Vom Bewegungs- zum Stellungskrieg
Dieser verdammte Krieg. Der deutsche Befreiungskrieg. Er wäre nur nach einer Wesensveränderung bei den imperialen Mächten zu verhindern gewesen. Es gab für die Mittelmächte nur eine Chance, der schnelle Sieg durch einen zuvorkommenden Angriff. Die Deutschen standen anfangs einer doppelten militärischen und zehnfachen Übermacht in puncto Geldmittel gegenüber.[1] Vom Tage der Mobilmachung an waren Soldzahlungen, Rüstungskäufe, Vorratsbeschaffung etc. pp. vom Reich zu leisten, das in Friedenszeiten eine bestenfalls unzureichend zu nennende finanzielle Vorbereitung für den Kriegsfall vorgenommen hatte. Es gab zwar einen Kriegsschatz, aber so etwas wie eine Kriegsfinanzplanung gab es nicht. Der Reichskriegsschatz war nach dem Krieg 1870/71 aus den Mitteln der französischen Kriegskontributionen in Spandau (Juliusturm) in Höhe von 120 Millionen Goldmark eingelagert worden. Durch die 1909 erfolgte Erklärung der Reichsbank, Banknoten als offizielle Zahlungsmittel anzuerkennen und die 1913 erfolgte Ergänzung der Goldbestände durch Silber hatte sich dieser Schatz auf 480 Millionen Goldmark erhöht, etwa 3 Milliarden € nach heutigem Geld. Das reichte bestenfalls für die Durchführung einer Herbstoffensive. Das Reich hatte nur dann eine Chance, wenn es seine überlegene Organisation ausnützten und schnellstmöglich Truppenverbände rochieren ließ, um Überlegenheiten zu schaffen. Eliten waren gefragt. Das Volk stand zum Reich. Die Identifikation war überwältigend, auch im Elsaß oder den überwiegend polnisch besiedelten Gebieten meldeten sich tausende Freiwillige. Man fühlte sich überfallen und zuunrecht als Kriegsstifter beschuldigt.
Das Reich besaß den Schlieffen-Plan, der seit 1905 der Öffentlichkeit bekannt war. (die politische Führung versäumte es, diesem militärischen Plan einen für die Wirtschaft zur Seite zu stellen) Belgien hatte sich seit dieser Zeit Frankreich und Britannien angenähert und rechnete mit den Deutschen im Kriegsfall.[2] Die politische Führung des Reiches versäumte es, die Notwendigkeit des deutschen Durchmarsches, der auch rechtlich unproblematisch war, deutlich zu machen. Statt dessen übte sie sich in diplomatischer Selbstbeschuldigung, eine deutsche Politikerkrankheit seit der Moderne, indem sie hier der britischen Propaganda ein deutsches Unrecht konzedierte, das militärisch und außenpolitisch keines war, denn Belgien war, trotz des Vertrages von 1839, spätestens seit 1906 KEIN neutrales Land mehr.[3]
Neben diesem politischen Fehler gab es einen zweiten Grund für das deutsche Versagen. Generalstabschef Moltke d.J. (die karmesinroten Streifen an seinen Hosen zeigten jedem, daß er zur Elite des Heeres gehörte) war nicht der Mann, den Schlieffen-Plan kongenial durchzuführen. Er verstärkte in Erwartung eines französischen Gegenangriffs im französischen Kriegsziel Lothringen die Truppenkontingente[4] ebendaselbst, statt ganz auf Angriff im Norden (Belgien) zu setzen, was auch die Verbindung englischer Hilfskontingente zu ihren französischen Verbündeten unterbunden hätte. So mußte der die erste Armee (von sieben) führende General Kluck die Front in südöstliche Richtung hin sichern, statt, wie von Schlieffen vorgesehen, von Noyon aus nach Südwesten hin Paris abschneiden.[5] Kluck war zu diesem Marschrichtungswechsel gezwungen worden, weil der französische Gegenangriff (Joffre hatte erkannt, daß die deutsche 1. Armee plante, Paris zu umklammern, setzte die zwischen der Sambre und der Maas stationierte 5. Armee nach Norden in Bewegung und holte zwei Corps aus dem Süden nach Norden, was ihm angesichts der neutralen Haltung der Italiener auch möglich war) die Chance zu einer Umklammerung der ersten Armee besaß. Moltke d.J. versetzte mit seinem Rückzugsbefehl bis zur Aisne (80 km nach Norden!) dem deutschen Angriff den Todesstoß; zudem mußten Truppen im Westen abgezogen (80000 Mann von der 3. Armee) und nach Osten geschickt werden: Die Russen waren schneller, als vom Generalstab erwartet, in Ostpreußen eingefallen, was nur deshalb geschehen konnte, weil sie bereits seit März an die deutsch-russische Grenze verlagert worden waren und nicht erst von abseits derselben zusammengezogen werden mußten. Die Russen standen schlichtweg auf Angriff, bevor der Krieg begann. Da zudem der österreichische Plan zuerst die Niederschlagung Serbiens mit drei Armeen vorsah (etwa 550000 Mann) und zu wenige österreichische Truppen (900000 Österreicher plus 200000 Deutsche der 8. Armee standen gegen 3000000 Russen) aufmarschiert waren, war hier eine gefährliche Situation für die Mittelmächte entstanden, die nur durch einen schnellen Gegenstoß abgewendet werden konnte, was bedeutete, daß Angriffstruppen aus dem Westen nach Osten verlegt werden mußten. Es schien notwendig. So jedenfalls ließ es der Kaiser im Einvernehmen mit Moltke befehlen. Daß diese abgezogenen Truppen in Ostpreußen eintrafen, nachdem Hindenburg die Russen bei Tannenberg geschlagen hatte, ist eine Ironie der Weltgeschichte. Die notwendigen Angriffstruppen des Reiches auf dem rechten Flügel wären zwar notwendig zur Eroberung Paris‘ gewesen, waren aber überflüssig zur Vertreibung der Russen aus Ostpreußen.
Jedenfalls war der einzige Angriffsplan der Deutschen zum scheitern verurteilt, was 1914 den Krieg entschied, denn nun mußte sich die zahlenmäßige Übermacht der Entente durchsetzen.
