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Krieg in der Ukraine II (Vertiefungsordner, Hintergründe, Aussichten)

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  • Krieg in der Ukraine II (Vertiefungsordner, Hintergründe, Aussichten)

    Fortsetzung unseres Ordners aus dem alten Forum

    Putin betrachtet die Ukraine nicht als Ausland. Die meisten Russen und Ukrainer übrigens auch nicht. Ukrainer und Russen sind so wie Engländer und Schotten. Die Vereinigung Englands und Schottlands war 1701 ebensowenig ein Bruch des Völkerrechts, wie es ein Angriff auf die Ukraine 1701 gewesen wäre. Heute soll es einer sein. Liest man sich die Bedingungen durch, die einen Völkerrechtsbruch rechtfertigen würden, so müßte man zustimmen, weitestgehend. Welche Dinge/Argumente müssen vorliegen, damit man von einem Völkerrechtsbruch sprechen darf:
    1. Verletzung des Gewaltverbots der UN-Charta, Art. 2, Abs. 4 (keine kriegerische Gewalt gegen das Territorium eines anderen Staates) --> Putin griff an, verstieß somit gegen diesen Punkt;
    2. Rußland hätte das Recht auf einen vorbeugenden Angriff gehabt, wenn Art. 51 greifen würde --> Putin rekurrierte darauf und behauptete zweierlei: 1. die von ihm anerkannten ostukrainischen Volksrepubliken seien von ukrainischer Seite angegriffen worden und 2. in der Ukraine seien Vorbereitungen für das Placieren amerikanischer Atomwaffen getroffen worden, außerdem seien in der Ukraine zahlreiche Biochemielabore mit der Untersuchung von biologischen und chemischen Kampfmitteln befaßt - allerdings konnte Putin nicht nachweisen, daß ein Angriff von der Ukraine unmittelbar bevorgestanden habe, ergo greift sein Argument bei aller mutmaßlichen Bedrohungslage nicht;
    3. Putin behauptet, daß Russen in der Ostukraine (Donezk und Luhansk) seit 2014 Ziel systematischer Verfolgung seien: militärisch, bürgerrechtlich, sprachlich.., ergo erkannte er diese Gebiete völkerrechtlich per Dekret vom 21.2.22 an und rechtfertigte in fortlaufenden und tatsächlich bestätigten Angriffen der Ukraine auf die Ostukraine sein Eingreifen zum Schutze der Russen (800000 von 2,5 Millionen Menschen in diesem Gebiet besitzen die russische Staatsbürgerschaft) in der Ostukraine --> dafür spricht, daß vor dem Angriffstag 120000 ukrainische Soldaten unmittelbar an der Grenze zu den Volksrepubliken in Angriffsstellung aufmarschiert waren, um gegen die 34000 Soldaten der Volksrepubliken vorzugehen, zuerst mit Artilleriefeuer, dann Mann gegen Mann; dafür spricht auch die ungeheure Zahl der militärisch verursachten Toten seit 2014 (14000), die die Ostukraine zu beklagen hat.

    Punktsieg von 2:1 für den Westen. Putin kann nur ein Argument anbringen, um selber anzugreifen, den dritten Punkt. Er hätte nicht angegriffen, wenn er der westlichen Logik folgen würde. Er denkt aber nicht postmodern wie die meisten Menschen im Westen, sondern wie man im 19. Jahrhundert dachte: Krieg als ein Mittel der Politik.

    Wäre ein Angriff der DDR auf die BRD 1988 ein Bruch des Völkerrechts gewesen? Für die BRD, nein. Für die DDR, ja. Für den Rest der Welt, jein. Wir haben hier die falsche Perspektive auf das, was da im Osten Europas geschieht. Ich habe mit mehreren (putinkritischen) Russen gesprochen. Die sehen das so. Sie sagen ungefähr, daß Putin zwar ein Gauner sei, aber sich nur das zurückhole, was in den Augen der meisten Russen und Ukrainer sowieso zusammengehöre. - Die denken dort im Osten nationalstaatlich. Ich lehne das ab, aber ich kann es nachvollziehen, denn ich dachte auch mal so. 1988. 1938. 1918. 1813. 9.
    Was die USA betrifft: Was geht die an, was 6000 Kilometer entfernt von ihnen geschieht? Klar, sie sind ja der Weltpolizist. Einen neuen Mitspieler wollen die nicht. Falls die Ukraine zurück zu Rußland käme, was nicht unbedingt erfolgen muß, wäre Rußland sehr viel stärker und damit ein global player. Was, die Ukraine will das nicht? Na aber! Für die Ukraine wäre das auch gut, denn die russische Entwicklung trotzt allen westlichen Versuchen, die Russen kleinzuhalten. Die Ukraine dagegen entwickelt sich trotz aller westlichen Milliardengeschenke so gut wie überhaupt nicht. Schaut euch mal die Wirtschaftsdaten an! Die müßten dort eigentlich steinreich sein. Sind sie aber nicht, weil die korrupte Oberschicht den Reichtum einsackt und die übrigen Ukrainer im Regen stehen läßt. Die Ukrainer wollen trotzdem nicht.
    Keiner weiß, was die Ukrainer wirklich wollen. Die Medien versuchen uns zu erklären, daß die Ukrainer wie wild gegen die Russen kämpften, die Russen dagegen nicht wüßten, warum sie überhaupt in der Ukraine seien. - Nun ja, ich glaube, hier trifft das zu, was schon sehr lange bekannt ist: Im Krieg stirbt die Wahrheit zuerst. Wir werden erst wissen, was die Menschen in der Ukraine denken, wenn sie im Frieden leben (auch in der Ostukraine) und unabhängige Institute den Volkswillen erforscht haben.
    Die Angst vor einem Atomkrieg ist derweil weitgehend unbegründet: Atomwaffen braucht Putin nicht einzusetzen, um zu zerstören. Die konventionellen Waffen reichen völlig hin. Bisher wurde weitgehend mit altem Material gekämpft. Auch die Russen schickten nur die alten Panzer, keinen ihrer neuen. Die BRD schickte DDR-Waffen! Holla. Die habe ich noch eingepackt, irgendwann um 1985. Ich glaube auch nicht, daß Putin einen Krieg gegen Polen oder das Baltikum führen wird. Weißrußland steht noch auf der Agenda, mehr nicht. Aber dort reicht vielleicht eine Volksabstimmung, um beide Rußlands zusammenzulegen und zusammennarbeiten zu lassen. Das ist überhaupt das Zauberwort: Zusammenarbeit. Ich höre davon nichts, ich höre nur was von restriktiver Sanktionspolitik, die gar nichts bringen wird, nur mehr Elend in Rußland, Afrika, Südamerika und auch Europa. Kehren wir uns ab von der Petrodollarwirtschaft. Aber dafür fehlt es an Grundvertrauen bei unseren Regierungen. Die übertreffen sich in vorauseilendem Gehorsam gegenüber den USA. Unsere Außenministerin könnte zur Zeit ihre feministische Politik voll durchziehen. Frieden, Frau Baerbock! Maultrommel statt Kriegstrommel! Aber sie traut sich nicht und reiht sich ein in die Phalanx der Versaginen, die diesen Krieg im Osten Europas generierten. Eine Frage von Schein und Seyn.


