der Sense.

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          • #20
            *schmunzel*:


            Papendick ein noch junger Mensch von etwa 22 Jahren bildete das lebende Beispiel, wie in america Bildung, Talente und gute Anlagen zu Grunde gehen können. In Magdeburg geboren, wurde er zum Kaufmann bestimmt, erhielt eine exquisite Erziehung sowohl in kaufmännischer als wissenschaftlicher Beziehung , brachte seine Lehrzeit in einem der ersten Handlungshäuser Magdeburgs zu und entfloh dann um den Folgen böser Streiche zu entgehen nach America. (wie Morgensterns Architekt ...) Statt sich hier mittelst seiner mehrseitigen Sprachkenntnisse und tüchtigen Fähigkeiten /er schrieb unter anderen ein prachtvolle Handschrift, wie man sie selten findet/ emporzuschwingen, war er zu Allem zu faul und sank immer tiefer. In Chicago z.B. verkaufte er Blumen, blos weil dies eine mäßige Beschäftigung war. Bei unserer Compagnie trieb er sich mit tief unter ihm stehenden Individuen herum und gab sich zum Koch her, blos weil er dadurch von Dienst befreit war. Überhaupt gab er sich zu allen bösen Streichen als Werkzeug her. Als einmal ein Gemeiner unserer Compagnie durch den Capitain zum corporal ernannt wurde, worüber die Deutschen - weil dieser in Yankee war - empört waren, schrieb er mit verstellten Handschrift einen anonymen Brief an den Capitain, worin ihm gedroht wurde, daß er wenn er den Yankee nicht wider absetzen würde, in der nächsten Schlacht von rückwärts eine Kugel bekomme.

            Nach langen Forschungen brachte jedoch der Geheimpolizist blind den Anonymus ans Tageslicht und Papendick wurde vor ein Kriegsgericht gestellt, dessen Urtheilsspruch ich jedoch nicht mehr vernahm, da ich damals bereits wieder in Chicago war. -

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            • #21
              Die Forschungen bezüglich meines Ahnen Johann Georg S. werden hinsichtlich der Verstrickungen in internationale Machenschaften immer absonderlicher. Ein gewisser Friedrich Bülau behauptete 1870, daß er nicht nur im Auftrage des Herzogs von Braunschweig (Chef der deutschen Freimaurer) gehandelt habe, sondern auch in dem des Herzogs von Orleans (Chef der französischen Freimaurer). Leider verstieg sich Bülau auch zu der abstrusen Behauptung, mein Ahne wollte Freimaurer und Jesuiten miteinander versöhnen und zu einem neuen mächtigen Orden zusammenschweißen. Das ist natürlich Blödsinn. Diesen Unsinn schrieb Bülau bei Crusius ab, der das bereits 100 Jahre zuvor behauptet hatte. Ich folge ein bißchen dem Geld. Das (lutherische) Bankhaus Bethmann soll um 1770 Millionen sächsische Schuldverschreibungen gehalten haben, über die mein Ahne verfügt haben soll. Mal sehen, ob Bethmann eine entsprechende Anfrage beantwortet.

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              • #22
                Die Digitalisierung des Tagebuchs meines Urahns Emil geht zügig voran. Die OCR hilft mir dabei ca. 50% des Textes automatisiert zu übergtragen. Den Rest muß ich händisch eintippen, weil die Kopien der Maschinschrift meines *-Onkels Julius einfach zu schlecht und unterschiedlich sind. Er mußte am Farbband sparen und die Kopien sind dementsprechend transparent ...

                Es hat mich interessiert, in welchem Verwandtschaftsverhältnis dieser Emil und Julius zu mir standen. Der erste gemeinsame Vorfahr ist ein Matthias Josephus, geb. 1734 in meinem Heimatort. Dessen Sähne Franciscus und Simon begründen die beiden Linien, deren österreichischer (Franciscus) ich in direkter Linie entstamme, Emil der ungarischen, ist der Enkel von Simon, Julius der UrUrEnkel von Simon.

                Wer ist Emil für mich, wer Julius? Der Verwandtschaftsrechner gibt Folgendes an.