Aber das Reich sah noch eine Chance, denn Mehrheiten, zumal wenn sie auf Erfolgsaussichten gründen und pragmatisch organisiert wurden, bröckeln auch. So kam es zum Stellungskrieg, das bedeutete:
Es gelang England, gegen alle seerechtlichen Vereinbarungen, die deutsche Handelsflotte zu zerstören und die neutralen überseeischen deutschen Handelspartner daran zu hindern, mit dem Reich weiterhin zu handeln. Einzelne Siege der kaiserlichen Marine änderten nichts daran, daß das Reich eingekesselt war und seine Versorgung autark organisieren mußte. Italien verriet das Reich.[10] Die Feindschaft zu Österreich-Ungarn war größer als eine eventuelle deutsch-italienische Gemeinschaft gegen Frankreich. Seit Mai 1915 kämpfte Italien auch offen auf der Entente-Seite. Ein britisch-italienischer Vertrag vom 26. April 1915 hatte Italien die Ausweitung seiner afrikanischen Kolonien zugesichert, außerdem Südtirol, Istrien, Dalmatien, Westalbanien und ein Protektorat über Zentralalbanien, dazu die Inseln der Dodekanes (Rhodos).
Den Mittelmächten gelang es, Bulgarien auf ihre Seite zu ziehen. Damit war der Ring gesprengt, wenngleich die Überlegenheit der Feinde immer noch erdrückend war. Nach dem Sieg gegen Serbien standen die Mittelmächte scheinbar auf Sieg, waren aber nicht in der Lage, dies diplomatisch auszunützen. Statt dessen mahlten die englischen Propagandamühlen und erklärten der Welt, daß es gälte, den preußisch-deutschen Militarismus zu zerschlagen, der allein nach der Weltherrschaft strebe und dem das Blutvergießen zu verdanken sei. Zum Beweis für die deutsche Brutalität wurde der Durchmarsch durch das von den Briten als „neutral“ bezeichnete Belgien genannt. Besonderen Eindruck machte das in Amerika, das allerdings niemals neutral geblieben war, allerdings noch nicht offen auf Entente-Seite stand. Im Mai 1915 wurde der britische Luxusliner „Lusitania“ von einem deutschen U-Boot nach voriger Warnung durch die deutsche Botschaft in Amerika, dieses Schiff zu besteigen, vor Irland versenkt. Dabei kamen 1200 Menschen, auch 128 Amerikaner, ums Leben. Der Liner transportierte Waffen und Munition für England. Das Reich stand als Barbar da.[11] Nach der Lusitania-Katastrophe unterband die OHL den weiteren U-Boot-Krieg, obgleich der ein legales Mittel gegen die illegale Blockade der Entente war.[12] Amerika setzte seine einseitigen Waffen- und Geldlieferungen an die Entente ungehindert fort, nannte sich aber neutral.
Im Reich führten der ermüdende Stellungskrieg und in antithetischer Verschränkung immer neue Offensiven zu Verschleißerscheinungen. Die Wirtschaft mußte umgestellt werden: Rationalisierung (von Rathenau organisiert und beschrieben) und Zwangsbewirtschaftung sorgten für etliche Engpässe bei der Versorgung. Die Deutschen sahen militärische Siege und keine politische Nutzanwendung, so daß die Kriegszieldiskussion und mit ihr verbunden eine über das politische System im Reich laut wurde. Die Regierung nahm dazu keine Stellung, ja, eine Kriegszieldiskussion war sogar verboten worden.
In einem anderen und kurzfristig wichtigeren Bereich wurde dagegen intensiv diskutiert: die Rationalisierung der deutschen Führung. Hatte Britannien bereits vor dem Krieg militärische und politische Leitung miteinander verzahnt, gab es auch in Frankreich keine Divergenz zwischen dem militärischen und zivilen Lebensbereich und war Rußland von vornherein mit dem Zaren als auch militärischem Führer des russischen Imperiums bestens hegemonisiert. Dagegen tat sich das als autokratisch diffamierte Reich schwer, zivile und militärische Lebensbereiche miteinander zu verzahnen, erst recht damit, Österreich in eine Koordinierung einzubinden, obwohl de iure der Kaiser dem Heer und der Regierung vorstand. Wilhelm II. war schlichtweg überfordert, die Macht in seinen Händen zu sammeln, demgegenüber liegt es in der Natur der Deutschen, daß sie bei allem betriebsamen Organisationstalent eine auf eine Führungsspitze zugeschnittene Führerhierarchie nicht ertragen und statt dessen kleine Gruppen favorisieren, die jeweils konkurrierend auf ein Ziel zuarbeiten. Die antithetische Weltwahrnehmung, die Bismarck kongenial in der Verfassung der Deutschen manifestiert und die das Reich zur politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Spitze gebracht hatte, schlug sich nun auch auf die Organisation des Krieges durch. Einerseits lag es nicht im Geiste dieser Verfaßtheit, mit Österreich die Feldzüge so zu koordinieren, daß ein einheitliches Bild entstand, andererseits bewegte sich jeder Armeekommandant erfolgreich, so daß immer dann, wenn sich eine dieser Einheiten in Bewegung setzte und einen Plan verfocht, dies auch (meist) erfolgreich vollzog. Ordnung im Chaos!
Der Westen dagegen wurde straff geführt, es gab ein britisch-französisches Oberkommando; außerdem arbeiteten zivile und militärische Behörden gut zusammen. Das könnte zu dem Schluß verhelfen, daß die mangelhafte Führung im Reich kriegsentscheidend gewesen sei. Sie ist nicht der Grund für die deutsche Niederlage. Man stand schlichtweg 1:2 oder schlechter. Nur der schnelle Sieg im Westen hätte die Chance eines guten Ausgangs für die Mittelmächte geschaffen. Jeder militärische Erfolg, der nach dem Rückzug zur Aisne erzielt wurde, war eine Retardation: die Katastrophe war 1914 vorgezeichnet. Daß das Reich noch vier Jahre durchhielt, war seinem grandiosen Selbstbehauptungswillen, seinem Empfinden, im Recht zu sein, und seiner Disziplin zuzuschreiben, auch der Organisation im Chaos.[13]
Aber das ist nur eine These, eine hätte-These. Historisch betrachtet bildete sich hier eine auch für die Nachwelt merkwürdige Ironie heraus: Die für ihre Organisation so verhaßten Deutschen konnten sich nicht durchringen, ihre Organisation unter einen Willen zu stellen. Weder das OHL noch die Kriegsministerien, die Kanzler oder die Kaiser waren dazu in der Lage, den Krieg so zu organisieren, daß in ihm alle Kräfte unter einen Willen hätten gebracht werden können, was allerdings auch dem deutschen Primat bei der Truppenführung, nämlich dem selbständig agierender Truppenverbände, widersprochen hätte. Weder der deutsche Aufmarsch im Westen noch die Strafaktion gegen Serbien waren straff organisiert. Der Krieg wäre (im Osten) früher gewonnen worden, wenn Österreich die Russen in Galizien stärker gebunden und seine Strafaktion gegen Serbien dem untergeordnet hätte. So mißlang beides, dazu drangen die Russen in Ostpreußen ein, was wiederum den schlecht gestaffelten deutschen Aufmarsch in Frankreich vollends scheitern ließ. Der Abzug von Offensivkräften ließ die Bewegung erstarren: aus dem Bewegungskrieg wurde ein Stellungskrieg, in starren Schützengrabensystemen geführt.