    P.S. Ich finde Krieg voll doof.

  • #2
    Die BRD hat ihre Vermittlerrolle schon frühzeitig aufgegeben und sich klar auf die Gegnerseite Rußlands gestellt. Gründe:
    1. Hochrüstung
    2. Belieferung des russischen Feindes mit Waffen
    3. Beleidigungen der russischen Staatsführung durch die höchsten Diplomaten
    4. Beteiligung an Angriffstruppen im russischen Sicherheitsgürtel
    5. einseitige Schuldzuweisung Rußlands in diesem Konflikt
    Mir geht besonders die Rolle der GRÜNEN auf den Senkel. Sie agieren moralin-bellizistisch, weisen Schuld und Verantwortung für grausige Taten ohne Tiefenprüfung zu und eskalieren. Ginge es nach den GRÜNEN, würden wir wieder nach Moskau marschieren, Arm in Arm mit amerikanischen Imperialisten. Früher waren die GRÜNEN mal ein tragender Teil der Friedensbewegung gewesen, aber sie haben schon vor dreißig Jahren (Fischer) diesen Wurzelpfad abgetrennt und sich im bundesdeutschen Establishment verortet, mit all den schlimmen Folgen für den Weltfrieden und die Weltwirtschaft. Das Grüne ist der Mantel, Schein; ihr Seyn liegt in der Atlantik-Charta, sie sind ein Erfüllungsgehilfe des amerikanischen Imperialismus, der seine Macht über den Erdball ausbreiten und erhalten will. Krieg um Krieg um Krieg ist die Folge. Sie treiben die SPD vor sich her, die ihre linken Wurzeln noch nicht abgeschnitten hat. Die FDP hatte die nie. Aber in ihr gibt es starke pragmatische Kräfte, die genau erkennen, wohin die GRÜNE Politik uns führen kann. Leider ist die FDP alles andere als standhaft, wird also umfallen. Wie immer.
    Vieles hängt vom Wahlausgang in Frankreich ab. Gewinnt Le Pen, wird das den Krieg in der Ukraine eskalieren lassen. Die Russen glauben, der Sieg sei nun ihrer. Die Ukraine wird alles in die Wagschale werfen. Ich hoffe, daß der Krieg bis dahin entschieden worden ist, kann aber außer Ankündigungen keine russische Offensive erkennen. Der Koloß bewegt sich viel zu langsam.
    Im Augenblick sieht es so aus, als ob die USA das bekämen, was sie von Anfang an wollten: ein zweites Syrien, also langwährenden Krieg mit Millionen Toten.
    Und Rußland? Hätten sie sich den Aufmarsch in der Ukraine gefallen lassen sollen? Ja. Wer in einem Krieg angreift, ist (fast) immer der Schuldige. Aus dem Schlamassel kommen sie nur heraus, wenn sie itzt schnell siegen. Aber diesen Sieg sehe ich nicht, trotz aller Geländegewinne. Sie müßten Charkow und Cherson einnehmen, die Ukraine aus Lugansk und Mariupol vertreiben und Odessa bedrohen. Dann hätten sie gewonnen. Aber würde das den Frieden bringen? Wohl kaum.

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    • #3
      Kann ich nur zustimmen und ergänzen, dass die Provokation und das Reizen des russischen Bären schon lange Strategie der US-imperialisten war. Spätestens seit Friedensnobelpreisträger Obama systematisch und mit dem Ziel, Russland zu einem Angriffskrieg in der Ukraine zu provozieren. NS 2 war der Punkt, an dem man alles riskierte, drohte und Sanktionen verhängte, noch bevor Russland militärisch aktiv wurde. Und die Grünen an vorderster Front. Sie sind die vielzitierte 5te Kolonne - in diesem Falle - des US-imperialismus. Und daher die Lieblinge unserer Medien. Die feministische Aussenpolitik erweist sich als bellizistisch. Die ehemals grün dominierte Friedensbewegung wird von den Grünen heute zynisch belächelt und verhöhnt. Klar sind die Friedensmarschierer naiv, manche sogar verwegen gutgläubig und unpolitisch, doch das waren die Grünen zu Beginn auch. Heute sind sie DIE Systempartei schlechthin und zwar des US-amerikanischen Systems des Imperialismus. Aussenpolitisch, verteidigungspolitisch, wirtschaftspolitisch und selbst umweltpolitisch setzt man nur noch auf Technologie, Wachstum und Rendite.

      PS: Gerade les ich, dass die EU unter Führung von Frau vd Leyen weiter am Staatsbankrott - Ruin (Zitat Bärbock: Russland muss ruiniert werden) - Russlands bastelt. Und kein Unterschied mehr zwischen leichten und schweren Waffen gemacht wird, was an Ukr geliefert werden soll. Die Kriegstreiberei geht weiter und wen wundert's: die Grünen in der ersten Reihe, buchstäblich an vorderster Front. Also politisch und bei der PR. Selber kämpfen, nö. Konsequent wär's, wenn Habeck, Bärbock, Hofreiter und Co. selbst in die Ukraine führen und den Verteidigern aktiv hülfen. Aber das wär ja redlich. Nö, da bleibt man lieber auf dem sicheren Boden der Moral.
      Zuletzt geändert von eulenspiegel; 17.04.2022, 10:03.