                Emil ist mein UrUrGroßonkel 3. Grades. Julius ist mein Großonkel 5. Grades.
                Ich bin der UrUrGroßneffe 3. Grades von Emil und der Großneffe 5. Grades von Julius.

                Hoffe, das stimmt so. Inzwischen ist Emil aus America wieder nach Ungarn heimgekehrt, nachdem er aus den chaotischen Zuständen in der Nordstaatenarmee geflohen (desertiert) ist und unter falschem Namen die Überfahrt nach Europa absolvirt hat. Sein ambivalentes Verhältnis zu America und der Heimath ist rührend.

                ***

                Es kam nun eine schwere Zeit fur mich, die ich, der kaum aus den freien, unabhängigen Prairien Americas zurückgekehrt war, doppelt fühlte.- War es schon im Allgemeinen eine große Schwierigkeit für mich, die hiesigen drückenden Verhältnisse servilen, kleingeistigen und krähwinklerischen sozialen Sitten und all den Plunder von Gesetzen, Vorschriften, Maßregeln, Rücksichten u.s.w. mit dem das ganze Europa besonders aber unser mittelalterliches Österreich gesegnet ist, wieder zu gewöhnen und überhaupt mich wieder in dieser schwülen Athmosphäre des politischen Himmels die, Engbrüstigkeit erzeugend, auf Jedem von America Zurückgekehrten lastet und unter dieser speichelleckerischen und augendienerischen Herde von großen und kleinen Knechten aller Art - zu aklimatisiren, so war es um so unerträglicher in eine Verhältniß zu treten, das dem meiner Lehrzeit ganz ähnlich war. Höffler unter dem Deckmantel des Onkels erlaubte sich die gemeinsten Ausfälle und es kamen Szenen vor, die mir meine Lehrzeit lebhaft vor die Augen brachte. Außerden war schon das dienende Verhälniß eines Commis (Gehilfen)und die engbrüstige Luft, die stets im Hause
                Höffler's und in seiner Umgebung wehte, höchst drückend und unendlich quälend für mich. Die ungewohnten, mechanischen, geisttötenden Beschäftigungen machten mir das Leben langweilig und ließen Geist und Gemüth leer, öde und ohne Nahrung. Es gab Stunden in denen ich mich höchst unglücklich fühlte und bitter bereute, aus der frischen freien Luft Americas wieder in dieses Joch zurückgekehrt zu sein.- Nur die Liebe zu meinen guten Eltern, die ich regelmäßig jeden Sonntag besuchte und die Aussicht, daß dieses Verhältniß nicht ewig dauern wird, machten mir das Leben einigermaßen erträglich.- Mein von Jugend auf eingeimpfter Haß gegen Höffler flammte aber von Neuem auf und, älter und erfahrener geworden und auf geistigem Gebiete ihm weit überlegen, paarte sich damit noch Verachtung und ein tiefer Abscheu, der unauslöschlich mein ganzes Leben zwischen mir und diesem Menschen stehen wird.

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                • #23
                  Mein Ahn Emil ist wieder zuhause in Ungarn. America hat ihn einestheils fascinirt - wegen seiner pragmatischen Lebensart, der democratischen Thugenden, der Freiheit des Bürgers. Er schimpft über das secessionistische Gesindel des Südens, dar marodierend, plündernd und brandschatzend durch die Lande zieht. Er critisirt aber auch die Ränkespiele der republicanischen Politik und Generalitäten, die - z. B. - einen so verdienten General wie Fremont absetzten und durch den unfähigen General Hunter ersetzten. Nach nur wenigen Monaten Dienst desertirte er und machte zurück nach Europa, unter falschem Namen. Er ist hin- und hergerissen zwischen Bewunderung und Abneigung gegen die 'Deutschen' - worunter er Deutsche, Schweizer, Österreicher und alles, was irgendwie deutsch spricht zusammenfasst, genauso geht es ihm mit den Yankees - das sind die in America Geborenen. Er bewundert ihren Sinn für praktische Lösungen, Ablehung aller Bürokratie, Gängelung und Bevormundung von 'oben', aber er verachtet sie zugleich wegen ihres völligen Mangels an Cultur und Civilisation. Am meisten verachtet er die Iren. Er nennt sie nur Säufer, verkommen und uncivilisiert wie die Thiere. Er war schon ein Original, flunkerte viel, stellte sich selbst meist in gutem Lichte dar, ist aber im Handumdrehen ehrlich bis auf die Knochen wenn es um seine Gefühle geht. Rührend und fast herzerweichend schildert er seine Liebe zu seiner späteren Frau. Tja, für die meisten heute unvorstellbar ....

