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Ursache und Wirkung in der Geschichte

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  • #16
    Geschichte ist keine Wissenschaft. Sie zu deuten und interpretieren ist Ansichtssache. Geschichte ist letztlich ein unentwirrbares Konglomerat von menschlichem Tun, natürlichen Einflüssen (Wetter, Klima), Glaubensvorstellungen, persönlichen Interessen etc. Natürlich kann und soll man sich damit befassen, doch eine eindeutige Ursache-Wirkungskorrelation bleibt immer vage und subjektiv.

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    • #17
      Allerdings kann "Geschichte" als Lern-, Lehr- und Studienfach den Anspruch erheben, eine Wissenschaft zu sein. Für manch einen ist sie sogar DIE Wissenschaft, der die anderen untertan sind. Jedes Fachgebiet, in dem sortiert, klassifiziert oder empirisch gesammelt wird, ist per se schon eine Wissenschaft.
      Ich würde Dir aber für den Teil der Geschichtswissenschaft zustimmen, der in Richtung Geschichtsphilosophie tendiert, also Geschichte deutet, zurück und nach vorn. Und ganz bestimmt ist es unwissenschaftlich, vergangene Ereignisse mit heutigen Maßstäben zu bewerten. Das nennt sich Interpolation und wird heute beinahe täglich in den Medien getrieben, wenn es um die Bewertung des NS oder der WR oder unseres letzten Kaiserreiches geht.
      Mein kleines Spielchen, Ursache und Wirkung mal zu vertauschen, ist, streng genommen, schon wissenschaftlich, weil einer Theorie nachgegangen wird. Und das darf doch Wissenschaft, oder?

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      • #18
        Das ist im Grunde der Kern jeder Wissenschaft, sofern diese Theorien sachlich, gründlich und objektiv nachgegangen wird.

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        • #19
          Also, hier muß ich auf die prinzipiellen und grundsätzlichen Unterschiede zwischen Natur- und Geisteswissenschaften verweisen. Naturwissenschaft ist empirische Wissenschaft, Geisteswissenschafteen sind metaphysische Disziplinen. Die empirischen Wissenschaften gründen auf Nachfrage bei Mutter Natur - sprich Experiment - und die Natur gibt die Antwort. Geisteswissenschaften befragen die Vernunft, den Verstand - also den Frager selbst.

          Um beim Beispiel der Geschichtswissenschaft zu bleiben, da ist es fast unmöglich, Experimente zu definieren und durchzuführen. Man kann jetzt sagen, die menschliche Geschichte ist an sich ein einziges Experiment. Na gut, das Wesen des naturwissenschaftlichen Experiments ist aber die Abgrenzung von der Umgebung (Definition), die Möglichkeit es jederzeit zu wiederholen und die Ergebnisse zu vergleichen. Das geht bei der Geschichtswissenschaft nicht. In der Psychologie schon eher, da kennen wir Tests, wir kennen verhaltenspsychologische Studien mit mehr oder weniger Teilnehmern etc. Nur sind da eben die Versuchsbedingungen nicht einfach exakt festzulegen und die Ergebnisse demnach nicht exakt zu vergleichen. In den Geisteswissenschaften überwiegt eben die Subjektivität, in den empirischen Wissenschaften wird eine maximale Objektivität angestrebt.

          Ich gehöre jetzt nicht zu den modernen - meinetwegen postmodernen - Phrasendreschern, die alles vermantschen, Quantenphysik und Erkenntiskritik, Philosophie und Relativitätstheorie, Solipsismus und Astrophysik etc. Da bin ich noch altmodisch und trenne - wie der olle Kant und der olle Popper - die Empirie von der Spekulation. Fakten sammeln, ordnen, systematisieren und bewerten ist sicher auch wissenschaftlich, schafft aber noch keine falsifizierbaren Theorien. Wie gesagt, dazu fehlt in den Geisteswissenschaften die exakt definierte, wiederholbare Befragungsmöglichkeit der Natur. Insofern verhalten sich GW und NW wie Masturbation zu Geschlechtsverkehr mit Partner(in). ?
          Zuletzt geändert von eulenspiegel; 21.09.2024, 20:30.

