Meine Spurensuche führt mich in die Geisteswelt von Halle und Leipzig um 1740/60. Es gibt eine finstere (rhetorische) Frage für alle Klassikliebhaber:
Die Antwort lautet: Sie lasen Leute wie Kotzebue und Zschokke. Ja, die beiden kennt heute kaum noch jemand; Kotzebue ist noch halbwegs bekannt, weil ein nationalistischer Student ihn erschoß, was zu den Karlsbader Beschlüssen geführt haben soll, wie heute jeder Eilftkläßler lernen soll. Doch den Magdeburger Zschokke kennt jedenfalls kaum einer, dabei schrieb der sehr gut.
Nun ja, das waren um 1800/20 jedenfalls bekannte Namen. Doch gehen wir ein paar Jahrzehnte zurück in die damalige Bildungszentren des Reiches, z.B. Halle und Leipzig, dann dürfen wir fragen, was die Deutschen lasen, als die Aufklärer ihre Werke schrieben? Sie lasen Gespenstergeschichten. Heutzutage liest sich das mit den Engeln und den gespenstern so:
Der Gespensterglaube war in Halle/Leipzig weit verbreitet, auch unter den Aufklärern und Studenten, erst recht den einfachen Leuten. Mein Ahne wuchs mit solchen Bestsellern auf:
Was lasen die Deutschen, als die Klassiker schrieben?
Nun ja, das waren um 1800/20 jedenfalls bekannte Namen. Doch gehen wir ein paar Jahrzehnte zurück in die damalige Bildungszentren des Reiches, z.B. Halle und Leipzig, dann dürfen wir fragen, was die Deutschen lasen, als die Aufklärer ihre Werke schrieben? Sie lasen Gespenstergeschichten. Heutzutage liest sich das mit den Engeln und den gespenstern so:
erstellt von Dr. Michael Blume, 2011:
Lebendige – also von Glaubenden weitergetragene – Religionen sind nie „fertig“, sondern sie entwickeln und wandeln sich ständig. Sie bringen neue Varianten und Abspaltungen hervor, wogegen andere, ältere Abzweigungen erlöschen. Religiöse Traditionen evolvieren. An der Entwicklung der Engel lässt sich das hervorragend sehen.
Aus dem Schamanismus der Steinzeit über die Ausarbeitungen der Bronzezeit hatten sich die geflügelten Begleiter und Himmelsboten im Zoroastrismus zu den Heerscharen des Guten und Bösen sortiert. Im Judentum zu Dienern des Einen Gottes gereift, breiteten sie sich nun mit dem Christentum und Islam weltweit aus – bis heute.
Doch dabei veränderte sich ihr Verständnis teilweise erheblich. Eine bis heute prägende Rolle spielte dabei das Christentum. Dies nicht nur, weil es schnell die bis heute größte Weltreligion der Menschheit wurde – sondern auch, weil in ihm das religiöse Bilderverbot aufgehoben war. Die Folge war eine Explosion an Engel-Darstellungen und Kunstwerken, die die Vorstellungen der Geflügelten fortan prägten.
Zu einem besonderen Problem wurde die Vielzahl an Engelbildnissen für das Judentum: Einerseits ließ sich die „Existenz“ von Engeln in den Texten der Bibel kaum leugnen. Andererseits aber war der Weg von der Darstellung und Verehrung von Engeln zum bilderreichen Christentum allzu schmal. Und so begannen die rabbinischen Schriftgelehrten die klassischen Engeltexte zunehmend kritisch zu lesen und geistig zu interpretieren, jede Bildhaftigkeit und Eigenständigkeit der Engel so weit wie möglich zurück zu schneiden. Die Vergeistigung und teilweise Verdrängung der Engel in der späteren Aufklärung nahmen sie dabei um mehr als ein Jahrtausend vorweg!
