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Vom Bewegungs- zum Stellungskrieg

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    Vom Bewegungs- zum Stellungskrieg
    Dieser verdammte Krieg. Der deutsche Befreiungskrieg. Er wäre nur nach einer Wesensveränderung bei den imperialen Mächten zu verhindern gewesen. Es gab für die Mittelmächte nur eine Chance, der schnelle Sieg durch einen zuvorkommenden Angriff. Die Deutschen standen anfangs einer doppelten militärischen und zehnfachen Übermacht in puncto Geldmittel gegenüber.[1] Vom Tage der Mobilmachung an waren Soldzahlungen, Rüstungskäufe, Vor­ratsbeschaffung etc. pp. vom Reich zu leisten, das in Friedenszeiten eine bestenfalls unzureichend zu nennen­de finanzielle Vorbereitung für den Kriegsfall vorgenommen hatte. Es gab zwar einen Kriegsschatz, aber so etwas wie eine Kriegsfinanzplanung gab es nicht. Der Reichskriegsschatz war nach dem Krieg 1870/71 aus den Mitteln der französischen Kriegskon­tributionen in Spandau (Juliusturm) in Höhe von 120 Millionen Goldmark eingelagert worden. Durch die 1909 erfolgte Erklärung der Reichsbank, Banknoten als offizielle Zahlungsmit­tel anzuerkennen und die 1913 er­folgte Ergänzung der Goldbestände durch Silber hatte sich dieser Schatz auf 480 Millionen Goldmark erhöht, etwa 3 Milliarden € nach heutigem Geld. Das reichte bestenfalls für die Durchführung einer Herbstoffensive. Das Reich hatte nur dann eine Chan­ce, wenn es seine überlegene Organi­sation ausnützten und schnellstmög­lich Truppenverbände rochieren ließ, um Überlegenheiten zu schaffen. Eli­ten waren gefragt. Das Volk stand zum Reich. Die Identifikation war überwältigend, auch im Elsaß oder den überwiegend polnisch besiedel­ten Gebieten meldeten sich tausende Freiwillige. Man fühlte sich überfallen und zuunrecht als Kriegsstifter beschuldigt.
    Das Reich besaß den Schlieffen-Plan, der seit 1905 der Öffentlichkeit bekannt war. (die politische Führung versäumte es, diesem militärischen Plan einen für die Wirtschaft zur Seite zu stellen) Belgien hatte sich seit dieser Zeit Frankreich und Britannien angenähert und rechnete mit den Deutschen im Kriegsfall.[2] Die politische Führung des Reiches versäumte es, die Notwendigkeit des deutschen Durchmarsches, der auch rechtlich unproblematisch war, deutlich zu machen. Statt dessen übte sie sich in diplomatischer Selbstbeschuldigung, eine deutsche Politikerkrankheit seit der Moderne, in­dem sie hier der britischen Propaganda ein deutsches Unrecht konzedierte, das militärisch und au­ßenpolitisch keines war, denn Belgien war, trotz des Vertrages von 1839, spätestens seit 1906 KEIN neutrales Land mehr.[3]
    Max Hoffmann, taktischer Offizier unter Hindenburg 1914, während eines Rundgangs vor Journalisten im einstigen Hauptquarttier der 8. Armee, etwa 1924: Hier hat der Generalfeldmarschall Hindenburg vor der Schlacht von Tannenberg, nach der Schlacht von Tannenberg und, unter uns gesagt, auch während der Schlacht von Tannenberg geschlafen.