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                  • #24
                    Gunnar Schmidt schrieb ein Buch namens "Weiche Displays". Darin beschäftigt er sich auch mit den Bildern, die mein Ahne seinem Publikum vors Auge führte. Er nennt sie "Phantasmagorien". Anders gesagt, es war meinem Ahnen bewußt, wie er "Geister" erscheinen lassen konnte. Ich berichte.
                    Mit Gunnar Schmidts Buch endet meine Vorbereitungszeit. Vorerst genug recherchiert. Brauche dann noch ein wenig Material für die Zeit des Siebenjährigen Krieges. Eine Fleißarbeit, all die Freimaurer hüben und drüben herauszubekommen und ihre Netzwerke zu erkennen. Vorerst aber bin ich noch im Jahre 1745. Mein Ahne ist auf dem Wege nach Halle an der Saale und überwintert zu den Füßen der Schwarzburg bei Jena.

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                    • #25
                      Es gibt einige offene Fragen und Leerstellen in der Ahnengalerie. Die Verwandtschaft mit den Ungarn ist geklärt und belegt. Die Abkunft von den Reicharten in Nördlingen nicht.

                      Woher hatte Emil die Kenntnis von den Reicharten in Nördlingen?
                      Wie und wieso kam ein eventueller Sproß aus Nördlingen nach Niederösterreich? Und wann?
                      Wieso gab es eine ausgedehnte Verwandtschaft in Laxenburg, Klagenfurt, Wien - von der Emil berichtet - kein Wort aber zu den Verwandten in meinem Heimatort?
                      Usw. Von den angeblichen Lehen durch Friedrich Barbarossa ganz zu schweigen.

                      Ich denke, ich muß doch die Staatsarchive befragen. Aber das ist ein so weites Feld für einen Laien und auf diesem Gebiet Unwissenden, dass es mich schwindelt.

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                      • #26
                        Nördlingen war bis zur Besetzung der Stadt durch die Schweden und die damit einhergehenden Zerstörungen eine wichtige Handelsstadt. Das bedeutet, es gab zahlreiche Verbindungen im Reich. Ich könnte mir bei Deinem Ahnen gut vorstellen, daß er angesichts nachlassender Geschäftsmöglichkeiten in Nördlingen die Stadt wie viele andere verließ und sich andernorts umschaute, meist angelockt durch religiös Gleichgesinnte. Nach dem Dreißigjährigen galt reichsweit wieder huius regio eius religio. Die Obrigkeit suchte händeringend Leute.

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                        • #27
                          Jetzt geht's erstmal weiter mit den Tagebüchern. Habe gestern die ersten beiden Hefte erhalten, die jetzt eingescannt und digitalisiert werden. Hätte der Großonkel doch nur nicht so am Farbband sparen müssen! Sozialistische Mangelwirtschaft! Aber das krieg ich auch noch hin.

                          Es wäre sehr erfreulich, könnte die Verbindung nach Nördlingen bestätigt werden. Vielleicht gelingt mir das ja noch, solange ich lebe und nicht ganz meschugge bin.

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                          • #28
                            Die Transkription der Tagebücher meines Ururahns Emil berührt mich seltsam und stärker, als ich gedacht hätte. Ich erfahre viel über die Lebensumstände in der Habsburgermonarchie im 19. Jhdt. und im America zur gleichen Zeit. Mehr aber noch berühren mich seine Aufgeschlossenheit, Empfindsamkeit, seine kritische Haltung zu Gesellschaft und Herrschaft, seine Ambivalenz zwischen konservativem Bürgertum und progressiver Aufgeschlossenheit für umwälzende Geistesströmungen.