Aber es gab in diesem ersten Kriegsjahr auch zwei gute Erfahrungen für die Mittelmächte: das Osmanische Imperium und Bulgarien[14] stellten sich auf ihre Seite. Wenngleich diese neuen Partner keineswegs die militärische Schlagkraft erhöhten, so war doch die psychologische Wirkung hoch, denn die neuen Partner verstärkten das Wir-Gefühl. Zudem wurde Rußlands Weg nach Süden unterbunden und Englands Zugang nach Indien erschwert. England reagierte und griff verstärkt die Dardanellen an, drang außerdem über Ägypten langsam nach Norden vor. Die Hoffnung des Reiches, daß sich die Mohammedaner gegen die von ihnen gehaßten Briten erheben würden, erfüllte sich nicht. Araber und Türken waren einander spinnefeind, das Reich in der arabischen Welt nicht mächtig genug, um einen Befreiungskrieg gegen die Kolonialmächte entfesseln zu können.[15] Allerdings gelang es im Mittleren Osten dem ostfälischen Orientalisten und Diplomaten Waßmuß, Tausende britische Soldaten über Jahre zu binden, indem er den persischen Stämmen deutlich machte, daß das Reich auf ihrer Seite für ihre Freiheit focht, und sie so motivierte, die Waffen gegen die Entente zu erheben.
Besonders enervierend für das Reich war der Verrat Italiens, der folgendes zeigte: Es gibt in der internationalen Politik keine Freunde, nur temporäre Partner. Italiens Verhalten im ersten Kriegsjahr gibt ein Exempel für diese These. In Italien kämpften zwei Parteiungen um die Meinungshoheit:
see, Arras) abgewehrt und im Osten Rußland bis weit in die weißrussischen Sümpfe zurückgeworfen hatten. Aber die Mittelmächte besaßen keine Kapazität für eine kriegsentscheidende Offensive. Ein Patt.
Neben den Hauptkriegsschauplätzen (die vom Reich aus gesehene Ost- und Westfront und der Nordatlantik mit seinem U-Boot-Krieg) gab es zahlreiche Nebenkriegsschauplätze, die hier im einzelnen nicht ausführlich behandelt, wohl aber genannt werden sollen:
Aufgaben:
[1] Das Reich verlor mit den Kriegserklärungen auf einen Schlag seine Auslandswerte, seinen Außenhandel, seine Wirtschaftspartner, seine Kunden. Zwar verloren auch die Entente-Mächte viele ihrer Kunden und im Reich angehäuften Werte, aber sie besaßen die Seeherrschaft und konnten deswegen den deutschen Auslandshandel unterbinden und die deutschen Anteile übernehmen. Dem Reich blieb die Schaffung einer Freihandelszone mit der Doppelmonarchie. - Walther Rathenau stand nach seiner Anregung von Ende August 1914 einer Kriegsrohstoffabteilung im Kriegsministerium vor, die ermittelte, welche Reserven das Reich besaß und wie lange ein Krieg dauern dürfte. Ein Jahr lautete das Ergebnis. Beschlagnahme der Rohstoffe und Neuverteilung auf halbstaatliche Neugründungen zum Zwecke der Kriegsproduktion waren die Folge. Kriegswirtschaft, die immer weiter um sich griff. Der Anfang vom Ende einer soliden Finanzwirtschaft.
[2] Es gab keine belgische Neutralität. Der britische Admiral Kitchener erklärte schon lange vor dem Krieg: „Die Grenze des britischen Reiches in Europa ist nicht die Meerenge von Calais, sondern die Maaslinie.“ (In: Eduard David, S. 13.)
[3] Übersetzung eines 1914 im Brüsseler Archiv gefundenen Briefes vom Chef des belgischen Generalstabes an den belgischen Kriegsminister vom September 1906, der die belgisch-britische Zusammenarbeit für den kommenden Krieg regelt und in Einzelheiten bestimmt, wo aufmarschiert wird, wie die Transportleistungen und einzelnen Kontingente bestimmt werden und wie lange was zu dauern hat. (In: Reventlow, S. 159-162.) Als Faksimale hier.
[4] Allerdings ließ der französische Generalissimus Joffre, wie vom deutschen Generalstab erwartet, die französische Armee hinter dem Wall der französischen Ostfestungen Maubeuge, Montmedy, Verdun, Toul, Epinal (Spinneln) und Belfort aufmarschieren.
[5] Diese Ostorientierung der Heeresleitung war die Folge ihres zu weit östlich fixierten Drehpunktes für den gesamten Aufmarsch. Während Schlieffen den rechten Flügel beim Angriff (1. Armee) stark machen wollte, verlagerte die Heeresleitung von Koblenz aus den Schwerpunkt zu weit nach Osten, nach Metz in Lothringen, wo sie den französischen Hauptangriff erwartete. Während der Schlieffen-Plan nur halbherzig, aber doch strukturell durchgeführt wurde, zeigte sich, daß der tatsächliche Drehpunkt, um Paris ins Visier nehmen zu können, 80 km weiter westlich bei Verdun liegen müßte; nun aber war der rechte Flügel zu schwach besetzt, um die Zangenbewegung durchführen zu können; zudem hatten die 6. und 7. Armee mit dem notwendigen Angriff aus Südosten (südliches Elsaß) zu lange gewartet. Der Aufmarsch bedurfte des Mutes, nicht der abwägenden Kalkulation. Moltke d.J. war zu vorsichtig, Kluck im entscheidenden Moment nicht energisch genug, zu ängstlich auf die Sicherung von Nachschublinien bedacht.