    Neben diesem politischen Fehler gab es einen zweiten Grund für das deutsche Versagen. General­stabschef Moltke d.J. (die karmesinroten Streifen an seinen Hosen zeigten jedem, daß er zur Elite des Heeres gehörte) war nicht der Mann, den Schlieffen-Plan kongenial durchzuführen. Er verstärkte in Erwartung eines französischen Gegenangriffs im französischen Kriegsziel Lothringen die Truppenkon­tingente[4] ebendaselbst, statt ganz auf Angriff im Norden (Belgien) zu setzen, was auch die Verbin­dung englischer Hilfskontingente zu ihren französischen Verbündeten unterbunden hätte. So mußte der die erste Armee (von sieben) führende General Kluck die Front in südöstliche Richtung hin si­chern, statt, wie von Schlieffen vorgesehen, von Noyon aus nach Südwesten hin Paris abschneiden.[5] Kluck war zu diesem Marschrichtungswechsel gezwungen worden, weil der französische Gegenan­griff (Joffre hatte erkannt, daß die deutsche 1. Armee plante, Paris zu umklammern, setzte die zwischen der Sambre und der Maas stationierte 5. Armee nach Norden in Bewegung und holte zwei Corps aus dem Sü­den nach Norden, was ihm angesichts der neutralen Haltung der Italiener auch möglich war) die Chance zu einer Umklammerung der ersten Armee besaß. Moltke d.J. versetzte mit seinem Rückzugs­befehl bis zur Aisne (80 km nach Norden!) dem deutschen Angriff den Todesstoß; zudem mußten Truppen im Westen abgezogen (80000 Mann von der 3. Armee) und nach Osten geschickt werden: Die Russen waren schneller, als vom Generalstab erwartet, in Ostpreußen eingefallen, was nur des­halb geschehen konnte, weil sie bereits seit März an die deutsch-russische Grenze verlagert worden waren und nicht erst von abseits derselben zusammengezogen werden mußten. Die Russen standen schlichtweg auf Angriff, bevor der Krieg begann. Da zudem der österreichische Plan zuerst die Nie­derschlagung Serbiens mit drei Armeen vorsah (etwa 550000 Mann) und zu wenige österreichische Truppen (900000 Österreicher plus 200000 Deutsche der 8. Armee standen gegen 3000000 Russen) aufmarschiert waren, war hier eine gefährliche Situation für die Mittelmächte entstanden, die nur durch einen schnellen Gegenstoß abgewendet werden konnte, was bedeutete, daß Angriffstruppen aus dem Westen nach Osten verlegt werden mußten. Es schien notwendig. So jedenfalls ließ es der Kaiser im Einvernehmen mit Moltke befehlen. Daß diese abgezogenen Truppen in Ostpreußen eintra­fen, nachdem Hindenburg die Russen bei Tannenberg geschlagen hatte, ist eine Ironie der Weltge­schichte. Die notwendigen Angriffstruppen des Reiches auf dem rechten Flügel wären zwar notwen­dig zur Eroberung Paris‘ gewesen, waren aber überflüssig zur Vertreibung der Russen aus Ostpreu­ßen.
    Jedenfalls war der einzige Angriffsplan der Deutschen zum scheitern verur­teilt, was 1914 den Krieg entschied, denn nun mußte sich die zahlenmäßige Übermacht der Entente durchsetzen.
    Die Mehrzahl der etwa 3000 Ziviltoten bei der Besetzung Belgiens dürfte auf derartige [Panik, Disziplinlosigkeit, Überanstrengung der deutschen Soldaten] Ausschreitungen zurückzuführen sein. Die Vorstellung, daß es sich um Opfer einer spezifisch deutschen „Gewaltkultur“ [Behauptung der Entente] handelte, geht jedenfalls in die Irre. Entsprechende Deutungen, wie sie zuletzt mit erheblicher Wirkung John Horne und Alan Kramer vertraten, schreiben im Grunde nur jene Interpretation fort, die die Entente schon während des Ersten Weltkriegs in Umlauf brachte.
    Ausgeblendet wird dabei nicht nur der radikale Kurswechsel in der belgischen wie der französischen und britischen Presse, nachdem sich herausgestellt hatte, welche Konsequenzen die Freischärlerangriffe [Franktireure] hatten: Seit dem September 1914 gab es keine weiteren Berichte zum Thema, statt dessen wurde den Deutschen vorgeworfen, die Figur des franc-tireur erfunden zu haben. […]
    Ganz entscheidend wirkte in dem Zusammenhang der Hinweis [seinerzeit in der deutschen Presse], daß die deutschen Methoden [hartes Vorgehen gegen Heckenschützen] sich selbst im schlimmsten Fall nicht von denen der deutschen Gegner unterschieden. Das sowieso in bezug auf Kolonialkriege (etwa die Maßnahmen der Belgier im Kongo, der Franzosen in Marokko und Algerien, der Briten in Indien oder Afghanistan), aber auch in bezug auf das Vorgehen Rußlands bei der Besetzung Ostpreußens (zirka 1600 Ziviltote in weniger als vier Wochen, 10000 Verschleppte) und die Mittel, derer sich Großbritannien während der Burenkriege (etwa 40000 Tote in den Konzentrationslagern) bedient hatte und bei der Niederschlagung des Osteraufstandes in Irland kurz darauf bedienen würde (1000 Tote, 3000 Internierte). (Karlheinz Weißmann: Hinterhältige und Hinterhältiges. In: Junge Freiheit, 34/14. S. 20.)