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                            • #29
                              Mein inzwischen mir schon recht lieb und vertraut gewordener Urahn Emil war ein großer Plänemacher und schierer Utopist. Nicht überraschend, dass all seine hochfliegenden Pläne, in America eine große landwirtschaftliche Kommune zu gründen und reich zu werden - das war offen eingestanden sein Ziel, neben dem Hauptmotiv, ein freies, ungebundenes von jeder Obrigkeit unbelästigtes Leben zu führen -, am harten Boden der Realtität zerschellten. Aber ich laß ihn mal selber zu Wort kommen. Nachdem er ausführlich schildert, wie er sich die Ansiedlung in Wisconsin vorstellt, ein kurzer Auszug aus seinen Plänen:


                              Von dem Erlös der Produkte werden, nachdem ein gute Summe für die Bedürfnisse des nächsten Jahres reservirt wurde, die noch nöthigen Maschinen angeschafft und noch Vieh besonders Kühe und Schweine angekauft, da diese jetzt vor dem Winter am billigsten sind. Jedenfalls muß jetzt wenigstens, wenn dies nicht früher schon geschah, ein Ziegelmaschine gekauft werden. - Sind nun die Erntearbeiten vorüber, so wird das Winterkorn für nächste Jahr gesät. Vor Anbruch des Winters muß auch noch eine Scheune, ein Keller, ein Arbeitshaus und


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                              ein Heudach gebaut werden. Ist dies geschehen, so wird zur Beurbarung der zweiter Hälfte des Landes des Urwaldes gegriffen und dies im ganzen Winter fortgesetzt. In stürmischen Tagen, wo es unmöglich sein dürfte in Freien zu arbeiten, werden in dem oben erwähnt Arbeitshaus, wo auch das Werkzeug aufbewahrt wird, Kisten, Fässer, Tonnen, Kübel und Säcke zum Versandt der Producte verfertigt und überhaupt alles, das gethan, wozu die Sommerzeit zu kostbar ist. Im nächsten Frühjahr werden die Producte der Viehzucht als die Käse, Schmalz, Speck, Schweinfleisch gepörkelt u.s.w. versendet. Das geklärte Stück Wald wird nun auch bebaut und überhaupt der Sache eine größere Ausdehnung gegeben, um so viel als nur möglich zu produciren. Auch die Ziegelmaschine fängt bei Zeiten wieder an zu arbeiten.-- Unser Dichten und Trachten wird immer darauf gerichtet sein, unser Unternehmen zu vergrößern. Nach einigen Jahren gesegneter Arbeit werden wir trachten, zu erhalten, was wahrscheinlich schwierig sein dürfte. Mit Hilfe dieser neuen Kräfte werden nun 8-12 ebenerdige, 4 Zimmer enthaltende ziegelsteinerne Häuser gebaut, natürlich nach und nach. Jeder dieser Häuser wird für 2 Familien eingerichtet sein und getrennt eines vom anderen liegen, während jedoch die Keller verbunden unter alle Häuser fortlaufen werden, die zugleich als Wein, Käse, Obst, Gemüse, Kartoggel und Rübenkeller dienen werden. Ferner wir dann ein stöckisches Haus gebaut, welches in seinem Mitte einen kleinen Thurm für Recognoscirung (ein Wachturm? oder zur Orientierung?)und eine Uhr haben wird und unter dem Namen "Gesellschaftshaus" folgende Räume enthalten wird: Küche, Vorrathskammer, Speisezimmer, Unterhaltungs- u. Gesellschaftszimmer, Sitzungs- und Berathungszimmer, Schreib- und Geschäftszimmer, Beetsaal und Schulzimmer. Ist dies fertig so ist die Zeit da, wo wir unsere Eltern herüberholen können und die werden die schönsten Tage meines Lebens sein. -

                              Nach Vollendung Company House /Gesellschaftshaus/ wird ein ordentlicher regelmäßiger Obst-Gemüse- und Baum-Garten angelegt und mit einer Wasserleitung versehen. Ist dies geschehen so wird, außer wenn unsere Kräfte hinreichend sind, einer von uns, der diese Sache versteht, nach New York reisen und dort in Comptoir der deutschen Gesellschaft die Anzeige machen, daß wir tüchtige Arbeiter brauchen können, er wird sich dort von der Moralität jedes Individuums gründlich überzeugen, da (er) dazu dort die beste Gelegenheit hat, indem täglich ankommende Emmigranten dort um Unterstützung ansuchen. Es ist natürlich, daß dazu ein längerer Zeitraum gehört.