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          • #20
            Wenn Du Geschichte als metaphysische Disziplin begreifst und auf Fragen des Fragers reduzierst, klammerst Du etliche Bereiche der Geschichte aus, in denen Fakten gesammelt werden, die dann natürlich irgendeiner Theorie zu subsumieren sind. Letztlich basiert diese Einschätzung auf der Negierung des Prozeßhaften. Es wird unterstellt, daß "Geschichte" selber nichts Prozeßhaftes besitzt, das bestenfalls analysiert, niemals aber prolepsiert werden könnte, anders gesagt: Es lassen sich zwar Prozesse in der Vergangenheit feststellen, also Regeln und Zwangsläufiges, nicht aber etwas für die Zukunft fixieren. Einmal abgesehen davon, daß die Naturwissenschaften sich alle paar Jahre selber überleben, indem sie neue Naturgesetze als älteren übergestülpt beschreiben, also sehr viel weniger rational greifbar sind als Prozesse in der Vergangenheit, die nun einmal feststehen und auch in tausend Jahren noch unumstößliche Gewißheit sein werden, glaube ich, daß man für die "Geschichte" als Wissenschaft schon so etwas wie eine Logik fixieren kann. Historische Prozesse sind robust und evident, denn sie werden von Menschen vollzogen, die sich in den letzten Jahrtausenden so gut wie nicht veränderten und wohl auch nicht verändern werden, Transhumanismus hin oder her. Hätten wir uns im Wesen verändert, würden wir ein Buch wie das Gilgamesch-Epos heute nicht mehr verstehen. Dieses fünftausend Jahre alte Buch enthält schon seinerzeit als uralt bezeichnete Wesenszüge des Menschen: seinen Drang zur Gemeinsamkeit, Freundschaft, Neid, Eifersucht, Gier und zuweilen auch überbordende Phantasie, um nur einiges aufzuzählen, was uns Historiker davon ausgehen läßt, daß es so etwas wie menschliche Konstanten gibt.
            Aber ich sprach von der Logik in der Geschichte. Entwicklungsprozesse, die schlichtweg stattfinden, ganz gleich, welche Generation welche Wertvorstellungen besitzt. Stufen der menschheitlichen Entwicklung. Menschen entwickeln Dinge, und diese Dinge sollen ihnen den Alltag leichter machen. Es findet also ein rational zu fassender Prozeß statt, bei dem das Gegenwärtige immer aus dem Vorigen hervorgegangen ist und weiter hervorgehen wird. Alles hängt in der Zeit und im Raum zusammen. Und ja, sicherlich läßt sich das Künftige nicht exakt aus dem Vergangenen schlußfolgern, das wäre auch schlimm, weil es dann keine Freiheit gäbe, aber es läßt sich sagen, daß das Künftige ohne Erkenntnisse aus dem Vergangenen nicht wird auskommen können, weil eine menschliche Konstante eben dieser Drang ist, sich zu messen, was immer auch dazu führt, sich am Vergangenen zu messen.
            Ich glaube, was Dir aufstößt, das sind die historischen Widersprüche, die es in den Naturwissenschaften scheinbar nicht zu geben scheint. Wirklich? Sind zwei und zwei nicht manchmal fünf?

            In einem gebe ich Dir allerdings recht: Marx glaubte, daß sich alle historische Entwicklung zwangsläufig im Kommunismus auflösen müßte, in seiner Sprache:
            erstellt von Marx, Kleine ökonomische Schriften, S. 127

            vollständige, bewußt und innerhalb des ganzen Reichtums der bisherigen Entwicklung gewordene Rückkehr des Menschen für sich, das aufgelöste Rätsel der Geschichte
            ,
            dem kann ich allerdings nicht beipflichten, denn das hieße ja, daß die Urgesellschaft schon des Rätsels Lösung beinhaltet hätte. Für mich liegt (als Frager) das Rätsel der Geschichte nicht in einer Rückkehr, sondern in der Erkenntnis, daß die Geschichte keineswegs zurückkehrt, sondern den Menschen dazu bringt, sich immer wieder am Schopf aus dem Schlamassel zu ziehen, in den er sich selber hineinbugsierte. Diese Vorstellung ist mir die schönste.