    Aber das Reich sah noch eine Chance, denn Mehrheiten, zumal wenn sie auf Erfolgsaussichten gründen und pragmatisch organisiert wurden, bröckeln auch. So kam es zum Stellungskrieg, das bedeutete:
    • eingegrabene Truppen im Stellungs- und Grabenkrieg (Sappenkampf);
    • Einsatz von Minenwerfern (Minierkrieg), Handgranaten, Gas;
    • Flugzeuge, anfangs als Erkundungsmittel, dann auch als Sprengstoff­granaten tragende Abwurfmaschinen zur Bombardierung ziviler Ein­richtungen;
    • Einsatz moderner Mittel (Tanks resp. Panzer, Propaganda, Telephone, Hungerblockade[6], Agentenkrieg, Sabotage)…
    Der Erste Weltkrieg war dem Kern nach keine Auseinandersetzung um stritti­ge Gebiete, auch kein Systemkampf, auch keine Auseinandersetzung rivalisie­render Völker. All das wurde von der Entente vorgeschoben. Der Streit um Elsaß-Lothringen genauso wie der um die beste politische Struktur, die Wünsche südslawischer Völker oder oder… Der Krieg war ein Wirtschaftskrieg gegen das Reich, das zu erfolgreich geworden war und vernichtet werden mußte, d.h. in kapitalistischer Lesart, als Konkur­rent keine Rolle mehr spielen sollte.[7] Dabei unter­schieden sich die Kriegsziele der Entente-Mächte jeweils: Frankreich wollte die Rheingrenze (ohne jede Volksbefragung), Britannien die deutsche Flot­te zerstören (auch gegen internationales Seerecht), Rußland brauchte den Krieg zur Stabilisierung sei­ner Macht in Osteuropa und zielte auf die Pforte. Die Kriegszieldiskussion im Reich (zuerst geheim, erst spät öffentlich) brachte vor allem eins zutage: das ZDR besaß keine politischen Ziele. Seine Geg­ner schon. Der Irredentismus der kleinen Völker, der Panslawismus Rußlands, der Revanchegedanke Frankreich und die Suprematieideologie Japans, Amerikas oder Britanniens. All das waren klar poli­tisch-militärisch zuzuordnende Ziele. Das Reich besaß am Anfang des Krieges weder territoriale, noch wirtschaftliche oder politische Ziele, es sei denn, man rechnet es als Kriegsziel an, daß alles so blei­ben solle, wie es ist.[8] Das hatte seinen Grund, der eben in seinem Erfolg lag. Es war zur mächtigsten Macht in Europa aufgestiegen und konnte in einem Krieg nur verlieren, was es friedlich gewonnen hatte: Hegemonie. Und so lautet die erste Verlautbarung über seine Kriegsziele Ende August 1914 auch nicht anders: Schaffung eines frei zugänglichen Wirtschaftsraumes in Westeuropa, eine Zolluni­on in Mitteleuropa, freien Zugang zu den Finanzmärkten bei gleichzeitiger gemeinsamer Kon­trolle der Staatsanleihen, d.i. die Idee einer europäischen Zentralbank.[9]
    Es gelang England, gegen alle seerechtlichen Vereinbarungen, die deutsche Handelsflotte zu zerstö­ren und die neutralen überseeischen deutschen Handelspartner daran zu hindern, mit dem Reich weiterhin zu handeln. Einzelne Siege der kaiserlichen Marine änderten nichts daran, daß das Reich eingekesselt war und seine Versorgung autark organisieren mußte. Italien verriet das Reich.[10] Die Feindschaft zu Österreich-Ungarn war größer als eine eventuelle deutsch-italienische Gemein­schaft gegen Frankreich. Seit Mai 1915 kämpfte Italien auch offen auf der Entente-Seite. Ein britisch-italieni­scher Vertrag vom 26. April 1915 hatte Italien die Ausweitung seiner afrikanischen Kolonien zugesi­chert, außerdem Südtirol, Istrien, Dalmatien, Westalbanien und ein Protektorat über Zentralal­banien, dazu die Inseln der Dodekanes (Rhodos).
    Den Mittelmächten gelang es, Bulgarien auf ihre Seite zu zie­hen. Damit war der Ring gesprengt, wenngleich die Überle­genheit der Feinde immer noch erdrückend war. Nach dem Sieg gegen Serbien standen die Mittelmächte scheinbar auf Sieg, waren aber nicht in der Lage, dies diplomatisch aus­zunützen. Statt dessen mahlten die englischen Propaganda­mühlen und erklärten der Welt, daß es gälte, den preu­ßisch-deutschen Militarismus zu zerschlagen, der allein nach der Weltherrschaft stre­be und dem das Blutvergießen zu verdan­ken sei. Zum Beweis für die deutsche Brutalität wurde der Durchmarsch durch das von den Briten als „neutral“ bezeich­nete Belgien genannt. Besonderen Ein­druck machte das in Amerika, das allerdings niemals neutral geblieben war, aller­dings noch nicht of­fen auf Entente-Seite stand. Im Mai 1915 wurde der britische Luxusliner „Lusitania“ von einem deut­schen U-Boot nach voriger Warnung durch die deutsche Bot­schaft in Amerika, dieses Schiff zu bestei­gen, vor Irland ver­senkt. Dabei kamen 1200 Menschen, auch 128 Amerikaner, ums Leben. Der Liner transportierte Waffen und Munition für England. Das Reich stand als Barbar da.[11] Nach der Lusitania-Katastrophe unterband die OHL den weiteren U-Boot-Krieg, obgleich der ein legales Mittel gegen die illegale Blockade der Entente war.[12] Amerika setzte seine einseitigen Waffen- und Geldlieferungen an die Entente ungehindert fort, nannte sich aber neutral.