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      • #4
        Habe einige Recherchen zu Butscha gemacht. Daß dort Verbrechen begangen worden sind, steht außer Zweifel. Daß die aber allein Rußland angelastet werden, darf bezweifelt werden. Krieg erzeugt nicht (nur) das Beste im Menschen.

        Einige aufzuwerfende Fragen:
        • Warum wurden die Leichen ohne Prüfung durch unabhängige Pathologen in Massengräbern beigesetzt? Das erschwert die Ermittlungen über Identität, Todesursache und -zeitpunkt und andere Dinge.
        • Warum spricht der EU-Außenbeauftragte Borell davon, daß 20 Zivilisten in Butscha von Rußland ermordet worden seien, wenn dort über 300 Tote zu beklagen sind?
        • Wenn die Russen, wie die Ukraine behauptet, am 31. aus Butscha "verjagt" worden wäre, wie konnte sie dann noch die von der Ukraine monierten Minen und Sprengfallen installieren? Das erfordert Zeit und spricht nicht für ein schnelles Abrücken.
        • Ein Video vom Vormittag des 31. März vom Sekretär der Gemeindeverwaltung berichtet von zivilen Kollaborateuren, die sich noch in Butscha aufhielten (das sind die mit der weißen Armbinde) und von einer Säuberung, die gegenwärtig stattfinde. Er meint wohl die ukrainische "Safari"-Einheit (die mit dem fletschenden Wolf), einer Sondereinheitd er ukrainischen Polizei, die in Irpin alle Kollaborateure verhaftet hatte. War es vielleicht diese Safari-Einheit, die die Kollaborateure erschoß? Allerdings gab es keineswegs nur Leichen mit weißen Armbinden, sondern auch andere Zivilisten, die in Butscha ums Leben kamen.

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        • #5
          Daß ausgerechnet die Wehrdienstverweigerer der GRÜNEN nun eine massive Aufrüstung der Ukraine befürworten und sich als Bellizisten gerieren, hat ein Geschmäckle. Es wird aber vopr dem Hintergrund ihrer Vita und soziologischen Verortung erklärbar. Die Bellizisten sind Vertreter der Atlantik-Charta, also jener Kräfte, die in der BRD einen Vollstreckungsstaat der USA in Europa sehen und diesbezüglich immer wieder Politiker in die entsprechenden Ämter hieven. Baerbock, Scholz, Habeck, Hofreiter sind solche Politiker. Die Rolle Scholzens allerdings ist hier sehr merkwürdig. Eigentlich müßte er ins gleiche Horn wie die Vorgenannten stoßen und alles tun, um der Ukraine militärisch zum Sieg zu verhelfen, was nur bedeutet, weitere Tausende Tote in Kauf zu nehmen.
          Tut er aber nicht. Jedenfalls nicht direkt. Er macht es indirekt. Ringtausch lautet das Zauberwort. Die Ukraine bekommt die Panzer aus sowjetischer Produktion (osteuropäische Länder), die statt dessen neue Panzer erhalten, die die BRD bezahlt.

          Mir erscheint es sehr bedenklich, daß russische Erwägungen überhaupt keine Rolle spielen. Entsprechende Einwände werden weggewischt. Das Feindbild steht.

          Ein Sieg Rußlands würde nicht bedeuten, daß nun andere Länder gefährdeter wären, als sie es nicht ohnehin wären. Das Gegenteil ist viel gefährlicher. Ein Sieg der Ukraine würde bedeuten, daß Rußland sich gezwungen sehen könnte, härtere Waffen einzusetzen, die den Freiden und die Landschaft dauerhafter zerstören, als es die bisher eingesetzten Waffen tun. Ein Sieg Rußlands würde offenlegen, welche Ziele tatsächlich verfolgt worden sind. Dann hätte man einen wirklich greifbaren Maßstab.

          Daß sich die deutsche Wirtschaft vom Erdöl und Erdgas befreien muß, unterstütze ich. Sie sollte es aber nicht nur vom russischen Erdöl/Erdgas tun, sondern von allem. Das wäre konsequent. Es wäre nicht nur für Rußland im nachhinein eine Bestrafung für den Krieg, sondern würde die Weltwirtschaft neu ausrichten. (Ob das den Amis gefallen würde?)

          Deutschlands Rolle in der Welt ist nicht die, eine Partei in Kriegssituationen zu unterstützen, sondern beiden Kriegsparteien beim (zivilen) Wiederaufbau zu helfen - und selber wehrhaft zu sein, ohne sich auf andere verlassen zu müssen. Nach einer kriegerischen Auseinandersettzung muß man eine Lösung finden, die alle Seiten zufriedenstellt. Wie will man diese finden, wenn man zuvor auf einer Seite stand? Da wird so viel Vertrauen zerschlagen.

          Unsere moralische Pflicht itzt besteht nicht darin, Kriegsmaterial zu liefern, sondern den Kriegsflüchtigen zu helfen und auf ein Ende des Kriegs zu wirken. Es besteht nicht darin, die Leiden im Kriegsgebiet zu verlängern, indem man dort schweres Kriegsmaterial hineinwirft und Milliarden verpulvert, die zum Wideraufbau hätten genutzt werden können. Oder spielt Geld keine Rolle mehr, weil wir es eh als virtuell "faßbare" Ware betrachten?


          erstellt von verschiedenen (siehe Briefende)

          Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Scholz,

          wir sind Menschen unterschiedlicher Herkunft, politischer Einstellungen und Positionen gegenüber der Politik der NATO, Russlands und der Bundesregierung. Wir alle verurteilen zutiefst diesen durch nichts zu rechtfertigenden Krieg Russlands in der Ukraine. Uns eint, dass wir gemeinsam vor einer unbeherrschbaren Ausweitung des Krieges mit unabsehbaren Folgen für die gesamte Welt warnen und uns gegen eine Verlängerung des Krieges und Blutvergießens mit Waffenlieferungen einsetzen.




          Mit der Lieferung von Waffen haben sich Deutschland und weitere NATO-Staaten de facto zur Kriegspartei gemacht. Und somit ist die Ukraine auch zum Schlachtfeld für den sich seit Jahren zuspitzenden Konflikt zwischen der NATO und Russland über die Sicherheitsordnung in Europa geworden.