            P.S. Der französische Skeptizist Lyotard meinte zum Begriff der Wissenschaft, daß jede Wissenschaft letztlich nur eine Erzählung sei, ein Sprachspiel, das derjenige gewinne, der die größeren materiellen Möglichkeiten besäße. Außerdem meinte er, daß eine Wissenschaft sich niemals selber begründen könne, da sie dafür sich und ihre wissenschaftlichen Methoden bereits voraussetzen müßte, was nichts anderes als ein logischer Fehlschluß sei. Kurzum: es gibt gar keine Wissenschaft.

            Kommentar: Klarerweise gibt es Wissenschaft, denn jede Wissenschaft beginnt nicht mit Methodik, sondern mit dem Staunen und ersten Erklärungsversuchen nach diesem Staunen. Das ist noch keine Methodik, sondern nur so etwas wie ein psychologischer Tatbestand, der aus dem Leben fällt und in das Leben zurückstrebt

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            • #21
              Ich vergaß in meinen Wortmeldungen das Prozeßhafte der Geschichte zu erwähnen und hervor zu heben. Ja, die Geschichte ist ein Prozeß mit vielen Variablen, Konstanten und Zutaten. So vielfältig, dass wir alle kaum erfassen können. Aber was ist Geschichte im Wesen? Sie ist Erzählung, sagt ja schon das Wort. Natürlich ist die Vergangenheit nicht mehr zu ändern, beeinflussen, sie ist fix, Faktum. Doch können wir sie in ihrer Gesamtheit, Komplexität, von mir aus Kausalität je erfassen? Das zu bejahen wäre vermessen. Geschichte ist Erzählung, also subjektive Interpretation aus einer unübesehbaren Anzahl von Quellen: Artefakte, Dokumente, Berichte, Zeugen, schriftlich, mündlich, bildlich, architektonisch usw.

              Vieles davon ist objektiv festzustellen (Dokumente, Bilder, Gebäude, Fundstücke aller Art), vieles ist subjektiv wie Berichte, Epen, selbst Regierungsdokumente, Gerichtsurteile, Erlässe, Gesetze usw. was deren Inhalt betrifft. Aus all dem basteln wir uns ein Bild vom Ablauf der Ereignisse, von der Urzeit bis heute. Je näher wir der Gegenwart kommen, desto mehr Information haben wir, desto unschärfer wird aber auch das Bild, das wir erhalten. Über die punischen Kriege kann man heute treffendere und schlüssigere Aussagen machen, als über den Nahostkonflikt oder den Ukrainekrieg.

              Ein Diskurs über den Wissenschaftsbegriff ist interessant, doch fehlt mir dazu leider die Kompetenz. Ich sehe schon Überlappungen zwischen Natur- und Geisteswissenschaften bzw. empirischen Wissenschaften und spekulativen Wissenschaften, doch eine rote Linie trennt die beiden. Die Naturwissenschaft fragt die Natur, der Geisteswissenschafter letztlich sich selbst. Er muss sich selbst die Antwort geben, auch wenn er Dokumente, Artefakte, Funde etc. als Belege heranzieht. Die Schlüsse daraus muss er selbst ziehen. Du wirst sagen, das Gleiche tut der N-Wissenschafter mit seinen Meßergebnissen. Ja, der Unterschied ist, die Messungen sind faktische Antworten der Natur. Die 'Messergebnisse' des Geisteswissenschafters sind menschlicher Herkunft.

              Dass die Naturwissenschaften sich selbst immer wieder neu erfinden, ist ein Vorzug, kein Nachteil. Die Quantenphysik hebt ja die bisherige relativistische Physik und diese die Newtonsche Physik usw. nicht aus den Angeln. Newtons Gleichungen gelten ja weiter, nur eben nicht universell, sondern unter gewissen Bedingungen. Einsteins Gleichungen gelten auch weiter, obwohl die Quantenphysik und die Relativitätstheorie im Kern unvereinbar sind. Daher müssen wir annehmen, dass es eine übergeordnete Physik geben muss, die beide widerspruchsfrei vereint. Usw., usw.

              Wenn sich Phlosophen über Naturwissenschaften äussern, schrillen bei mir alle Alarmglocken. Das ist wie wenn sich Theologen über den Urknall oder die Evolution auslassen. Kannst du alles so schnell wie möglich vergessen.

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