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ID: 1030 Im Reich führten der ermüdende Stellungskrieg und in antithetischer Verschränkung immer neue Of­fensiven zu Verschleißerscheinungen. Die Wirtschaft mußte umgestellt werden: Rationalisierung (von Rathenau organisiert und beschrieben) und Zwangsbewirtschaftung sorgten für etliche Engpässe bei der Versorgung. Die Deutschen sahen militärische Siege und keine politische Nutzanwendung, so daß die Kriegszieldiskussion und mit ihr verbunden eine über das politische System im Reich laut wurde. Die Regierung nahm dazu keine Stellung, ja, eine Kriegszieldiskussion war sogar verboten worden.
    In einem anderen und kurzfristig wichtigeren Bereich wurde dagegen intensiv diskutiert: die Rationa­lisierung der deutschen Führung. Hatte Britannien bereits vor dem Krieg militärische und politische Leitung miteinander verzahnt, gab es auch in Frankreich keine Divergenz zwischen dem militärischen und zivilen Lebensbereich und war Rußland von vornherein mit dem Zaren als auch militärischem Führer des russischen Imperiums bestens hegemonisiert. Dagegen tat sich das als autokratisch diffa­mierte Reich schwer, zivile und militärische Lebensbereiche miteinander zu verzahnen, erst recht da­mit, Österreich in eine Koordinierung einzubinden, obwohl de iure der Kaiser dem Heer und der Re­gierung vorstand. Wilhelm II. war schlichtweg überfordert, die Macht in seinen Händen zu sammeln, demge­genüber liegt es in der Natur der Deutschen, daß sie bei allem betriebsamen Organisationsta­lent eine auf eine Führungsspit­ze zugeschnittene Führerhierarchie nicht ertragen und statt dessen kleine Gruppen favorisieren, die jeweils konkurrierend auf ein Ziel zuarbeiten. Die antithetische Welt­wahrnehmung, die Bismarck kongenial in der Verfassung der Deutschen mani­festiert und die das Reich zur politischen, kulturellen und wirt­schaftlichen Spitze gebracht hatte, schlug sich nun auch auf die Organisation des Krieges durch. Einerseits lag es nicht im Geiste dieser Verfaßtheit, mit Öster­reich die Feldzüge so zu koordinieren, daß ein einheitliches Bild entstand, andererseits bewegte sich jeder Armeekommandant erfolgreich, so daß immer dann, wenn sich eine dieser Einheiten in Bewe­gung setzte und einen Plan verfocht, dies auch (meist) erfolgreich vollzog. Ordnung im Chaos!