          Dieser brutale Krieg mitten in Europa wird auf dem Rücken der ukrainischen Bevölkerung ausgetragen. Der nun entfesselte Wirtschaftskrieg gefährdet gleichzeitig die Versorgung der Menschen in Russland und vieler armer Länder weltweit.

          Berichte über Kriegsverbrechen häufen sich. Auch wenn sie unter den herrschenden Bedingungen schwer zu verifizieren sind, so ist davon auszugehen, dass in diesem Krieg, wie in anderen zuvor, Gräueltaten begangen werden und die Brutalität mit seiner Dauer zunimmt. Ein Grund mehr, ihn rasch zu beenden.

          Der Krieg birgt die reale Gefahr einer Ausweitung und nicht mehr zu kontrollierenden militärischen Eskalation ‒ ähnlich der im Ersten Weltkrieg. Es werden Rote Linien gezogen, die dann von Akteuren und Hasardeuren auf beiden Seiten übertreten werden, und die Spirale ist wieder eine Stufe weiter. Wenn Verantwortung tragende Menschen wie Sie, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, diese Entwicklung nicht stoppen, steht am Ende wieder der ganz große Krieg. Nur diesmal mit Atomwaffen, weitreichender Verwüstung und dem Ende der menschlichen Zivilisation. Die Vermeidung von immer mehr Opfern, Zerstörungen und einer weiteren gefährlichen Eskalation muss daher absoluten Vorrang haben.

          Trotz zwischenzeitlicher Erfolgsmeldungen der ukrainischen Armee: Sie ist der russischen weit unterlegen und hat kaum eine Chance, diesen Krieg zu gewinnen. Der Preis eines längeren militärischen Widerstands wird ‒ unabhängig von einem möglichen Erfolg ‒ noch mehr zerstörte Städte und Dörfer und noch größere Opfer unter der ukrainischen Bevölkerung sein. Waffenlieferungen und militärische Unterstützung durch die NATO verlängern den Krieg und rücken eine diplomatische Lösung in weite Ferne.

          Es ist richtig, die Forderung „Die Waffen nieder!“ in erste Linie an die russische Seite zu stellen. Doch müssen gleichzeitig weitere Schritte unternommen werden, das Blutvergießen und die Vertreibung der Menschen so schnell wie möglich zu beenden.

          So bitter das Zurückweichen vor völkerrechtswidriger Gewalt auch ist, es ist die einzig realistische und humane Alternative zu einem langen zermürbenden Krieg. Der erste und wichtigste Schritt dazu wäre ein Stopp aller Waffenlieferungen in die Ukraine, verbunden mit einem auszuhandelnden sofortigen Waffenstillstand.

          Wir fordern daher die Bundesregierung, die EU- und NATO-Staaten auf, die Waffenlieferungen an die ukrainischen Truppen einzustellen und die Regierung in Kiew zu ermutigen, den militärischen Widerstand ‒ gegen die Zusicherung von Verhandlungen über einen Waffenstillstand und eine politische Lösung ‒ zu beenden. Die bereits von Präsident Selenskyi ins Gespräch gebrachten Angebote an Moskau ‒ mögliche Neutralität, Einigung über die Anerkennung der Krim und Referenden über den zukünftigen Status der Donbass-Republiken ‒ bieten dazu eine reelle Chance.

          Verhandlungen über den raschen Rückzug der russischen Truppen und die Wiederherstellung der territorialen Integrität der Ukraine sollten durch eigene Vorschläge der NATO-Staaten bezüglich berechtigter Sicherheitsinteressen Russlands und seinen Nachbarstaaten unterstützt werden.

          Um jetzt weitere massive Zerstörungen der Städte so schnell wie möglich zu stoppen und Waffenstillstandsverhandlungen zu beschleunigen, sollte die Bundesregierung anregen, dass sich die derzeit belagerten, am meisten gefährdeten und bisher weitgehend unzerstörten Städte, wie Kiew, Charkiw und Odessa zu „unverteidigten Städten“ gemäß dem I. Zusatzprotokoll des Genfer Abkommen von 1949 erklären. Durch das bereits in der Haager Landkriegsordnung definierte Konzept konnten im Zweiten Weltkrieg zahlreiche Städte ihre Verwüstung verhindern.

          Die vorherrschende Kriegslogik muss durch eine mutige Friedenslogik ersetzt und eine neue europäische und globale Friedensarchitektur unter Einschluss Russlands und Chinas geschaffen werden. Unser Land darf hier nicht am Rand stehen, sondern muss eine aktive Rolle einnehmen.

          Hochachtungsvoll,

          PD Dr. Johannes M. Becker, Politologe, ehem. Geschäftsführer des Zentrums für
          Konfliktforschung in Marburg

          Daniela Dahn, Journalistin, Schriftstellerin und Publizistin, Pen-Mitglied

          Dr. Rolf Gössner, Rechtsanwalt und Publizist, Internationale Liga für Menschenrechte

          Jürgen Grässlin, Bundessprecher DFG-VK und Aktion Aufschrei ‒ Stoppt den Waffenhandel!

          Joachim Guilliard, Publizist

          Dr. Luc Jochimsen, Journalistin, Fernsehredakteurin, MdB 2005-2013

          Christoph Krämer, Chirurg, Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges IPPNW (deutsche Sektion)

          Prof. Dr. Karin Kulow, Politikwissenschaftlerin

          Dr. Helmut Lohrer, Arzt, International Councilor, IPPNW (deutsche Sektion)

          Prof. Dr. Mohssen Massarrat, Politik- und Wirtschaftswissenschaftler

          Dr. Hans Misselwitz, Grundwertekommission der SPD

          Ruth Misselwitz, evangelische Theologin, ehem. Vorsitzende von Aktion Sühnezeichen
          Friedensdienste

          Prof. Dr. Norman Paech, Völkerrechtler, ehem. Mitglied des Deutschen Bundestages

          Prof. Dr. Werner Ruf, Politikwissenschaftler und Soziologe

          Prof. Dr. Gert Sommer, Psychologe, ehem. Direktoriummitglied des Zentrums für
          Konfliktforschung in Marburg

          Hans Christoph Graf von Sponeck, ehem. Beigeordneter Generalsekretär der UNO

          Dr. Antje Vollmer, ehem. Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages

          Konstantin Wecker, Musiker, Komponist und Autor
          Kommentar: Kann ich mitgehen.