[6] Der Seekrieg wurde von den deutschen Strategen vernachlässigt. Zwar war die deutsche Flotte technisch und taktisch die beste der Welt, was sie in der zu späten Skagerrak-Schlacht nachweisen konnte, aber weder hinderte sie die Briten daran, Frankreich über den Kanal zu versorgen, noch versuchte sie, Stützpunkte im Atlantik zu erobern. - Die Blockade der Briten war für sie recht einfach durchzuführen: Sie besetzten die beiden wichtigsten Durchfahrten von Europa zur Welt: zwischen Orkney- und Shetlandinseln und Norwegen sowie den Kanal. Die Briten blieben in ihrer defensiven Grundaufstellung und versuchten nicht, sich einen Weg zu den deutschen Häfen zu bahnen, geschweige denn eine Verbindung zu Rußland herzustellen. Das Ergebnis dieser Strategie war ein Stellungskrieg zur See. - Die rechtliche Basis für den Umgang zur See miteinander bildete die Pariser Konvention (auch Pariser Seerechtsdeklaration) von 1856, in der es verboten worden war, neutrale Schiffe anzugreifen. Es gab nur eine Ausnahme: Konterbande, also der versteckte Transport von Kriegsgütern. Während die Briten jedes Schiff davon abhielten, sich deutschen Häfen zu nähern, zerstörten deutsche U-Boote (bis zur Erklärung des uneingeschränkten U-Boot-Krieges) nur (mitunter schwerbewaffnete) Handelsschiffe, die Kriegsgerät mit sich führten. Das erfolgte nach voriger Warnung.
[7] Ernst Troeltsch drückte es so aus: „Der Weltkrieg ist [Rede von 1916] in erster Linie alles andere als ein Krieg des Geistes und der Kulturgegensätze, wie oft pathetische Überidealisten wollen. Er ist das Ergebnis der imperialistischen Weltspannung, die aus der Verteilung des Planeten unter wenige Großmächte und aus dem Bedürfnis nach Niederhaltung des deutschen Wettbewerbs hervorgegangen ist.“ (Troeltsch: Deutscher Geist in Westeuropa. Tübingen 1925. S. 31.)
[8] Die Kriegszieldiskussion setzte im Reich Anfang September 1914 ein, zwischen politischen und wirtschaftlichen Führungskräften intern geführt. Fritz Fischer gibt sie in seinem Buch „Griff zur Weltmacht“ tendenziös wieder. - Näheres dazu im Kapitel „Kriegsschuldartikel…“
[9] Walther Rathenau: Denkschrift zu den Kriegszielen. (1914) Der dreiseitige Brief an den Kanzler. - Betrachtet man die politische Karte Europas heute, so glaubt man letzten Endes, daß wir die Kriege doch gewonnen haben müssen.
[10] Der Dreibund-Vertrag, ein Defensivvertrag, bestimmte Italien dazu, einige Korps (je 40000 Mann) für die deutsche Front im Elsaß oder in Ostpreußen zu stellen, was 1914 nicht erfolgte. Italien begründete das mit der zuerst erfolgten Kriegserklärung des Reiches an Frankreich und der Tatsache, daß England auf der Gegenseite stand und nicht neutral blieb. Art. 4 des Vertrages ließ Italiens Neutralität zu, da das Reich, obwohl es den Krieg als Verteidigungskrieg führte, paradoxerweise aggressiv beginnen mußte, also angriff und nicht abwartete, bis es angegriffen werden würde. Dem Geist des Vertrages nach gegenseitiger Unterstützung im Kriegsfall allerdings entsprach Italiens Haltung nicht, zudem waren 1914 französische Truppen ins Elsaß und russische ins Reich eingedrungen, was einen italienischen Beistand zwingend hätte machen müssen: casus foederis. - Clark (S. 134) bestimmte Italiens Verhalten so, daß ein liberal-säkulär-nationales (Feind Österreichs) mit einem klerikal-katholisch-konservativen (Freund Österreichs) Italien stritt, und sich 1914/15 das liberale durchsetzte. Allerdings hatte Italien bereits 1909 mit Rußland einen gegenseitigen Beistandspakt abgeschlossen (Racconigi-Abkommen) und damit seinen Kurswechsel akzentuiert. Der nüchterne Grund für Italiens Verrat lag darin, daß seine außenpolitischen Ziele (Trentino, Triest, Südalbanien, Behauptung Tripolitaniens) mit der Entente zu erreichen waren, nicht aber mit den defensiv ausgerichteten Mittelmächten.
[11] Inzwischen hat sich die Bewertung dieses Ereignisses in Amerika gewandelt. Dazu trug das Buch des einstigen amerikanischen Verfassungsrichters John V. Denson: Sie sagten Frieden und meinten Krieg. (Gilching 2014.) bei, das die amerikanische Kriegspolitik seit 1846 untersucht. Allerdings hatte der britische Admiral Fisher (trat kurz nach dem Lusitania-Zwischenfall zurück) bereits Tirpitz im Krieg konzediert: „Ich mache Ihnen keinen Vorwurf, an Ihrer Stelle hätte ich genauso gehandelt.“ (In: JF 19/2015, S. 21.) Fisher trat zurück, nachdem bekannt geworden war, daß Churchill unmittelbar vor dem Abschuß der Lusitania den Begleitschutz abgezogen hatte und auch die Fahrtroute trotz voriger Warnung nicht ändern wollte. Er hatte das Schiff quasi auf dem Silbertablett serviert. - Churchill wurde bald seines Amtes entsetzt.
[12] Statistik: 1918 hatte die kaiserliche Marine 5234 Schiffe mit knapp 12,3 Millionen BRT versenkt. Außerdem 10 feindliche Schlachtschiffe, 18 Kreuzer, 20 Zerstörer und neun feindliche U-Boote. 178 deutsche U-Boote blieben draußen. Churchill meinte nach dem Krieg: „Unser Erfolg hing an einem kleinen, dünnen, gefährdeten Fädchen! Nur ein wenig mehr und der U-Boot-Krieg hätte uns alle durch Hunger zur unbedingten Übergabe gezwungen!“ (Rolf Bürgel: Neue Feindkontakte provoziert. In: Junge Freiheit, S. 19. 45/14.) Das assoziiert, daß es ein Fehler war, nach der Vernichtung der „Lusitania“ mit dem U-Boot-Krieg aufgehört zu haben, zumal die USA sowieso schon auf Entente-Seite standen.
[13] Der Zusammenhang zwischen Chaos und Ordnung spielt auch in der heutigen Diskussion zur besten aller möglichen Welten eine Rolle.
[14] Der bulgarische König ließ sich seine Bündniszusage später entlohnen, erhielt aus dem Wehretat des Reiches (bis 1931) 25 Millionen RM (etwa 270 Millionen €), wonach er schriftlich zusicherte, daß seine Ansprüche damit entgolten seien, was ihn jedoch nicht daran hinderte, immer neue Forderungen zu stellen, die er auch erhielt: 120000 RM Apanage (1,3 Millionen €).
[15] Die von Ludendorff auf Anraten Papens 1918 initiierte Autonomie-Initiative (Papen, S. 107) für die Araber wurde von den Türken abgelehnt. Damit war auch die letzte Chance für einen siegreichen Nahost-Krieg unmöglich geworden.