Und dieser Prozess ist nicht abgeschlossen. So erläutert Rabbiner Avraham Radbil (Freiburg) in der bleibenden Auseinandersetzung mit etablierten Vorstellungen:
„Wenn die meisten von uns an Engel denken, stellen sie sich entweder kleine Kinder oder kräftige Männer und hübsche unschuldig aussehende Frauen vor. Manchmal tragen sie eine Waffe oder ein Schwert in der Hand, oder Pfeil und Bogen. Manchmal halten sie ein Musikinstrument, eine Harfe oder ein Horn. Viele erleuchtet ein Heiligenschein um den Kopf. Doch eines haben sie alle gemeinsam: die menschliche Gestalt, die mit Flügeln geschmückt ist. Diese Vorstellung ist kein Wunder. Schließlich sind wir in der westlichen Gesellschaft aufgewachsen, und das sind die Bilder, die uns von Kindheit an geprägt haben. […]
Es sind sich aber alle einig, dass Engel keine Körper besitzen, sondern Wesen rein geistigen Ursprungs sind. Wenn die Schrift die Arme, Flügel oder andere körperliche Eigenschaften der Engel beschreibt, darf das auf keinen Fall wörtlich verstanden werden. Denn wie unsere Weisen sagen, spricht die Tora zu uns in unserer Sprache, und wenn sie die Engel so beschreibt, will sie uns nur auf ihre geistigen Eigenschaften hinweisen. Die Tora spricht schließlich auch über die »ausgestreckte Hand G’ttes« und schreibt G’tt andere menschliche Eigenschaften zu.
Dieses wörtlich zu nehmen, würde aber gegen eines der 13 Grundprinzipien unseres Glaubens, die von Maimonides verfasst wurden, verstoßen. Denn der Rambam schreibt klar und deutlich, dass G’tt keine Gestalt besitzt und auch nicht in Form einer Gestalt dargestellt oder vorgestellt werden darf. Dies gilt auch für seine Gesandten, die Engel.
Jeder Engel hat nur eine bestimmte Aufgabe, für die ihn der Allmächtige geschickt hat. Daher kommt auch die hebräische Bezeichnung für Engel, »Malach«, was mit »Gesandter« übersetzt wird. Also sind Engel rein geistige Wesen, die eine Aufgabe zu erfüllen haben. Daraus folgt, dass die Vorstellung von Engeln als menschliche Gestalten mit Flügeln dem Judentum völlig fremd ist. […]
Der Rambam schreibt in seinem berühmten Werk Moreh Nevuchim (Wegweiser für die Verwirrten), dass, wo auch immer in der Tora das »Erscheinen« oder »Sprechen« der Engel erwähnt wird, es sich um einen Traum oder eine Vision von Menschen handelt.“
In diesem Verständnis sind Engel kaum oder überhaupt nicht eigenständige Akteure, sondern allein körperlose, geistige Ausdrucksformen des göttlichen Wirkens. Ihre Abstraktion kann sogar so weit gehen, dass sie mit Naturgesetzen in eins gesetzt werden:
„Mit den Malachim, den Gesandten G’ttes oder den Engeln, wie es in unsere Sprache übersetzt wird, können auch die Naturkräfte beziehungsweise die Naturgesetze gemeint sein, denn sie sind quasi die Gesandten G’ttes, durch die Er die Welt regiert. Diese Erklärung kann benutzt werden für die Stellen der Tora, wo ein Engel nicht »spricht« oder »erscheint«.“
Allerdings wäre es falsch zu sagen, dass die jüdischen Traditionen damit die biblischen Engel wieder verdrängt hätte. In der jüdischen Mystik, der Kabbala, in die lange nur reife Schriftkundige eingewiesen wurden, kamen sie gleichzeitig auch neu zur Geltung.
Laut der Kabbala gilt die stofflich, materiell zugängliche Welt „nur“ als die mittlere Ebene der Existenz, über und unter der sich weitere „Reiche“ befinden. Gute und böse Engel bewohnen diese anderen Welten und sie reisen zwischen ihnen.
So schildert der Rabbiner und Kabbalist Adin Steinsaltz die „Welt der Gestaltung“ als „Reich der Engel“ als „Gesamtgefüge von körperlosen Wesenheiten“, die man auch als „geballte Gefühlsregungen“ erfassen könne. Sie können von Gott zu uns herab, aber auch von uns Menschen zu Ihm hinauf entsandt sein – dann außer Ihm haben nur noch wir einen freien Willen. Noch darüber befindet sich die „Welt der Erschaffung“, die nur von wenigen Menschen geistig bereist werden kann. Sie wird von den „Seraphim genannten Engeln“ bewohnt, die „Wesen reiner Erkenntnis“ seien.
