Deutschland ist das Kernland der Welt. An der deutschen Stellung zu den Dingen erkennt man den Kurs der Weltpolitik. 1922 war Deutschland ein Paria-Staat, ALLEINIG schuldig am gerade beendeten Weltkrieg, ausgeschlossen aus allen weltwirtschaftlichen Verflechtungen, die Deutschland Vorteile gebracht hätten, eingebunden in weltwirtschaftliche Verflechtungen, potentiell, weil die deutschen Weltfirmen ihre Verbindungen besaßen, die leicht wieder aktiviert werden könnten, kinetisch, da sich v.a. amerikanische Konzerne billig deutsche Anteile oder gar ganze Firmen selber holten, Inflation und politische Schuldzuweisung und Zentralbanksystem sei Dank.
In Britannien sah man das mit gemischten Gefühlen, in Frankreich gar nicht gern und in Italien wuchs der Wunsch, mit dem Reich Ausgleich zu finden, schließlich schwelte da noch die österreichisch-südtirolische Frage.
Also rief man alle nach Genua zu einer internationalen Konferenz, um die wirtschaftlichen und finanziellen Probleme der Nachkriegsordnung zu besprechen. Die USA sagten ab. Klar, was hätten sie auch erreichen können? Sie hatten ja alles, könnten also nur verlieren. Die anderen kamen, auch Sowjet-Rußland trat an, denn es gab große Forderungen auf sowjetrussischer (Zerstörungen durch westliche Truppen im russischen Bürgerkrieg, der 1922 noch tobte) und westlicher Seite (die Sowjetmacht enteignete rigoros, v.a. französisches Kapital aus der Zeit vor 1914 war nun sowjetischer Staatsbesitz geworden). Man sprach miteinander, fand aber keine Lösungen. Die beiden "Bösen" sondierten, arrangierten: man traf sich nachts in einem Nachbarort Genuas, in Rapallo. Der bürgerliche Kanzler Wirth und hohe sowjetische Prätendenten, der bekannteste dürfte der sowjetische Außenminister Tschitscherin gewesen sein. Man sprach deutsch. (Tschitscherin war zur Hälfte Deutscher) Und das, was man besprach, war das, was auf westlicher Seite schrillte: die Deustchen und die Russen fanden irgendwie zusammen. Der Super-Gau, wenn man es dazu kommen ließe. Ja, was denn? Ja, wo denn? Ja, wie denn? Die gerade im Westen angekommenen Deutschen, mit Versailles gemaßregelt und gedeckelt, entwickeln mit den Bolschewisten eine Art potielle Weltmachtphantasie? Alles streng geheim. Keiner erfuhr davon. Klarerweise war das ein Angriff auf die Nachkriegsordnung.
Die Deutschen brauchten eine Verstärkung ihrer Armee - Rußland bot diese Hilfe an, indem es deutschen Reservisten Übungen in Rußland erlaubte. Rußland brauchte deutsches Wissen im Aufbau einer Rohstoffindustrie. Deutschland brauchte genau diese Rohstoffe, um die Technologien zu praktizieren. Lukrativ für beide. Genau das, was man im Westen nicht wollte. Wenn die Deutschen und die Russen gemeinsam... Das würde alles in Frage stellen. Vielleicht würden sich dann auch noch bolschewistische Phantasien in Mitteleuropa entfalten. Vielleicht aber würde sich Deutschland dann auch Polen greifen, dieses Störelement in den deutsch-russischen Beziehungen. Also wieder Krieg. Der sowjetische Botschafter schrieb über Rapallo:
erstellt von Adolf Joffe, Botschafter der SU in Bärlin 1922 und an den Gesprächen in Rapallo aktiv beteiligt, schrieb vor seiner Reise nach Genua/Rapallo an Lenin:
In der bürgerlichen Welt findet im großen Maßstab ein Kampf zwischen Europa und Amerika um die Hegemonie in der Welt und im kleinen Maßstabn zwischen England und Franakreich um die Hegemonie in Europa statt. Unter diesen Bedingungen werden wir zur wählerischen Braut, um deren Hand alle anhalten. Und zu den wichtigsten Fragen zählt die, ob wir uns in Genua verheiraten oder weiter eine solche Braut bleiben.
In der bürgerlichen Welt findet im großen Maßstab ein Kampf zwischen Europa und Amerika um die Hegemonie in der Welt und im kleinen Maßstabn zwischen England und Franakreich um die Hegemonie in Europa statt. Unter diesen Bedingungen werden wir zur wählerischen Braut, um deren Hand alle anhalten. Und zu den wichtigsten Fragen zählt die, ob wir uns in Genua verheiraten oder weiter eine solche Braut bleiben.
Die wichtigsten Ergebnisse von Rapallo:
1. Beide Seiten verzichten auf Ansprüche, die durch den Krieg entstanden sein könnten.
2. Man will diplomatisch Beziehungen aufbauen, die wirtschaftliche und militärische Zusammenarbeit evozierten.
3. Man gewährt einander Meistbegünstigung.
4. Beide Eigentumssysteme werden als gleichberechtigt anerkannt.
5. Rapallo bedeutete nichts weniger als die Schaffung einer Möglichkeit der Zusammenarbeit verfeindeter Systeme, v.a. des deutschen und sowjetischen Systems der Weltwahrnehmung. Das machte Rapallo zu einem "Schreckenswort für westliche Ohren" (Haffner).
Die unterschiedliche Wahrnehmung Rußlands nach 1990 in Ost- und Westdeutschland hat ihren Grund in der Verarbeitung von Rapallo. Während man im Osten Deutschlands das Werk begrüßte, dachte man in der alten BRD über Rapallo nichts Gutes. Man sah es als Verrat am Westen.
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