Dieser verdammte Krieg. Der deutsche Befreiungskrieg. Er wäre nur nach einer Wesensveränderung bei den imperialen Mächten zu verhindern gewesen. Es gab für die Mittelmächte nur eine Chance, der schnelle Sieg durch einen zuvorkommenden Angriff. Die Deutschen standen anfangs einer doppelten militärischen und zehnfachen Übermacht in puncto Geldmittel gegenüber.[1] Vom Tage der Mobilmachung an waren Soldzahlungen, Rüstungskäufe, Vorratsbeschaffung etc. pp. vom Reich zu leisten, das in Friedenszeiten eine bestenfalls unzureichend zu nennende finanzielle Vorbereitung für den Kriegsfall vorgenommen hatte. Es gab zwar einen Kriegsschatz, aber so etwas wie eine Kriegsfinanzplanung gab es nicht. Der Reichskriegsschatz war nach dem Krieg 1870/71 aus den Mitteln der französischen Kriegskontributionen in Spandau (Juliusturm) in Höhe von 120 Millionen Goldmark eingelagert worden. Durch die 1909 erfolgte Erklärung der Reichsbank, Banknoten als offizielle Zahlungsmittel anzuerkennen und die 1913 erfolgte Ergänzung der Goldbestände durch Silber hatte sich dieser Schatz auf 480 Millionen Goldmark erhöht, etwa 3 Milliarden € nach heutigem Geld. Das reichte bestenfalls für die Durchführung einer Herbstoffensive. Das Reich hatte nur dann eine Chance, wenn es seine überlegene Organisation ausnützten und schnellstmöglich Truppenverbände rochieren ließ, um Überlegenheiten zu schaffen. Eliten waren gefragt. Das Volk stand zum Reich. Die Identifikation war überwältigend, auch im Elsaß oder den überwiegend polnisch besiedelten Gebieten meldeten sich tausende Freiwillige. Man fühlte sich überfallen und zuunrecht als Kriegsstifter beschuldigt.
Das Reich besaß den Schlieffen-Plan, der seit 1905 der Öffentlichkeit bekannt war. (die politische Führung versäumte es, diesem militärischen Plan einen für die Wirtschaft zur Seite zu stellen) Belgien hatte sich seit dieser Zeit Frankreich und Britannien angenähert und rechnete mit den Deutschen im Kriegsfall.[2] Die politische Führung des Reiches versäumte es, die Notwendigkeit des deutschen Durchmarsches, der auch rechtlich unproblematisch war, deutlich zu machen. Statt dessen übte sie sich in diplomatischer Selbstbeschuldigung, eine deutsche Politikerkrankheit seit der Moderne, indem sie hier der britischen Propaganda ein deutsches Unrecht konzedierte, das militärisch und außenpolitisch keines war, denn Belgien war, trotz des Vertrages von 1839, spätestens seit 1906 KEIN neutrales Land mehr.[3]
Max Hoffmann, taktischer Offizier unter Hindenburg 1914, während eines Rundgangs vor Journalisten im einstigen Hauptquarttier der 8. Armee, etwa 1924: Hier hat der Generalfeldmarschall Hindenburg vor der Schlacht von Tannenberg, nach der Schlacht von Tannenberg und, unter uns gesagt, auch während der Schlacht von Tannenberg geschlafen. |
Jedenfalls war der einzige Angriffsplan der Deutschen zum scheitern verurteilt, was 1914 den Krieg entschied, denn nun mußte sich die zahlenmäßige Übermacht der Entente durchsetzen.
Die Mehrzahl der etwa 3000 Ziviltoten bei der Besetzung Belgiens dürfte auf derartige [Panik, Disziplinlosigkeit, Überanstrengung der deutschen Soldaten] Ausschreitungen zurückzuführen sein. Die Vorstellung, daß es sich um Opfer einer spezifisch deutschen „Gewaltkultur“ [Behauptung der Entente] handelte, geht jedenfalls in die Irre. Entsprechende Deutungen, wie sie zuletzt mit erheblicher Wirkung John Horne und Alan Kramer vertraten, schreiben im Grunde nur jene Interpretation fort, die die Entente schon während des Ersten Weltkriegs in Umlauf brachte. Ausgeblendet wird dabei nicht nur der radikale Kurswechsel in der belgischen wie der französischen und britischen Presse, nachdem sich herausgestellt hatte, welche Konsequenzen die Freischärlerangriffe [Franktireure] hatten: Seit dem September 1914 gab es keine weiteren Berichte zum Thema, statt dessen wurde den Deutschen vorgeworfen, die Figur des franc-tireur erfunden zu haben. […] Ganz entscheidend wirkte in dem Zusammenhang der Hinweis [seinerzeit in der deutschen Presse], daß die deutschen Methoden [hartes Vorgehen gegen Heckenschützen] sich selbst im schlimmsten Fall nicht von denen der deutschen Gegner unterschieden. Das sowieso in bezug auf Kolonialkriege (etwa die Maßnahmen der Belgier im Kongo, der Franzosen in Marokko und Algerien, der Briten in Indien oder Afghanistan), aber auch in bezug auf das Vorgehen Rußlands bei der Besetzung Ostpreußens (zirka 1600 Ziviltote in weniger als vier Wochen, 10000 Verschleppte) und die Mittel, derer sich Großbritannien während der Burenkriege (etwa 40000 Tote in den Konzentrationslagern) bedient hatte und bei der Niederschlagung des Osteraufstandes in Irland kurz darauf bedienen würde (1000 Tote, 3000 Internierte). (Karlheinz Weißmann: Hinterhältige und Hinterhältiges. In: Junge Freiheit, 34/14. S. 20.) |
- eingegrabene Truppen im Stellungs- und Grabenkrieg (Sappenkampf);
- Einsatz von Minenwerfern (Minierkrieg), Handgranaten, Gas;
- Flugzeuge, anfangs als Erkundungsmittel, dann auch als Sprengstoffgranaten tragende Abwurfmaschinen zur Bombardierung ziviler Einrichtungen;
- Einsatz moderner Mittel (Tanks resp. Panzer, Propaganda, Telephone, Hungerblockade[6], Agentenkrieg, Sabotage)…
Es gelang England, gegen alle seerechtlichen Vereinbarungen, die deutsche Handelsflotte zu zerstören und die neutralen überseeischen deutschen Handelspartner daran zu hindern, mit dem Reich weiterhin zu handeln. Einzelne Siege der kaiserlichen Marine änderten nichts daran, daß das Reich eingekesselt war und seine Versorgung autark organisieren mußte. Italien verriet das Reich.[10] Die Feindschaft zu Österreich-Ungarn war größer als eine eventuelle deutsch-italienische Gemeinschaft gegen Frankreich. Seit Mai 1915 kämpfte Italien auch offen auf der Entente-Seite. Ein britisch-italienischer Vertrag vom 26. April 1915 hatte Italien die Ausweitung seiner afrikanischen Kolonien zugesichert, außerdem Südtirol, Istrien, Dalmatien, Westalbanien und ein Protektorat über Zentralalbanien, dazu die Inseln der Dodekanes (Rhodos).