In den tieferen Welten dagegen nehme die Absonderung von Gott zu – die dort lebenden Wesenheiten betonten zunehmend ihr „Ich“ gegenüber Anderen und gegenüber Gott. Nicht Gott also sei der Erschaffer finsterer Engel; wir selbst seien es, indem wir als Menschen Geistiges ins Stoffliche herabsinken lassen.
„Daraus folgt: So wie es heilige, ins Gefüge des Heiligen eingefügte und in ihm entstandene Engel gibt, so gibt es auch zerstörerische Engel, „Teufel“ oder „Dämonen“ genannt, hervorgebracht zwischen den Menschen und jenen Seiten der Wirklichkeit, die das Gegenteil des Heiligen sind. Auch hier erschaffen die Taten des Menschen und seine Lebensgestaltung in all ihren Formen Engel.“
So erhalten die Engel und auch Engelschauen in den mystischen Lehren der jüdischen Tradition neue Relevanz und neue Bedeutungen. Biblische Berichte von Begegnungen mit Engeln können als innere Prozesse der Schauenden verstanden werden; oder auch als Botschaften und Einsichten aus höheren Welten. Und mit der zunehmenden Öffnung kabbalistischer Lehren in die jüdische und auch nichtjüdische Öffentlichkeit hinein werden so neue Impulse für eine Wiederentdeckung der Engel lebendig.
Auch der Islam hielt das Bilderverbot aufrecht; bildliche Darstellungen von Engeln vor allem aus dem persischen Kulturraum blieben selten, Engel-Statuen strikt verboten. Entsprechend eng entwickelte sich die islamische Tradition an den Aussagen im Koran, bereichert durch die Aufnahme christlicher, jüdischer und volkstümlicher Elemente.
So wurden die christlichen Erzengel zu den arabischen Qarubiyun (verwandt mit den biblisch-hebräischen Cherubim). Es entstanden Überlieferungen wie jene, wonach der Prophet Muhammad vom Engel Gabriel besucht worden sei, der das Herz des Propheten von allen Anhaftungen des Bösen befreit habe. Neben den guten und bösen Engeln auf den Schultern der Lebenden sowie dem Todesengel Azrael wurde auch von Munkar und Nakir berichtet, die die Toten in ihren Gräbern nach dem wahren Glauben befragen.
Gabriel reinigt das Herz des Muhammad. Persische Miniatur
Erwähnenswert ist zudem auch Buraq, ein weißes Reittier mit Flügeln, das Muhammad auf seiner Himmelsreise sowohl nach Jerusalem wie auch bis in die Himmel getragen habe.
Während die Bildermeidung lange die islamischen Engelsvorstellungen auf das Erzählende und Verschriftete beschränkten, unterspülen Globalisierung, Comics, Filme und neue Medien derzeit die kulturellen Barrieren und lassen auch Muslime an neuen Engelsvorstellungen teilhaben und mitwirken.
Die Möglichkeit, Engel auch bildlich und sogar plastisch darzustellen, führt zu einer bald unermesslichen Vielfalt an christlichen Engelstraditionen. Für christliche Gelehrte bis tief in das Mittelalter hinein war es dabei nicht ungewöhnlich, auf Basis der Bibel und verschiedenster Traditionen komplexe Engelslehren und –hierarchien zu entwickeln, die wiederum auch von Künstlern aufgegriffen wurden.
Doch gerade dieses ständige Wechselwirkung zwischen bildenden Künsten, Volksüberlieferungen und arkanen Texten verschiedenster Gelehrter verhinderte, dass sich eine einzelne, christliche Engelstradition je durchsetzen und halten konnte. Die Engel des Christentums blieben immer in Bewegung.
Ein eindrucksvolles Beispiel dafür ist das Christkind: Ein Engel der Weihnacht, den nicht zuletzt der Reformator Martin Luther als Gegenerzählung zum katholischen Heiligenkult um Bischof Nikolaus empfahl. Und doch wurde die Engelstradition bald auch von katholischen Regionen aufgegriffen – während sie in vielen evangelischen Landstrichen der Bilderskepsis zum Opfer fiel (und in neuerer Zeit doch wieder durch den Nikolaus ersetzt wird).