    Der Westen dagegen wurde straff geführt, es gab ein britisch-französisches Oberkommando; außer­dem arbeiteten zivile und militärische Behörden gut zusammen. Das könnte zu dem Schluß verhel­fen, daß die mangelhafte Führung im Reich kriegsentscheidend gewesen sei. Sie ist nicht der Grund für die deutsche Niederlage. Man stand schlichtweg 1:2 oder schlechter. Nur der schnelle Sieg im Westen hätte die Chance eines guten Aus­gangs für die Mittelmächte geschaffen. Jeder militärische Erfolg, der nach dem Rückzug zur Aisne er­zielt wurde, war eine Retardation: die Katastrophe war 1914 vorgezeichnet. Daß das Reich noch vier Jahre durchhielt, war seinem grandiosen Selbstbehaup­tungswillen, seinem Empfinden, im Recht zu sein, und seiner Disziplin zuzuschreiben, auch der Orga­nisation im Chaos.[13]
    Luftkrieg
    1. Flugzeugtypen (Auswahl)
    Rumpler-Taube (Reich), Blerriot, Bregeut, Voisin (Entente)
    Flughöhe: 2000-3000 m
    Höchstgeschwindigkeit: anfangs 120 km/h, am Ende des Krieges mehr als 200 km/h
    1. Einsatz und Entwicklung
    Unterordnung unter Bodentruppen, anfangs Aufklärung, später mehr und mehr Luftkampf, am Ende zur Bombardierung auch ziviler Einrichtungen; Luftschiffe gerieten nach und nach in Nachteil gegenüber den schnelleren Flugzeugen
    1. Verluste
    100000 Entente (86137 im Westen), 30000 Reich (27613 im Westen)
    Aber das ist nur eine These, eine hätte-These. Historisch betrachtet bildete sich hier eine auch für die Nachwelt merkwürdige Ironie heraus: Die für ihre Organisation so verhaßten Deutschen konnten sich nicht durchringen, ihre Organisation unter einen Willen zu stellen. Weder das OHL noch die Kriegsmi­nisterien, die Kanzler oder die Kaiser waren dazu in der Lage, den Krieg so zu organisieren, daß in ihm alle Kräfte unter einen Willen hätten gebracht werden können, was allerdings auch dem deutschen Primat bei der Truppenführung, nämlich dem selbständig agierender Truppenverbände, widerspro­chen hätte. Weder der deutsche Aufmarsch im Westen noch die Strafaktion gegen Serbien waren straff organisiert. Der Krieg wäre (im Osten) früher gewonnen worden, wenn Österreich die Russen in Galizien stärker gebunden und seine Strafaktion gegen Serbien dem untergeordnet hätte. So mißlang beides, dazu drangen die Russen in Ostpreußen ein, was wiederum den schlecht gestaffelten deut­schen Aufmarsch in Frankreich vollends scheitern ließ. Der Abzug von Offensivkräften ließ die Bewe­gung erstarren: aus dem Bewegungskrieg wurde ein Stellungskrieg, in starren Schützengrabensyste­men geführt.
    Aber es gab in diesem ersten Kriegsjahr auch zwei gute Erfahrungen für die Mittelmächte: das Osma­nische Imperium und Bulgarien[14] stellten sich auf ihre Seite. Wenngleich diese neuen Partner keines­wegs die militärische Schlagkraft erhöhten, so war doch die psychologische Wirkung hoch, denn die neuen Partner verstärkten das Wir-Gefühl. Zudem wurde Rußlands Weg nach Süden unter­bunden und Englands Zugang nach Indien erschwert. England reagierte und griff verstärkt die Darda­nellen an, drang außerdem über Ägypten langsam nach Norden vor. Die Hoffnung des Reiches, daß sich die Mo­hammedaner gegen die von ihnen gehaßten Briten erheben würden, erfüllte sich nicht. Araber und Türken waren einander spinnefeind, das Reich in der arabischen Welt nicht mächtig ge­nug, um einen Befreiungskrieg gegen die Kolonialmächte entfesseln zu können.[15] Allerdings gelang es im Mittleren Osten dem ostfälischen Orientalisten und Diplomaten Waßmuß, Tausende britische Soldaten über Jahre zu binden, indem er den persischen Stämmen deutlich machte, daß das Reich auf ihrer Seite für ihre Freiheit focht, und sie so motivierte, die Waffen gegen die Entente zu erhe­ben.
    Besonders enervierend für das Reich war der Verrat Italiens, der folgendes zeigte: Es gibt in der inter­nationalen Politik keine Freunde, nur temporäre Partner. Italiens Verhalten im ersten Kriegsjahr gibt ein Exempel für diese These. In Italien kämpften zwei Parteiungen um die Meinungshoheit:
    • die Anhänger der Auffassung, man könne die territorialen Ziele (gegenüber Österreich-Un­garn und Frankreich) mittels Kompensation für Neutralität erzielen;
    • die Kriegspartei, die gegen Österreich-Ungarn Krieg führen wollte.
    Die Kriegspartei errang den Sieg, nachdem Österreich-Ungarn Italien Kompensation verweigert hatte. Art. 7 des Dreibundvertrages sah selbiges für Italien vor, sofern Österreich auf dem Balkan eine Ab­rundung seines Gebietes erzielt haben würde, z.B. der Annexion Bosniens. Bosnien kam aber schon 1909 zu Österreich! 1914 erinnerten sich die Italiener daran. Ein Vorwand also. Die deutsche Vermitt­lung scheiterte, somit stand Italien auf Entente-Seite und griff Österreich von Süden her an. Das er­folgte erst 1915, nachdem die deutschen Truppen zwei Offensiven der Entente in Frankreich (La Bas­
    Was wir bislang [bis zur Somme-Schlacht 1916], freilich ohne es zu ahnen, erlebt hatten, war der Versuch gewesen, den Krieg durch Feldschlachten alten Stiles zu gewinnen, und das Versanden dieses Versuches im Stellungskrieg. Nun stand uns die Materialschlacht mit ihrem riesenhaften Aufgebot bevor. Diese wiederum wurde gegen Ende des Jahres 1917 durch die mechanische Schlacht abgelöst, deren Bild jedoch nicht mehr zur vollen Entfaltung kam. (Ernst Jünger: In Stahlgewittern. S.71/72. Stuttgart 2014.)
    see, Arras) abgewehrt und im Osten Rußland bis weit in die weißrussischen Sümpfe zurückgeworfen hatten. Aber die Mittelmächte besaßen keine Kapazität für eine kriegsentscheidende Offensive. Ein Patt.