Den Mittelmächten gelang es, Bulgarien auf ihre Seite zu ziehen. Damit war der Ring gesprengt, wenngleich die Überlegenheit der Feinde immer noch erdrückend war. Nach dem Sieg gegen Serbien standen die Mittelmächte scheinbar auf Sieg, waren aber nicht in der Lage, dies diplomatisch auszunützen. Statt dessen mahlten die englischen Propagandamühlen und erklärten der Welt, daß es gälte, den preußisch-deutschen Militarismus zu zerschlagen, der allein nach der Weltherrschaft strebe und dem das Blutvergießen zu verdanken sei. Zum Beweis für die deutsche Brutalität wurde der Durchmarsch durch das von den Briten als „neutral“ bezeichnete Belgien genannt. Besonderen Eindruck machte das in Amerika, das allerdings niemals neutral geblieben war, allerdings noch nicht offen auf Entente-Seite stand. Im Mai 1915 wurde der britische Luxusliner „Lusitania“ von einem deutschen U-Boot nach voriger Warnung durch die deutsche Botschaft in Amerika, dieses Schiff zu besteigen, vor Irland versenkt. Dabei kamen 1200 Menschen, auch 128 Amerikaner, ums Leben. Der Liner transportierte Waffen und Munition für England. Das Reich stand als Barbar da.[11] Nach der Lusitania-Katastrophe unterband die OHL den weiteren U-Boot-Krieg, obgleich der ein legales Mittel gegen die illegale Blockade der Entente war.[12] Amerika setzte seine einseitigen Waffen- und Geldlieferungen an die Entente ungehindert fort, nannte sich aber neutral.
Im Reich führten der ermüdende Stellungskrieg und in antithetischer Verschränkung immer neue Offensiven zu Verschleißerscheinungen. Die Wirtschaft mußte umgestellt werden: Rationalisierung (von Rathenau organisiert und beschrieben) und Zwangsbewirtschaftung sorgten für etliche Engpässe bei der Versorgung. Die Deutschen sahen militärische Siege und keine politische Nutzanwendung, so daß die Kriegszieldiskussion und mit ihr verbunden eine über das politische System im Reich laut wurde. Die Regierung nahm dazu keine Stellung, ja, eine Kriegszieldiskussion war sogar verboten worden.
In einem anderen und kurzfristig wichtigeren Bereich wurde dagegen intensiv diskutiert: die Rationalisierung der deutschen Führung. Hatte Britannien bereits vor dem Krieg militärische und politische Leitung miteinander verzahnt, gab es auch in Frankreich keine Divergenz zwischen dem militärischen und zivilen Lebensbereich und war Rußland von vornherein mit dem Zaren als auch militärischem Führer des russischen Imperiums bestens hegemonisiert. Dagegen tat sich das als autokratisch diffamierte Reich schwer, zivile und militärische Lebensbereiche miteinander zu verzahnen, erst recht damit, Österreich in eine Koordinierung einzubinden, obwohl de iure der Kaiser dem Heer und der Regierung vorstand. Wilhelm II. war schlichtweg überfordert, die Macht in seinen Händen zu sammeln, demgegenüber liegt es in der Natur der Deutschen, daß sie bei allem betriebsamen Organisationstalent eine auf eine Führungsspitze zugeschnittene Führerhierarchie nicht ertragen und statt dessen kleine Gruppen favorisieren, die jeweils konkurrierend auf ein Ziel zuarbeiten. Die antithetische Weltwahrnehmung, die Bismarck kongenial in der Verfassung der Deutschen manifestiert und die das Reich zur politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Spitze gebracht hatte, schlug sich nun auch auf die Organisation des Krieges durch. Einerseits lag es nicht im Geiste dieser Verfaßtheit, mit Österreich die Feldzüge so zu koordinieren, daß ein einheitliches Bild entstand, andererseits bewegte sich jeder Armeekommandant erfolgreich, so daß immer dann, wenn sich eine dieser Einheiten in Bewegung setzte und einen Plan verfocht, dies auch (meist) erfolgreich vollzog. Ordnung im Chaos!
Der Westen dagegen wurde straff geführt, es gab ein britisch-französisches Oberkommando; außerdem arbeiteten zivile und militärische Behörden gut zusammen. Das könnte zu dem Schluß verhelfen, daß die mangelhafte Führung im Reich kriegsentscheidend gewesen sei. Sie ist nicht der Grund für die deutsche Niederlage. Man stand schlichtweg 1:2 oder schlechter. Nur der schnelle Sieg im Westen hätte die Chance eines guten Ausgangs für die Mittelmächte geschaffen. Jeder militärische Erfolg, der nach dem Rückzug zur Aisne erzielt wurde, war eine Retardation: die Katastrophe war 1914 vorgezeichnet. Daß das Reich noch vier Jahre durchhielt, war seinem grandiosen Selbstbehauptungswillen, seinem Empfinden, im Recht zu sein, und seiner Disziplin zuzuschreiben, auch der Organisation im Chaos.[13]
Luftkrieg
Flughöhe: 2000-3000 m Höchstgeschwindigkeit: anfangs 120 km/h, am Ende des Krieges mehr als 200 km/h
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Aber es gab in diesem ersten Kriegsjahr auch zwei gute Erfahrungen für die Mittelmächte: das Osmanische Imperium und Bulgarien[14] stellten sich auf ihre Seite. Wenngleich diese neuen Partner keineswegs die militärische Schlagkraft erhöhten, so war doch die psychologische Wirkung hoch, denn die neuen Partner verstärkten das Wir-Gefühl. Zudem wurde Rußlands Weg nach Süden unterbunden und Englands Zugang nach Indien erschwert. England reagierte und griff verstärkt die Dardanellen an, drang außerdem über Ägypten langsam nach Norden vor. Die Hoffnung des Reiches, daß sich die Mohammedaner gegen die von ihnen gehaßten Briten erheben würden, erfüllte sich nicht. Araber und Türken waren einander spinnefeind, das Reich in der arabischen Welt nicht mächtig genug, um einen Befreiungskrieg gegen die Kolonialmächte entfesseln zu können.[15] Allerdings gelang es im Mittleren Osten dem ostfälischen Orientalisten und Diplomaten Waßmuß, Tausende britische Soldaten über Jahre zu binden, indem er den persischen Stämmen deutlich machte, daß das Reich auf ihrer Seite für ihre Freiheit focht, und sie so motivierte, die Waffen gegen die Entente zu erheben.