Bis in 17. Jahrhundert zurück reicht aber die Tradition des inzwischen weltweit bekannten „Nürnberger Christkindlesmarkt“. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts wird dabei alle zwei Jahre eine Jugendliche zum „Christkind“ – einer Engelsverkörperung – gewählt, die nicht nur den Markt selbst, sondern auch weitere Veranstaltungen bis hin zu einem zweiten Christkindlesmarkt in Chicago, USA eröffnen darf.
Lebendige – also von Glaubenden weitergetragene – Religionen sind nie „fertig“, sondern sie entwickeln und wandeln sich ständig. Sie bringen neue Varianten und Abspaltungen hervor, wogegen andere, ältere Abzweigungen erlöschen. Religiöse Traditionen evolvieren. An der Entwicklung der Engel lässt sich das hervorragend sehen.
Aus dem Schamanismus der Steinzeit über die Ausarbeitungen der Bronzezeit hatten sich die geflügelten Begleiter und Himmelsboten im Zoroastrismus zu den Heerscharen des Guten und Bösen sortiert. Im Judentum zu Dienern des Einen Gottes gereift, breiteten sie sich nun mit dem Christentum und Islam weltweit aus – bis heute.
Doch dabei veränderte sich ihr Verständnis teilweise erheblich. Eine bis heute prägende Rolle spielte dabei das Christentum. Dies nicht nur, weil es schnell die bis heute größte Weltreligion der Menschheit wurde – sondern auch, weil in ihm das religiöse Bilderverbot aufgehoben war. Die Folge war eine Explosion an Engel-Darstellungen und Kunstwerken, die die Vorstellungen der Geflügelten fortan prägten.
Zu einem besonderen Problem wurde die Vielzahl an Engelbildnissen für das Judentum: Einerseits ließ sich die „Existenz“ von Engeln in den Texten der Bibel kaum leugnen. Andererseits aber war der Weg von der Darstellung und Verehrung von Engeln zum bilderreichen Christentum allzu schmal. Und so begannen die rabbinischen Schriftgelehrten die klassischen Engeltexte zunehmend kritisch zu lesen und geistig zu interpretieren, jede Bildhaftigkeit und Eigenständigkeit der Engel so weit wie möglich zurück zu schneiden. Die Vergeistigung und teilweise Verdrängung der Engel in der späteren Aufklärung nahmen sie dabei um mehr als ein Jahrtausend vorweg!
Und dieser Prozess ist nicht abgeschlossen. So erläutert Rabbiner Avraham Radbil (Freiburg) in der bleibenden Auseinandersetzung mit etablierten Vorstellungen:
„Wenn die meisten von uns an Engel denken, stellen sie sich entweder kleine Kinder oder kräftige Männer und hübsche unschuldig aussehende Frauen vor. Manchmal tragen sie eine Waffe oder ein Schwert in der Hand, oder Pfeil und Bogen. Manchmal halten sie ein Musikinstrument, eine Harfe oder ein Horn. Viele erleuchtet ein Heiligenschein um den Kopf. Doch eines haben sie alle gemeinsam: die menschliche Gestalt, die mit Flügeln geschmückt ist. Diese Vorstellung ist kein Wunder. Schließlich sind wir in der westlichen Gesellschaft aufgewachsen, und das sind die Bilder, die uns von Kindheit an geprägt haben. […]
Es sind sich aber alle einig, dass Engel keine Körper besitzen, sondern Wesen rein geistigen Ursprungs sind. Wenn die Schrift die Arme, Flügel oder andere körperliche Eigenschaften der Engel beschreibt, darf das auf keinen Fall wörtlich verstanden werden. Denn wie unsere Weisen sagen, spricht die Tora zu uns in unserer Sprache, und wenn sie die Engel so beschreibt, will sie uns nur auf ihre geistigen Eigenschaften hinweisen. Die Tora spricht schließlich auch über die »ausgestreckte Hand G’ttes« und schreibt G’tt andere menschliche Eigenschaften zu.