    Neben den Hauptkriegsschauplätzen (die vom Reich aus gesehene Ost- und Westfront und der Nordatlantik mit seinem U-Boot-Krieg) gab es zahlreiche Nebenkriegsschauplätze, die hier im einzel­nen nicht ausführlich behandelt, wohl aber genannt werden sollen:
    • die kaukasische Front;
    • die verschiedenen Kriegsschauplätze in Afrika;
    • der pazifische Kriegsschauplatz um Kiauschau;
    • Gefechte vor Südamerika;
    • der mexikanisch-amerikanische Grenzbereich.

    Aufgaben:
    1. Nenne Gründe für das Scheitern der deutschen Westoffensive 1914! (I)
    2. Bestimme die historische Entstehung des Franktireurs! (II)
    3. Stelle die jeweiligen Kriegsziele einander gegenüber und bewerte sie! (III)
    4. Fasse die Ereignisse des ersten Kriegsjahres in fünf Stichpunkten zusammen! (II)

    [1] Das Reich verlor mit den Kriegserklärungen auf einen Schlag seine Auslandswerte, seinen Außenhandel, seine Wirtschaftspartner, seine Kunden. Zwar verloren auch die Entente-Mächte viele ihrer Kunden und im Reich angehäuften Werte, aber sie besaßen die Seeherrschaft und konnten deswegen den deutschen Auslandshandel unterbinden und die deutschen Anteile übernehmen. Dem Reich blieb die Schaffung einer Freihandelszone mit der Doppelmonarchie. - Walther Rathenau stand nach seiner Anregung von Ende August 1914 einer Kriegsrohstoffabteilung im Kriegsministerium vor, die er­mittelte, welche Reserven das Reich besaß und wie lange ein Krieg dauern dürfte. Ein Jahr lautete das Ergebnis. Beschlag­nahme der Rohstoffe und Neuverteilung auf halbstaatliche Neugründungen zum Zwecke der Kriegsproduktion waren die Folge. Kriegswirtschaft, die immer weiter um sich griff. Der Anfang vom Ende einer soliden Finanzwirtschaft.
    [2] Es gab keine belgische Neutralität. Der britische Admiral Kitchener erklärte schon lange vor dem Krieg: „Die Grenze des britischen Reiches in Europa ist nicht die Meerenge von Calais, sondern die Maaslinie.“ (In: Eduard David, S. 13.)
    [3] Übersetzung eines 1914 im Brüsseler Archiv gefundenen Briefes vom Chef des belgischen Generalstabes an den belgi­schen Kriegsminister vom September 1906, der die belgisch-britische Zusammenarbeit für den kommenden Krieg regelt und in Einzelheiten bestimmt, wo aufmarschiert wird, wie die Transportleistungen und einzelnen Kontingente bestimmt werden und wie lange was zu dauern hat. (In: Reventlow, S. 159-162.) Als Faksimale hier.
    [4] Allerdings ließ der französische Generalissimus Joffre, wie vom deutschen Generalstab erwartet, die französische Armee hinter dem Wall der französischen Ostfestungen Maubeuge, Montmedy, Verdun, Toul, Epinal (Spinneln) und Belfort auf­marschieren.
    [5] Diese Ostorientierung der Heeresleitung war die Folge ihres zu weit östlich fixierten Drehpunktes für den gesamten Auf­marsch. Während Schlieffen den rechten Flügel beim Angriff (1. Armee) stark machen wollte, verlagerte die Heeresleitung von Koblenz aus den Schwerpunkt zu weit nach Osten, nach Metz in Lothringen, wo sie den französischen Hauptangriff er­wartete. Während der Schlieffen-Plan nur halbherzig, aber doch strukturell durchgeführt wurde, zeigte sich, daß der tat­sächliche Drehpunkt, um Paris ins Visier nehmen zu können, 80 km weiter westlich bei Verdun liegen müßte; nun aber war der rechte Flügel zu schwach besetzt, um die Zangenbewegung durchführen zu können; zudem hatten die 6. und 7. Armee mit dem notwendigen Angriff aus Südosten (südliches Elsaß) zu lange gewartet. Der Aufmarsch bedurfte des Mutes, nicht der abwägenden Kalkulation. Moltke d.J. war zu vorsichtig, Kluck im entscheidenden Moment nicht energisch genug, zu ängstlich auf die Sicherung von Nachschublinien bedacht.