Besonders enervierend für das Reich war der Verrat Italiens, der folgendes zeigte: Es gibt in der internationalen Politik keine Freunde, nur temporäre Partner. Italiens Verhalten im ersten Kriegsjahr gibt ein Exempel für diese These. In Italien kämpften zwei Parteiungen um die Meinungshoheit:
- die Anhänger der Auffassung, man könne die territorialen Ziele (gegenüber Österreich-Ungarn und Frankreich) mittels Kompensation für Neutralität erzielen;
- die Kriegspartei, die gegen Österreich-Ungarn Krieg führen wollte.
Was wir bislang [bis zur Somme-Schlacht 1916], freilich ohne es zu ahnen, erlebt hatten, war der Versuch gewesen, den Krieg durch Feldschlachten alten Stiles zu gewinnen, und das Versanden dieses Versuches im Stellungskrieg. Nun stand uns die Materialschlacht mit ihrem riesenhaften Aufgebot bevor. Diese wiederum wurde gegen Ende des Jahres 1917 durch die mechanische Schlacht abgelöst, deren Bild jedoch nicht mehr zur vollen Entfaltung kam. (Ernst Jünger: In Stahlgewittern. S.71/72. Stuttgart 2014.) |
Neben den Hauptkriegsschauplätzen (die vom Reich aus gesehene Ost- und Westfront und der Nordatlantik mit seinem U-Boot-Krieg) gab es zahlreiche Nebenkriegsschauplätze, die hier im einzelnen nicht ausführlich behandelt, wohl aber genannt werden sollen:
- die kaukasische Front;
- die verschiedenen Kriegsschauplätze in Afrika;
- der pazifische Kriegsschauplatz um Kiauschau;
- Gefechte vor Südamerika;
- der mexikanisch-amerikanische Grenzbereich.
Aufgaben:
- Nenne Gründe für das Scheitern der deutschen Westoffensive 1914! (I)
- Bestimme die historische Entstehung des Franktireurs! (II)
- Stelle die jeweiligen Kriegsziele einander gegenüber und bewerte sie! (III)
- Fasse die Ereignisse des ersten Kriegsjahres in fünf Stichpunkten zusammen! (II)
[1] Das Reich verlor mit den Kriegserklärungen auf einen Schlag seine Auslandswerte, seinen Außenhandel, seine Wirtschaftspartner, seine Kunden. Zwar verloren auch die Entente-Mächte viele ihrer Kunden und im Reich angehäuften Werte, aber sie besaßen die Seeherrschaft und konnten deswegen den deutschen Auslandshandel unterbinden und die deutschen Anteile übernehmen. Dem Reich blieb die Schaffung einer Freihandelszone mit der Doppelmonarchie. - Walther Rathenau stand nach seiner Anregung von Ende August 1914 einer Kriegsrohstoffabteilung im Kriegsministerium vor, die ermittelte, welche Reserven das Reich besaß und wie lange ein Krieg dauern dürfte. Ein Jahr lautete das Ergebnis. Beschlagnahme der Rohstoffe und Neuverteilung auf halbstaatliche Neugründungen zum Zwecke der Kriegsproduktion waren die Folge. Kriegswirtschaft, die immer weiter um sich griff. Der Anfang vom Ende einer soliden Finanzwirtschaft.
[2] Es gab keine belgische Neutralität. Der britische Admiral Kitchener erklärte schon lange vor dem Krieg: „Die Grenze des britischen Reiches in Europa ist nicht die Meerenge von Calais, sondern die Maaslinie.“ (In: Eduard David, S. 13.)
[3] Übersetzung eines 1914 im Brüsseler Archiv gefundenen Briefes vom Chef des belgischen Generalstabes an den belgischen Kriegsminister vom September 1906, der die belgisch-britische Zusammenarbeit für den kommenden Krieg regelt und in Einzelheiten bestimmt, wo aufmarschiert wird, wie die Transportleistungen und einzelnen Kontingente bestimmt werden und wie lange was zu dauern hat. (In: Reventlow, S. 159-162.) Als Faksimale hier.
[4] Allerdings ließ der französische Generalissimus Joffre, wie vom deutschen Generalstab erwartet, die französische Armee hinter dem Wall der französischen Ostfestungen Maubeuge, Montmedy, Verdun, Toul, Epinal (Spinneln) und Belfort aufmarschieren.
[5] Diese Ostorientierung der Heeresleitung war die Folge ihres zu weit östlich fixierten Drehpunktes für den gesamten Aufmarsch. Während Schlieffen den rechten Flügel beim Angriff (1. Armee) stark machen wollte, verlagerte die Heeresleitung von Koblenz aus den Schwerpunkt zu weit nach Osten, nach Metz in Lothringen, wo sie den französischen Hauptangriff erwartete. Während der Schlieffen-Plan nur halbherzig, aber doch strukturell durchgeführt wurde, zeigte sich, daß der tatsächliche Drehpunkt, um Paris ins Visier nehmen zu können, 80 km weiter westlich bei Verdun liegen müßte; nun aber war der rechte Flügel zu schwach besetzt, um die Zangenbewegung durchführen zu können; zudem hatten die 6. und 7. Armee mit dem notwendigen Angriff aus Südosten (südliches Elsaß) zu lange gewartet. Der Aufmarsch bedurfte des Mutes, nicht der abwägenden Kalkulation. Moltke d.J. war zu vorsichtig, Kluck im entscheidenden Moment nicht energisch genug, zu ängstlich auf die Sicherung von Nachschublinien bedacht.