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                              Es wird also nach getroffener Wahl eine zu seiner Zeit zu bestimmende Anzahl Arbeiter aufnehmen und zwar unter den Bedingnißen daß sie zuvor keinen Lohn in Geld erhalten werden, dagegen sie unentgeldlich auf unsere Besitzung transportirt werden, und frei Kost, Quartier, Kleidung, kurz Alles ebenso erhalten werden, als die einzelnen Glieder unserer Company, wogegen sie wenigstens 5 Jahre bei uns bleiben müssen, nach deren Verlauf es ihnen jedoch frei steht auch für immer bei uns zu arbeiten und sie dann den Gliedern unserer Gesellschaft gänzlich gleichgestellt werden und kein Unterschied mehr besteht. Dieses Verfahren hat zum Zweck die Errichtung und Betreibung von mehreren landwirtschaftlichen Fabricken. Es steht nämlich bei uns der Grundsatz fest die meisten Landproduckte zu verfeinern und in ein anderes thäuereres Produkt zu verwandeln, indem dabei wir nicht nur durch die Reproduzirung gewinnen, sondern da der Frachtsatz gleich ist, der feine Artikel die Transportkosten besser rentirt als der ordinäre massenhafte. So werden z.B. Weizen in Mehl, Schweine in Schmalz, Speck, Schincken und Schweinfleisch, dieses wieder durch eine von uns erfundenen Maschine in Salamy, Milch in Käse und Dauerbutter, Flachs und Hanf in Leine, Wolle in Tuch, Hopfen und Gerste in Bier, Obst in Wein, Essig, Trockenobst u.s.w. verwandelt. Es werden daher also z.B. eine Mahlmühle, Bräuerei, Brennerey, Schlachthaus, Ahorn und Rübenzuckersiederei, Käserey us.w. errichtet. Erst jetzt wird unsere Colonie ihre größte Ausdehnung erlangt haben und wir uns in unserem rechten Wirkungskreise befinden. Eines greift dann ins andere, Landwirthschaft und Gewerbe helfen sich gegenseitig aus, die Abfälle dieser Branche kann man dort, die Überbleibsel dieser Branche kann man hier benutzen und dies ist die wahre Ökonomie. Der Plan wie die Gebäude unserer Ansiedlung, welche den Namen "Austria" erhält, liegen werden, ist folgender: An dem einen Ufer des Flusses wird das Companyhause liegen, um dieses herum im Halbkreis werden die Wohnhäuser in netten Styl aufgeführt liegen, den Baum dazwisehen werden sternförmig auslaufende Alleen und da zwischen Rasen ausfüllen, hinter den Häusern wird der Garten dieselben als ein breiter Gürtel umgeben, dieser wieder ist im Halbkreis von den Fabricken, Werkstätten, Scheunen und Magazinen umgeben. Hinter diesem breiten sich die Felder und Wiesen aus. Das andere Ufer des Flusses wird der Viehzucht gewidmet, indem die Stallungen im Halbkreis welcher mit dem Halbkreis der Wohnungen am anderem Ufer einen ganzen Kreis bilden wird, den Viehhof umgeben, in welchem sich zwei

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                              Brunnen befinden werden.

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                              • #30
                                Grundsätzlich klingt das schon ganz gut durchdacht. Also am plan lag es sicher nicht, dass er am ende scheiterte. Woran lag das eigentlich? Gibts dazu was im tagebuch?

                                soweit ich das „weiß“, scheiterten viele farmer im wilden westen an den wilden, die ihnen irgendwann ihre farm plünderten und/oder niederbrannten oder das projekt anderweitig (bspw durch betrug) ruinierten. Denn gesetze gabs im wilden westen ja irgendwie nicht so wirklich. Da galt nur das gesetz des stärkeren und in dem punkt standen simple farmer oft weit hinten in der nahrungskette, jedenfalls weit hinter den ganzen gewalttätigen „Outlaws“.

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