    [6] Der Seekrieg wurde von den deutschen Strategen vernachlässigt. Zwar war die deutsche Flotte technisch und taktisch die beste der Welt, was sie in der zu späten Skagerrak-Schlacht nachweisen konnte, aber weder hinderte sie die Briten daran, Frankreich über den Kanal zu versorgen, noch versuchte sie, Stützpunkte im Atlantik zu erobern. - Die Blockade der Briten war für sie recht einfach durchzuführen: Sie besetzten die beiden wichtigsten Durchfahrten von Europa zur Welt: zwischen Orkney- und Shetlandinseln und Norwegen sowie den Kanal. Die Briten blieben in ihrer defensiven Grundaufstellung und versuchten nicht, sich einen Weg zu den deutschen Häfen zu bahnen, geschweige denn eine Verbindung zu Rußland herzu­stellen. Das Ergebnis dieser Strategie war ein Stellungskrieg zur See. - Die rechtliche Basis für den Umgang zur See miteinan­der bildete die Pariser Konvention (auch Pariser Seerechtsdeklaration) von 1856, in der es verboten worden war, neutrale Schiffe anzugreifen. Es gab nur eine Ausnahme: Konterbande, also der versteckte Transport von Kriegsgütern. Während die Briten jedes Schiff davon abhielten, sich deutschen Häfen zu nähern, zerstörten deutsche U-Boote (bis zur Erklärung des un­eingeschränkten U-Boot-Krieges) nur (mitunter schwerbewaffnete) Handelsschiffe, die Kriegsgerät mit sich führten. Das er­folgte nach voriger Warnung.
    [7] Ernst Troeltsch drückte es so aus: „Der Weltkrieg ist [Rede von 1916] in erster Linie alles andere als ein Krieg des Geistes und der Kulturgegensätze, wie oft pathetische Überidealisten wollen. Er ist das Ergebnis der imperialistischen Weltspan­nung, die aus der Verteilung des Planeten unter wenige Großmächte und aus dem Bedürfnis nach Niederhaltung des deut­schen Wettbewerbs hervorgegangen ist.“ (Troeltsch: Deutscher Geist in Westeuropa. Tübingen 1925. S. 31.)
    [8] Die Kriegszieldiskussion setzte im Reich Anfang September 1914 ein, zwischen politischen und wirtschaftlichen Führungs­kräften intern geführt. Fritz Fischer gibt sie in seinem Buch „Griff zur Weltmacht“ tendenziös wieder. - Näheres dazu im Ka­pitel „Kriegsschuldartikel…“
    [9] Walther Rathenau: Denkschrift zu den Kriegszielen. (1914) Der dreiseitige Brief an den Kanzler. - Betrachtet man die po­litische Karte Europas heute, so glaubt man letzten Endes, daß wir die Kriege doch gewonnen haben müssen.
    [10] Der Dreibund-Vertrag, ein Defensivvertrag, bestimmte Italien dazu, einige Korps (je 40000 Mann) für die deutsche Front im Elsaß oder in Ostpreußen zu stellen, was 1914 nicht erfolgte. Italien begründete das mit der zuerst erfolgten Kriegserklä­rung des Reiches an Frankreich und der Tatsache, daß England auf der Gegenseite stand und nicht neutral blieb. Art. 4 des Vertrages ließ Italiens Neutralität zu, da das Reich, obwohl es den Krieg als Verteidigungskrieg führte, paradoxerweise ag­gressiv beginnen mußte, also angriff und nicht abwartete, bis es angegriffen werden würde. Dem Geist des Vertrages nach gegenseitiger Unterstützung im Kriegsfall allerdings entsprach Italiens Haltung nicht, zudem waren 1914 französische Trup­pen ins Elsaß und russische ins Reich eingedrungen, was einen italienischen Beistand zwingend hätte machen müssen: casus foederis. - Clark (S. 134) bestimmte Italiens Verhalten so, daß ein liberal-säkulär-nationales (Feind Österreichs) mit einem klerikal-katholisch-konservativen (Freund Österreichs) Italien stritt, und sich 1914/15 das liberale durchsetzte. Allerdings hatte Italien bereits 1909 mit Rußland einen gegenseitigen Beistandspakt abgeschlossen (Racconigi-Abkommen) und damit seinen Kurswechsel akzentuiert. Der nüchterne Grund für Italiens Verrat lag darin, daß seine außenpolitischen Ziele (Trenti­no, Triest, Südalbanien, Behauptung Tripolitaniens) mit der Entente zu erreichen waren, nicht aber mit den defensiv ausge­richteten Mittelmächten.