[6] Der Seekrieg wurde von den deutschen Strategen vernachlässigt. Zwar war die deutsche Flotte technisch und taktisch die beste der Welt, was sie in der zu späten Skagerrak-Schlacht nachweisen konnte, aber weder hinderte sie die Briten daran, Frankreich über den Kanal zu versorgen, noch versuchte sie, Stützpunkte im Atlantik zu erobern. - Die Blockade der Briten war für sie recht einfach durchzuführen: Sie besetzten die beiden wichtigsten Durchfahrten von Europa zur Welt: zwischen Orkney- und Shetlandinseln und Norwegen sowie den Kanal. Die Briten blieben in ihrer defensiven Grundaufstellung und versuchten nicht, sich einen Weg zu den deutschen Häfen zu bahnen, geschweige denn eine Verbindung zu Rußland herzustellen. Das Ergebnis dieser Strategie war ein Stellungskrieg zur See. - Die rechtliche Basis für den Umgang zur See miteinander bildete die Pariser Konvention (auch Pariser Seerechtsdeklaration) von 1856, in der es verboten worden war, neutrale Schiffe anzugreifen. Es gab nur eine Ausnahme: Konterbande, also der versteckte Transport von Kriegsgütern. Während die Briten jedes Schiff davon abhielten, sich deutschen Häfen zu nähern, zerstörten deutsche U-Boote (bis zur Erklärung des uneingeschränkten U-Boot-Krieges) nur (mitunter schwerbewaffnete) Handelsschiffe, die Kriegsgerät mit sich führten. Das erfolgte nach voriger Warnung.
[7] Ernst Troeltsch drückte es so aus: „Der Weltkrieg ist [Rede von 1916] in erster Linie alles andere als ein Krieg des Geistes und der Kulturgegensätze, wie oft pathetische Überidealisten wollen. Er ist das Ergebnis der imperialistischen Weltspannung, die aus der Verteilung des Planeten unter wenige Großmächte und aus dem Bedürfnis nach Niederhaltung des deutschen Wettbewerbs hervorgegangen ist.“ (Troeltsch: Deutscher Geist in Westeuropa. Tübingen 1925. S. 31.)
[8] Die Kriegszieldiskussion setzte im Reich Anfang September 1914 ein, zwischen politischen und wirtschaftlichen Führungskräften intern geführt. Fritz Fischer gibt sie in seinem Buch „Griff zur Weltmacht“ tendenziös wieder. - Näheres dazu im Kapitel „Kriegsschuldartikel…“
[9] Walther Rathenau: Denkschrift zu den Kriegszielen. (1914) Der dreiseitige Brief an den Kanzler. - Betrachtet man die politische Karte Europas heute, so glaubt man letzten Endes, daß wir die Kriege doch gewonnen haben müssen.
[10] Der Dreibund-Vertrag, ein Defensivvertrag, bestimmte Italien dazu, einige Korps (je 40000 Mann) für die deutsche Front im Elsaß oder in Ostpreußen zu stellen, was 1914 nicht erfolgte. Italien begründete das mit der zuerst erfolgten Kriegserklärung des Reiches an Frankreich und der Tatsache, daß England auf der Gegenseite stand und nicht neutral blieb. Art. 4 des Vertrages ließ Italiens Neutralität zu, da das Reich, obwohl es den Krieg als Verteidigungskrieg führte, paradoxerweise aggressiv beginnen mußte, also angriff und nicht abwartete, bis es angegriffen werden würde. Dem Geist des Vertrages nach gegenseitiger Unterstützung im Kriegsfall allerdings entsprach Italiens Haltung nicht, zudem waren 1914 französische Truppen ins Elsaß und russische ins Reich eingedrungen, was einen italienischen Beistand zwingend hätte machen müssen: casus foederis. - Clark (S. 134) bestimmte Italiens Verhalten so, daß ein liberal-säkulär-nationales (Feind Österreichs) mit einem klerikal-katholisch-konservativen (Freund Österreichs) Italien stritt, und sich 1914/15 das liberale durchsetzte. Allerdings hatte Italien bereits 1909 mit Rußland einen gegenseitigen Beistandspakt abgeschlossen (Racconigi-Abkommen) und damit seinen Kurswechsel akzentuiert. Der nüchterne Grund für Italiens Verrat lag darin, daß seine außenpolitischen Ziele (Trentino, Triest, Südalbanien, Behauptung Tripolitaniens) mit der Entente zu erreichen waren, nicht aber mit den defensiv ausgerichteten Mittelmächten.
[11] Inzwischen hat sich die Bewertung dieses Ereignisses in Amerika gewandelt. Dazu trug das Buch des einstigen amerikanischen Verfassungsrichters John V. Denson: Sie sagten Frieden und meinten Krieg. (Gilching 2014.) bei, das die amerikanische Kriegspolitik seit 1846 untersucht. Allerdings hatte der britische Admiral Fisher (trat kurz nach dem Lusitania-Zwischenfall zurück) bereits Tirpitz im Krieg konzediert: „Ich mache Ihnen keinen Vorwurf, an Ihrer Stelle hätte ich genauso gehandelt.“ (In: JF 19/2015, S. 21.) Fisher trat zurück, nachdem bekannt geworden war, daß Churchill unmittelbar vor dem Abschuß der Lusitania den Begleitschutz abgezogen hatte und auch die Fahrtroute trotz voriger Warnung nicht ändern wollte. Er hatte das Schiff quasi auf dem Silbertablett serviert. - Churchill wurde bald seines Amtes entsetzt.
[12] Statistik: 1918 hatte die kaiserliche Marine 5234 Schiffe mit knapp 12,3 Millionen BRT versenkt. Außerdem 10 feindliche Schlachtschiffe, 18 Kreuzer, 20 Zerstörer und neun feindliche U-Boote. 178 deutsche U-Boote blieben draußen. Churchill meinte nach dem Krieg: „Unser Erfolg hing an einem kleinen, dünnen, gefährdeten Fädchen! Nur ein wenig mehr und der U-Boot-Krieg hätte uns alle durch Hunger zur unbedingten Übergabe gezwungen!“ (Rolf Bürgel: Neue Feindkontakte provoziert. In: Junge Freiheit, S. 19. 45/14.) Das assoziiert, daß es ein Fehler war, nach der Vernichtung der „Lusitania“ mit dem U-Boot-Krieg aufgehört zu haben, zumal die USA sowieso schon auf Entente-Seite standen.
[13] Der Zusammenhang zwischen Chaos und Ordnung spielt auch in der heutigen Diskussion zur besten aller möglichen Welten eine Rolle.
[14] Der bulgarische König ließ sich seine Bündniszusage später entlohnen, erhielt aus dem Wehretat des Reiches (bis 1931) 25 Millionen RM (etwa 270 Millionen €), wonach er schriftlich zusicherte, daß seine Ansprüche damit entgolten seien, was ihn jedoch nicht daran hinderte, immer neue Forderungen zu stellen, die er auch erhielt: 120000 RM Apanage (1,3 Millionen €).
[15] Die von Ludendorff auf Anraten Papens 1918 initiierte Autonomie-Initiative (Papen, S. 107) für die Araber wurde von den Türken abgelehnt. Damit war auch die letzte Chance für einen siegreichen Nahost-Krieg unmöglich geworden.
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