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          • #6
            Butscha und kein Ende

            Ist wichtig, zugleich aber auch kaum zwingend klar zu beantworten. Es wurde recherchiert.

            Ergebnisse: Etliche der Toten in Butscha wurden von Schrapnellen getötet. Flechette-Munition aus sowjetischen Beständen, abgefeuert aus einer 122mm-Haubitze des Typs D-30. Diese Munition war im Ostblock weit verbreitet, die NVA besaß sie, die Polen, die Russen. (Gleichwohl Schrapnelle schon vor dem ersten Weltkrieg geächtet wurden, werden sie offenbar immer noch verwendet.) Die Nachfolgestaaten der Sowjetunion besitzen sie: die Ukraine wie auch die Balten oder die Kasachen. Und: Rußland. Auch China stellte diese Haubitze her, der Irak, Ägypten oder Jugoslawien. Es ist also möglich, daß Rußland auf Butscha mit einer 122mm-Haubitze und Schrapnellen schoß und viele tötete. Einiges spricht dagegen:

            Diese (verbotene) Munition wurde 2013 bei der russischen Armee aussortiert. Allerdings sollen noch drei Einheiten diese Haubitze und die damit verbundene Munition im Bestand haben. Alle drei Einheiten sind aber zur Zeit nicht in der Reichweite Butschas stationiert oder gar im Einsatz. (Luftlandetruppen, 30. motorisierte Schützenbrigade und 22. Marineinfanteriekorps) Am nächsten, etwa 500 km entfernt, ist das 22. Infanteriekorps, das auf der Krim stationiert ist. In der Nähe Butschas war die russische 64. Infanteriebrigade im Einsatz. Für den SPIEGEL bedeutet das, daß die dieses Massaker zu verantworten habe. Dummerweise aber ist es kein Massaker, wenn diese Brigade damit geschossen haben sollte, denn der Abschuß muß aus großer Entfernung vor sich gegangen sein. Aber wie wir wissen, besitzt die 64. gar keine Flechette-Munition. Und dann gibt es da noch eine Sache, die es zumindest unwahrscheinlich macht, daß es die Russen waren: der Zeitpunkt. Die Leute mit den weißen Armbinden waren Kollaborateure mit den Russen. Der Or war zum Zeitpunkt des Todes der Kollaborateure noch russisch besetzt. Höchstwahrscheinlich. Vielleicht eine Übergangszeit? Warum sollte eine russische Haubitze in den Ort feuern, wenn er noch russisch besetzt war? Das übliche Chaos bei den Russen? friendly fire?

            Kurzum, es ist keineswegs sicher, daß die Russen es waren. Mindestens genauso wahrscheinlich ist der Ukraine die Tat zuzuweisen. In den letzten acht Jahren beschossen ukrainische 122-mm-Haubitzen aus großer Entfernung (allerdings keine 500 km entfernt) mit Flechette-Munition den Donbaß und töteten dabei viele Menschen. Es gibt diesbezügliche Munitionsfundstücke aus den letzten Jahren. Es sei denn, man nimmt an, die 30. (russische) Schützenbrigade habe den Donbaß aus der Ukraine aus beschossen, um es der Ukraine in die Schuhe zu schieben. Soll ja alles schon vorgekommen sein.

            Ich habe nun allerlei dazu gelesen, mehrere Quellen aus verschiedenen Lagern. Ich kann es nicht sagen, wer den Tod vieler Menschen in Butscha verursachte. Um es zu abstrahieren: Der Krieg war es, die Unfähigkeit der Konfliktparteien, friedliche Lösungen zu finden. Eine alleinige Schuld der Russen anzunehmen, ist nur sehr dogmatischen und ideologisch-verbohrten Zeitgenossen möglich. Ich zähle nicht dazu.

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            • #7
              Frieren für den Frieden, Fahrradfahren für den Frieden und Fahrgeschwindigkeitsdrosselung für den Frieden

              Alles Bockmist, Genossen!
              Ich begründe: Langsamfahren verstopft die Straßen, verunsichert, führt zu mehr Unfällen und zu mehr Verbrauch. Klingt irrsinnig? Nachdenken, dann urteilen.
              Die Regierung versichert, daß jeder nichtgefahrene Kilometer Putin schädige. Außerdem soll das Klima dann verändert werden können, eben zu weniger Temperaturanstieg soll das führen.
              Anders ausgedrückt, um es mit Wolin zu sagen, die Einheitsmeinung dazu wird zur Staatsdoktrin, Dawiderhandeln ist ein Fall für den Verfassungsschutz. Koordinierung der alternativlosen Meinungseinheitlichkeit. Verstand ausschalten, den Mächtigen zuhören und entsprechend umsetzen!
              Wir sprechen hier von einer Regierung, die einerseits Milliarden zur Aufrüstung einer Kriegspartei bereitstellt, auch schwere Angriffswaffen, womit der Krieg unnötig und zum Leid der Menschen in dieser Region kurzfristig verlängert wird; mittelfristig wird das Leiden dadurch verlängert, weil die Ukraine und Rußland zusätzlich destabilisiert werden und aus halbwegs funktionierenden Wirtschaftskreisläufen herausgerissen werden, wobei unklar ist, wie es nach einem in weiter Ferne liegenden Friedensschluß weitergehen könnte. Guerilla-Krieg? stabile Friedenszone= NATO-Grenze an Rußlands Südgrenze? Ukraine in die EU? Keine dieser Möglichkeiten sichert den Frieden auch nur ein Jota. Die Russen wären nicht erfreut, die Ukraine käme nicht zur Ruhe, das ganze Gebiet und asiatische Gebiete Rußlands, vielleicht auch die Arktis-Region würden zu neuen blood lands. Und die Preise? Sie würden mit Sicherheit nicht auf Vorkriegsniveau fallen.
              Aber die Regierung beläßt es nicht dabei, schwere Waffen in das Kriegsgebiet zu schicken, was schon mal gg-widersinnig ist, sondern sie kauft fortan notwendige Energieträger in den USA (schmutziges fracking-Gas) oder in Katar (widerliches Blutgas). Menschenrechte, Umweltschutz, Klima? Spielt alles keine Rolle mehr. Wenigstens behauptet sie nicht, es sei alternativlos. Zur Beruhigung ihrer Wählerschaft verkündet sie, daß am Umbau der deutschen Wirtschaft hin zu einer ökologisch-verträglichen gearbeitet werde.