Dieses wörtlich zu nehmen, würde aber gegen eines der 13 Grundprinzipien unseres Glaubens, die von Maimonides verfasst wurden, verstoßen. Denn der Rambam schreibt klar und deutlich, dass G’tt keine Gestalt besitzt und auch nicht in Form einer Gestalt dargestellt oder vorgestellt werden darf. Dies gilt auch für seine Gesandten, die Engel.
Jeder Engel hat nur eine bestimmte Aufgabe, für die ihn der Allmächtige geschickt hat. Daher kommt auch die hebräische Bezeichnung für Engel, »Malach«, was mit »Gesandter« übersetzt wird. Also sind Engel rein geistige Wesen, die eine Aufgabe zu erfüllen haben. Daraus folgt, dass die Vorstellung von Engeln als menschliche Gestalten mit Flügeln dem Judentum völlig fremd ist. […]
Der Rambam schreibt in seinem berühmten Werk Moreh Nevuchim (Wegweiser für die Verwirrten), dass, wo auch immer in der Tora das »Erscheinen« oder »Sprechen« der Engel erwähnt wird, es sich um einen Traum oder eine Vision von Menschen handelt.“
In diesem Verständnis sind Engel kaum oder überhaupt nicht eigenständige Akteure, sondern allein körperlose, geistige Ausdrucksformen des göttlichen Wirkens. Ihre Abstraktion kann sogar so weit gehen, dass sie mit Naturgesetzen in eins gesetzt werden:
„Mit den Malachim, den Gesandten G’ttes oder den Engeln, wie es in unsere Sprache übersetzt wird, können auch die Naturkräfte beziehungsweise die Naturgesetze gemeint sein, denn sie sind quasi die Gesandten G’ttes, durch die Er die Welt regiert. Diese Erklärung kann benutzt werden für die Stellen der Tora, wo ein Engel nicht »spricht« oder »erscheint«.“
Allerdings wäre es falsch zu sagen, dass die jüdischen Traditionen damit die biblischen Engel wieder verdrängt hätte. In der jüdischen Mystik, der Kabbala, in die lange nur reife Schriftkundige eingewiesen wurden, kamen sie gleichzeitig auch neu zur Geltung.
Laut der Kabbala gilt die stofflich, materiell zugängliche Welt „nur“ als die mittlere Ebene der Existenz, über und unter der sich weitere „Reiche“ befinden. Gute und böse Engel bewohnen diese anderen Welten und sie reisen zwischen ihnen.
So schildert der Rabbiner und Kabbalist Adin Steinsaltz die „Welt der Gestaltung“ als „Reich der Engel“ als „Gesamtgefüge von körperlosen Wesenheiten“, die man auch als „geballte Gefühlsregungen“ erfassen könne. Sie können von Gott zu uns herab, aber auch von uns Menschen zu Ihm hinauf entsandt sein – dann außer Ihm haben nur noch wir einen freien Willen. Noch darüber befindet sich die „Welt der Erschaffung“, die nur von wenigen Menschen geistig bereist werden kann. Sie wird von den „Seraphim genannten Engeln“ bewohnt, die „Wesen reiner Erkenntnis“ seien.
In den tieferen Welten dagegen nehme die Absonderung von Gott zu – die dort lebenden Wesenheiten betonten zunehmend ihr „Ich“ gegenüber Anderen und gegenüber Gott. Nicht Gott also sei der Erschaffer finsterer Engel; wir selbst seien es, indem wir als Menschen Geistiges ins Stoffliche herabsinken lassen.
„Daraus folgt: So wie es heilige, ins Gefüge des Heiligen eingefügte und in ihm entstandene Engel gibt, so gibt es auch zerstörerische Engel, „Teufel“ oder „Dämonen“ genannt, hervorgebracht zwischen den Menschen und jenen Seiten der Wirklichkeit, die das Gegenteil des Heiligen sind. Auch hier erschaffen die Taten des Menschen und seine Lebensgestaltung in all ihren Formen Engel.“
So erhalten die Engel und auch Engelschauen in den mystischen Lehren der jüdischen Tradition neue Relevanz und neue Bedeutungen. Biblische Berichte von Begegnungen mit Engeln können als innere Prozesse der Schauenden verstanden werden; oder auch als Botschaften und Einsichten aus höheren Welten. Und mit der zunehmenden Öffnung kabbalistischer Lehren in die jüdische und auch nichtjüdische Öffentlichkeit hinein werden so neue Impulse für eine Wiederentdeckung der Engel lebendig.