    [11] Inzwischen hat sich die Bewertung dieses Ereignisses in Amerika gewandelt. Dazu trug das Buch des einstigen amerikani­schen Verfassungsrichters John V. Denson: Sie sagten Frieden und meinten Krieg. (Gilching 2014.) bei, das die amerikani­sche Kriegspolitik seit 1846 untersucht. Allerdings hatte der britische Admiral Fisher (trat kurz nach dem Lusitania-Zwischen­fall zurück) bereits Tirpitz im Krieg konzediert: „Ich mache Ihnen keinen Vorwurf, an Ihrer Stelle hätte ich genauso gehan­delt.“ (In: JF 19/2015, S. 21.) Fisher trat zurück, nachdem bekannt geworden war, daß Churchill unmittelbar vor dem Ab­schuß der Lusitania den Begleitschutz abgezogen hatte und auch die Fahrtroute trotz voriger Warnung nicht ändern wollte. Er hatte das Schiff quasi auf dem Silbertablett serviert. - Churchill wurde bald seines Amtes entsetzt.
    [12] Statistik: 1918 hatte die kaiserliche Marine 5234 Schiffe mit knapp 12,3 Millionen BRT versenkt. Außerdem 10 feindliche Schlachtschiffe, 18 Kreuzer, 20 Zerstörer und neun feindliche U-Boote. 178 deutsche U-Boote blieben draußen. Churchill meinte nach dem Krieg: „Unser Erfolg hing an einem kleinen, dünnen, gefährdeten Fädchen! Nur ein wenig mehr und der U-Boot-Krieg hätte uns alle durch Hunger zur unbedingten Übergabe gezwungen!“ (Rolf Bürgel: Neue Feindkontakte provo­ziert. In: Junge Freiheit, S. 19. 45/14.) Das assoziiert, daß es ein Fehler war, nach der Vernichtung der „Lusitania“ mit dem U-Boot-Krieg aufgehört zu haben, zumal die USA sowieso schon auf Entente-Seite standen.
    [13] Der Zusammenhang zwischen Chaos und Ordnung spielt auch in der heutigen Diskussion zur besten aller möglichen Welten eine Rolle.
    [14] Der bulgarische König ließ sich seine Bündniszusage später entlohnen, erhielt aus dem Wehretat des Reiches (bis 1931) 25 Millionen RM (etwa 270 Millionen €), wonach er schriftlich zusicherte, daß seine Ansprüche damit entgolten seien, was ihn jedoch nicht daran hinderte, immer neue Forderungen zu stellen, die er auch erhielt: 120000 RM Apanage (1,3 Millio­nen €).
    [15] Die von Ludendorff auf Anraten Papens 1918 initiierte Autonomie-Initiative (Papen, S. 107) für die Araber wurde von den Türken abgelehnt. Damit war auch die letzte Chance für einen siegreichen Nahost-Krieg unmöglich geworden.

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  • #2
    Bislang glaubte ich nicht an die These, daß der Krieg aufgrund der Fehler der deutschen Eliten verloren wurde. Dagegen spricht diese Beobachtung Peter Altenbergs:

    zitiert aus "Peter Altenberg: Die Lebensmaschinerie. Bärlin 1980. S. 108.)

    ZUM HELDENTODE DES DR. FRANK (Die Einigkeit!)
    Berlin, 12. September [1914]. Der Präsident des Reichstages Kämpf drückte der sozialdemokratischcn Fraktion die Teiinahme zu dem schweren Verluste aus, den die sozialistische Fraktion und der Reichstag durch den Heldentod des Abgeordneten Frank erlitten haben.
    Der Stellvertreter des Reichskanzlers, Dr. Delbrück, richtete an den Präsidenten des Reichstages ein Beileidsschreiben, worin es heißt: „Im Kampfe um Deutschlands Verteidigung fiel als erstes Mitglied des Reichstages der Abgeordnete Ludwig Frank auf dem Felde der Ehre und besiegelte damit die Gesinnung, die er durch den Eintritt als Kriegsfreiwilliger bekundete, mit dem Tode."


    Damals wie heute sitzen auf dem Stuhl des Reichstagspräsidenten offensichtlich nur Halbgebildete, die Doppeldeutigkeiten in unserer Sprache nicht erkennen, dafür aber eine felsenfeste Gesinnung besitzen, die sie straff handeln läßt.

    Armes Deutschland.


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