              Im Augenblick redet noch keiner über den großen weißen Elefanten im bellizistischen Phantasieraum: die A-Waffe. Es liegt aber auf der Hand, daß sich die BRD Gedanken darüber machen wird, ob sie eine Atombombe bauen will. Zwar gibt es da ein paar vertragliche Unverträglichkeiten (Atomwaffensperrvertrag von 1969; 2+4-Vertrag 1990: "Das vereinigte Deutschland bekräftigt sein Bekenntnis zum Frieden und verzichtet auf atomare, biologische und chemische Waffen."), aber die werden im Falle einer politischen Entscheidung sicherlich genausowenig ernstgenommen wie das GG. Verträge haben eine Karenz. Das sei hier auch gesagt.

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              • #8
                Ich erzählte bereits im alten Forum vom Plan etlicher Polen, die Westukraine wieder als polnisches Territorium zu beanspruchen. In den USA finden sich offene Ohren. Klar. Das würde ja dieses Gebiet nachhaltig destabilisieren. Nun kommen so nach und nach neue Informationen in den diesbezüglichen Diskurs. Ich stelle sie kurz vor:

                Der russsische Geheimdienst (Sergei Naryschkin) glaubt, daß zwischen Polen und den USA eine Art von Übereinkunft bestünde, wonach Polen zumindest Teile der Westukraine besetzen werde. In Vorbereitung dieser Annexion würden ukrainische Kollaborateure gesucht. Polen würde sich gegen die ukrainische Nationalisten behaupten müssen, anders gesagt: die USA unterstützten das NATO-Land Polen dabei, sein Staatsgebiet Richtung Osten und Süden auszudehnen. Es geht um Destabilisierung und um Umverteilung. Die polnische Nationalisten sollen in der Westukraine die ukrainischen ersetzen. Es geht konkret um die Gebiete, die um 1920 von Polen im polnisch-ukrainischen und polnisch-sowjetischen Krieg okkupiert und 1923 vom Rat der Entente konzediert worden sind:

                Wolhynien (etwa doppelt so groß wie die Krim, also 50000 km², dünn besiedelt: 2 MIll. Einwohner),
                Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: wolhynien.png Ansichten: 0 Größe: 235,7 KB ID: 168




                Lemberg (20000 km² mit knapp 3 Mill. Menschen), Iwano-Frankowsk/Frankiwsk (15000 km² mit 1,5 Mill. Menschen) und Ternopil (15000 km mit 1 Mill. Menschen), zusammen also 100000 km² mit sieben Millionen Menschen, davon die meisten Ukrainer. Polen soll also versuchen, die Grenzen von 1945 zu revidieren. Einerseits will man dieser Theorie gemäß die Oder-Neiße-Grenze behalten, andererseits sein Staatsgebiet um 25% erhöhen und sich weiter in den Osten vorschieben. Nach 1918 ging die Besitzergreifung dieser Gebiete mit brutalen Polonisierungsmaßnahmen einher, Pogromen gegen Juden und dergleichen. Ich berichtete bereits davon. Die Ukrainer rächten sich in der Nazizeit, indem sie gegen die Polen brutal vorgingen. (Bandera)

                Das offizielle Polen bestreitet die Pläne. Es gab eine Gegendarstellung, in der von offizieller Seite behauptet wurde, Rußland würde fake news verbreiten, um die polnisch-ukrainische Zusammenarbeit zu torpedieren. Allerdings sind Pläne für eine polnische Friedensmission mehrfach von polnischer Seite vorgeschlagen worden, eine von polnischen Soldaten bewachte Mission ins Nachbarland, um dort den Frieden zu sichern. Besatzung. Ein Angriff auf diese Friedenstruppe würde den Bündnisfall nach sich ziehen und damit die Ukraine spalten.

                Es sind viele Dinge möglich in diesem Krieg.

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                • #9
                  Grad mal die (amerikanischen) Leserkommentare zu Gas-Gerds Interview in der NYT gelesen. Das Interview selbst spare ich mir. Wie ein roter Faden zieht sich durch die Kommentare der Frust, die Wut über die Deutschen, weil sie - angeblich, gefühlt, aus amerikanischer Sicht - auf Wandel durch Handel mit Russland gesetzt haben, wo doch jeder (Ami) wusste, dass das nicht funktionieren würde. Dazu kommt die - wieder aus amerik. Lesersicht gefühlte - Undankbarkeit der Deutschen gegenüber den USA, die allein Deutschland nach dem Krieg wieder aufgebaut hätten und bis heute militärisch vor dem Russen schützten. Als Sahnehäubchen dann der deutsche Antiamerikanismus. Was für eine Frechheit und Unbotmäßigkeit dem Beschützer und Finanzier gegenüber.

                  Interessante Sichtweisen. Da setze ich mal meine (deutsch-)österreichische Brille auf und sag den lieben Amis - von denen mehr als die Hälfte nicht mal weiß, wo sie Berlin oder Wien auf dem Globus suchen sollen, sage ich meinen amerikanischen Freunden mal: Danke für eure selbstlose Hilfe und euren militärischen Schutz. Eure Selbstlosigkeit ist so groß wie der Kehrwert eurer Ahnungslosigkeit und euer Militärschutzschirm so friedensstiftend wie die Aggression Putins.

                  Solange sich die Europäer nicht von der Leine der USA losmachen, werden wir immer potentielles Schlachtfeld eines WK III sein, besser gesagt eines Kriegs USA-Russland.