Auch der Islam hielt das Bilderverbot aufrecht; bildliche Darstellungen von Engeln vor allem aus dem persischen Kulturraum blieben selten, Engel-Statuen strikt verboten. Entsprechend eng entwickelte sich die islamische Tradition an den Aussagen im Koran, bereichert durch die Aufnahme christlicher, jüdischer und volkstümlicher Elemente.
So wurden die christlichen Erzengel zu den arabischen Qarubiyun (verwandt mit den biblisch-hebräischen Cherubim). Es entstanden Überlieferungen wie jene, wonach der Prophet Muhammad vom Engel Gabriel besucht worden sei, der das Herz des Propheten von allen Anhaftungen des Bösen befreit habe. Neben den guten und bösen Engeln auf den Schultern der Lebenden sowie dem Todesengel Azrael wurde auch von Munkar und Nakir berichtet, die die Toten in ihren Gräbern nach dem wahren Glauben befragen.
Gabriel reinigt das Herz des Muhammad. Persische Miniatur
Erwähnenswert ist zudem auch Buraq, ein weißes Reittier mit Flügeln, das Muhammad auf seiner Himmelsreise sowohl nach Jerusalem wie auch bis in die Himmel getragen habe.
Während die Bildermeidung lange die islamischen Engelsvorstellungen auf das Erzählende und Verschriftete beschränkten, unterspülen Globalisierung, Comics, Filme und neue Medien derzeit die kulturellen Barrieren und lassen auch Muslime an neuen Engelsvorstellungen teilhaben und mitwirken.
Die Möglichkeit, Engel auch bildlich und sogar plastisch darzustellen, führt zu einer bald unermesslichen Vielfalt an christlichen Engelstraditionen. Für christliche Gelehrte bis tief in das Mittelalter hinein war es dabei nicht ungewöhnlich, auf Basis der Bibel und verschiedenster Traditionen komplexe Engelslehren und –hierarchien zu entwickeln, die wiederum auch von Künstlern aufgegriffen wurden.
Doch gerade dieses ständige Wechselwirkung zwischen bildenden Künsten, Volksüberlieferungen und arkanen Texten verschiedenster Gelehrter verhinderte, dass sich eine einzelne, christliche Engelstradition je durchsetzen und halten konnte. Die Engel des Christentums blieben immer in Bewegung.
Ein eindrucksvolles Beispiel dafür ist das Christkind: Ein Engel der Weihnacht, den nicht zuletzt der Reformator Martin Luther als Gegenerzählung zum katholischen Heiligenkult um Bischof Nikolaus empfahl. Und doch wurde die Engelstradition bald auch von katholischen Regionen aufgegriffen – während sie in vielen evangelischen Landstrichen der Bilderskepsis zum Opfer fiel (und in neuerer Zeit doch wieder durch den Nikolaus ersetzt wird).
Bis in 17. Jahrhundert zurück reicht aber die Tradition des inzwischen weltweit bekannten „Nürnberger Christkindlesmarkt“. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts wird dabei alle zwei Jahre eine Jugendliche zum „Christkind“ – einer Engelsverkörperung – gewählt, die nicht nur den Markt selbst, sondern auch weitere Veranstaltungen bis hin zu einem zweiten Christkindlesmarkt in Chicago, USA eröffnen darf.
- „Heyes Sendschreiben vom Schlaf der abgeschiedenen Seele“ (an Jakob Baumgarten), „Gedanken von Gespenstern“, „Wahrhaftige Nachricht von einigen Geistern und Gespenstern“, „Schauberts Beweis von der Wirklichkeit der guten und bösen Engel“, "Von Poltergeistern und nächtlichen Erscheinungen", "Erscheinungen der Geister nach dem Tode" (8 Bände!) ...
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