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Weimarer Klassik (II)

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  • #31
    Ich komme noch mal auf die Wirkelemente unserer Klassik zu sprechen. Pointiert gesagt gab es den übernationellen (Schiller) und den nationalen (Herder, Goethe, Romantiker...). Dummerweise setzte sich der nationale im 19. Jahrhundert durch, was uns heute arg zu schaffen macht. Das klingt nebensächlich, erklärt aber die Politik der letzten Jahre, die als eine Art Reflex verstanden werden kann.

    Die "Nationalen", wie ich sie mal nennen möchte, versteiften sich um 1820 zu der waghalsigen Behauptung, daß die Weltgeschichte keinen Sinn hätte, wenn eben das christlich-abendländische Dasein NICHT den Mittelpunkt derselben abgäbe. Und den Mittelpunkt des Mittelpunkts wiederum gab die deutsche Geschichte, bildeten die Deutschen selber ab. Schlegel, dieser Laffe, sprach nur aus, was die anderen Romantiker verschämt dachten: Der Glaube, Nabel der Welt zu sein, ist

    erstellt von F. Schlegel, Philosophie der Geschichte II, S. 9, in Wien 1829 publiziert:

    der Schlüssel des Ganzen, ohne welchen die ganze Weltgeschichte nichts sein würde als ein Rätsel ohne Lösung, ein Labyrinth ohne Ausgang, ein großer Schutthaufen aus den einzelnen Trümmern, Steinen und Bruchstücken von dem nun unvollendet gebliebenen Bau aus der großen Tragödie der Menschheit, die alsdann gar kein Resultat haben würde.
    Fragen? Und heute glauben die politisch Verantwortlichen die Antithese, tun also alles, um das deutsche Wesen, an dem die Welt genesen solle, dem sie erst Sinn gäbe, auszumerzen, zu nivellieren, einzupassen in das, was Schlegel Trümmer, Bruchstücke eines unvollendet gebliebenen Baus namens Weltgeschichte nannte.

    Es wird Zeit für die Synthese.

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    • #32
      Zur Weimarer Klassik gehört das humanistische Menschenbild. Von diesem wird behauptet:
      1. die postmoderne Gesellschaft benötige Spezialisten, keine allgemein-gebildeten Humanisten;
      2. das auf Ganzheit abzielende Persönlichkeitsfatum der Humanisten entspreche nicht der gesellschaftlichen Entwicklung, in der individuelle Entwicklungsphantasien privat blieben, während die auf Massenkonsum und Massenpartikel orientierte postmoderne Gesellschaft eben genau abgeschliffene Menschen benötige, um zu funktionieren und
      3. die sich entwickelnde Technik (KI und Biotechnologie) mache den einfachen Menschen zunehmend überflüssig: Transhumanismus statt Bildungselite.
      Das ist die alte Leier, die seit wenigstens hundert Jahren vorgetragen wird. Optimistisch, wie ich nun einmal bin, kann ich diese "Argumente" gegen das humanistische Weltbild auch für die Nothwendigkeit humanistischen Weltblicks auffassen.
      Der Spezialist wird zum Fachidioten, der aufgrund seines Spezialistentums den Blick fürs Ganze verliert und oft mehr Schaden anrichtet als Nutzen. Die vermaßte Gesellschaft, wie sie Canetti bereits vor 100 Jahren beschrieb, muß nicht unbedingt als menschenfeindlich ebgriffen werden, man kann sie auch soi begreifen, daß auf der Basis eines solidarischen Gemeingefühls auch die Schwächeren einbegriffen werden können, eben durch das Bewußtsein eines ganzheitlich-begriffenen Gemeinsinns, wie ihn der Humanismus vertritt. Und schließlich sind Humanisten keineswegs technikfeindlich, sie begreifen technischen Fortschritt als eben den, suchen nach Möglichkeiten eines sinnvollen Einsatzes, der dazu führen soll, Menschen von schweren Arbeiten zu befreien und die materiell-technische Basis für ihr Überleben zu sichern.

      Warum also sollte ein Humanist sich an der "Überwindung" durch die postmoderne Gesellschaft stoßen?

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      • #33
        Hegel gehört nicht so recht zur Weimarer Klassik, jedoch lehrte er um 1806 in Jena, stand also zumindest en petit im Brot des Hofes von Weimar. Hegel haben wir Deutschen unsere Affinität zum Staat zu verdanken. Ihm und Fichte. Aber Hegel besonders, denn für Hegel war der Staat das Höchste, ein verwirklichtes, vernünftiges Dasein und der Gesellschaft übergeordnet. Im Verbund mit Preußen, also der preußischen Ordnung und Staatstreue, wurde so aus dem Staat das, was den Menschen bestimmen muß, damit der Sinn und Ordnung in seinem Leben besitzt, eine Richtung, Klarheit.
        Sehr problematisch. Der Staat darf das nicht sein. Der Staat muß dienen, nicht bestimmen. Objektiver Idealismus ist gefährlich.