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                  • #10
                    Die Crux mit den Volksabstimmungen/Referenden: Beispiel Memelgebiet 1922/23

                    Die Politik der Entente zielte auf die Stärkung der kleinen Nationalstaaten. Das Beispiel Memelland macht das besonders deutlich. Aber sie stieß auf ungeahnten Widerstand, sogar von der litauischen Bevölkerung, die keine litauische oder westliche Herrschaft wollte. Sie wollten die reichsdeutschen Verwaltungsbeamten beibehalten, auch zum Reich gehören. Litauen wollte das Gebiet annektieren. Die Alliierten setzten ein Direktorium ein und übernahmen den diplomatischen Schutz. Die deutsche Staatsangehörigkeit der Memelländer blieb bestehen, zugleich aber wurden Zollgrenzen und eine eigene Flagge eingeführt. Ein Staatsfragment. Die Franzosen ließen eine Volksbefragung durchführen, die ein für sich bizarres Ergebnis erbrachte: bei einem Bevölkerungsanteil von jeweils etwa 50% und litauischem Zuzug ins Memelland wollten nur 2,2% der Befragten litauischen Schreib- und Leseunterricht und 11,2% litauischen Religionsunterricht, 90% dagegen einen Verbleib beim Reich. Dennoch blieb der litauische Anspruch ans Memelgebiet bestehen, weder historisch noch demokratisch begründbar. Auch Polen meldete Ansprüche an, obgleich im Memelgebiet nur 170 Polen (0,1% der Bevölkerung) lebten. Eine Konferenz 1922 in Paris ergab für Litauen keine befriedigende Lösung, also marschierte man 1923 ins Memelgebiet ein. Die Franzosen erklärten öffentlich, sich für die Freiheit des Memellandes einsetzen zu wollen, zogen aber, wie abgesprochen, beinahe kampflos ab. Kampfwillige Memelländer, die sich den etwa 6000 Mann umfassenden offiziellen und inoffiziellen litauischen Streitkräften entgegenstellen wollten und auf Bewaffnung hofften, wurden von den Franzosen abgewiesen. Die Reichsregierung verhielt sich still und beantwortete Anfragen von Freiwilligen, die sich auf memelländischer Seite gegen Litauen beteiligen wollten, ablehnend; Beamten in Ostpreußen untersagte man Munitionsverkauf an memelländische Kämpfer. Das sorgte bei dem Memelländern für Verbitterung, war aber fürs Reich vernünftig. Die Politik des Reiches zielte auf Handelsverträge mit Litauen, Polen und Rußland, von denen auch das Memelland wirtschaftlich profitieren würde, nicht auf Behauptung von Staatsgebiet. Eine nach den kurzen Kampfhandlungen zusammengetretene Botschafterkonferenz in Paris beschloß die Übertragung der Souveränitätsfrage des Memellandes an Litauen, zugleich sollte Polen freie Durchfahrt und dem Memelland Autonomie gewährt werden! Diese Autonomie sah dann so aus, daß das Memelland trotz starker Widerstände der nicht nur deutschen Bevölkerung litauisiert und alles Deutsche entfernt oder unter Strafe gestellt wurde: Amtssprache, Unterrichtssprache, Telephoneinträge, Ortsnamen…
                    Das Beispiel Litauens zeigt anschaulich, wie der Westen die Schaffung potentieller Kriegsgebiete betrieb. Hätte das Reich anders gehandelt, wäre auf Konflikt gegangen, hätte es schon 1923 einen Krieg geben können, der sich leicht überregional und mit Sicherheit zum Schaden des Reiches selber ausgeweitet hätte. So wurden die Memelländer Opfer einer Politik, die zwar vorgab, demokratische Wünsche erfüllen zu wollen, letztlich aber imperialistische Machtpolitik blieb. Andererseits bestand nun für das Memelland die Möglichkeit, sich im deutsch-baltisch-polnischen Grenzland zu einer prosperierenden Enklave zu entwickeln, was allerdings erfordern würde, daß dem Spiel der Kräfte keine hemmenden ideologischen Richtlinien verpaßt werden würden.

                    Oskar Lafontaine schrieb einen guten Text in der Weltwoche.
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                    • #11
                      Eine Rede, wie sie wohl nicht gehalten wird:

                      Meine Damen und Herren, wir sind in einer guten Lage und könnten Weichen für die Zukunft stellen, weg vom Öl und Gas des Auslands hin zu einer neuen Energieversorgung. Wir könnten, wenn wir wollten. Technisch ist es schon seit Jahrzehnten möglich, Deutschland energietechnisch vom Ausland unabhängig zu machen, von Rußland, Amerika oder auch Arabien. Wir können seit den 1970er Jahren Wasserautos bauen, seit einigen Jahren ist es möglich, Wasserstoff als Energieträger zu nutzen. Wir müßten es nur wollen. Es ist möglich, eine europäische Sicherheitsarchitektur zu entwickeln. Wir könnten uns zum Friedensengel in der Welt machen. Aber wir tun es nicht. Wir lassen uns am Nasenring durch die Welt ziehen, verzichten auf eigene Impulse oder Prinzipien. Wir sind die Mannschaft auf einem Narrenschiff.
                      Unsere feministische Außenministerin stellt sich als Chefdiplomatin ein schlechtes Zeugnis aus. Sie beschimpft den politischen Gegner in einer Weise, die es unmöglich werden läßt, Verhandlungen mit denselben zu führen, die doch notwendig werden, wenn wir irgendwann einmal Frieden haben wollten. Offenbar ist dieses Diktum deutscher Außenpolitik genauso verschütt gegangen wie der Wille, den Gegner überhaupt verstehen zu wollen. Statt dessen werden Beleidigungen des ukrainischen Präsidenten und seines Botschafters hingenommen. Das wird wohl daran liegen, daß die BRD sich in eine Position brachte, die es ihr unmöglich macht, selbständig zu agieren. Es fehlt der freiheitliche Entwurf, der Sicherheit und Zukunft verheißen könnte. Es werden Positionen einer Kriegspartei übernommen und die des Gegners nicht geprüft. Hatte der keine Gründe für seinen Angriff? Er kämpft in der Ukraine mit 5% seiner Streitmacht, setzt alte Waffen ein und hält den Gegner dennoch auf Distanz, einen Gegner, der hochgerüstet mit zigfacher Mannschaftsstärke kämpft, um seine nationalistischen und imperialistischen Ziele durchzusetzen, die sich mit den Interessen einer außereuropäischen Macht decken, die alles dafür tut, um den Krieg am laufen zu halten, denn das nützt ihr am meisten.
                      Aber seien wir auch hier ehrlich: Rußland hat nicht nur in unverantwortlicher Weise den Krieg begonnen, es könnte den Krieg schnell beenden, aber es hat eigene imperialistische Ziele. Der Ölpreis liegt auf dem Acht- bis Zehnfachen dessen, was Öl eigentlich kosten dürfte. Also wird kräftig in Rußland verdient, zumal die BRD weiter auf das russische Öl besteht und damit die Taschen der russischen Öl-Produzenten füllt. Dauert der Krieg an, bleibt das so, trotz aller Ausfälle durch die Sanktionen. Zudem kann der russische Präsident einen Umbau seiner Wirtschaft vornehmen, die unerwünschten westlichen Ausländer und ungeliebten inländischen Oligarchen aus seinem Land entfernen und an einer eurasischen Wirtschaftsunion unter Ausschluß Westeuropas basteln, die Rußland autark werden läßt. Drei Milliarden Inder und Chinesen mit starken wirtschaftlichen Wachstumsprognosen für die kommenden Jahrzehnte sind 400 Millionen Europäern mit dünkelhafter Amerikahörigkeit wirtschaftlich und finanziell vorzuziehen. Sagt er sich wohl.
                      Ein anderer Grund für das eher defensive Vorgehen der russischen Armee liegt in den propagandistischen Kriegszielen. Dazu gehören die Besetzung der Schwarzmeerküste bis wenigstens Mykolajew mit installierten pro-russischen Marionettenregierungen. Mariupol ist eine wichtige Stadt geworden. Das Asowstahl-Werk, ein riesiges Gebiet aus Sowjetzeiten, ist v.a. unterirdisch interessant. Die Russen glauben zu wissen, daß Asowstahl nicht nur Stahl herstellt, sondern auch andere, viel gefährlichere Dinge. Sie müssen es wissen, sie haben diese Anlagen gebaut. Schon 1937 gab es in dieser Gegend "subversive Tätigkeiten", damals von profaschistischen Akteuren. (gleiche Quelle: fernmündliche Mitteilung 3281 zur Vorbereitung des Krieges gegen die Sowjetunion, 1938) Ein Deja vu für die Russen. So etwas erklärt auch die verwirrten Aussagen des russischen Außenministers kürzlich. Der Mann fühlt sich wie 1937/38 oder eben in jene Jahre zurückversetzt.
                      Für uns Deutsche jedoch ist das nebensächlich. Wir müssen auf den Frieden wirken und nicht Öl ins Feuer gießen. Pazifismus ist so schwer und das Gegenteil von Weltflucht. Weltflucht ist es, nach der Nase von anderen zu tanzen und das als Vernunft auszugeben.

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                      • #12
                        Chapeau, hätt ich nicht annähernd so gut sagen können. Allerdings sehe ich Putins Zukunft nicht so rosig, ... Unsere in EU is jedoch auch bescheiden, Totalversagen der gewählten Volksvertreter, dabei hätten wir jetzt alle Möglichkeiten, unsere Zukunft selbst zu gestalten...

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                        • #13
                          Zitat von aerolith Beitrag anzeigen
                          Er kämpft in der Ukraine mit 5% seiner Streitmacht, setzt alte Waffen ein und hält den Gegner dennoch auf Distanz, einen Gegner, der hochgerüstet mit zigfacher Mannschaftsstärke kämpft, um seine nationalistischen und imperialistischen Ziele durchzusetzen, die sich mit den Interessen einer außereuropäischen Macht decken, die alles dafür tut, um den Krieg am laufen zu halten, denn das nützt ihr am meisten.
                          Ich bezweifle, dass das stimmt. Warum sollte Putin das machen? Die Ukraine wird gerade massiv aufgerüstet. Da müsste Putin doch schnell für klare Verhältnisse sorgen und mehr Soldaten und besseres Gerät einsetzen. Das kann er aber offenbar nicht. Zumindest nicht ohne Generalmobilmachung.


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                          • #14
                            Rechenexempel: Öl- und Erdgas stehen weit über dem Normalpreis. Er gibt Nachlässe gegenüber Indien und China, aber verdient immer noch sehr viel. Ein Ende des Krieges würde bedeuten, daß verhandelt wird. Er steht aber weit im Feindesland (grob geschätzt hat er 100000 km² erobert), gewöhnt die dort Lebenden gerade daran, daß sie fortan russisch regiert werden. Warum sollte er diese Stellungen aufgeben? Die Sanktionen des Westens sind nicht nur löchtig (auch die USA kaufen weiter fleißig in Rußland ein), sondern bringen überhaupt nicht das, was sie bringen sollen, glaubt man der offiziösen Darstellung. Da ich nicht an die Dummheit der politischen Führer glaube, nehme ich das als Kalkül. Also bleibt es beim Krieg, an dem nun viele kräftig verdienen, vom ukrainischen Establishment bis zum russischen, amerikanischen, der bundesdeutschen Rüstungsindustrie bis zu Indien und China. Alle (Reichen) gewinnen. Nur die ukrainische Bevölkerung verliert, jedenfalls die, die flohen und die, die in Kriegsgebieten lebten. Und der Steuerzahler im Westen verliert, wenn er es nicht vermag, sein Geld und seinen Besitz zu schützen.
                            Bis vor kurzem glaubte ich, daß spätestens am 9. Mai Schluß mit dem Krieg ist und Verhandlungen beginnen. Von dieser Hoffnung habe ich mich verabschiedet. Es ist eben ein imperialistischer Raubkrieg, und er wird zwischen imperialistischen Hyänen geführt, eine schlimmer als die andere. Am Ende zahlen wie immer Frauen, Kinder und Alte den Preis.

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                            • #15
                              Zitat von aerolith Beitrag anzeigen
                              Er steht aber weit im Feindesland (grob geschätzt hat er 100000 km² erobert), gewöhnt die dort Lebenden gerade daran, daß sie fortan russisch regiert werden. Warum sollte er diese Stellungen aufgeben?
                              Die ukrainische Armee könnte diese Gebiete zurückerobern. Es finden massive Waffenlieferungen statt. Somit wird ein ukrainischer Gegenangriff nicht lange auf sich warten lassen.

                              Am Ende zahlen wie immer Frauen, Kinder und Alte den Preis.
                              Die Inflation macht alle ärmer. Am wenigsten werden die Rentner betroffen sein. Es wird großzügige Rentenerhöhungen geben. Die SPD will ihre Stammwähler nicht vergraulen. Und die entstammen ja nicht der jüngeren Generation.

                              Auch Opfer des Krieges: In Russland (und auch außerhalb) findet gerade ein Oligarchensterben statt.

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