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        • #34
          Lese zur Zeit das Tagebuch des Prinzen von Rudolstadt aus dem Jahre 1788, d.i. das Jahr, in dem Schiller bei den Lengefeld-Schwestern in Rudolstadt verbrachte. Im Hause Beulwitz/Lengefeld fanden abends oft Gesellschaften statt, in denen nur französisch gesprochen wurde. Deshalb nannte man sie auch "Französische Gesellschaft". Oft fanden auch szenische Lesungen oder gar Stückaufführungen statt, meist von Franzosen. Aber sie sangen deutsch. Eines der Lieblingslieder der Lengefeld-Schwestern soll dieses Lied von Hölty (Dichter des Göttinger Hains und ein Lieblingsdichter Hölderlins) gewesen sein:

          Lebenspflichten
          Rosen auf den Weg gestreut,
          Und des Harms vergessen!
          Eine kleine Spanne Zeit
          Ward uns zugemessen.

          Heute hüpft, im Frühlingstanz,
          Noch der frohe Knabe;
          Morgen weht der Todtenkranz
          Schon auf seinem Grabe.

          Wonne führt die junge Braut
          Heute zum Altare;
          Eh die Abendwolke thaut,
          Ruht sie auf der Bahre.

          Ungewißer, kurzer Daur
          Ist dieß Erdeleben;
          Und zur Freude, nicht zur Traur,
          Uns von Gott gegeben.

          Gebet Harm und Grillenfang,
          Gebet ihn den Winden;
          Ruht, bey frohem Becherklang,
          Unter grünen Linden.

          Laßet keine Nachtigall
          Unbehorcht verstummen,
          Keine Bien', im Frühlingsthal,
          Unbelauschet summen.

          Fühlt, so lang es Gott erlaubt,
          Kuß und süße Trauben,
          Bis der Tod, der alles raubt,
          Kommt, sie euch zu rauben.

          Unser schlummerndes Gebein,
          In die Gruft gesäet,
          Fühlet nicht den Rosenhayn,
          Der das Grab umwehet.

          Fühlet nicht den Wonneklang
          Angestoßner Becher;
          Nicht den frohen Rundgesang
          Weingelehrter Zecher.

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          • #35
            Gefragt, ob es denn so etwas wie objektive Wahrheiten gäbe - schlichtweg zu verneinen! -, antwortete einer, der gerade aus einer Wohnung kam, in der Goethe an allen Wänden mehr oder weniger gefeiert wurde:

            "Man muß hier unterscheiden. Der gefühlsmäßig-instinktive Mensch sieht den Menschen und dessen individuelle Wahrheit. Vielleicht gelingt es ihm einmal, durch diese induktive Methode zu einem Ganzen zu kommen. Es darf allerdings bezweifelt werden. - Der spekulative Mensch hingegen sieht den Menschen als ein Ganzes und dediziert dessen Teile nach einer Idee; er sieht das Gattungswesen, also ein objektiv Gegebenes. Vielleicht gelingt es ihm einmal, durch diese deduktive Methode mehr zu sehen, als er von vornherein in den Beobachtungsgegenstand hineinlegt. Es darf allerdings bezweifelt werden."

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            • #36
              Die berühmte "Eseley" Lenzens, die zu seinem Abschied aus Weimar geführt haben soll, war wohl eine wiederholte Tapsigkeit, ein Verstoß gegen das Protokoll. Vielleicht aber war es doch sehr viel mehr? Eine "Eseley" ist kein Grund, einen Lebensentwurf zu zerstören. Man rügt, man schilt, vielleicht straft man auch, aber man zerstört nicht. Die Ausweisung eines "Hofpoeten", als den sich Lenz in Weimar begriff, ist ein radikaler Schritt, viel mehr, als ihn die "Eseley" eines Poeten hervorrufen könnte. Anders gesagt, die "Eseley" war nicht der Grund. Ich nehme an, die "wiederholte Tapsigkeit" war auch nicht der Grund. Unsere Klassiker glaubten nicht an die Verwandlung der Quantität in Qualität. Obgleich... Schiller glaubte die Macht des richtigen Mengenverhältnisses.
              Also, was war der Grund für die Ausweisung Lenzens, dessen Werke ich sehr zu schätzen weiß, dessen Charakter aber wohl schwierig genannt werden muß. Lenzens Persönlichkeit war depressiv und hysterisch strukturiert. Er suchte Anhang, zugleich stets das Neue. Der zwei Jahre Jüngere hing an Goethe, ahmte ihn nach, v.a. in bezug auf dessen Frauengeschichten. Ob Friedrike Brion oder Goethes Schwester, Frau von Stein oder - und das muß den Ausschlag gegeben haben - die Frau des Herzogs, Louise von Weimar, in die Goethe wohl unglücklich verliebt war, Lenz aber nun Goethe zuvorkommen wollte mit einer unheilvollen Annäherung. Und Lenz machte das auch noch in einem kurzen Versepos bekannt! Wie dumm! Der Hof durchschaute das launisch-literarische Spiel zwischen Tantalus (Lenz), Iuno (Louise) und Apollon (Goethe) im kurzen Versepos "Tantalos". Der Herzog was not amused und wies dem Hofpoetenlakaien die Tür. Wo kämen wir denn hin, wenn bürgerliche Unverheiratete ihre Liebe einer adligen Verheirateten, zugleich Landesmutter, öffentlich verkündigten und diese übers Platonische hinausreichte? Zugegeben, diese Frau war schön - und jung, gerade mal 19!
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